Über die Feiertage kam ich in den (eher zweifelhaften) Genuss, in der Fernsehzeitschrift HörZu blättern zu können und war ob des dort abgedruckten Artikels, der einen Ausblick auf die Aktionsware der nächsten Monate bei großen Discountern wie Aldi und Lidl gab (mit einer widerlichen Zeichnung, auf der eine glücksstrahlende Familie zu sehen ist, die sich den Einkaufswagen randvoll mit Zeugs packt), so erbost, dass ich besagtem Blatt (das übrigens zum Springer-Verlag gehört) postwendend eine E-Mail mit entsprechendem Informationsmaterial zur redaktionellen Selbsterkenntnis und Weiterbildung schreiben musste – diese hier:
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Sehr geehrter Herr Vogt,
Als ich in der neuen Ausgabe der Hörzu den “Schnäppchenführer” mit den Einkaufstipps bei Discountern wie Aldi, Lidl & Co. las, stockte mir doch der Atem. Die komplett unkritische Darstellung der vermeintlichen Schnäppchen, dazu der Hinweis auf die doch von Stiftung Warentest erwiesene vermeintlich vergleichsweise hohe Qualität der Discount-Produkte lassen mich fast vermuten, dass für diesen nahe am “Advertorial” gebauten Beitrag Zuwendungen der entsprechenden Konzerne geflossen sind (zumal ja bekannt ist, dass es enge freundschaftliche Verbindungen von zB BILD (also Springer) und Lidl gibt). Aber dies will ich gar nicht mal unterstellen.
Ich möchte Sie jedoch auf einige Fakten hinweisen, die Ihnen eventuell bisher nicht bekannt sind bzw. die man vor der Veröffentlichung solch lobpreisender Artikel eigentlich bedenken sollte. Denn diese “Schnäppchen” der Discounter sind teuer erkauft, sowohl durch gesellschaftliche wie auch umweltbezügliche Schäden, die diese Firmen weltweit anrichten. Ein paar Links mögen Ihnen dabei die entsprechenden Informationen vermitteln:
– Diese beiden Grundsatzartikel fassen eine Vielzahl der Kritikpunkte und Nachteile des Discountwahns zusammen:
http://konsumpf.de/?p=2353
http://konsumpf.de/?p=2766
– Mehrere Studien zeigen die üblen Bedingungen, unter denen diese Aktionsware der Discounter andernorts hergestellt wird:
http://www.suedwind-institut.de/web-beitraege/pe/pe2009-02__09-02-03_aldi-studie-2.htm
http://www.saubere-kleidung.de/2008/ccc_08-01-30_pu_discounter_lidl-kik.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,592711,00.html
– Eine Vielzahl weiterer Texte quer durch alle Medien beschäftigt sich mit den schlimmen Folgen und Hintergründen des Aldi- & Lidl-Erfolgs:
http://www.zeit.de/2008/19/Wallraff-19
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1422478
http://www.zeit.de/2005/47/Fiese_Arbeit-Alternative
http://lidl.verdi.de/
http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/aldi-brutal;1383241
http://www.cvengineering.ch/politikritik/index-Dateien/Discounter.htm
Ganz aktuell noch ein Bericht aus der Wirtschaftswoche, der ebenfalls (und das von einem so konservativem Heft!) die Probleme dieser Ankurbelung sinnlosen Konsums durch Billigpreise thematisiert:
http://www.wiwo.de/politik-weltwirtschaft/die-fabrik-der-welt-hat-sich-veraendert-413909/
“Um im Geschäft zu bleiben, müssen die Fabriken noch billiger produzieren. Ein Hersteller von Textilien aus Hangzhou in der Nähe von Shanghai etwa hat eine blitzsaubere, moderne Fabrik, in der er, so gibt er an, unter anderem für Abnehmer in Deutschland produziert. Eines Tages wird ein Kunde misstrauisch. Das Werk sei viel zu klein, dort könne er die bestellten Mengen doch gar nicht produzieren. Nachforschungen ergeben, dass der Unternehmer in Gefängnissen produzieren lässt. Die Fabrik in Hangzhou dient lediglich zum Vorzeigen bei den Abnehmern im Ausland.”
Solche Hintergründe, die eigentlich journalistischer Sorgfaltspflicht entsprächen, werden leider bei der Anpreisung der “tollen Schnäppchen” komplett ignoriert. Man sollte solch skrupellosen Konzernen wie Lidl, Aldi etc. nicht auch noch zusätzlich eine Bühne geben, indem man ihre Produkte so promotet. Ich finde das verantwortungslos.
Mit freundlichen Grüßen und weiterhin ein schönes Weihnachtsfest (ohne Discount-Plunder),
Peter Marwitz
Jacob
Sehr guter Brief, vielleicht wirds ja eine neue Rubrik? Konsumpf-Leserbriefe?
Frohes Neues und weiter so!
silvia
Genial gnadenlos ehrlich, danke!
Punksympathisant
wie lautet deren E-Mail-Adresse? Ich will sie auch anschreiben, da die meisten E-Mails ja doch ignoriert werden. Am besten wäre ein Postbrief, den muss man noch zumindest in der Hand halten!
Peter M.
Die E-Mailadresse lautet leserbriefe@hoerzu.de – ich habe zwar schon eine Antwort erhalten, aber das klang eher nach einer Standardantwort aus dem Baukasten. Angeblich ist meine Mail ja an die zuständigen Redakteure weitergeleitet worden, naja, ich bin da doch etwas skeptisch…
schattenzwerg
toller leserbrief von dir !!!
Punksympathisant
Ich hab ihnen bis auf den Absender genau das gleiche geschickt und KEINE Standart-Antwort bekommen:
Sehr geehrter Herr [Mein Nachname],
vielen Dank für Ihren Leserbrief vom 4. Januar 2009 und die beigefügten
Links.
Auch wir als Redaktion haben uns bei diesem Thema in einem Zwiespalt
gesehen. Einerseits das große Interesse der Bevölkerung an diesen Artikeln,
die sehr preisgünstig abgegeben werden. Andererseits hofft man als Kunde
natürlich, dass die Bedingungen, unter denen das Produkt hergestellt wird,
keinen unangemessen benachteiligen. Gerade in dieser Hinsicht hat sich in
den letzten Jahren aber vieles zum Besseren gewendet. So heißt es etwa von
Tchibo: ” Unser Qualitätsanspruch umfasst nicht nur die reine ‚physische’
Produktqualität, sondern auch die Bedingungen, unter denen die Produkte
hergestellt wurden. Darunter fällt zum Beispiel auch die soziale
Verantwortung für alle beteiligten Arbeitnehmer. Zum Anderen achten wir auf
die Umweltverträglichkeit unserer Produkte bei der Herstellung.”
Ich hoffe, dass Ihnen HÖRZU auch weiterhin viel Informatives und
Interessantes bieten kann, wünsche Ihnen ein frohes und gesundes 2010 und
verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Stefan Vogt
Dipl.-Volkswirt
Redaktion Hörzu
Axel-Springer-Platz 1
20350 Hamburg
Tel: + 49 – 40 – 34723596
Fax: + 49 – 40 – 34722108
E-Mail: stefan.vogt@hoerzu.de
Peter M.
Nicht schlecht, mir haben Sie nicht so geantwortet… :-O Aber schon bemerkenswert, dass sie Aldi & Lidl in ihrer Antwort nicht erwähnen, hehe, denn da hat sich natürlich nichts verbessert. (Bei Tchibo auch nicht wirklich – solange billiger Konsum angekurbelt wird ,ist das alles Augenwischerei – meine Meinung). Übrigens, wieso hast Du denen denn genau den gleichen Brief geschickt, den hättest Du doch besser in eigenen Worten formulieren sollen?? So wirkt es abgesprochen und nicht so, als wenn es mehrere Leute gibt, die das aufregt…
Punksympathisant
weil ich das nicht so gut gemacht haben hätte können… Ich hab den Artikel ja “leider” nicht gelesen, hätte mich nämlich schon interessiert, zum Schluss hab ich bei meinem täglichen Einkauf bei LIDL noch was “nützliches” vergessen, weil ich es nicht gelesen hab… ;)
Und nachdem du eine Standardantwort gekriegt hast, haben sie deines vielleicht gar nicht gelesen…
Konsument
Der Brief und das ganze Thema dieser Website gefallen mir.