Geschlossene Gesellschaft

Es ist ja kein Geheimnis, dass die Schere zwischen Arm und Reich in der deutschen, aber auch anderen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten immer weiter auseinander geht. Auf Egoismus und Ehrgeiz getrimmte Menschen versuchen, ihre Stellung in der Gesellschaft unbedingt zu halten, was insbesondere auf die langsam ausdünnende Mittelschicht zutrifft. Über diese bedenkliche Entwicklung berichtete Arte letztes Jahr in der Dokumentation „Geschlossene Gesellschaft“, die anhand des Bildungs-/Schulsystems in Deutschland und Frankreich zeigt, welcher soziale Sprengstoff hier entsteht:

Die Mittelschicht fühlt sich zunehmend unter Druck. Die Angst, Job, Einkommen und damit auch den sozialen Status zu verlieren, führt bei vielen Familien zu einer Abgrenzung nach unten. Man sucht ein ruhiges und kultiviertes Wohnumfeld und setzt verstärkt auf private Netzwerke. Insbesondere die Ausbildung des Nachwuchses rückt stärker in den Fokus, denn auf dem globalisierten Arbeitsmarkt sind erstklassige Abschlüsse wichtig.

Die Sorge, dass staatliche Einrichtungen in Zeiten von Finanzknappheit und Reformstau den Anforderungen nicht mehr gerecht werden, hat Konsequenzen. Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Dort erhoffen sie sich bessere Lernbedingungen, qualifizierteres Personal und gezielte Förderung – und damit den entscheidenden Vorteil für ihre Kinder im Konkurrenzkampf um Ausbildungs- und Arbeitsplätze. Soziologen prognostizieren, dass der soziale Klassenkampf künftig in der Schule beginnen werde.
Die Abgrenzung nach unten hat viele Gesichter. In den Städten entstehen immer mehr abgeschottete Wohnanlagen in attraktiven Lagen, die von gut verdienenden Mittelschichtsfamilien bezogen werden. Hier lebt man in einer sozioökonomisch homogenen Gruppe, in der sich die Lebensentwürfe ähneln und in der man sich sicher fühlt. Mit dem neuen Lebensumfeld wendet man sich vom alten Milieu ab, oft unbewusst, mitunter auch gezielt. Besonders in Deutschland wird diese Entwicklung als Zeichen für eine wachsende Entsolidarisierung und Intoleranz gesehen.

In der Dokumentation gewähren Mittelschichtsfamilien aus Deutschland und Frankreich Einblick in ihr Leben, das von einem Rückzug ins Private gezeichnet ist. Ein Phänomen, das offensichtlich mehr ist als nur ein Trend.

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Logo- & Sloganpersiflagen

Es wird an der Zeit, dass ich mal wieder etwas zum Thema Adbusting im Blog veröffentliche – da ich mich irgendwie noch im „Blog-Winterschlaf-Modus“ befinde, also mit gebremstem Schaum poste, möchte ich Euch heute nur kurz die wunderbare Seite bootlegs | logopersiflagen vorstellen, die auf soup.io gehostet wird, sprich, es handelt sich um einen „endlos scrollbaren“ Blog. In diesem Fall randvoll mit bis zur Kenntlichkeit verfälschten Konzernslogans und -logos. Sehr inspirierend, und natürlich auch sehr entlarvend.

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Lesetipp: Total vergnügt. Die Eventisierung der Städte

Langjährige Leser meines Blogs – und/oder diejenigen, die das Buch „Culture Jamming“ von Kalle Lasn gelesen haben – wissen, dass das Thema Verödung/Veränderung der Stadt durch Reklame und Kommerz einem unumgänglich begegnet, wenn man sich mit Konsumkritik und der kritischen Hinterfragung der Entwicklung des öffentlichen Raumes beschäftigt. So habe ich auch schon früher beklagt, dass die pestilenzartige Ausbreitung der großen Handelsketten, bei gleichzeitiger Verdrängung gewachsener Strukturen und individueller Angebote, zu einer Monoformisierung der (Innen-)Städte führt die langweilig ist und zu einer weiteren Marktmachtkonzentration führt. Zum anderen, und das ist vielleicht noch gefährlicher, wird immer mehr öffentlicher Raum privatisiert und damit einer demokratischen Gestaltung entzogen. In Einkaufszentren herrschen die Regeln der Betreiber, so dass Proteste oder kritische Äußerungen unerwünscht oder sogar verboten sind und aus solchen Malls verdrängt werden. Siehe dazu auch meinen Beitrag „Die Stadt in der Stadt – Wie Einkaufszentren Innenstädte zerstören“.

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Werkverträge und Die Legende vom Strompreis

Die ARD-Sendung Monitor hatte in ihrer letzten Sendung gleich mehrere interessante Beiträge zu bieten, von denen ich Euch heute zwei kurz vorstellen möchte – beide zeigen, wie die Regierung(en) in diesem Land die Wirtschaft einseitig bevorteilen, zu Lasten der Menschen. Der erste, „Werkverträge: Das nächste Lohndumping-Modell der Arbeitgeber“ befasst sich ein wenig mit den Hintergründen des „Jobwunders“, das Deutschland gerade (vermeintlich) erlebt:

Kaum ist die Leiharbeit durch das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) zumindest etwas besser reguliert und damit für Unternehmen weniger lukrativ, da kommen Arbeitsgeber schon mit dem nächsten Billiglohn-Modell um die Ecke: Werkverträge. Sie versprechen Profit, denn teure Stammarbeitsplätze werden überflüssig, stattdessen kommt der Billigarbeiter. Von der Klassengesellschaft unter den Arbeitnehmern ganz zu schweigen. Die “Vorzüge” von Werkverträgen werden inzwischen sogar an deutschen Universitäten wissenschaftlich und fundiert propagiert, wie ein Beispiel aus Bayern zeigt.

Und im zweiten dreht es sich um ein Thema, das ich vor einer Weile auch schon mal aufgegriffen hatte – wie die Politik den Energiekonzernen ihre Profite sichert. „Die Legende vom Strompreis: Warum der Strom wirklich teurer wird“:

Das Jahr beginnt für viele mit einem Preisschock beim Blick auf die Stromrechnung. Einige Energieunternehmen erhöhen sogar bis zu zehn Prozent und begründen das mit erhöhten Kosten durch Fukushima, den Atomausstieg und die Energiewende. Und die Politik sekundiert: Besonders teuer sei der Ausbau der Photovoltaik. Tatsächlich aber senken die neuen Energien zur Zeit eher den Strompreis. In Wirklichkeit stecken hinter den Preiserhöhungen vor allem Subventionen für die Großindustrie.

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Fernsehtipp: Reiche Bürger – arme Stadt. Warum Kommunen pleite gehen

Schnell noch ein Fernsehtipp – nachher um 22 Uhr läuft im WDR die Sendung „Reiche Bürger – arme Stadt. Warum Kommunen pleite gehen“. Könnte interessant werden!

Immer mehr Kommunen wirtschaften am Rand der Pleite. Mehr als 130 Kommunen allein in Nordrhein Westfalen regieren mit einem Nothaushalt. Ihre Ausgaben und Einnahmen sind streng reglementiert. Geld für Neuinvestitionen ist kaum vorhanden. Den Städten bleibt nur, den Mangel zu verwalten.

Der Grund für die Pleiten seien dramatisch gewachsene Aufgaben, die der Bund den Gemeinden aufbürde – vor allem für Ausgaben im Sozialbereich. Doch haben auch die Kommunen selbst Schuld an der finanziellen Misere? Wie halten es zum Beispiel vermögende Bürger mit der Steuer?

story-Autor Ingolf Gritschneder ist diesen Fragen am Beispiel der Stadt Bergisch Gladbach nachgegangen. Mit rund 110.000 Einwohnern ist Bergisch Gladbach eine der kleinsten Großstädte des Landes. Die Stadt am Rande des Bergischen Landes und der Kölner Bucht schiebt einen riesigen Schuldenberg vor sich her und muss mit einem Nothaushalt regieren.

Dabei galt Bergisch Gladbach einst als eine der wohlhabendsten Städte im Lande. Noch heute leben hier viele schwerreiche Bürger. Zwei der berühmtesten Gourmet-Restaurants Deutschlands gibt es hier, eine weit über die Grenzen bekannte Wellness-Oase und einen der deutschlandweit schönsten Golf-Plätze. Trotzdem ist die Finanzla-ge desolat.

Der Film fragt vor allem nach den Steuereinnahmen, die in der Stadt wie ein Staatsgeheimnis behandelt werden. Warum kommt von den Milliarden-Umsätzen der Unternehmen so wenig im Stadtsäckel an? Eine story von großen und kleinen Geschäften, von persönlichem Profit und öffentlicher Not.

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Massentierhaltung und der Mensch, Teil II

Zufällig hat das Magazin quer im Bayerischen Fernsehen in seiner neuesten Ausgabe auch die Massentierhaltungproblematik thematisiert – allerdings aus einem anderen Blickwinkel, denn der Beitrag „Kritische Masse – Dorf kämpft mit Schweinemast“ zeigt, die die Tierfabriken ganz konkret vor Ort das Leben der Menschen negativ beeinträchtigen. Der Beitrag ist zwar eher zahm und stellt nicht zuletzt auch das „Not in my backyard“-Phänomen dar – d.h., dass Menschen sich erst gegen etwas wehren, wenn die negativen Folgen direkt in ihrem Wohnumfeld sichtbar werden; die Leute wollen billiges Fleisch, aber die entsprechenden Produktionsstätten nicht im eigenen Ort; sie wollen mehrmals pro Jahr in den Urlaub fliegen, aber natürlich keine Startbahn vor dem eigenen Schrebergarten etc. Dennoch beleuchtet die Sendung ein paar interessante Facetten der Massentierhaltung und zeigt den Wahnwitz der industriellen, nur am Profit orientierten Landwirtschaft.

Im niederbayerischen Hohenthann hat die Schweinemast in den letzten Jahren immer größere Ausmaße angenommen: Mittlerweile kommen auf etwa 4000 Einwohner 200.000 Mastschweine pro Jahr. Damit steht der Ort beispielhaft für eine Entwicklung, die auch vor Bayern nicht Halt macht: Die bäuerliche Landwirtschaft verschwindet, Großbetriebe entstehen. Von der Politik gefördert, exportiert Deutschland billiges Fleisch bis nach Indien und China. Die Leidtragenden sind die Anwohner der Mastbetriebe – auch in Hohenthann.

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Massentierhaltung schadet auch den Menschen

Das Thema Massentierhaltung, wie überhaupt Fleischkonsum, sowie die damit verbunden gesundheitlichen Risiken, z.B. durch Antibiotika im Fleisch, habe ich hier im Blog ja schon mehrfach angeschnitten. Da die WDR-Sendung markt sich der Problematik jüngst erneut widmete und damit die Geschichte ins Bewusstsein der Zuschauer hob, will ich Euch deren aktuellen Erkenntnisse nicht vorenthalten (auch wenn die Redakteure den wichtigsten Tipp, nämlich einfach gar kein Fleisch zu essen, natürlich „vergessen“ haben)! „Antibiotika: Resistente Keime“:

Durch die Gabe von Antibiotika entwickeln Keime im Körper der Tiere Resistenzen. Diese Keime, die Fachleuten und den Bezeichnungen MRSA und ESBL bekannt sind, siedeln auf der Haut oder im Darm der Tiere. Und genau solche Keime wurden nun in hoher Zahl auf Hähnchenfleisch aus deutschen Supermärkten entdeckt. Laut Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) war jedes zweite Hähnchen aus der Stichprobe belastet. Kritiker bemängeln, dass es sich bei der Untersuchung nur um eine Stichprobe handele, die nicht repräsentativ sei.

Im Auftrag von markt untersuchten Wissenschaftler der Freien Universität Berlin nun erneut 20 Hähnchen – frische und tiefgekühlte, aus konventioneller und biologischer Aufzucht. Dr. Christa Ewers fasst das Ergebnis zusammen: „Wir haben tatsächlich in 80 Prozent der Proben, die wir untersucht haben, multiresistente Keime identifizieren können. Das ist eine sehr besorgniserregende Zahl, auch vor dem Hintergrund, dass es sich natürlich nur um eine Stichprobenuntersuchung handelt.“ Die Forscher identifizierten neben dem Keimtyp MRSA noch andere resistente Keime, vor allem ESBL-Keime.

Auch beim Menschen entstehen bei hohem Antibiotikaeinsatz resistente Keimtypen wie MRSA und ESBL. Das führt im Krankenhaus zu Problemen. Lösen die Keime Infektionen aus, helfen Antibiotika nicht mehr. Das müssen in Deutschland jedes Jahr über einer halbe Million Patienten erfahren. Nach Schätzungen erliegen jedes Jahr etwa 40.000 Infektionsopfer den resistenten Keimen. (…)

Die Forscher gingen aber noch einen entscheidenden Schritt weiter: Sie verglichen die ESBL-Keime aus dem Fleisch mit Stuhl- und Blutproben von betroffenen Patienten. Die Übereinstimmung war immens: 60 Prozent! Die Schlussfolgerung von Professor Kluytmans: „Wenn man das alles zusammennimmt, dann sagen wir, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass das Hühnerfleisch ein Brunnen, eine Ursache ist für das ESBL bei den Menschen – nicht für alle ESBL, aber ein substanzieller Teil von dem, was wir jetzt beim Menschen finden, wird vom Hühnerfleisch kommen.

Die niederländischen Forscher schätzen, dass mindestens zehn Prozent der Niederländer heute ESBL in sich tragen. Sieht es in Deutschland ähnlich aus, sind hierzulande acht Millionen Menschen Keimträger. Sie müssen davon nicht krank werden, aber sie könnten.

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Werbung am Rande der Apokalypse (5. und letzter Teil)

So, und heute kommt dann endlich der letzte Teil meiner Übersetzung des Artikels „Advertising at the Edge of the Apocalypse“ von Prof. Sut Jhally über die fatalen Folgen der Reklame (und unseres auf Wachstum basierenden Wirtschaftssystems) auf unsere Gesellschaft. Teil 1 findet Ihr HIER, Teil 2 HIER, Teil 3 HIER und Teil 4 HIER.

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Die Vorstellung von einer anderen Zukunft

Vor über 100 Jahren beobachtete Marx, dass es zwei Richtungen gab, die der Kapitalismus nehmen konnte: in Richtung eines demokratischen „Sozialismus“ oder einer brutalen „Barbarei“. Sowohl langfristige wie auch aktuelle Erkenntnisse scheinen darauf zu deuten, dass wir die zweite Richtung eingeschlagen haben – außer es gelingt uns, schnell alternative Werte zum Tragen zu bringen.

Viele Leute dachten, dass die Umweltkrise der Dreh- und Angelpunkt für das Nachlassen internationaler Spannungen sein könnte, weil wir unsere Abhängigkeit und unsere kollektive Sicherheit und Zukunft auf dem Spiel sahen. Aber wie die Irak-Kriege deutlic machten, wird die Neue Weltordnung auf der Basis des Kampfs nach knappen Ressourcen gebildet. Bevor die Propaganda die Gründe zum „Kampf für Freiheit und Demokratie“ verschob erinnerte George Bush die Amerikaner daran, dass die Truppen in den Golf geschickt werden, um die Ressourcen zu schützen, die „unsere Lebensweise“ zu beschützen. Eine Automobilkultur, die so wie die unsrige auf Produkten basiert, hängt unweigerlich von billigen Ölquellen ab. Und wenn die Kosten dafür 100.000 tote Iraker sind, dann muss das halt so sein. In solch einem Szenario werden die Menschen der Dritten Welt als Feinde angesehen, die unsinnige Ansprüche auf „unsere“ Ressourcen erheben. Die Zukunft und die Dritte Welt kann warten. Unsere kommerziell dominierter Kulturdiskurs erinnert uns jeden Tag mit Macht daran, dass wir alles sofort brauchen. In diesem Sinne ist der Golfkrieg eine Vorschau auf das, was kommen wird. Wenn der Welt die Ressourcen ausgehen, werden die stärksten militärischen Kräfte aktiviert, um den Zugang sicherzustellen.

Die destruktiven Aspekte des Kapitalismus (seine kurzfristige Ausrichtung, das Leugnen kollektiver Werte, die einseitige Betonung des Materiellen) werden inzwischen auch von einigen Menschen erkannt, die ihr Vermögen mit Hilfe des Marktes gemacht haben. Der zum Philantropen mutierte Milliardär George Soros sprach 1997 über die „kapitalistische Bedrohung“ und in bezug auf die Kultur ist die Werbung die Hauptstimme dieser Bedrohung. In dem Maße, wie sie uns in Richtung materieller Dinge zur Befriedigung und weg vom Aufbau sozialer Beziehungen lenkt, schiebt sie uns den Weg zu steigender wirtschaftlicher Produktion entlang, die die kommende Umweltkatastrophe befeuert. In dem Maße, wie Reklame über unsere individuellen und privaten Bedürfnisse spricht, drängt sie Diskussionen über kollektive Themen an die Ränder. In dem Maße, wie sie nur von der Gegenwart erzählt, erschwert sie das Denken über die Zukunft. In dem Maße, wie sie all diese Dinge tut, wird Werbung zu einem Haupthindernis für das Überleben unserer Spezies.

Um aus dieser Situation herauszukommen und neue Sichtweisen auf die Welt zu entwickeln, wird viel Arbeit erfordern, und eine Antwort könnte einfach sein, das Ende der Welt mit einem letzten großen Knall zu genießen, die Party, um alle Partys zu beenden. Die alternative Lösung, die Situation zu ändern, für humane, kollektive Langzeitwerte zu arbeiten, wird einen erheblich größeren Aufwand bedeuten.

Und es gibt Anzeichen dafür, hoffnungsvoll auf die Ergebnisse eines solchen Versuchs zu sein. Es ist wichtig, hervorzuheben, dass der Aufbau und Erhalt der momentanen Struktur der Konsumentenkultur erheblichen Aufwand und viel Mühe erfordert. Der Grund, dass die Konsumentenweltsicht die Welt dominiert, liegt darin, dass tagtäglich Millarden von Dollar dafür ausgegeben werden. Die Konsumentenkultur wird nicht einfach errichtet und läuft dann von alleine. Sie muss durch die Aktivitäten der Reklameindustrie und in zunehmenden Maße der PR-Industrie aufrechterhalten werden. Der Kapitalismus muss sich sehr anstrengen, um uns vom Wert der kommerziellen Vision zu überzeugen. In gewissem Sinne ist der Konsum-Kapitalismus ein Kartenhaus, das auf zerbrechliche Weise durch immense Anstrengungen zusammengehalten wird, und er kann genauso leicht dahin schmezen wie er zusammengehalten wird. Es wird davon abhängen, ob es überlebensfähige/gangbare Alternativen gibt, die die Menschen motivieren, an eine andere Zukunft zu glauben; davon ob es andere Ideen gibt, die genauso angenehm, kraftvoll, spaßig und leidenschaftlich sind, mit denen sich die Menschen identifizieren können.

Ich denke an dieser Stelle an die Arbeiten von Antonio Gramsci, der den berühmten Satz „Pessimismus des Intellekts, Optimismus des Willens“ geprägt hat. „Pessismismus des Intellekts“ heißt, dass man die Realität unserer gegenwärtigen Umstände erkennt, die gewaltigen Machtfelder, die gegen uns sind, analysiert – aber auf die Möglichkeiten und die moralische Erwünschtheit eines sozialen Wandels zu bestehen, ist der „Optimismus des Willens“; in menschliche Werte zu glauben, die eine Inspiration für uns sein werden, sich für unser Überleben einzusetzen.

Ich will nicht zu naiv in Bezug auf die Möglichkeiten eines sozialen Wandels sein. Es muss nicht nur für gemeinsame Werte gekämpft werden, sondern gemeinsame Werte, die individuelle Rechte und individuelle Kreativität berücksichtigen. Es gibt bereits viele repressive Bewegungen, von unseren eigenen christlichen Fundamentalisten bis hin zu den islamschen Eiferern der Taliban in Afghanistan. Die Aufgabe ist nicht einfach. Sie beinhaltet, viele verschiedene Weltanschauungen auszubalancieren und zu integrieren. Wie Ehrenreich schreibt:

Können wir uns eine Gesellschaft vorstellen, die „Kollektivität“ nicht mit den drögen Konsequenzen von Konformität verbindet, sondern mit etwas, das ich nur „Konvivalität“ („convivality“) nennen kann, welche möglicherweise direkt in die soziale Infrastruktur eingebaut werden kann, mit der Möglichkeit, demokratische Beteiligung auf allen Ebenen zu belohnen? Können wir uns eine Gesellhaft vorstellen, die Individualismus nicht verachtet, sondern individuelle kreative Ausdrucksformen, wie auch Regimekritik, Debatten, Nonkonformität, künstlerische Experimente und im weitesten Sinne Abenteuer, wirklich wertschätzt? Das Projekt bleibt das gleiche wie seit jeher: die Konsumentenkultur durch eine wirklich humanen Kultur zu ersetzen. (Ehrenreich 1990, S. 47)

Die Einsätze sind wirklich zu hoch für uns, um uns nicht mit den realen und dräuenden Problemen zu befassen, denen wir uns als Spezies gegenüber sehen – eine progressive und menschenwürdige gemeinsame Lösung für die globale Krise zu finden und unseren Kindern und zukünftigen Generationen eine Welt zu sichern, auf der eine wirklich humanes Leben möglich ist.

Literatur:

  • Commoner, Barry (1971) The Closing Circle; nature, man and technology Knopf, New York
  • Ehrenreich, Barbara (1990) “Laden with Lard” ZETA, July/Aug.
  • Durning, Alan (1991) “Asking How Much is Enough” in Lester Brown et. al. State of the World 1991 Norton, New York.
  • Heilbroner Robert (1980) An Inquiry into the Human Prospect: Updated and Reconsidered for the 1980s Norton, New York.
  • Leiss, William (1976) The Limits to Satisfaction Marion Boyars, London.
  • Leiss, William, Stephen Kline and Sut Jhally (1990) Social Communication in Advertising (second edition) Routledge, New York.
  • Marx, Karl (1976) Capital (Vol 1), tr. B. Brewster, Penguin, London.
  • Nelson, Joyce (1983) “As the Brain Tunes Out, the TV Admen Tune In” Globe and Mail
  • McKibben, Bill (1989) The End of Nature Randon House, New York.
  • Scitovsky, Tibor (1976) The Joyless Economy Oxford University Press, New York
  • Soros, George (1997) “The Capitalist Threat” in The Atlantic Monthly February.

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Knebelverträge und Energieverschwendung

Na super – wenn es noch eines Arguments bedurft hätte, dass die Privatisierung von öffentlichen Gütern und Leistungen sowie das Vorhandensein einiger Großkonzerne im Energiesektor für den Bürger nachteilig sind, dann zeigt es dieser kleine Beitrag der WDR-Sendung markt (nach den Luschen-„Markenchecks“ hat der Sender jetzt ein bisschen was gutzumachen!) so ganz nebenbei – „Straßenlaterne – teure Umstellung“:

Bis 2015 müssen Straßenlaternen mit stromsparender Technik betrieben werden. Doch die Umstellung verläuft nur schleppend. Den klammen Kommunen ist die neue Technik oft zu teuer.

Sobald es dunkel wird, wird in Gelsenkirchen viel Geld verbrannt. Über 10.000 Straßenlaternen aus den 60er-Jahren brennen dort noch mit Quecksilberdampf und verbrauchen Unmengen an Strom. Eine moderne Lampe verbraucht für etwa 20 Euro Strom im Jahr. Ein altes Modell kostet das Dreifache.

Von 2015 an verbietet die EU den Verkauf der alten Quecksilberlampen. Gelsenkirchen versucht bis 2015 einen Austausch schrittweise hinzubekommen. Schneller gehe es nicht, sagt man uns, es fehle das Geld.

Doch es gibt Förderprogramme: etwa einen 40-Prozent-Zuschuss vom Umweltministerium. Und für ganz arme Städte gibt es das sogenannte Contracting. Dabei werden die Lampen modernisiert, ohne dass die Kommunen eigenes Geld einsetzen müssen. Doch danach gehören ihnen die Straßenlaternen nicht mehr.

Tatsächlich haben zwei Drittel aller Städte ihre Straßenbeleuchtung über langjährige Verträge an Stadtwerke oder den Stromversorger RWE abgegeben. Und die haben es offenbar nicht so schrecklich eilig, die Bürger mit Stromsparlampen zu beglücken, wie Rüdiger Brechler von der Energieagentur NRW erklärt: „Viele Betreiber, Stadtwerke oder größere Betreiber bremsen durchaus das Modernisierungsverfahren. (…) Wenn man Geld für Stromlieferung bekommt, ist es logisch, dass man nicht das Optimum tut, um diese Strommenge zu reduzieren.“ (…)

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Werbung am Rande der Apokalypse (Teil 4)

Dies ist der vierte Teil meiner Übersetzung des Artikels „Advertising at the Edge of the Apocalypse“ von Prof. Sut Jhally über die negativen Auswirkungen der Reklame (und unseres auf Wachstum basierenden Wirtschaftssystems) auf unsere Gesellschaft. Teil 1 findet Ihr HIER, Teil 2 HIER und Teil 3 HIER.

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Das Ende der Welt, wie wir sie kennen

Die Vision des Konsumismus, die durch die Werbung vorangetrieben wird und die Welt erobert, basiert im Grunde, wie ich es schon vorher anmerkte, auf der Annahme von wirtschaftlichem Wachstum. Wachstum erfordert Ressourcen (sowohl Rohstoffe wie auch Energie) und es gibt eine umfassende Übereinstimmung unter Umweltwissenschaftlern, dass die Erde frühere Raten des Anstiegs nicht verkraften kann, die auf ressourcenintensiven Arten ökonomischer Aktivität fußen, vor allem nicht, weil immer mehr Länder um die Futtertröge kämpfen.

Die Umweltkrise ist komplex und vielschichtig, und berührt sowohl Produktions- wie Konsumptions-Belange. Beispielsweise wissen wir in Bezug auf die Ressourcenerschöpfung, dass wir sehr schnell das erschöpfen, was die Erde bieten kann und dass, wenn die momentanen Wachstums- und Konsumratentrends sich ungebremst fortsetzen, die Grenzen des Wachstums auf diesem Planten irgendwann im nächsten (21.) Jahrhundert erreicht sein werden. Die industrielle Produktion verbraucht Ressourcen und Energie in nie zuvor gekanntem Ausmaß. Seit 1950 hat die Erdbevölkerung mehr Ressourcen verbraucht als alle Generationen zuvor zusammen gerechnet. (Durning 1991, S. 157) Innerhalb von 50 Jahren haben wir den Verbrauch von Tausenden von Jahren geschafft. Die Menschen der westlichen Nationen und allen voran die Amerikaner haben die meisten dieser Ressourcen gebraucht, so dass wir eine besondere Verantwortung für die nahende Krise tragen. In weiteren 100 Jahren werden wir den Planeten ausgebeutet haben.

Aber mehr noch werden wir der Umwelt irreparablen Schaden zugefügt haben, von der wir vollständig abhängen. Wie der Umweltaktivist Barry Commoner sagt:

Die Umwelt ist wie eine riesige, enorm komplexe lebendige Maschine, die eine dünne dynamische Schicht auf der Erde formt, und jegliche menschliche Aktivität hängt von der Unversehrtheit und dem Funktionieren dieser „Maschine“ ab… Diese Maschine ist unser biologisches Kapital, der Grundapparat, von dem all unsere Produktivität abhängt. Wenn wir sie zerstören wird auch unsere fortschrittlichste Technologie wertlos werden und jedes ökonomische und politische System, das darauf fußt, wird zerfallen. Die Umweltkrise ist ein Signal für eine herannahende Katastrophe. (Commoner 1971, S. 16–17)

Das deutlichste Zeichen dafür, dass wir mit unserer Produktion einen Effekt auf die Ökosphäre des Planeten haben, ist die Zersetzung der Ozonschicht, durch die die Menge an ultravioletter Strahlung, die zerstörerisch oder tödlich für viele Lebensformen auf der Erde ist, dramatisch zugenommen hat. 1985 entdeckten Wissenschaftler die Existenz eines riesigen Ozonlochs über dem Südpol, das die Größe der USA aufweist und zeigt, wie menschliche Aktivität das Äußere der Erde verändert. In seinem Buch „The End of Nature“ erinnerte uns Bill McKibben daran, dass „wir dies selbst getan haben… indem wir Autos fahren, Fabriken bauen, Wälder abholzen, Klimaanlagen aufdrehen.“ (1989, S. 45) Er schreibt, dass die Geschichte der Welt voll der unglaublichsten Ereignisse ist, die die Art, wie wir leben, verändert haben, aber sie werden alle in den Schatten gestellt durch das, was wir in den letzten 50 Jahren erreicht haben.

Menschliche Anstrengungen, selbst die größten, waren winzig im Vergleich zur Größe des Planeten – das Römische Reich war der Arktis oder dem Amazonas egal. Aber heutzutage verändert die Lebensweise der einen Hälfte der Welt jeden Zentimeter des Globus (1989, S. 46)

Die Situation ist so schlimm, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft verzweifelt versucht, die Aufmerksamkeit des Rests von uns zu bekommen, um uns auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Die Union of Concerned Scientists („Vereinigung besorgter Wissenschaftler“, der 1700 der weltweit führenden Wissenschaftler angehören, darunter die meisten Wissenschafts-Nobelpreisträger) veröffentlichte jüngst diesen Aufruf:

Die Menschheit und die Natur/Umwelt befinden sich auf Kollisionskurs. Menschliche Aktivitäten fügen der Umwelt und kritischen Ressourcen irreversiblen Schaden zu. Sofern sie nicht überprüft werden, werden viele unserer momentanen Handlungsweisen die Zukunft, die wir uns für die menschliche Gesellschaft und dem Pflanzen- und Tierreich wünschen, ernsthaft aufs Spiel setzen und so die Umwelt verändern, dass es unmöglich sein wird, in ihr zu leben, wie wir es kennen. Fundamentale Änderungen sind dringend nötig, wenn wir die Kollision, die unser aktueller Kurs hervorrufen wird, vermeiden wollen.

Es ist wichtig, die Vorhersage einer direkt bevorstehenden Katastrophe zu vermeiden. Wir haben bereits viel Schaden angerichtet, aber die wirkliche Umweltkrise wird uns nicht vor Mitte des 21. Jahrhunderts treffen. Aber um diese Katastrophe zu vermeiden müssen wir jetzt aktiv werden. Wir müssen die Schritte in die Wege leiten, die uns in 70 Jahren retten werden.

Die Metapher, die die vor uns liegende Aufgabe am besten beschreibt, ist die eines Öltankers, der drauf und dran ist, am Strand zu zerschellen. Wegen seiner Trägheit und seiner Größe muss die Wende weit vor dem Strand eingeleitet werden, seine eigene Trägheit voraussehend. Wenn er zu spät wendet, wird er auf die Küste prallen. Dort befindet sich die Konsumentengesellschaft im Moment. Wir müssen grundlegende Änderungen vornehmen, wie wir uns organisieren, wie sich unsere Wirtschaft aufbreitet, wenn wir die Katastrophe in 70 Jahren vermeiden wollen. Wir müssen JETZT aktiv werden.

In diesem Sinne hat die derzeitige Generation eine einzigartige Verantwortung in der Geschichte der Menschheit. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes an uns, die Welt zu retten, die notwendigen Änderungen einzuleiten. Wenn wir dies nicht tun, werden wir uns in 70 Jahren in Richtung Barbarei und Wildheit untereinander bewegen. Wir müssen kurzfristige Einbßen akzeptieren. Wir müssen unsere unnötigen Geräte/Hilfsmittel aufgeben. Wir müssen insbesondere unsere Beziehung zum Auto überdenken. Wir müssen wirkliche Önderungen vornehmen – nicht bloß recyceln, sondern fundamentale Änderungen an unserer Art zu Leben und zu produzieren. Und wir können dies nicht auf individueller Ebene tun, wir müssen es gemeinsam angehen. Wir müssen irgendwie den politischen Willen finden, dies zu tun, selbst wenn wir vielleicht schon tot sein werden, wenn die Auswirkungen spürbar sind. Das lebenswichtige Thema lautet „Wie sehr fühlen wir uns den Generationen in den kommenden Jahrhunderten verbunden?“. Der politische Philosoph Robert Heilbroner formuliert es so:

„Das ausschlaggebende Problem für die Welt in der Zukunft wird eine Besorgnis für kommende Generationen sein. Wo werden solche Sorgen auftauchen? … Der heutige industrielle Mensch, dessen Appetit nach der Gegenwart durch die Werte einer Hoch-Konsum-Gesellschaft und dessen Einstellung zur Zukunft durch die vorherrschenden Grundsätze der Selbst-Sucht verformt werden, had nur eine geringe Motivation, solch eine Bindung zu zukünftigen Generationen einzugehen. Es gibt viele Menschen, die fast alles für ihre Kinder aufgeben würden; erheblich weniger würden dies für ihre Enkel tun.“ (Heilbroner 1980, S. 134–135)

Eine solche Bindung (mit zukünftigen Generationen) wird iin unserer gegenwärtigen Umgebung, die die individuellen (nicht sozialen) Bedürfnisse und die kurzfristige Situation (nicht die langfristige) betont, um so schwieriger. Das Werbesystem wird die Grundlagen mitformen, auf dem wir über die Zukunft der Menschheit nachdenken, und dort gibt es nichts, was uns Hoffnung für die Entwicklung einer solchen zukunftsträchtigen Perspektive machen sollte. Der Zeitrahmen der Reklame ist sehr kurzfristig orientiert. Sie ermutigt uns nicht, über die Unmittelbarkeit der gegenwärtigen sinnlichen/lustbetonten Erfahrung hinaus zu denken. Es kann sogar so sein, dass – weil das Werbeumfeld immer umkämpfter und dichter wird, mit immer mehr von dem, was Werber als „Lärm“ bezeichnen, der droht, individuelle Botschaften zu ertränken – Reklame verstärkt auf die Ebenen unserer Erfahrung abzielt, die fern vom alltäglichen Wirrwarr sind, und die sofort und in tiefer Weise sehr emotionale Zustände von uns ansprechen. Eindrückliche gefühsbetonte Bilderwelten, die uns beim „Bauchgefühl“ packen lassen keinen Raum, um über etwas nachzudenken. Sexuell aufgeladene Bilder müssen, vor allem im Zeitalter von AIDS, in dem Sex mit Tod verknüpft wird, noch mächtiger und direkter werden, um mögliche negative Assoziationen zu überwinden, ja, um uns aus der Welt von Bedeutung und Sinn, die wir kognitiv gestalten, zu entfernen. Der Wert einer kollektiven sozialen Zukunft ist eine, die in unserer kommerziell dominierten Kultur keinen Ausdruck findet und niemals finden wird. In der Tat vermitteln uns die derzeit herrschenden Werte keinen Anreiz, eine Verbindung mit zukünftigen Generationen zu knüpfen, und hierin liegt ein wirkliches Gefühl von Nihilismus und Verzweiflung in Bezug auf die Zukunft, und ein Abschotten gegenüber der Außenwelt.

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In den nächsten Tagen folgt dann der letzte Teil des Artikels.

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