Kategorie: Grundlegendes Seite 32 von 59

Weise Worte (20)

„[…] die Jeans-, Coca-Cola- und McDonalds-Kultur hat nicht nur die ökonomische, sondern auch die symbolische Macht auf ihrer Seite – eine Macht, die in Gestalt einer Verführung williger Opfer ausgeübt wird. Indem sie Kinder und Jugendliche – speziell diejenigen, denen das Immunsystem dagegen fehlt – zu Adressaten ihrer Verkaufspolitik machen, sichern sich die großen Kulturproduktions- und Diffusionsunternehmen […] mit zugleich erzwungener und komplizenhafter Unterstützung der Werbung und der Medien einen immensen, nie dagewesenen Einfluss auf alle heutigen Gesellschaften, die dadurch einer Art Infantilisierung erliegen.“

Pierre Bourdieu, „Gegenfeuer 2. Für eine europäische soziale Bewegung“

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Genfood mal wieder in aller Munde

Man verzeihe mir den Kalauer in der Titelzeile. Eigentlich ist das Thema ja auch viel zu ernst, um darüber noch lachen zu können. Tatsächlich ist die Ausbreitung von genmanipulierten Nahrungsmitteln auf dem Vormarsch, auch gegen den Willen des Großteils der Bevölkerung und oft genug ohne, dass sich die Konsumenten dessen bewusst sind. Zwei Berichte gab es in den letzten Tagen dazu im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Zum einen „Gentechnik erkennen: Neues Logo soll helfen“ in der NDR-Sendung markt, die schon deutlich macht, dass man dem Genwahn kaum noch entkommen kann. Wobei es erstaunlich ist, dass der Autor des Berichts erst gegen Ende auf die Idee mit Biomilch kommt (da darf nämlich kein genmanipulierter Mais verfüttert werden). Und dass Lidl als erste der großen Ketten eine Milch ins Sortiment nimmt, die explizit ohne Genfutter erzeugt wird, ist zwar löblich, macht die geschmacksneutrale Discount-H-Milch-Plörre aber auch nicht wirklich schmackhafter. Vom ruinösen Preisdruck auf die Milchbauern durch die Supermärkte und Discounter will ich hier gar nicht erst anfangen.

Fleisch, Eier, Butter oder Milch – ob bei der Erzeugung tierischer Produkte gentechnisch verändertes Futter verwendet wurde, erfährt der Käufer nicht. Nach EU–Recht weiß bestenfalls der Landwirt, ob er Genfutter benutzt, so Heike Moldenhauer vom BUND. Weil es nicht auf der Verpackung steht, bleibt den Kunden verborgen, dass jährlich viele Tonnen gentechnisch veränderter Sojaschrot in Deutschland verfüttert werden.

(…) Ausbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen

Dass Gentechnikfreiheit irgendwann auch gar nicht mehr möglich sein könnte, zeigt sich am Beispiel Raps in Kanada.  90 Prozent der kanadischen Rapspflanzen sind gentechnisch verändert. Analysen der Zeitschrift Ökotest ergaben, dass sich Spuren gentechnisch veränderter Rapspflanzen in kanadischem Rapshonig finden lassen. Ungewollt vermischen sich die gentechnisch veränderten  Rapspflanzen in Kanada auch mit Senfpflanzen. Spuren gentechnischer Veränderungen waren daher zum Beispiel auch im “Löwensenf extra” zu finden. Der Hersteller gibt zu: “Trotz größtmöglicher Sicherungsmaßnahmen ist der unbeabsichtigte Eintrag von gentechnisch veränderten Rapssaaten in Senf nicht mehr zu hundert Prozent auszuschließen.” (…)

Der zweite Bericht stammt aus dem kritisch-satirischen Wochenrückblick quer im Bayerischen Fernsehen und dreht sich um gentechnisch veränderte Kartoffelsorten, die nun auch hierzulande zum Thema werden – „Amflora-Angst. Bald Gen-Kartoffeln auf dem Teller?“:

Jetzt ist es soweit: In Deutschland darf laut EU die erste Gen-Kartoffel angebaut werden. Ihr Name: Amflora. Zwar wird sie nur zur Stärkeherstellung für Papier und Klebstoff genutzt, doch Kritiker weisen darauf hin, dass sie Menschen resistent gegen einzelne Antibiotika machen könnte. Außerdem herrscht auch in Bayern die Angst, dass Amflora nur den politischen Weg ebnen soll für eine weitere gentechnisch veränderte Kartoffel: Die sogenannte Fortuna. Aus ihr wird kein Papier gemacht, sondern schlicht Pommes.

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Blick durchs Netz: Der Materialismus zerstört Russland und Autos keine Statussymbole mehr

luxZwei interessante Artikel wurden mir in den letzten Tagen von Lesern empfohlen, die ich Euch auf jeden Fall auch darreichen möchte. Zum einen ein Bericht im Schweizer Tagesanzeiger über die gesellschaftliche Entwicklung Russlands, in der der Konsumismus nun offenbar besonders schlimme Blüten zu treiben beginnt – „Alles haben, ohne irgendwas zu tun“:

Der Materialismus zerstört Russlands Wesen. Einfacher Wohlstand ist nicht mehr erstrebenswert, alle wollen den märchenhaften, irrealen Reichtum wie Oligarchen und Popstars. (…)

(…) Die letzte Idee, die wir nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vom Westen übernommen haben, ist die Konsum-«Philosophie», die den materiellen Wohlstand zu einem unumstösslichen Wert des Seins erklärt. Auf russischen Boden gelangt, wurde diese Idee sofort zum Idol, verwandelte sich vom eigentlich normalen menschlichen Wunsch nach einem Leben in Komfort in einen Kult des Geldes, des Reichtums und des schnellen Profits.

Für die meisten Menschen im heutigen Russland bemisst sich der Sinn des Lebens in Dollar. Im Westen, scheint mir, ist die Konsumgesellschaft aus der protestantischen Ethik der Arbeit hervorgegangen, wo Verdienst und Arbeit in unmittelbarem Bezug zueinander stehen. In Russland dagegen traf die Ideologie des materiellen Wohlstands auf die in der Sowjetgesellschaft entstandene Abneigung gegen jegliche Arbeit, ja, deren Verachtung. (…)

Und dann fand sich noch dieser Informationssplitter beim MDR – eine Entwicklung, die zumindest etwas erfreulicher ist, da das Protzen mit riesigen Autos offenbar bei der Jugend nicht mehr so angesagt ist (trotzdem wird der eigene Wert der Persönlichkeit immer noch mit nach außen vorzeigbaren Besitztümern bemessen) – „Multimedia ist neues Statussymbol“:

(…) Demnach hat die junge Generation keine emotionale Bindung mehr an das Statussymbol Auto. Für sie ist es nur noch ein Verkehrsmittel. (…)

Laut der Wirtschaftswoche sind Laptop, Smart- oder iphone einfach hipper als polierte Karossen. Möglicherweise wird dieser Trend durch immer bessere Nahverkehrsnetze unterstützt.

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Transition Towns – Lebenswerte Städte schaffen; und „Einzug mit dem Brecheisen“

Es wird mal wieder Zeit, neben all der berechitgten Kritik an den bestehenden Zuständen im Lande und der Welt auch etwas Zukunftsweisendes zu zeigen. Denn manche Leute bejammern z.B. nicht nur die Zurichtung unserer Städte auf den Individualverkehr, die Zubetonierung der Landschaft mit immer ausufernderen Shoppingmalls etc., sondern sie handeln selbst, statt auf den Staat zu warten. So gibt es seit einiger Zeit die Transition Town-Bewegung, die, laut Wikipedia:

Im Rahmen des Transition Town Movement (etwa “Bewegung für eine Stadt des Übergangs”) proben seit 2006 Umwelt- und Nachhaltigkeitsinitiativen in vielen Städten und Gemeinden der Welt den geplanten Übergang in eine postfossile, relokalisierte Wirtschaft. Die Bewegung, initiiert von dem irischen Permakulturalisten Rob Hopkins, lässt sich dem v.a. in den USA weit verbreiteten Gedanken des “Eco-Communalism” zuordnen, einer Umweltphilosophie, die angesichts schwindender Rohstoffe und negativer ökologischer Auswirkungen der Globalisierung die Idee des “einfachen Lebens”, der Regional- bzw. lokalen Wirtschaft sowie der Nachhaltigkeit und der wirtschaftlichen Selbstversorgung propagiert. Eine wichtige Rolle spielen auch die Gestaltungsprinzipien der Permakultur, die es insbesondere landwirtschaftlichen, aber auch allgemein-gesellschaftlichen Systemen ermöglichen sollen, so effizient und energiesparend zu funktionieren wie ein natürliches Ökosystem.

Hintergrund des Transition Town Movement sind Befürchtungen und Kritik daran, dass die jeweilige nationale Politik nicht durchgreifend genug auf die Herausforderung des Klimawandels und des bevorstehenden globalen Ölfördermaximums (“Peak Oil”) reagiert und daher die Kommunen mit ersten vorbereitenden Maßnahmen auf eine Zukunft knapper werdender Roh- und Treibstoffe reagieren müssen. Hierzu gehören u.a. Maßnahmen zur Verbrauchsreduktion von fossilen Energieträgern und zur Stärkung der Regional- und Lokalwirtschaft. Dem soll u.a. die Einführung von Regionalwährungen dienen wie etwa das “Totnes Pound” in der südenglischen Stadt Totnes.

Beispiele in Deutschland und Österreich sowie weitere Infos findet Ihr hier:
Transition Town/Energiewenden-Initiativen in Deutschland (Norbert Rost hat hier eine Landkarte mit Infos erstellt)
http://ttkiel.wordpress.com/ (Kiel)
http://transitiontownos.blogsport.de/ (Osnabrück)
http://ttbielefeld.wordpress.com/ (Bielefeld)
http://koelner.ning.com/group/transit… (Köln)
http://www.landscaping.at/blog/2007/0…
http://www.transitiontowns.org/
http://energiewende.wordpress.com/

In den Niederlanden geht man mit der Wohnungsnot in Amsterdam und anderen Städten ebenfalls alternativ und kreativ um [via Nokturnaltimes]:

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Adblocking

logo-adblock-plusLustig – angeregt durch die Zuschrift eines Lesers habe ich in meinem Firefox-Browser auch endlich das grandiose Adblock Plus-Plugin installiert, das mittlerweile eine Qualität erreicht hat, wie man sie sich wünscht. Wurde die Performance des Rechners durch den Adblocker früher eher noch verringert und manches an eigentlichem Inhalt weggeblockt, so kann man mit der Erweiterung in der Version 1.1.3 inzwischen wirklich ganz entspannt durchs Netz surfen, ohne dass einen nervige, bunte, blinkende Reklame den Blick verbaut (Ausnahme: die besonders lästigen Layer-Ads). Selbst Websites wie Myspace, die sonst zu 2/3 aus Kommerzpropaganda für McDoof und ähnliche Konzerne bestehen, werden nun plötzlich wieder halbwegs ansehnlich. Großartige Sache – hier gibt es das Plugin, natürlich kostenlos: https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/1865

Ich empfehle das Abonennement für Deutschland auszuwählen, dann werden die wichtigsten Websites hierzulande gleich richtig von den Reklameeinblendungen entkernt.

Das Lustige? Nun, ich hatte gerade vor, diesen Beitrag über das Add-on zu schreiben, da erreicht mich ein Hinweis einer Blogleserin, die mich auf einen Artikel im österreichischen Der Standard aufmerksam macht – „Werbeblocker gefährden Arbeitsplätze“ heißt es da. Bekanntermaßen kann man mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen heutzutage ja alles rechtfertigen, also auch die visuelle Zumüllung des Gesichtsfeldes der Benutzer, und die omnipräsente Gegenwart von Kaufpropaganda und Dauerkommerz, an die wir uns mittlerweile fast schon gewöhnt haben, die aber nicht wirkungslos an uns vorüber geht, da sich gewisse Marken und Logos tief in uns einbrennen, wenn wir sie dauernd zu Gesicht bekommen. Okay, ich klicke sowieso nie auf einen Werbebanner, somit ist es für die Firmen eher von Vorteil ist, wenn ich sie nicht negativ mit Reklame in Verbindung bringe… :-)

Die Diskussion, die der Standard da anfacht, ist aus zweierlei Hinsicht aber nicht so einfach zu ignorieren – zum einen wegen der von mir schon angesprochenen einseitigen Präferierung des Kommerzgedankens gegenüber der Unbeschadetheit des eigenen Geistes durch Weglassung von Reklame. Gerade, weil Der Standard eine eher linke Zeitung ist, finde ich es schon bemerkenswert, dass dieser Adblocking-Trend nicht etwa als Anlass genommen wird, sich vielleicht zu überlegen, ob Geschäftsmodelle, die darauf aufbauen, Menschen mit etwas zu nerven was diese nicht wollen, was sie stört und ärgert, eventuell nicht nachhaltig und kontraproduktiv sind. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch ganz klar sehen, dass in unserem heutigen System die Werbefinanzierung viele Angebote, die wir im Internet gerne und umsonst annehmen, erst ermöglicht und tatsächlich also Menschen davon leben. Eine zweischneidige Sache also, wenn man Reklame automatisch wegblockt. Der Preis für die kostenlosen Netzangebote ist aber  eben sehr hoch, nämlich die permanente Berieselung mit Reklame und das Weichkochen und allmähliche Einsickern ds Kommerz in jede Ritze des Lebens – man muss sich fragen, ob dieser Preis, den die Gesellschaft zahlt, letztlich nicht zu hoch ist. Die meisten User, die etwas zu dem Standard-Artikel schrieben, befürworteten die Adblocker und bekräftigten ihre Genervtheit von den Reklameeinblendungen, die ja teilweise in Richtung Nötigung gehen (gerade bei den von mri schon erwähnten Layer-Ads).

Diese Diskussion entbrannte unlängst auch im Blog von Brian Carper – sein Beitrag mit dem sympathischen Titel „Advertising is devastating  to my well-being“ spricht sich eindeutig für Adblocker aus, und in der anschließenden Debatte in den Kommentaren ging es dann wiederum hoch her! Carper verfolgt einen durchaus radikalen Ansatz:

(…) Here’s the state of the world today: I can’t drive down the street without seeing billboards everywhere. The radio is literally 25 to 50% ads, which is why I don’t listen to the radio. Television is what, 20 minutes of commercials per hour? Which is why I haven’t had television in 6 years. Newspapers and magazines are saturated with ads, and of course I don’t read them either. Even then, ads are nearly unavoidable. (…)

(…) Businesses are not your friends. Businesses are not ethical entities. Businesses do not deserve the benefit of the doubt. Businesses exist to milk you of as much of your money as possible. The only sane reaction for the average person is a similar one: I want to deprive businesses of my money. I want to get as much from them as I can, while giving up as little as possible.

If I politely suggested that it’s “unfair” for a business to have such a huge profit margin, and “if they cared about their customers, they would lower all their prices”, I’d be laughed at. Why would a company do anything less than the absolute most they can do to bleed money out of me, after all? I laugh at any business which says the same thing to me. I will bleed you of product, as far as it’s legal to do so. It so happens that advertisements are devastating to my well-being. (…)

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Weniger Demokratie wagen

Heute mal ein kurzer Lesetipp, den ich eigentlich schon seit längerem an den Mann bringen sollte – Jan Pehrke schrieb im letzten November auf Telepolis „Weniger Demokratie wagen – von der Demokratie zur Postdemokratie“ über den Zustand unserer Demokratie und die gefährlichen Zerfallserscheinungen einer auf mediale Präsentation bauenden Staatsform:

(…) Der Wähler als Konsument

Die Politik ist in Zeiten der Postdemokratie ein Produkt und der Wähler ein Konsument, dessen Gunst errungen werden will. Dafür müssen sich die Kandidaten und ihre Partner mächtig ins Zeug legen. So zwangen Wahlkampf-Manager die arme Hillary Clinton einst an den heimischen Herd zum Kuchenbacken zurück, um mit der Hausfrauen-Rolle gegen ihr Intellektuellen-Image anzukämpfen. Besonders viel dramaturgischen Aufwand erfordern dabei die TV-Duelle, bei denen sich die Bewerber zumeist exakt an ihre Drehbücher halten und – zumindest bei CNN – eine Focus-Gruppe ihre Aussagen in Echtzeit bewertet. (…)

Unerbittlich straft die Öffentlichkeit Fehler ab. Auf Respekt können die Politiker in der Zuschauer-Demokratie nicht mehr zählen, wenn sie um sich und ihre Programme werben. Aber ein Machtzuwachs für den Konsumenten ist damit nur scheinbar verbunden, denn: “Auf Werbung kann man nicht antworten”, wie Colin Crouch in einem anderen Zusammenhang schreibt. Der Staatsbürger bleibt immer ein zur Passivität verurteilter Zuschauer. Je näher ihm die Politik zu kommen scheint, desto ferner rückt sie ihm in Wirklichkeit. (…)

Aber nicht nur die Parteien weisen zunehmend Demokratie-Defizite auf, auch das politische Handeln selbst wird autokratischer. So erfreut sich das Regieren per Dekret, also unter Ausschaltung des Parlaments, weltweit zunehmender Beliebtheit. Der “Sozialismus des 21 Jahrhunderts greift ebenso gerne darauf zurück wie George W. Bush, der seine Sicherheitsgesetze so am Kongress vorbeischmuggelte, oder Berlusconi. Wenn diesem die Demokratie mal zu lange dauert und deshalb ein “Parlament von Deprimierten” zu schaffen droht, macht er ihr mit Dekreten Dampf oder stellt einfach die Vertrauensfrage.

Zudem öffnet sich die Politik in erhöhtem Maße irgendwelchen Nebenregierungen. Die rot-grüne Koalition hatte es sich beispielsweise zur Gewohnheit gemacht, einen Gutteil des Tagesgeschäftes durch Outsourcing diversen Gremien zu übertragen. Sie rief unter anderem die Hartz-Kommission, die Föderalismus-Kommission, die Rürup-Kommission und den nationalen Ethikrat ins Leben. (…)

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Die Geschichte des abgefüllten Wassers

Letztes Jahr machte der Film „The Story of Stuff“ der amerikanischen Aktivisten Annie Leonard im Netz die Runde – ein schön animierter Kurzfilm, der den Wahnsinn unseres Wirtschaftssystems mit seinen Mechanismen von Reklame, Marketing und rücksichtsloser Produktion, leicht verständlich und unterhaltsam skizzierte. Nun hat sich das Team der Free Range Studios wieder an ein kritisches Thema gewagt, nämlich die Tendenz, dass eine kleine Zahl von Großkonzernen, darunter Nestlé und Coca Cola, dabei sind, sich die Wasserquellen dieser Welt unter den Nagel zu reißen und das Naturgut völlig überteuert in Flaschen weiterzuverkaufen; oft zum Nachteil der Menschen, die in der Nähe der Quellen wohnen. „The Story of Bottled Water“ könnte wiederum ein prägnanter Augenöffner für alle jene Menschen sein, die diese Firmen bei ihrer Privatisierung der Allgemeingüter gewähren lassen oder durch den Kauf des Wassers noch unterstützen. Der Film ist auch ein Lehrstück dafür, dass Werbung schadet, denn via Marketing wird einem Flaschenwasser als das alleinig sinnvolle angepriesen und Wasser aus dem Wasserhahn diffamiert.

… to tell the story of manufactured demand—how you get Americans to buy more than half a billion bottles of water every week when it already flows from the tap. Over seven minutes, the film explores the bottled water industry’s attacks on tap water and its use of seductive, environmental-themed advertising to cover up the mountains of plastic waste it produces. The film concludes with a call to ‘take back the tap,’ not only by making a personal commitment to avoid bottled water, but by supporting investments in clean, available tap water for all.

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Ein paar Lesetipps: Das Finanzsystem ist durchgefallen | Gentech-Saatgut macht alles teurer | Westliches Konsumniveau nicht haltbar

Heute möchet ich Euch wieder mal auf ein paar interessante Artikel hinweisen, über die ich unlängst stolperte. Zum einen „Gemessen am Nutzen für das Gemeinwohl, ist unser Finanzsystem durchgefallen – Entwickeln wir ein neues!“ von Dieter Sprock im neuen Zeit-Fragen, in dem er den Kosten unseres Finanzsystems für die Gesellschaft auf den Grund geht und für eine verstärkte Beschäftigung mit Genossenschaften u.ä. plädiert:

Die Finanzkrise hat in zahlreichen Ländern rund um den Erdball die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen und unzählige Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt; Arbeitslosigkeit, Armut und Hunger haben weltweit dramatisch zugenommen. Sie hat aber auch die Einsicht reifen lassen, dass es so nicht weitergehen kann. Immer mehr Menschen fragen sich, wie das alles zusammenhängt. In diesem Sinn ist die Krise auch eine Chance für Veränderungen, die es zu nutzen gilt. (…)

(…) Der Genossenschaftsgedanke, auf den Raiff­eisen sich stützte und den er weiterentwickelte, beinhaltet mehr als eine blosse Anleitung für wirtschaftliche Zweckverbände. Er verkörpert Grundwerte des menschlichen Zusammen­lebens in Gleichwertigkeit und Freiheit.
Überall tun Menschen sich zusammen, in Handwerkskooperationen, Nachbarschaftshilfen, Quartiervereinen, in Städte- und Länderbündnissen. Die Zusammenarbeit ist länderübergreifend und weltumspannend. Sie darf nicht länger durch ein Zwangssystem behindert werden, das in betrügerischer Absicht das Wort «frei» auf seine Fahne schreibt, damit aber die Freiheit meint, die Welt zu versklaven, indem es alles Denken und Handeln dem Profitdenken unterwirft. (…)

seed_prices_cover_2009Mit den „Heilsverpsrechen“ der Gentech-Saatgut-Hersteller und der tatsächlichen Realität befasst sich Sysiphos Periodical in „Preisanstieg – die Segnung des Gentech-Saatguts“. Er bezieht sich dabei auf eine neue Studie, die nachweist, dass durch die vermehrte Bentuzung von gentechnisch veränderten Saatgut mitnichten etwas gegen den Hunger auf der WElt getan wird (wie es Monsanto & Co. gerne behaupten), sondern der Nahrungsmittelanbau nur noch teurer geworden ist:

(…) Eine aktuelle Studie aus den USA zeigt auf, dass die Einführung der Gentechnik in die US-Landwirtschaft zu dramatischen Preisanstiegen von bis zu 230 Prozent beim Saatgut geführt hat. Der dramatische Preisanstieg wird in einer Studie des ‘US Organic Centers’ aufgezeigt. Diese basiert auf der Entwicklung der Saatgutpreise der letzten 35 Jahre anhand offizieller Daten aus dem US-Landwirtschaftministerium. In den 25 Jahren von 1975 bis 2000 stiegen die Saatgutpreise für Sojabohnen um insgesamt 63 Prozent. Zwischen 2001-2010 stiegen die Preise um 230 Prozent. Gentech-Maissaatgut kostet jetzt 70 Prozent mehr als konventionelles Maissatgut. Monsanto ist in den USA klarer Marktführer und füllt sich die Taschen; ca. 90 Prozent des in den USA verkauften Gentech-Saatguts stammt aus den Labors Monsanto. (…)

In der taz setzt man sich intensiver mit dem Thema Konsum auseinander – „Konsum jenseits der Kapazitäten“:

5 Prozent der Weltbevölkerung sind für 32 Prozent des weltweiten Konsums verantwortlich. Das geht aus dem Bericht “Zur Lage der Welt 2010” hervor, den das renommierte Washingtoner Worldwatch-Institut erarbeitet hat. In Berlin wurde gestern die 300 Seiten starke deutsche Fassung vorgestellt, die die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam mit Germanwatch ausgearbeitet hat. Tenor: Würden alle Menschen so leben wie wir, böten die sich selbst erneuernden Ressourcen der Erde gerade Platz für 2,1 Milliarden Menschen. Aktuell leben aber bereits knapp 7 Milliarden auf dem Planeten.

Nick Reimer kommentiert dies in selbiger taz: „Sich die Welt schönkaufen“:

(…) Solange nur innerhalb des kapitalistischen Systems nach einer Lösung dieser Menschheitsfragen gesucht wird, wird sich keine Lösung finden. Denn dieses System gründet auf Wachstum, das wir uns eigentlich nicht mehr leisten können. Außerdem werden die Umweltkosten nicht einkalkuliert: Die kapitalistische Wirtschaftswissenschaft definiert das Wasser der Flüsse oder die Luft als “öffentliche Güter”, die niemand besitzt. Ergo haben sie keinen Preis und können von jedem uneingeschränkt genutzt werden. Längst hat die Ressourcen- und Klimakrise diese Idee als Irrwitz offenbart. Was fehlt, ist ein System, um den Fehler zu korrigieren.

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Das Bankentribunal – weil die Krise System hat!

bildschirmfoto-2010-03-19-um-203103Attac hat die sog. „Finanzkrise“ von Anfang an kritisch begleitet und auch schon im Vorfeld gewarnt, leider vergebens. Nachdem nun mit Steuergeldern marode Banken gerettet wurden, scheint alles so weiterzulaufen wie bisher – um dies zu verhindern, veranstaltet Attac vom 9. bis 11. April in der Berliner Volksbühne das Bankentribunal. In dieser Mischung aus Kultur, Kabarett und Informationen und Diskussionen rund um das Bankenthema wird den Verantwortlichen, u.a. Angela Merkel, Gerhard Schröder und Josef Ackermann, der Prozess gemacht (wenn auch nur symbolisch). Schaut doch mal vorbei, wenn Ihr zu dem Zeitpunkt grad in Berlin seid!

Vom 9. bis 11. April 2010 wird Attac Deutschland in Zusammenarbeit mit der Berliner Volksbühne ein öffentliches Tribunal durchführen, das die Ursachen des Finanzcrashs, die Beugung der Demokratie durch fragwürdige Rettungsmaßnahmen und die fahrlässige Vorbereitung neuer Krisen öffentlichkeitswirksam beleuchten soll.

Das Tribunal wird am Freitag Abend (9.4.) mit einer Eröffnungsrede von Albrecht Müller, einer Lesung der Volksbühne zum Thema Banken und Beiträgen der Kabarettisten Urban Priol und Georg Schramm beginnen.

Das eigentliche Tribunal wird am Samstag, dem 10.4., stattfinden, beginnend am Morgen mit der Anklageerhebung. Es folgen mehrere Blöcke der Beweisaufnahme und am Abend die Schlussplädoyers. Die Urteilsverkündung wird am Sonntag Vormittag stattfinden. Im Anschluss ist ein „Forum der Alternativen“ geplant, in dem konkrete Vorschläge zur Transformation des Finanzsektors diskutiert und Perspektiven zur Weiterarbeit entwickelt werden.

Die Reden von Anklägern, Zeugen und Verteidigern werden aufgelockert durch kurze Videobeiträge, die in pointierter Form anschaulich komplexe Zusammenhänge darstellen. Auch eine partizipative Phase in kleineren Gruppen ist geplant. Als Zeugen treten authentisch Journalisten, Gutachter, Banker, NGO-Vertreter etc. und Betroffene der Krisenfolgen auf. Als Richter werden prominente Intellektuelle und Vertreter einer kritischen Zivilgesellschaft fungieren.

Angeklagt werden sowohl politische Entscheidungsträger als auch Bank-Manager – und nicht zuletzt Komplizen aus Bankenaufsicht, Wirtschaftsprüfungsunternehmen und Rating-Agenturen.

Da wir damit rechnen müssen, dass viele der Angeklagten nicht erscheinen, werden Verteidiger an ihrer statt sprechen.

Dem Tribunal geht es nicht in erster Linie darum, individuelle Schuldige dingfest zu machen oder gar Sündenböcke ins Rampenlicht zu stellen, sondern darum, die systemischen Ursachen der Krise einem breiten Publikum in spannender Form anschaulich zu machen und zu weitergehenden Fragen und Einmischungen anzuregen.

Drei Beweisaufnahmen werden im Zentrum des Tribunals stehen. Jeder Beweisaufnahme wird ein Anklägerteam zugeordnet.

1. Vorbereitung der Krise und Aushöhlung der Demokratie

  • Förderung eines krisenverursachenden Systems durch eine Politik der Deregulierung, der Umverteilung von unten nach oben und der Privatisierung
  • Erpressung des Staates und der Gesellschaft („too-big-to-fail“-System)
  • Entmachtung des Bundestages (SoFFin-Gesetz) und organisierte Geheimhaltung und Täuschung  von Bundestag und Öffentlichkeit
  • Bankenrettungen auf Kosten der Steuerzahler unter Schonung der Banken/Gläubiger

2. Zerstörung der ökonomischen Lebensgrundlagen in Nord und Süd

Anhörungen zu den Schattenseiten des gegenwärtigen Weltfinanzsystems und den Folgen der Krise

  • Verschuldung und Privatisierungsdruck
  • Gesundheit und Rente
  • Arbeit
  • Globaler Süden
  • Ökologie
  • Demokratie

3. Verschärfung der Krise

  • Kein Verbot risikoreicher Finanzpraktiken und Finanzinstitutionen
  • Banken und Großkonzerne gegen Regulierungen
  • Verschärfung der strukturellen Ursachen der Krise

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L.A. Law – Wie Hollywood unser Rechtssystem formt, Teil 2/2

exekutDies ist die Fortsetzung meiner gestern begonnenen Übersetzung des Artikels „L.A. Law: How Hollywood is shaping our legal system“ von Julie Scelfo, der unter dem Titel „When law goes Pop“ im Stay Free Magazin #18 erschien. Es ist ein sehr interessantes und in Bezug auf den Einfluss, den das Fernsehen mittlerweile auch auf unsere Rechtssprechung hat, enthüllendes Interview mit dem Juraprofessor Richard Sherwin.

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Julie Scelfo (J.S.): Im amerikanischen Rechtssystem sollen Anwälte sich auf Rechts-Argumente stützen, nicht auf Gefühle. Was passiert mit Verhandlungen, die auf dieser Art von nicht greifbaren – und in manchen Fällen unterbewussten – Methoden basieren, im Gegensatz zu den traditionellen mündlichen Argumenten, die auf Fakten beruhen?

Richard Sherwin (R.S.): Die größte Angst, die mit visuellen Überzeugungsmethoden verbunden ist, ist die Vorstellung, dass das Ideal der rationalen Überzeugung kurzgeschlossen wird mit einer eher emotionalen Form der Beurteilung. Die Furcht ist, dass einige Formen von Vorurteilen, die bei einer mündlichen Präsentation nicht zum Tragen kommen, auf der visuellen Ebene funktionieren können, weil visuelle Bilder so überbestimmt sind. Irgendwo dort in den unbewussten Tiefen des Bildes schweben einige nützliche Assoziationen herum. Eine der Sachen, de ich mit meinem Buch erreichen möchte, ist, Richter über die Komplexität der visuellen Bilder aufzuklären, so dass sie mit diesen Gefahren der Vorurteile effektiver umgehen können.

J.S.: Lesen Richter das Buch?

R.S.: Ich stehe in Kontakt zu Richtern, und sie sind begierig darauf, solchen Input zu bekommen, weil sie mehr und mehr visuelle Medien im Gerichtssaal sehen, wie z.B. Überwachungsvideos, die bearbeitet wurden. Denken Sie an den Fall von Rodney King, wo Sie einen Staatsanwalt hatten, der absolut überzeugt davon war, dass es ein klarer Fall war, der auf dem George Holliday-Video fußte, das King zeigte, wie er von der Polizei verprügelt wurde. Er machte sich nicht bewusst, dass die Anwälte, die die L.A. Polizeibeamten verteidigten, durch Editierung der Bilder die ganze Geschichte geändert hatten.

J.S.: Wie haben sie das Video bearbeitet?

R.S.: Die Verteidiger verlangsamten es enorm, so dass man Bild-für-Bild-Sequenzen sah, die die Gewalt abmilderten. Aber noch viel schlimmer für die Anklage war eine Veränderung der Geschwindigkeit der Bilder im Zusammenhang mit der Verteidigungs-Theorie. Die Verteidigungs-Theorie war, das Rodney King alles unter Kontrolle hatte und dass er, wenn er die vorgeschriebene Bauchlage eingenommen hätte, nichts weiter passiert wäre. Der einzige Grund, weshalb er geschlagen wurde, so ging die Argumentation, war, dass er sich der Festnahme widersetzte. Und was die Bilder in der verlangsamten Form zeigten, war Rodney King, wie er sich nach oben bewegte, und ein Schlagstock, der niedersauste.

S.J.: In der Reihenfolge?

R.S.: In der Reihenfolge. Als Kings Gliedmaßen nach unten gingen, ging der Knüppel nach oben und ein anderes Körperteil ging nach oben und ein anderer Schlagstock sauste nieder. Und genau das haben die Geschworenen gesehen. Mit anderen Worten, sie lasen Kausalzusammenhänge in die Bilder. Die Verteidigung orchestrierte das Video so, dass die Geschworenen Kausalität ableiteten.

S.J.: Was gegen die Intuition ist. Man würde denken, dass das Videoband die Geschworenen zu dem Schluss bringen würde, dass die Beamten, die King schlugen, schuldig waren.

hallwR.S.: Der Staatsanwalt forderte die Geschworenen unablässig dazu auf, sich das Band anzuschauen, ohne mehr zu sagen. „Sehen Sie sich nur das Band an.“ Aber was ihm nicht klar war: die andere Seite hatte die Bedeutung der Bilder okkupiert, indem sie die Geschichte in einer anderen Weise erzählten, so dass, wenn die Leute das Videoband sahen, sie es durch die Augen der Verteigungs-Geschichte betrachteten. Der Staatsanwalt bot keine eigene Erzählung an, und deshalb war dies die einzige Geschichte, die die Geschworenen hatten. Sie benutzen sie, um die Informationen, die sie auf dem Video sahen, zu ordnen. Kognitive Psychologen haben gezeigt, dass die Art, wie Menschen zu Beurteilungen in Rechtsfällen gelangen, ist, indem sie eine Geschichte erzählen, wie alles geschah. Anwälte gewinnen Prozesse, indem sie die beste Geschichte erzählen – diejenige, die die meiste Glaubwürdigkeit versammelt, diejenige, die am meisten Sinn ergibt, diejenige, die am anziehendsten wirkt. Und wenn man selbst keine Geschichte erzählt, und die Gegenseite eine eigene Story bietet und man selbst nur Bruchstücke von Argumenten, wird man es bedeutend schwerer haben, die Geschworenen zu überzeugen.

J.S.: Ich weiß nicht, wie Sie in Bezug auf den King-Prozess fühlen, aber würden Sie den Einsatz visueller Technologie als Erfolg werten?

R.S.: Ich bin ein unbedingter Verteidiger des Systems der Prozessgegner, aber nur, wenn es wirklich funktioniert. Wenn ein Anwalt oder ein Richter nicht ausreichend in einem Medium geschult ist, wie z.B. in den visiuellen Medien, dann sollte dieses Medium nicht für das Kreuzverhör verwendet werden. Und wenn es nicht in dieser Weise angewendet wird, ist das System der Prozesgegner nicht wirklich funktionsfähig. Das Problem, das ich mit dem King-Fall habe, ist, dass es die Verteidigung zu einfach hatte. Wenn ein Staatsanwalt mit der selben Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und der selben Medienkompetenz um das Urteil der Geschworenen gekämpft hätte, dann hätten wir meiner Ansicht nach einen anderen Prozessausgang erlebt.

J.S.: In anderen Ländern, vor allem in Kanada, ist Medienkompetenz bereits seit langer Zeit Teil der Ausbildung. Medienkritiker in diesem Lande haben sich längst dafür stark gemacht. Wann werden wir dies also auch in den USA sehen?

R.S.: Die USA hinkten der Welt in punkto Medienkompetenz schon immer hinterher. Leute mit paranoiden Fantasien mögen hier Erklärungen anbringen, wieso dies der Fall ist und wer hier die Kontrolle besitzt. Ich weiß es nicht. Für mich ist eine der Zielvorstellungen, dass, wenn man in einer Demokratie lebt, man einen sinnstiftenden Informationsfluss benötigt. Einen bedeutungsvollen Austausch. Dies war seit jeher einer der Grundsätze der Regierung seit der Staatsgründung. Sie können keine florierende Demokratie haben, wenn die Menschen nicht ausreichend informiert sind. Insbesondere wenn man den verzerrenden Einfluss des Fernsehens berücksichtigt, denke ich, dass Medienkompetenz grundlegend für eine informierte Wählerschaft ist, und informierte Geschworene. Und wenn Sie auf Bilder reagieren, weil sie Sie an einen Film erinnern oder sie eine gefühlsmäßige Reaktion hervorrufen, die auf einer Werbung basiert, die Ihnen gefällt, dann steht das nicht im Einklang mit dem Ideal eines abwägenden Diskurses, den wir anstreben sollten.

J.S.: Damit haben Sie einen weiteren Grund angeführt, wieso Medienkompetenz unterstützt werden sollte: sie befähigt Bürger, besser zur Rechtssprechung beizutragen.

R.S.: Das stimmt. Ich denke, dass der Konsum von Informationen der wichtigste Konsumakt ist, den es gibt. Und wenn wir ihn nicht in einer kritischen Art und Weise durchführen, ist unser politisches Schicksal völlig offen – und in Gefahr.

J.S.: Wir stehen am Beginn eines neuen Jahrtausends. Was müssen die Menschen jetzt tun, um zu verhindern, dass aus der Rechtssprechung Popkultur wird?

R.S.: Es hängt direkt mit dem zusammen, was wir gerade über die Kultivierung eines kritischeren Grundhaltung gesagt haben, also Fähigkeiten zu lernen, um das zu interpretieren, was wir sehen. Und natürlich muss der Wille da sein, hinter die bloße Oberfläche der Bilder zu schauen. Eine Sache, die an der postmodernen Ära stimmt, ist, dass es schwieriger wird, zwischen Fiktion und Realität, oder zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden. Bis zu dem Punkt, wo Menschen politische oder juristische Entscheidungen treffen, die keinen Bezug zum realen Leben haben, sondern deren Impuls sie aus dem Fernsehen oder von Filmen ziehen – das ist ein verstörender Gedanke. Einer der Gründe dafür, dass Matrix so ein erfolgreicher Film war, ist vielleicht, weil er diesen Nerv getroffen hat, das wir möglicherweise in einer Welt frei schwebender Bilder leben, und dass es vielleicht egal ist. Wenn es nur Bilder sind, die wir erzeugen und auf die wir reagieren, wenn es nichts weiter gibt, wo man ankommen kann, dann lasst uns einfach diese Reise tun. Es ist wie Quentin Tarantinos Welt in Pulp Fiction: Gewalt ist lustig. Das reale Leben schlussendlich von Unterhaltungswerten abhängig zu machen ist, für meinen Teil, eine erschreckende Sache, wenn es um Politik und Rechtssprechung geht. Im Kino vielleicht nicht, aber in der Politik und Justiz schon. (…)

J.S.: Sie sagen also, dass es irgendwo eine Art von Realität geben muss.

R.S.: Ich behaupte nicht, dass es eine Form von Realität im gewöhnlichen Sinne von beweisbaren objektiven Dingen geben muss. Aber es gibt Bedeutungen und Werte und Glaubenssätze, die wir unterstützen können, auch wenn wir wissen, dass sie konstruiert sind. Sie können einen Film sehen und ihn genießen, in eine Vorlesung gehen und ihn zerpflücken und ihn anschließend noch mehr genießen. Wenn Sie verstehen, wie er erstellt wurde und wie er funktioniert, können Sie ihn am nächsten Tag immer noch sehen und von seiner Kraft verzaubert werden. Irgendwann müssen Sie eine Art von Bedeutung bejahen. Irgendwann. Eine ständige Diät von Desillusionierung nährt einen nicht ausreichend, um ein gutes Leben zu führen. Wir müssen uns klar machen, was unsere Glaubenssätze und Überzeugungen und Werte sind und sie bekräftigen

J.S.: Was würden Sie Kritikern antworten, die sagen: „Nun, Sie sind halt ein Linker, Sie sagen, dass die Gesellschaft auseinanderfällt, dass Rechtssprechung und Medien und Unterhaltung und Realität alle durcheinandergewürfelt werden, aber eigentlich war es schon immer so. Menschen haben sich immer Fiktion und Fantasie zugewendet, um ihr eigenes Leben zu verstehen und zu interpretieren.“

R.S.: Ich denke, das ist richtig. Ich stimme zu. Aber wir müssen die verschiedenen Dinge, die wirken, kennen. Die Frage ist nicht: „Können wir die Fiktion aus unserem Leben tilgen?“. Die wichtigere Frage ist: Welche fiktionalen Interpretationen haben reale Konsequenzen in Politik und Rechtssprechung, wie beeinflussen sie das Leben um uns herum? Wir sollten uns nicht  der Selbsttäuschung hingeben, dass es „nur Fiktion“ ist, oder „nur ein Bild“, lasst uns die Reise antreten, weil es so eine tolle Erfahrung ist. Ich bin nicht gegen Stimulierung der Sinne, aber ich möchte nicht, dass das Leben eines Menschen in einem Mordprozess davon abhängt.

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Dazu passt auch der Artikel „The CSI Effect“ in U.S. News & World Report (2005), den ich dann Euren Englischkenntnissen anheim gebe. :-) Er verdeutlich auf jeden Fall noch mal, welch verheerende Wirkung die ganzen gescripteten und inszenierten Crime-Storys im Fernsehen auf die reale Rechtssprechung haben.

(…) Stoked by the technical wizardry they see on the tube, many Americans find themselves disappointed when they encounter the real world of law and order. Jurors increasingly expect forensic evidence in every case, and they expect it to be conclusive.

“Your CSI moment.” Real life and real death are never as clean as CSI’s lead investigator, Gil Grissom, would have us believe. And real forensics is seldom as fast, or as certain, as TV tells us. Too often, authorities say, the science is unproven, the analyses unsound, and the experts unreliable. At a time when the public is demanding CSI -style investigations of even common crimes, many of the nation’s crime labs–underfunded, undercertified, and under attack–simply can’t produce. When a case comes to court, “jurors expect it to be a lot more interesting and a lot more dynamic,” says Barbara LaWall, the county prosecutor in Tucson, Ariz. “It puzzles the heck out of them when it’s not.” (…)

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