Kategorie: Reklame Seite 17 von 25

„Meditation is a waste of shopping time“

Aktionen wie die, die die britische Aktivistengruppe Everything is OK in London durchführt, finde ich großartig. Sie laufen mit einem Megafon herum und überhöhen die Kaufpropaganda, die die Reklame uns tagtäglich einzubläuen versucht, ins fast schon Groteske. Die Verwirrung, die sie mit ihren konsum- und globalisierungskritischen Äußerungen stiften, ist köstlich – und auch die Reaktionen der Staatsmacht in Form der Polizei bezeichnend. Das Recht zur freien Meinungsäußerung gilt halt nicht auf öffentlichen Bahnhöfen, selbst, wenn nur ein Schild mit der Aufschrift „Everything is ok“ hochgehalten wird. Alle Folgen der Serie (inzwischen sind es bereits 7) sind sehr sehenswert, wie ich finde; ein User war so nett und hat sie deutsch untertitelt – HIER findet Ihr die gesamte Serie mit Untertiteln, und unten als Appetithappen die „Shopping for CCTV“-Sonderausgabe Diese Form des Widerstand bräuchten wir auch hierzulande, das ist Culture Jamming in Reinkultur. [via]

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Reklame – die Pest der Kommerzgesellschaft

kola-kaputtSelten hat mir ein Artikel so aus der Seele gesprochen wie Ludger Lütkehaus’ „Reklame – die Pest der Kommerzgesellschaft“ auf literaturkritik.de. Der Kampf gegen den Werbeterror habe ja auch ich mir hier im Blog auf meine Fahnen geschrieben, von daher passt dieser großartige Text natürlich genau hierher. Ich kann nur jedem von ganzem Herzen empfehlen, sich diesen Artikel in seiner Gänze zu Gemüte zu führen, vor allem denjenigen, die in Reklame noch etwas Tolles, Informatives oder Nützliches sehen. Auf gestrenge und schonungslose Art entlarvt Lütkehaus die ganze hohle Fassade, die die Werbeindustrie gerne um ihre Worthülsen und Bildblasen auftürmt. Ich zitiere nur mal einige besonders schöne Passagen:

Reklame ist nicht Reklame, sondern “Werbung” oder gar “Information”: So will es die Reklame, welche die Reklame für sich selber macht. Denn selbstverständlich ist die Reklame in Wahrheit nichts weniger als Information. (…)

Früher, in den Zeiten, als es noch um die Wahrheit ging, hätten wir gesagt: Das Gegenteil der Wahrheit ist, abgesehen vom Schein, die Lüge. Heute sagen wir: das Gegenteil von Wahrheit ist die Reklame. Nicht im Sinn einer bewussten Täuschung. Gott bewahre, alle wissen ja, was gespielt wird, sondern in dem Sinn, dass der Reklame die Wahrheit gleichgültig ist, völlig gleichgültig. Wahrheit ist für die Reklame überhaupt keine Kategorie, kein Maßstab. Und auch mit der Schwundstufe der Wahrheit im Informationszeitalter: eben der “Information”, hat sie nur zu Desinformationszwecken zu tun.

(…) Die Reklame kann diese Funktion aber nur um den Preis erfüllen, dass sie nur selten etwas, meist wenig, oft gar nichts mit den Produkten zu tun hat, für die sie Reklame macht. Die spröde, aber präzise Sprache der Bundesrechtsanwaltsordnung hat das auf einen angemessenen Begriff gebracht. Sie definiert Reklame als “allgemeine Anpreisung ohne sachlichen Inhalt”. Die Ökonomie selber drückt das so aus, dass die Produktionskosten der Produkte ein Bruchteil ihrer Reklamekosten sind. Die Herstellung kostet fast nichts, die Vorstellung fast alles. Die Mär, dass die Reklame die Produkte billiger mache, ist eines der merkwürdigsten Kapitel der Reklame, die sie für sich selber macht. Reklame ist eine gigantische Verteuerungsanstalt. Und selbst, wenn der reklamegestützte Massenkonsum die Produkte verbilligen sollte, so ist es doch noch billiger, wenn niemand verbraucht, was niemand braucht. Kein Wunder, dass das Verhältnis der Reklame zur Wahrheit von Grund auf gestört sein muss. Sie darf gar kein Interesse daran haben. Hätte sie es, könnte sie die Überproduktionsgesellschaft nicht entsorgen.

(…) Weil Reklame aber kein Verhältnis zur Wahrheit der Dinge und zum Bewusstsein der Menschen hat und haben darf, höhlt sie auch jeden Glauben an die Glaubwürdigkeit der Menschen und Dinge aus. Sie ist das praktizierte System des Zynismus. Die Einübung in einen nur zu berechtigten General verdacht geht mit ihr einher. Die Versprechen, die sie macht, sind die Lehrmittel eines permanenten Misstrauenstrainings, die von ihr vermittelte Psychologie ist eine Entlarvungspsychologie. Als die Leerform schlechthin, die sich jeden Inhalt einbilden kann, bringt die Reklame alles mit allem und allen in Verbindung – weil sie mit nichts und niemand eine Verbindung hat. Am Ende ist alles Abfall, die Welt überführt in die Halde, die sie für die Reklame von Anfang an war. Der Rest ist Schweigen? Nein, der Rest ist Müll. (…)

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10% mehr ist weniger – Ariel und die Mathematik

Bereits vor einigen Wochen geisterte eine Powerpointpräsentation namens „Ariel und die Mathematik“ durch das Netz, in der gezeigt wurde, dass Ariel (also Procter & Gamble) mit den Aufdrucken auf ihren Flüssigwaschmittelflaschen herumtrickst – da waren 1,4l plötzlich „10% mehr“ als 1.5l. Ariel selbst dementierte erst einmal und erklärte den Vergleich zwischen einer 2005er und der aktuellen Flasche für unzulässig, da die alte Packungsgröße nicht mehr im Handel sei. Dumm nur, dass die Stiftung Warentest der Sache jetzt einmal auf den Grund gegangen ist und wiederum zu dem Schluss kam, dass es sich hierbei um Mogelpackungen handele, die den Verbraucher verwirren sollen: „Ariel Flüssigwaschmittel: 10 Prozent mehr ist weniger“.

Klar ist: Kaum ein Verbraucher kann dieses Verwirrspiel erahnen. Wer hat schon Füllmengen und Anzahl der Waschgänge im Kopf, wenn er Waschmittel einkauft. Nur kritischen Käufern wird der Unterschied zwischen alter und neuer Packung auffallen – vorausgesetzt, diese stehen gleichzeitig im Regal. Für die Stiftung Warentest ist das daher ein typisches Beispiel für eine Mogelpackung.

Es ist schon beschämend, wie der Konsument von solchen Firmen hinters Licht geführt werden soll. Zu der Thematik existiert auch noch ein kleines YouTube-Filmchen, der die „Ariel-Logik“ plastisch darstellt [via] – den störenden Hinweis auf diese Spar-Website der Autoren muss man sich wegdenken bzw. ignorieren:

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Nochmal Greenwashing: Tetra Pak umweltfreundlich?

Na, die Beispiele für verlogene Reklamekampagnen sprießen ja derzeit nur so aus dem Boden – jede noch so miese Firma versucht sich, mit Hilfe ihrer Marketingabteilungen ein grünes Kleidchen umzuhängen. Denn natürlich ist es viel billiger, in der Werbung den Eindruck zu erwecken, man würde etwas Nützliches und Ökologisches herstellen als sich tatsächlich darum zu bemühen, gescheite Produkte anzubieten. Siehe Lidl: lieber in TV-Werbung investieren, um der wachsenden ablehnenden Haltung dieser Firma gegenüber entgegenzuwirken, statt etwas an dem eigenen Ausbeutungssystem zu ändern. Leide sind wohl immer noch genügend Menschen/Konsumenten leichtgläubig (oder vergesslich) genug, um auf solche Kampagnen reinzufallen, und darauf bauen die Marketingleute natürlich.

Neuestes Beispiel ist die Firma Tetra Pak, deren auf putzig getrimmter Spot ein Musterbeispiel für Gehirnwäsche darstellt. Wälder zu roden, um Getränkekartons herzustellen, ist wohl kaum sonderlich ökologisch, und das Aluminium etc., was sonst noch für ein Tetra Pak benötigt wird, fällt hier komplett unter den Tisch (dies ist ja die beliebteste Form der Werbetreibenden, zu lügen: einfach die mannigfachen Nachteile eines Produkts verschweigen). René Fischer schreibt dazu treffenderweise:

Erst seit dem Jahr 2008 existiert mit der sogenannten Plasmatrenntechnik überhaupt eine Möglichkeit Tetra Paks zu immerhin 99% zu recyceln. Nur leider benötigt man für das Recycling eines Tetra Paks 10 mal mehr Energie wie für die Herstellung eines solchen Getränkekartons. Auch nicht unerwähnt sollte bleiben, dass das Ergebnis dieses Recyclings eher minderwertiger Natur ist, weshalb der Großteil dieser Verbundverpackungen in der Müllverbrennung landen.

Wer wirklich so naiv ist und glaubt Tetra Paks seien umweltfreundlich dem ist nicht mehr zu helfen.

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Neue Perversitäten der Werbeindustrie im Anrollen

Manchmal tun mir die Amerikaner ja schon wirklich etwas Leid, schließlich bekommen sie als erste die Absurditäten einer kommerziellen Entwicklung ab, die keine Grenzen mehr zu kennen scheint (etwas, das ja auch schon der Artikel „Vieles von dem, was Werbetreibende tun, ist eine Verletzung der Privatsphäre“ anprangert). Im Ban Billboard Blight-Artikel „Brave New World of Outdoor Advertising“ werden ein paar der neuesten uns erwartenden „Trends“ und „Innovationen“ im Bereich der Behelligung der Menschen mit Kommerzpropaganda aufgeführt. Man muss wohl selbst im Marketingbusiness arbeiten, um verstehen zu können, was in den Köpfen derjenigen vorgeht, die sich solch einen Dreck ausdenken – bloß die Menschen nicht mal in Ruhe lassen, immer schön auf Konsum trimmen…

Flogos: Sky advertising – als „best business idea“ von CNN angepriesene Ekelhaftigkeit, bei der der Himmel vermehrt mit Reklamelogos bestückt werden soll („enviromentally friendly“ – nur leider bezieht sich das nicht auf die mentale und visuelle Umwelt):

Clear Channel Branded Cities – dieses Unternehmen will die Plakatwände für Reklame noch weiter vorantreiben und in unvorstellbare Dimensionen wachsen lassen. Schaut Euch die abstoßenden Beispielbilder auf der Website dieser Firma ruhig einmal an. Städte, die dergestalt verschandelt werden, werden für Menschen eigentlich unbewohnbar.

Clear Channel Branded Cities transforms locations into destinations – places where consumers go for entertainment, dining, shopping, to work, and to live …and where brands are an integral part of that experience.

World Wide Weaveverwandelt Architektur/Fassaden in dynamische Werbung.

Mediamesh® offers a large spectrum of new design possibilities for architects ,investors and building owners – opportunities to medialize their buildings and adding a dynamic dimension to their architecture.

Apples iPhone interagiert mit dynamischen digitalen Werbetafeln, eigens von CBS und Clusta entwickelt, damit man die Inhalte der Werbeplakate zoomen, drehen etc. kann. Auf dass das iPhone noch nutzloser wird…

Und der letzte Schrei der kongenialen Ingenieure: eine Technik, die erkennen kann, ob jemand, der vor einem Plakat/einer Kamera steht, männlich oder weiblich ist – und dann vermutlich den Inhalt entsprechend gestaltet. Hurra, darauf hat die Welt noch gewartet!

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veRWEgen lügen

Wie zur Untermauerung der Greenwashing-Studie, die ich vor zwei Tagen postete, geistert derzeit ja ein besonders peinlich-verlogener Großwerbespot von RWE durch die angeschlossenen Funkhäuser. Der Konzern stellt sich dort als Naturschützer per excellence dar und versucht damit wohl, nicht nur sein Image aufzupolieren, sondern auch besonders uninformierte/leichtgläubige Kunden zu ködern. Klar, dass ein so dreister Angriff auf die Wahrheit in Zeiten des Internets nicht ohne Gegenreaktion bleibt, und so existieren zwei Antwortspötte auf RWEs Lügenkampagne, die die Aussage, RWE sei Umweltschützer Nummer 1 auf diesem Planeten, wieder etwas gerade rücken. [via]

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Lobby Control – Greenwashing-Studie

gas_power_stationSchon seit einer halben Ewigkeit wollte ich hier im Blog auf die hochinteressante aus dem Jahr 2007 stammende, aber wohl leider „ewig“ aktuelle Studie „Greenwash in Zeiten des Klimawandels“ des Vereins Lobby Control hinweisen. Auf 27 Seiten wird hier dargelegt, wie große Konzerne – am Beispiel der Energieversorger- und Erdölriesen – in ihren Image- und Reklamekampagnen das Blaue vom Himmel herunterlügen (wie es eben bei Werbung gang und gäbe ist). Diese Form, sein Geschäftsgebaren gnadenlos, ohne Rücksicht auf Umwelt und Gesellschaft durchzuziehen, dafür dann aber Millionen in beschönigende Werbung zu stecken, nennt man heutzutage „Greenwashing“ – und ich denke, jeder sollte sich diese Studie einmal angeschaut haben, um zukünftig gegen die verlogenen Einflüsterungen der Unternehmen gefeit zu sein und mit einer grundlegenden Skepsis an jede Außendarstellung solcher Firmen heranzugehen. Die Studie kann man sich direkt als pdf herunterladen.

Die Kurzstudie erläutert die Hintergründe und Strategien der neuen grünen Imagewerbung und beleuchtet exemplarisch eine Reihe von deutschen Greenwash-Kampagnen aus dem Jahr 2007. So versuchte das Deutsche Atomforum, alte Kraftwerke zu „ungeliebten Klimaschützern“ zu stilisieren. Der Ölkonzern Shell warb mit Blumen, die aus Schornsteinen aufstiegen, und die großen Energieversorger wie E.ON oder Vattenfall werben mit zukünftigen emissionsfreien Kraftwerken, während sie zahlreiche neue Kohlekraftwerke bauen.

Greenwash-Kampagnen sollten immer der Anlass sein, sich alternative, kritische Informationen zu besorgen. Das ist der erste Schritt, um die Strategie hinter der Grünfärberei zu durchkreuzen. Darüber hinaus gebe es weitere Möglichkeiten, wie die Beschwerde beim Werberat oder das Anprangern von Greenwash-Kampagen.

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Zwei gute Nachrichten in einer: „Werbeflaute trifft Bertelsmann mit Wucht“

Das ist doch mal eine schöne Meldung: „Werbeflaute trifft Bertelsmann mit Wucht“, enthält sie immerhin schon in der Überschrift zwei Positiva. Zum einen geht es der Werbebranche schlecht, was mich natürlich schon mal per se freut, denn wenn die Reklameindustrie von sich aus nicht bereit ist, ihre krakigen Umtriebe zu beschränken (siehe den Artikel von gestern), dann hilft die Wirtschaftskrise vielleicht (vorübergehend) dabei. Wer sich das Stadtbild derzeit genauer betrachtet, wird vielleicht auch schon festgestellt haben, dass viele Plakate mittlerweile nicht mehr jede Woche, sondern nur noch alle 2 oder 3 Wochen ausgetauscht werden – ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Werbegroschen nicht mehr so locker sitzen wie früher. Nun, und dass Bertelsmann Geld verliert und Probleme bekommt (auf hohem Niveau), ist selbstverständlich immer zu begrüßen:

Dem Medienkonzern Bertelsmann weht der Wind eiskalt ins Gesicht. Wegen schwacher Werbeumsätze schreibt Bertelsmann rote Zahlen.

(…) Bertelsmann trifft wie andere Medienunternehmen die weltweite Wirtschaftskrise empfindlich. In vielen Ländern halten sich die Verbraucher mit Einkäufen zurück. Auch bei den Unternehmen wird das Geld knapper, weshalb sie ihre Werbebudgets kappen. Bertelsmann erlöst jedoch ein Drittel seiner Umsätze mit Reklame. (…)

(…) Sowohl der Fernsehkonzern RTL Group, als auch die Verlagsgruppen Random House und Gruner + Jahr sowie das Club- und Buchhandelsgeschäft büßten teilweise kräftig ein. (…)

Bei aller berechtigten Freude über Bertelsmann: weniger erfreulich ist dies hier – die Konzentration am Medienmarkt geht ungebremst weiter und Walt Disney, einer der größten Konzerne in diesem Bereich, verleibt sich nun Marvel (bekannt durch ihre Comics, Spider Man usw.) ein. Man muss schon sehr naiv, oder Politiker oder Lobbyist sein, um zu glauben, dass dieser Konzentrationsprozess damit abgeschlossen wäre. Die Entwicklung, die sich in den letzten Jahrzehnten abzeichnete und immer weiter voranschreitet, wird, sofern die Menschen nichts dagegen tun, am Ende dazu führen, dass es nur noch 2 oder 3 riesige Konglomerate geben wird, die die öffentliche Meinung nach ihrem Beliebien bestimmen. Schon jetzt beherrschen nur wenige Dutzend Konzerne den Medienmarkt.

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Vieles von dem, was Werbetreibende tun, ist eine Verletzung der Privatsphäre

empty_signDas Thema (Anti-)Werbung bzw. der Widerstand gegen die um sich greifende Kommerzialisierung unseres kompletten Lebens ist ja bekanntlich eines der Kernthemen meines Blogs und beschäftigt mich ohnehin schon seit vielen Jahren. Und so freue ich mich, wenn ich in den Weiten des Netzes auf immer mehr Hinweise darauf stoße, dass dieses Problem des ausufernden Marketings – das auch in direkter Wechselwirkung steht zum ewigen Wachstumszwang der Wirtschaft, das unserem System zugrunde liegt – weltweit nach und nach ins Bewusstsein sickert. So fand ich neulich einen Artikel aus dem Jahre 2004, der in der amerikanischen Werber-Zeitschrift Advertising Age veröffentlicht wurde: Much of what advertisers are doing is an invasion of privacy – immerhin tauchen solch kritische Gedanken damit auch in Marketingkreisen (vereinzelt) auf. Wie gewohnt übersetze ich den Artikel für Euch, da ich ihn für sehr nett halte, auch wenn er sich in seiner Wortwahl etc. halt direkt an Marketingtreibende – die Leser dieses Magazins – richtet und deswegen z.B. den generellen Sinn von Reklame, also die Ankurbelung von (unnötigem) Konsum, nicht in Frage stellt.


Vieles von dem, was Werbetreibende tun, ist eine Verletzung der Privatsphäre
Warum die öffentliche Stimmung gegen rücksichtslos bedrängendes Marketing immer weiter steigt
Advertising Age 26. April 2004, Gary Ruskin

Gary Ruskin ist der Leiter der Non-Profit-Organisation Commercial Alert. Die in Portland beheimatete Gruppe zur Beobachtung/Überwachung von Marketing wurde 1998 von Ruskin und dem Verbraucherschützer Ralph Nader gegründet.
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In den USA und quer über den gesamten Erdball gibt es eine Vielzahl von Anzeichen einer wachsenden Revolte gegen die Werbeindustrie. Umfragen zeigen eine steigende Ablehnung dieser Industrie und ihrer aggressiven Taktiken. Einer neuen Umfrage von Yankelovich Partners zufolge sagen 65% der Amerikaner, dass sie „permanent mit zu viel Werbung bombardiert werden”; 61% denken, dass die Menge an Werbung und Marketing, der sie ausgesetzt sind, „außer Kontrolle geraten ist“; 60% berichten, dass ihre Einstellungen zur Reklame „erheblich negativer sind als noch einige Jahre zuvor“.

Öffentliche Proteste

Als Antwort auf die Abscheu der Fans darüber, dass San Francisco die Namensrechte an seinem Baseballstadion verkauft hatte, beschloss der Stadtrat, es wieder in Candlestick Park zurück zu benennen, womit es das erste Profistadion ist, das seinen alten Namen aufgrund von Protesten zurückerhält. In Denver war Bürgermeister John Hickenhooper der führende Gegner der Entscheidung, die Namensrechte des Mile High-Stadiums zu verkaufen. Das Platzieren von Werbung auf der Kleidung und den Helmen der Baseballprofis löste in diesem Monat eine Flut an negativen Berichterstattungen sowie einen Brief eines US-Senators und ein New York-Times-Editorial aus.

Werbetreibende werden in Massen aus den Schulen verbannt. Channel One, der Serviceanbieter für Werbung in Schulen, wurde letztes Schuljahr aus Nashville entfernt und wird demnächst aus Seattle herausgeworfen. Neue Beschränkungen für Reklame oder Verkauf von Soft Drinks und Junkfood in Schulen wurde z.B. in Kalifornien, Texas, New York City und Philadelphia beschlossen.

Mächtige Gegner

Dies sind nur einige Beispiele, ich könnte noch viele mehr anführen. Fakt ist, dass die Werbeindustrie sich eine gewaltige Gruppe an Gegnern heranzüchtet. Es täte der Industrie gut, darüber nachzudenken, warum dies geschieht. Der Hauptgrund, vermute ich, ist, dass diese Industrie keine Grenzen oder Beschränkungen anerkennt. Es gibt praktisch keinen Ort, an dem die Werber keine Reklame platzieren würden. Viele Amerikaner akzeptieren Werbung zwar als einen Teil des „Lebensspektakels“, aber die Werbeindustrie scheint in einer Todesspirale aus mangelndem Respekt zu stecken. In ihrem verzweifelten Kampf, die Aufmerksamkeit von potentiellen Kunden zu erhaschen, erfindet die Industrie praktisch jede Woche eine neue aufdringliche Methode – bis die Bürger alle in den Wahnsinn getrieben werden durch die ganzen Plakate, Product Placements, Spamfaxe, Pop-Up-Fenster und den ganzen anderen Kram.

Was den Spruch „Der Kunde ist König“ angeht – nun, niemand belästigt einen wirklichen König.

Mangel an Respekt

Die implizite Botschaft, die die Werber aussenden, ist eine komplette Ignoranz in Bezug auf unsere Zeit, unsere Privatsphäre, unseren klaren Kopf („peace of mind“) und nicht zuletzt in Bezug auf unsere Sorge um unsere Kinder, „Deine Aufmerksamkeit gehört mir“, sagt die Industrie indirekt. „Wir widmen uns ihr die ganze Zeit.“ Dieser implizite Mangel an Respekt vor den Konsumenten beginnt die expliziten Botschaften zu überlagern, die jeder Werbetreibende rüberzubringen versucht.

Der Mangel an Respekt dieser Industrie wird deutlich in der Verbreitung von aufgezwungener Werbung. Wenn Reklame beliebt wäre, wieso zwingt uns die Industrie dann, sie zu sehen? Aber sie tut es; die Industrie macht sich die „gefangenen“ Zuschauer in u.a. Schulen, Universitäten, Kinos, Flughäfen, öffentlichen Verkehrsmitteln, Tankstellen und Arztpraxen zunutze. Noch schlimmer ist die Missachtung der Industrie für unsere Gesundheit und die unserer Kinder. Amerikanische Kinder leiden unter einer Vielzahl von mit Marketing zusammenhängenden Krankheiten, so wie Fettleibigkeit und Typ 2-Diabetes, während Millionen von Kindern durch die Werbung für Zigaretten sterben werden, wenn sie älter sind. Dennoch verneint die Industrie jegliche Verantwortung für die nachlassende Gesundheit unserer Jugend und die Aussicht, dass unsere Kinder eine kürzere Lebensspanne haben werden als wir.

Weltweit hat die Werbeindustrie eine mächtige Gegenreaktion in Bezug auf ihren Einfluss auf die öffentliche Gesundheit ausgelöst. Letztes Jahr hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die „Framework Convention on Tobacco Control“ beschlossen, die Werbung für Tabakprodukte in den Ländern verbietet, deren Verfassung sie erlauben. Hunderte Gesundheitsorganisationen, Wissenschaftler und Politiker auf der ganzen Welt haben sich für den Vorschlag eines weltweiten Verbots von Werbung für ungesunde Nahrung, die sich an Kinder & Jugendliche richtet, ausgesprochen

Korrumpierung bürgerlicher Einrichtungen

Und dann ist da die Korrumpierung öffentlicher Einrichtung, wie Stadtverwaltungen, Schulen und Polizei. Coca-Cola hat einen Marketing-Vertrag mit Huntington Beach und East Lansing geschlossen, während PepsiCo Verträge mit San Diego und Fresno hat. Die Schulen sind gespickt mit Werbung. Genauso wie unsere Postämter. Eine Firma hat sogar versucht, Reklame auf Polizeiautos durchzusetzen. Unsere öffentlichen Einrichtungen sehen immer mehr wie der kommerzielle Pfand in einer Banenenrepublik aus.

Wir Amerikaner sind ein toleranter Haufen, aber es gibt eine Grenze für das Maß an Ärger und Beleidigung, die wir hinnehmen.

Fazit: wenn Ihr Geringschätzung für uns Bürger habt, so haben wir für Euch ebenfalls nur Verachtung. Das Resultat dieser gegenseitigen Missachtung wird in Gerichten und Gesetzgebungen in den nächsten Jahrzehnten entschieden werden, aber die wachsende Aufdringlichkeit und Unbeliebtheit der Werbeindustrie lässt keine großen Hoffnungen auf deren Überlebenschancen aufkommen.

Gegenseitige Missachtung ist schlecht fürs Geschäft. Aber sie könnte zurückgedreht werden. Ihr könntet mit ein wenig Selbst-Beschränkung beginnen.

Richtlinienentscheidungen

Dieses Land hungert nach Entscheidungen für strengere Richtlinien im Werbebereich. Wenn Werber im allgemeinen Lärm auffallen wollen, sollten sie kommerzielles „unerlaubtes Betreten“ beenden. Sorgt dafür, dass Ihr uns respektiert, und unsere öffentlichen Einrichtungen, unsere Kinder, nichtkommerzielle Kultur, Gesundheit und öffentliche Plätze. Dann handelt entsprechend. Dies würde Werbung weniger belästigend und vermutlich auch effektiver machen.

Wenn Ihr keine Verantwortung für Euer eigenes Tun übernehmt, seid nicht überrascht, wenn die Bürger Linderung verlangen. Zum Beispiel: Maßnahmen dagegen, dass jemand dazu gezwungen wird, Reklame zu schauen; das Verbot von Anzeigen, die die Verbreitung von Marketing-bezogenen Krankheiten fördern; keine Werbung für Kinder unter 12 Jahren; und keine Verwandlung von Verwaltungen, Schulen und öffentlichen Plätzen in Werbeflächen.

Es ist besser für die Industrie, freiwillig zu handeln. Ansonsten werden verärgerte Bürger nach langem Gerichtsstreit sich von der kommerziellen Beschallung befreien und sie durch das Recht, in Ruhe gelassen zu werden, ersetzen.

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„Werbung ist eine wahre Pestilenz geworden”

Da meine Zeit heut mal wieder knapp bemessen ist, gebe ich Euch diesmal nur einen kurzen Lesetipp – und zwar wurde ZAF, der Macher des wunderbaren satirisch-kritischen Blogs Zenzizenzizenzic und zafikal – für Geld machen wir alles auf krit.de interviewt und hat sich dabei u.a. auch über Werbung und Kommerz geäußert. Dass diese Aussagen meiner eigenen Meinung sehr entgegen kommen, dürfte klar sein. :-)

zafWenn man Werbung mal globaler betrachtet, ist sie ein ökologisches Desaster. Es wird Papier bedruckt, das kaum jemand lesen will, es werden Werbefilmchen gedreht, die kaum jemand im Fernsehen oder im Kino sehen will, es werden Adserver bereitgehalten, um Werbung auszuliefern, die viele eh mit Adblock oder ähnlichen Maßnahmen blocken, die ansonsten aber sinnlos Bandbreite verbraten, die Gegend wird durch Werbetafeln verschandelt etc. Es werden also ohne Ende Ressourcen wie Holz, Energie usw. verschwendet für etwas, was mit etwas Glück nur einen kleinen Teil der Bevölkerung interessiert. Werbung ist in ihrer ungewollten Form doch eine wahre Pestilenz geworden. Ich kenne keinen, der Werbestrecken in Zeitschriften toll findet, der gerne Werbung im TV oder Kino schaut, der sich freut, von Call-Centre-Agents belästigt zu werden, der seinen Briefkasten gern durch Werbung zugemüllt vorfindet etc.

In Sao Paulo gab’s doch mal einen Erlaß der Stadt, daß Werbung im öffentlichen Raum verboten wird. Das finde ich eigentlich eine sehr schöne Idee. Denn Werbung ist vor allem auch undemokratisch. Ohne die notwendigen finanziellen Mittel, kann man keine Werbung schalten, um eine kritische Masse zu erreichen. Solange man es nicht schafft, Werbeflächen z.B. im öffentlichen Raum wirklich zu demokratisieren, daß also jeder, der will, dort plakatieren darf, solange finde ich ein Verbot wie in Sao Paulo – je länger ich darüber nachdenke – eigentlich immer besser. Und eigentlich wäre ein Verbot der Werbung im öffentlichen Raum nur konsequent, wenn man bedenkt, daß sogenannte Cold Calls (also Anrufe von Telemarketingunternehmen auf gut Glück, ohne daß ich explizit um den Anruf gebeten hatte) z.B. verboten sind. Ich habe ja die werbetreibenden Firmen (oder in Hamburg gerade wieder aktuell Parteien) nicht darum gebeten, mir mit ihren Werbemist meine Netzhaut zu versauen.

Jetzt werden wahrscheinlich ein paar in der Werbebranche Beschäftigte sagen “Ja, aber die Arbeitsplätze…”. Stimmt, Werbung schafft Arbeitsplätze. Aber diese bezahlen wir alle als Verbraucher durch höhere Kosten für die beworbenen Produkte mit. Werbung ermöglicht auch keinen Qualitäts-Journalismus. Da braucht man sich nur das Privatfernsehen anschauen, um eines besseren belehrt zu werden. Und auch Printmedien veröffentlichen eher einen Bericht nicht, als einen zahlkräftigen Werbekunden zu verlieren. (…)

Ganz abgesehen vom Menschenbild, das die Werbung meist transportiert. Man sieht kaum die durchschnittlichen Menschen, denen man täglich auf der Straße begegnet in der Werbung. In der Werbung sind alle schön, allzeit perfekt geschminkt, gesund, topfit, schlank, zu Tode gephotoshopped etc. Mit der realen Welt hat Werbung so gar nichts zu tun. Der Druck, den in der Werbung propagierte Schönheitsideale gerade auf Heranwachsende ausüben, dürfte bekannt sein.

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