Medien hacken

Mein guter Vorsatz für 2010? Mal wieder stärker aktivistisch in der realen Welt dort draußen vor der Wohnungstür und jenseits der Datenleitungen tätig werden und nicht nur via Blog und Unsinn des Systems anprangern. Leider bin ich arbeitsbedingt in den letzten Monaten viel zu selten dazu gekommen… Aber der folgende Vortrag „Im Herz der Bestie – Medien hacken“, der auf dem 26. Chaos Communication Congress gehalten wurde, regt mich natürlich wieder etwas an – Euch hoffentlich auch! Es werden einige schöne Beispiele dafür präsentiert, wie vor allem das Internet unsereins die Möglichkeit eröffnet, dem Mainstreammedienmaelstrom etwas entgegenzusetzen, was Kommunikationsguerilla ist und wie sie funktioniert – und dass das, was „Werbefritzen und PR-Fuzzis“ machen, wenn sie „virales Marketing“ u.ä. betreiben, halt nichts mit Medienguerilla (sondern bloßem Verkaufen) zu tun hat. (Danke an Michael Wenzl für den Tipp!)

Tatsächlich ist mir im Jahre 2002 mal ein (wenn auch unbeabsichtigter) Coup in dieser Art gelungen, bei dem ich „die Medien“ gefoppt habe – zusammen mit einem Freund schrieb ich damals einen fiktiven Artikel (in der Liste den 5. Artikel von unten auswählen) der als Aprilscherz für eine von mir betreute deutsche (nichtkommerzielle) Mylène Farmer-Fansite gedacht war. Wir gaben einen Ausblick auf das kommende Mylène-Album, das angeblich nur aus Coverversionen in Form von Duetten bestand (etwas, was bei den Fans wenig beliebt war) und dachten uns die abstrusesten Duettpartner und Konstellationen aus, u.a. soll Mylène auch einen Song mit Nirvana aufgenommen haben. Wie erstaunt waren wir, als wir feststellten, dass der Sender SWR3 diesen Artikel für bare Münze nahm und das Duett-Album kurz darauf im Radio ankündigte! Da hatte es sich ausgezahlt, dass die Website über die Jahre als seriöse Quelle galt und der entsprechende Redakteur weitere Recherche wohl für überflüssig hielt, hehe.

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Offener Brief an die HörZu

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© Mattox, stock.xchng

Über die Feiertage kam ich in den (eher zweifelhaften) Genuss, in der Fernsehzeitschrift HörZu blättern zu können und war ob des dort abgedruckten Artikels, der einen Ausblick auf die Aktionsware der nächsten Monate bei großen Discountern wie Aldi und Lidl gab (mit einer widerlichen Zeichnung, auf der eine glücksstrahlende Familie zu sehen ist, die sich den Einkaufswagen randvoll mit Zeugs packt), so erbost, dass ich besagtem Blatt (das übrigens zum Springer-Verlag gehört) postwendend eine E-Mail mit entsprechendem Informationsmaterial zur redaktionellen Selbsterkenntnis und Weiterbildung schreiben musste – diese hier:

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Sehr geehrter Herr Vogt,

Als ich in der neuen Ausgabe der Hörzu den “Schnäppchenführer” mit den Einkaufstipps bei Discountern wie Aldi, Lidl & Co. las, stockte mir doch der Atem. Die komplett unkritische Darstellung der vermeintlichen Schnäppchen, dazu der Hinweis auf die doch von Stiftung Warentest erwiesene vermeintlich vergleichsweise hohe Qualität der Discount-Produkte lassen mich fast vermuten, dass für diesen nahe am “Advertorial” gebauten Beitrag Zuwendungen der entsprechenden Konzerne geflossen sind (zumal ja bekannt ist, dass es enge freundschaftliche Verbindungen von zB BILD (also Springer) und Lidl gibt). Aber dies will ich gar nicht mal unterstellen.

Ich möchte Sie jedoch auf einige Fakten hinweisen, die Ihnen eventuell bisher nicht bekannt sind bzw. die man vor der Veröffentlichung solch lobpreisender Artikel eigentlich bedenken sollte. Denn diese “Schnäppchen” der Discounter sind teuer erkauft, sowohl durch gesellschaftliche wie auch umweltbezügliche Schäden, die diese Firmen weltweit anrichten. Ein paar Links mögen Ihnen dabei die entsprechenden Informationen vermitteln:

– Diese beiden Grundsatzartikel fassen eine Vielzahl der Kritikpunkte und Nachteile des Discountwahns zusammen:
http://konsumpf.de/?p=2353
http://konsumpf.de/?p=2766

– Mehrere Studien zeigen die üblen Bedingungen, unter denen diese Aktionsware der Discounter andernorts hergestellt wird:
http://www.suedwind-institut.de/web-beitraege/pe/pe2009-02__09-02-03_aldi-studie-2.htm
http://www.saubere-kleidung.de/2008/ccc_08-01-30_pu_discounter_lidl-kik.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,592711,00.html

– Eine Vielzahl weiterer Texte quer durch alle Medien beschäftigt sich mit den schlimmen Folgen und Hintergründen des Aldi- & Lidl-Erfolgs:
http://www.zeit.de/2008/19/Wallraff-19
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1422478
http://www.zeit.de/2005/47/Fiese_Arbeit-Alternative
http://lidl.verdi.de/
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/aldi-brutal;1383241
http://www.cvengineering.ch/politikritik/index-Dateien/Discounter.htm

Ganz aktuell noch ein Bericht aus der Wirtschaftswoche, der ebenfalls (und das von einem so konservativem Heft!) die Probleme dieser Ankurbelung sinnlosen Konsums durch Billigpreise thematisiert:
http://www.wiwo.de/politik-weltwirtschaft/die-fabrik-der-welt-hat-sich-veraendert-413909/

“Um im Geschäft zu bleiben, müssen die Fabriken noch billiger produzieren. Ein Hersteller von Textilien aus Hangzhou in der Nähe von Shanghai etwa hat eine blitzsaubere, moderne Fabrik, in der er, so gibt er an, unter anderem für Abnehmer in Deutschland produziert. Eines Tages wird ein Kunde misstrauisch. Das Werk sei viel zu klein, dort könne er die bestellten Mengen doch gar nicht produzieren. Nachforschungen ergeben, dass der Unternehmer in Gefängnissen produzieren lässt. Die Fabrik in Hangzhou dient lediglich zum Vorzeigen bei den Abnehmern im Ausland.”

Solche Hintergründe, die eigentlich journalistischer Sorgfaltspflicht entsprächen, werden leider bei der Anpreisung der “tollen Schnäppchen” komplett ignoriert. Man sollte solch skrupellosen Konzernen wie Lidl, Aldi etc. nicht auch noch zusätzlich eine Bühne geben, indem man ihre Produkte so promotet. Ich finde das verantwortungslos.

Mit freundlichen Grüßen und weiterhin ein schönes Weihnachtsfest (ohne Discount-Plunder),
Peter Marwitz

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Abgesang aufs Auto

Über die Fixierung der Verkehrsplanung hierzulande bzw. weltweit auf das Auto hatte ich ja schon des öfteren kritisch berichtet, und die Abwrackprämie gab dieses, pardon, letztes Jahr einen „schönen“ Beleg dafür, wie wichtig, lieb und vor allem teuer Autos gerade den Deutschen sind. Von daher finde ich es sehr erfrischend, dass sich auch die Stimmen mehren (noch sind es nur einzelne), die ein Umdenken anmahnen. Besonders bemerkenswert am Artikel „Abgesang aufs Auto – Elektrofahrzeuge, CO2-Emissionen und alternative Verkehrs- und Beschäftigungskonzepte“ von Birgit Gärtner auf Telepolis finde ich, dass selbst ein Mitglied des VW-Betriebsrat die Sinnlosigkeit des jetzigen Verkehrskonzepts und auch des bloßen Umstiegs auf Elektro- statt Benzinautos anspricht! Ein erstes kleines Wunder im neuen Jahrzehnt…

(…) Fachleute wie der Verkehrsexperte Axel Friedrich, der ehemaliger Leiter der Verkehrsabteilung des Wuppertalinstituts, Rudolf Petersen, Heiner Mohnheim von der Universität Trier und Wolfgang Lohbeck von Greenpeace wiesen zu Beginn der Tagung auf die ökologischen Konsequenzen des Ausbaus des Individualverkehrs, z. B. die Folgen durch Bodenversiegelung beim Straßenbau, hin. Zwar seien nach der Wiedervereinigung 100% der Autoverbindungen von Ost nach West erneuert worden, allerdings nur sechs Eisenbahnstrecken, wurde bemängelt. Dieser ökologischen Katastrophe sei auch mit dem Elektroauto nicht zu begegnen. (…)

(…) Die Lösung liegt für den Betriebsrat in einer umfassenden gesellschaftlichen Diskussion über die Zukunft der Arbeit: “Wir brauchen gesellschaftlich notwendige und nützliche Beschäftigung, die Autoproduktion gehört definitiv nicht dazu.” Das in den Köpfen der Beschäftigten zu verankern, sei in einem Land, in dem das Auto das “zweite Wohnzimmer” sei, allerdings nicht so einfach. Die individuelle Mobilität könne in Zukunft nur ökologisch sinnvoll durch den Ausbau des öffentlichen Personen Nahverkehrs und des Schienennetzes gewährleistet werden. Auch die Wirtschaftskrise könne nicht durch den Ausbau des Individualverkehrs gelöst werden, sondern durch drastische Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und die Förderung von sinnvollen Produktionszweigen wie z. B. Umwelttechnologie. (…)

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Statt guter Vorsätze für 2010: Erfolgreiche Gewohnheiten

Na, gut ins neue Jahr gekommen? Viele versuchen sich ja an guten Vorsätzen für 2010, und die Hoffnung, dass sich dieses Jahr irgendwas in der Welt zum Besseren wendet habe ich noch nicht aufgegeben. Damit 2010 aber mal positiv startet und es zur Abwechslung auch mal etwas anderes als sonst üblich bei mir zu sehen gibt, habe ich hier eine spannende Aktion in Sachen Persönlichkeitsentwicklung – ursprünglich bei Steffino von futur 2 (inzwischen nicht mehr online) entdeckt und jetzt endlich, so als kleine Anregung, auch in meinem Blog: Jörg Weisners „Erfolgreiche Gewohnheiten“, die 21-Tage-Herausforderung, um sich selbst störende Gewohnheiten ab- oder sinnvolle anzutrainieren. Einen Versuch ist es allemal wert, zumal man das dazugehörige Buch derzeit wohl noch als Gratis-pdf herunterladen kann, wenn man sich auf Weisners Ning-Seite (kostenlos) anmeldet. Jetzt muss ich nur noch überlegen, mit welcher Gewohnheit ich das für mich mal probiere…

Nachtrag, da sich einige über die Werbung für dieses Armband (die mich auch stört) in dem Video erregten: niemand muss besagtes Produkt kaufen, man kann sich sowas bei Bedarf auch für ein paar € aus Teilen aus dem Baumarkt selbst zusammenbauen. Oder aus sonstigem basteln.

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Das Jahr 2009, zwei Mal satirisch gesehen

Anders als mit Humor war das, was sich 2009 so vor unseren Augen abspielte, nicht zu ertragen, deshalb sind satirische Jahresrückblicke die einzig legitime Form dieser Art des Retrojournalismus. Hier die Revue von extra 3 mit Tobi Schlegl:

Und auch das Frontal 21-Toll-Team Werner Doyé und Andreas Wiemers machte sich wie jedes Jahr auf zum Satirischen Jahresrückblick – freundlicher Weise steht er in der ZDF-Mediathek zur Verfügung – HIER.

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Dann mal einen guten Rutsch allerseits!

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Buchbesprechung: Lohoff/Trenkle/Wölflingseder/Lewed „Dead Men Working“

dead-men-working-02Lernt man irgend jemanden auf einer Party in Deutschland kennen, so dürfte eine der ersten Frage, die man gestellt bekommt, sein: „Und, was machst du so?“ Wer so fragt, dem geht es natürlich darum, welchen Beruf man ausübt, um seinen „Lebensunterhalt zu verdienen“, wie man so schön sagt, und nicht etwa um die Aktivitäten, mit denen man viel Zeit verbringt, die aber „nichts einbringen“. Dies sind Symptome der Arbeitsgesellschaft, in der wir leben, und in der der Beruf und die Karriere das zentrale Konstrukt ist, um das herum sich das restliche Dasein gefälligst zu gruppieren hat.

Dies ist auch der Ausgangspunkt, der die Autoren des Buches „Dead Men Working: Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs“ bewegt hat, sich mit der übergroßen Bedeutung, die die Arbeit im Leben der heutigen Menschen einnimmt, auseinanderzusetzen. Auf 300 Seiten tragen eine Vielzahl von deutschen und österreichischen Autoren (manche von ihnen im wissenschaftlichen Bereich tätig) ihre Gedanken und Überlegungen zu den Themen Arbeit, Arbeitslosigkeit, Bildung vs. Ausbildung uvm. zusammen. Einige, wie Norbert Trenkle, Andreas Exner oder Franz Schandl, sind mit ihren scharfzüngigen und sehr schonungslosen Analysen bereits in anderen Publikationen (Streifzüge, krisis) vertreten, die sich ebenfalls um den Wahnwitz unseres Wirtschaftssystems drehen, und haben auch vor mittlerweile über zehn Jahren das provokante „Manifest gegen die Arbeit“ veröffentlicht (das es HIER komplett zum Online-Nachlesen gibt).

Die einzelnen Kapitel bzw. Artikel des Buches zeichnen ein ordentliches Schreckbild der heutigen Gesellschaft und vor allem der Arbeitswelt, und zeigen an einigen persönlichen Schilderungen der Autorin Maria Wölflingseder, mit welch durchkalkulierter Perfidie diejenigen, die aus diesem Raster gefallen sind – die Arbeitslosen – drangsaliert werden, um sie ja nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Spannend auch Gaston Valdivias „Zeitverschwendung Marktwirtschaft – über die absurdeste Reproduktionsweise seit Menschengedenken“, in dem er aufzeigt, wieviel Lebenszeit jeder einzelne von uns dafür verplempert, diese Form der Waren- und Konsumgesellschaft aufrechtzuerhalten, sowie Erich Ribolits’ Beitrag „Vom sinnlosen Arbeiten zum sinnlosen Lernen“, das sich sehr kritisch mit der permanenten Zurichtung aller Arbeitskäfte für den Arbeitsmarkt durch permanente (ausschließlich fachbezogene) Weiterbildung auseinandersetzt.

Gerade bei letztem Artikel kann man allerdings auch den Schwachpunkt des Buches erkennen – die meisten Texte zeichnen ein gerade hermetisches Bild der Welt, also ein sehr einseitiges, in dem es keine Schattierungen gibt. Es wird von einer Vorstellung der Arbeitswelt ausgegangen, die für viele der Autoren (als Freischaffende, Professoren, Redakteure etc.) sicherlich selbst gar nicht zutrifft, nämlich einem rein stumpfen, leeren, aufoktroyierten Verrichten nutzloser, entseelter Arbeit. Dass es darüber aber auch Menschen gibt, die ihren Job tatsächlich gerne machen (nicht zuletzt viele Selbstständige, die in Deutschland aber natürlich per se verdächtig sind, da sie sich oftmals nicht so leicht ins herrschende Schema pressen lassen), und mancher selbst in einem eigentlich unersprießlichen Job ein soziales Umfeld gefunden hat, auf das er ungern verzichten würde, fällt leider bei vielen Betrachtungen in diesem Buch unter den Tisch.

Dennoch ist natürlich die Absicht der Autoren, die Nachteile unserer derzeitigen krassen Ausrichtung des Daseins und des Denkens auf eine möglichst wertschöpfende (d.h. in Geldwert auszudrückende) Lebensweise, aufzuzeigen aller Ehren wert und wichtig, um Ausbeutung und Selbstausbeutung und die Durchkommerzialisierung, die wir in unserer Gesellschaft immer stärker erleben, zu bremsen, vielleicht sogar irgendwann einmal umzukehren. Dabei können diese hier versammelten Gedanken einn wichtigen Beitrag leisten.

Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Karl-Heinz Lewed, und Maria Wölflingseder (Hrsg.) „Dead Men Working: Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs“, Unrast Verlag, 2.A. 2005, 302 S., 18,– €

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Was ist mit Werbung nicht in Ordnung? (What’s wrong with advertising?) Teil 1

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Kritik an Reklame und Kommerz äußere ich ja nun seitdem ich mit dem Konsumpf begonnen habe, und in der ganzen Zeit habe ich bereits eine Vielzahl von Nachteilen, Problemen und Ärgernissen im Zusammenhang mit Werbung & Kommerz versammelt.  Was vielleicht noch fehlt, ist eine „Adelung“ solcher Kritikpunkte von wissenschaftlicher Seite. Tatsächlich gibt es an der Governors State University in Illinois mit Prof. Hugh Rank einen Professor, der sich intensiv mit dieser (dunklen) Seite von Marketing, Medien und Manipulation beschäftigt. Sein komplettes Material des Kurses „Persuasion Analysis“ steht online zur Verfügung, und dort findet sich so mancher Beitrag, der das Ringen mit der Konsumgesellschaft und die Methoden der Reklame dokumentiert. Netter Weise darf ich Euch einige Texte in Übersetzung präsentieren. Leider ist die Website sehr unübersichtlich und extrem verschachtelt (und umfangreich), so dass ich sicherlich nur Teile hier veröffentlichen werde. Wer tiefer in die Materie einsteigen möchte, der sei auf die Webseiten von Prof. Rank verwiesen: „Persuasion Analysis“ / „Advertising“.

Den Anfang meiner Übersetzungen soll heute der kurze Übersichtsartikel „What’s wrong with advertising?“ machen, von dem aus eine ganze Reihe Links zu weitergehenden Beiträgen führen, die ich dann nach und nach in den kommenden Wochen übersetzen und in diesem Ausgangsartikel verlinken werde (hoffentlich).

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Was ist mit Werbung nicht in Ordnung?

Schon in der Vergangenheit war das Misstrauen in Werbung weitverbreitet, aber nicht fokussiert. Derart viele Menschen haben Werbeanzeigen aus dermaßen vielen Gründen kritisiert, dass dieser verwirrende Wortnebel manchmal die Aufmerksamkeit stärker auf triviale Sorgen und kleinere Probleme richtet als auf die ernsthaften Themen und schwerwiegenden Probleme.

Die Menschen müssen sich ihrer eigenen Ansichten und Gefühle klar werden, um diese wahrgenommenen „Risiken“ nach Art (direkt oder indirekt, sofort oder verzögert, möglich oder wahrscheinlich) und Grad (von kleineren Ärgernissen bis hin zu großen Gefahren) unterscheiden zu können, um Überschneidungen und Lücken und Grenzfälle zu erkennen. Werbekritiker machen sich dabei grundsätzlich Sorgen über die schädlichen Folgen, die Nachteile und die unerwünschten „Nebenwirkungen“.

Auch in Zukunft wird Werbung – und ihre Probleme und Kritiker – uns begleiten. Die Strukturierung der Kritikpunkte kann dabei helfen, die Extreme zu vermeiden: auf der einen Seite, Werbetreibende anzuklagen und sie zu alleinigen Sündenböcken zu stempeln; auf der anderen Seite die grundlegenden, ernsthaften Probleme zu ignorieren, die unserer Aufmerksamkeit und angemessenen Reaktion bedürfen. Die Diagnose dessen, was „falsch ist“, kann dabei helfen, eine Prognose zu entwickeln, „was zu tun ist“. Reklame hat so viele Kritiker, aus so vielen verschiedenen Gründen, und die Argumente werden schnell so komplex, dass es hilft, wenn wir zunächst ein wenig Struktur hereinbringen und die häufigsten offensichtlichen Klagen identifizieren:

  • Eindringen/Einmischung („zu viele Anzeigen…“)
  • Täuschung (Reklame lügt, führt in die Irre, betrügt)
  • Ernährung (Werbung für ungesundes „Junk Food“ führt zu einer nationalen Fettleibigkeitskrise)
  • Beleidigend (Anzeigen beleidigen Frauen, Minderheiten, ethnische Gruppen, Religion)
  • Persönliche Probleme (Werbung trägt zu einem Schulden-Kreislauf, zu familiärem Stress und einem schwachen Selbstbild bei)

Andere Kritiker befassen sich mit den eher indirekten und weniger offensichtlichen „versteckten Schäden“ von Werbung, wie: psychologische Folgen für das Individuum und die Familie; oder längerfristige, kumulierte Schäden, die mit Materialismus, Müll, Umweltzerstörung und sozialer Ungerechtigkeit zusammenhängen.

  • Materialismus (religiöse und säkulare Kritik)
  • Umweltprobleme (Verschwendung, Müll)
  • Soziale Ungrechtigkeit (Themen im Zusammenhang mit Überfluss und Armut; die Besitzenden und die „Habenichtse“)

Werbung kann nicht einfach deshalb von Kritik ausgenommen werden, weil sie „unsere gesamte Wirtschaft am Laufen hält“. Wenn das Wirtschaftssystem davon abhängt, dass Millionen von Menschen hoch verschuldet sind und dennoch immer mehr unnützes Zeug kaufen, gibt es vielleicht Fehler im System. Gary Ruskin, Direktor von Commercial Alert (einer Non-Profit-Verbraucherschutzorganisation) fasste eine ganze Reihe der Kritikpunkte in seinem kurzen Artikel im Heft Advertising Age (26.4.2004) zusammen, der sich direkt an Werbetreibende richtete. Sein Kommentar zu der direkten und offensichtlichen Aufdringlichkeit von Reklame lautet: „Die implizite Botschaft, die die Werber aussenden, ist eine komplette Ignoranz in Bezug auf unsere Zeit, unsere Privatsphäre, unseren klaren Kopf und nicht zuletzt in Bezug auf unsere Sorge um unsere Kinder.“ Seine Betrachtung der indirekten und weniger offensichtlichen Schäden durch Werbung beinhaltete nicht nur die öffentliche Gesundheit (Junk Food, Fettsucht), sondern auch die Korruption ziviler Institutionen.

Nahezu jede Universität und Wirtschaftshochschule der USA hat eine Abteilung für Werbung, um die zukünftigen Verführer in den Techniken ihres Berufs zu schulen, aber nur wenige Schulen bieten überhaupt auch nur einen einzigen Kurs an, um die jungen Bürger, die Verführten, darin zu unterrichten, diese Verführungen zu analysieren und zu durchschauen. Landesweit sind die meisten Akademiker, die sich für Reklame interessieren – die Professoren für Psychologie und Rhetorik –, „Berater“ der Werbeindustrie als „gemietete Rhetoriker“ und käufliche Seelenklempner!


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Widerstand und Normopathen

Weihnachten ist überstanden, spätestens jetzt ist es mal wieder ein wenig an der Zeit für etwas Widerstand und Aktivismus. Der YouTube-Channel des Users Mediascanner ist immer eine Fundgrube für spannende Beiträge über gesellschaftliche Entwicklungen und alternative Denk- und Lebensweisen. So ist dieser Beitrag hier beispielsweise sehr erhellend – der Begriff „Normopathen“ ist super!

Hanna Poddig, die „Berufsaktivistin“, um die es darin u.a. geht, wird in der 3sat-Sendung Kulturzeit noch einmal etwas genauer porträtiert:

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Dekadenz

Mit Produktempfehlungen halte ich mich im Konsumpf verständlicher Weise eher zurück, doch bei Sprusko habe ich nun etwas gesehen, das so dermaßen toll ist, dass es ein jeder in seinem Besitz haben sollte – das Solarium für die Füße! Großartig, das ist echte Dekadenz… Sprusko-Autor Marcus Meier schreibt dazu (bitte auch unbedingt das Bild anschauen!):

Fuß-Bräuner | Dermatologen können sich freuen: Hautkrebs grassiert demnächst auch in einer Körperregion, die davon bisher weitestgehend verschont blieb – der Region unterhalb der Knöchel. Zumindest dann, wenn der „Solafeet Foot Tanner“ sich auf dem Markt durchsetzen wird. Die Sonnenbank für die Füße sieht aus wie ein rechteckiger Sonnenschirmständer mit zwei ovalen Löchern, die nach Einschalten des Geräts grün leuchten. Beworben wird es als „ideal für Flip-Flop-Träger, Tennisspieler und Jogger“. Denn die müssten nun nicht mehr befürchten, dass „die Leute“ ihnen „auf die weißen Füße glotzen“. Das Gerät könne, schwärmt der Hersteller, „binnen fünf bis zehn Tagen“ die Bikini-, pardon: Sockenstreifen an den Fußknöcheln verschwinden lassen – bei einem ultravioletten Fußbad von lediglich einer Viertelstunde pro Tag. Und dann? „Dann“, so die Werbeprosa, „können Sie voll Zuversicht vom Golfplatz zum Clubhaus gehen“. Bisher ist das Untenrum-Solarium, das unter dem Schreibtisch bequem Platz findet, erst auf dem US-Markt zu erstehen. 230 US-Dollar sollte Ihnen die Untenrumbräune aber schon wert sein.

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Käufer aufgepasst!

1211740_shopping_bagSubversive Spielchen, die man in Bezug auf Konsum und Kommerz und Reklame treiben kann, gibt es ja so einige. Sehr hübsch finde ich beispielsweise die nachfolgende Idee, die Gaylord Fields in seinem Artikel „Buyer beware“ im Stay free! Magazine (und im Buch „Ad Nauseam“) schildert, und die jede und jeder im Supermarkt um die Ecke selbst ausprobieren kann.

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Käufer aufgepasst!

Wie reagieren Supermarktkunden, wenn man fremde Dinge in ihren Korb legt? Gaylord Fields probiert es aus.

Mehrere jüngst veröffentlichte Studien legen nahe, dass Supermärkte darauf ausgerichtet sind, den durchschnittlichen Käufer einzulullen und in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen, und dass diese „glasiger Blick“-Betäubung dazu führt, dass die Kunden mehr Sachen kaufen. Dies überrascht mich nicht, da diese Ergebnisse meinen eigenen Entdeckungen entsprechen, die ich vor dreißig Jahren machte, als ich unter dem Deckmantel jugendlicher Streiche einige Experimente in sozialer Psychologie unternahm.

Die Zeit: die frühen 1970er Jahre. Der Ort: ein typischer Upper West Side Manhattan-Supermarkt, welcher, für alle, die sich nicht mit New Yorks Geschäftsimmobilien auskennen, in etwa die gleiche Fläche einnahm wie die Obst- & Gemüse-Abteilung eines typischen amerikanischen Megamarkts heutiger Tage. Die Forscher: anfangs ein Trio gelangweilter 13jähriger, später zusammengeschrumpft auf einen werdenden Sozialwissenschaftler, sowie jede Menge anonymer Käufer und Kassierer, denen ich nachträglich meinen Dank schulde.

PHASE EINS

Während unserer anfänglichen Streifzüge in den Supermarkt der Gegend, prüften wir das Ausmaß an Kooperation unserer gastgebenden Anlaufstelle. Einfacher ausgedrückt, probierten meine Kollegen und ich, womit wir unter dem Argusauge eines konvexen Spiegels (wir reden von der Vor-Überwachungskamera-Zeit 1973) davon kommen würden. Dies bestand vor allem aus solchen Aktivitäten, sich die Taschen mit Marken-Schokoriegel vollzustopfen und Toilettenpapierrollen in Tiefkühltruhen zu packen. Wir zogen sehr wenig Aufmerksamkeit von den beschäftigten Kunden und vor allem von den Angestellten auf uns, und entwickelten in der Folgzeit die Kaltblütigkeit, Fingerfertigkeit und Heimlichkeit, die wir für einen erfolgreichen Abschluss unseres Einsatzes benötigten.

PHASE ZWEI

Für diesen Teil des Experiments war die Beteiligung meiner Kollegen nicht mehr vonnöten, da wir als Gruppe männlicher Teenager unnötige Aufmerksamkeit auf uns gezogen hätten. Dieser wissenschaftlich-orientierte junge Erwachsene musste den Weg alleine gehen. Denn an diesem Punkt begann das Experiment in seiner Ernsthaftigkeit, und ich werde meine Entdeckungen mit den später folgenden Studien, von denen ich im ersten Absatz sprach, verbinden.

Das Experiment war einfach aufgebaut: es beinhaltete das heimliche Platzieren verschiedener Supermarktwaren in den Einkaufskorb oder -wagen eines durch den Experimentator, sprich: mich, ausgesuchten Kunden (das „Subjekt“). Ich folgte dem Subjekt dann an eine Stelle direkt hinter ihm oder ihr in der Schlange an der Kasse und beobachtete, ob er oder sie den Kaufakt vollendete, indem er oder sie das eingeschmuggelte fremde Produkt (den „Gegenstand“) kaufte.

Weil wir Wissenschaftler auch nur Menschen sind, kann ich nun zugeben, dass ich das Protokoll etwas verletzte, indem ich im Vorfeld spekulierte, welche Resutate ich bekäme. Ich nahm an, dass, je weniger Produkte jemand in seinem Korb hätte, er den Gegenstand umso eher ablehnen würde. Ich nahm ebenfalls eine einfache Korrelation zwischen der Ungewöhnlichkeit eines Gegenstands und seiner Ablehnung an. Deshalb war mein anfänglicher Gedanke, es auf die sichere Tour zu spielen, indem ich bekannte Marken in einen vollgeladenen Wagen legte. Ich vermutete, dass ich durch einen gewissen Grad an Erfolg (den Kauf des Gegenstands durch das Subjekt) mit der Zeit das Risiko des Entdecktwerdens würde erhöhen können, ungewöhnlichere Dinge, z.B. eine Packung Airwick-Luft-Bestäuber oder Knorr Hühnerbouillon-Würfel könnten in einen Korb hineingelgt werden, der bloß vier oder fünf Sachen enthielte.

SCHLUSSFOLGERUNG

Innerhalb eines Jahres der Versuche, durchschnittlich zwei Mal pro Woche durchgeführt, lehnte nicht ein einziges Subjekt den Gegenstand ab oder schaute ihn auch nur befremdet an; alle Gegenstände wurde ohne weitere Frage gekauft. Es spielte keinerlei Rolle, ob es ein unglaublich gewöhnlicher und allgegenwärtiger Gegenstand war, so wie eine Rolle Scott Küchentücher, oder ein eher ausgefallenes Produkt wie ein Fleischthermometer. Vierzig Gegenstände oder vier, die Einhaltungsrate lag bei erstaunlichen 100 Prozent! Jeder kaufte, was ihm in den Korb gelegt wurde, ohne eine Sekunde zu zögern.

Leider wurde mein jugendlicher Aufstieg in die Sozialwissenschaften durch eine Reihe von Faktoren gebremst, vor allem die überwältigend einseitigen Daten, die ich gesammelt hatte, die Ablenkungen eines zunehmend herausfordernden High-School-Studienplans und mein Bewusstwerden der Tatsache, dass ich einen quiekenden Hund mitsamt seinem Wurf nuckelnder Welpen in den Wagen einer Person hätte legen können, ohne dass dieser es bemerkt hätte. Aber vor allem war es das Wissen, dass, falls meine Experimente durch diejenigen entdeckt werden würden, die es ablehnen könnten, die Bedeutung meiner Mission zu verstehen,  ich den Schutz meines jugendlichen Status verlöre, sobald ich das Alter von 18 Jahren erreichte. Ich warte nun auf Phase drei meines Experiments, die irgendwann nach dem Jahr 2030 stattfinden wird, wenn die vermutete Senilität des Autoren der Deckmantel sein wird, unter dem ich meine Studien wieder aufnehme, und dann wird es eine noch breitere Palette an Dingen geben, die ich einer ganz neuen Generation von Käufern aufdrücken könnte.

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Als Variation dieses schönen „Experiments“ bietet es sich vielleicht an, besonders schreckliche Dinge (Nestlé-, Milka- oder Coca-Cola-Dreck beispielsweise) aus einem Einkaufswagen zu entfernen und z.B. durch Biowaren zu ersetzen (oder halt ganz wegzulassen). Mal schauen, ob das jemand bemerkt. :)

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