Kategorie: Kommerz Seite 5 von 6

Propaganda im Klassenzimmer

Dass ich eine besonders hohe Meinung von Werbefritzen und Marketingheinis hätte, kann man sicherlich nicht behaupten. Das Ansehen dieser Berufsgruppe ist in meinen Augen aber noch ein wenig gesunken (sofern das überhaupt möglich war), nachdem ich den Beitrag „Wie die Werbewirtschaft Schulen und Kindergärten ins Visier nimmt“ von Report Mainz über sog. „Bildungssponsoring“ gesehen hatte und darin die selbstzufriedenen, anscheinend bar jeder Zweifel über ihr Tun seienden Werber erblickte, die nur darüber nachdenken, wie sie die Produkte ihrer Auftraggeber möglichst prominent an Schulen und Kindergärten platzieren können. Dazu fällt mir echt nichts mehr ein! Wir sind auf dem „besten“ Weg zu amerikanischen Verhältnissen, wie mir scheint (obwohl man dort ja mittlerweile wieder versucht, den Kommerz an Schulen ein wenig zurückzudrängen)…

Das Geld in Kindergärten und Schulen ist knapp. Bildungssponsoring heißt deshalb seit einigen Jahren das Zauberwort. Unternehmen und Verbände sollen die leeren Kassen wieder füllen. Doch die nutzen Bildungssponsoring gezielt, um in Kitas und Schulen Markenwerbung zu betreiben. Das ist in 13 Bundesländern eigentlich verboten.

Ein Weg, dieses Verbot zu umgehen, ist den Lehrern gesponserte Unterrichtsmaterialien anzubieten. Die sind auf den ersten Blick oft attraktiv und aufwändig gestaltet, doch bei genauerem Hinsehen halten so Werbebotschaften Einzug in die Klassenzimmer. Politisch motivierte Stiftungen und Unternehmen nehmen so massiv Einfluss auf die Lehrinhalte oder bombardieren bereits Kindergartenkinder mit Markenlogos.

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Reklame, die Deine Raten bezahlt, aber Deine Nachbarn beraubt

Im amerikanischen Public Ad Campaign-Blog fand ich mal wieder eine „schöne“ neue Entwicklung an der US-Reklamefront – bekanntermaßen geht es in den Vereinigten Staaten, was Werbung angeht, noch viel schlimmer zu als hierzulande, und es wird immer weniger Rücksicht auf die Menschen genommen, wenn es darum geht, jeden Fitzel öffentlichen Raums mit Kaufpropaganda zuzupflastern. Um aus dem riesigen Meer an Reklame und buntschillernden Imagegetöse überhaupt noch herausragen zu können und von den potentiellen Käufer wahrgenommen zu werden, muss „natürlich“ immer weiter aufgerüstet werden – immer schriller, immer lauter, immer aufdringlicher muss Werbung sein, um den solcherart umgarnten Konsumenten nicht zur Ruhe kommen zu lassen.

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Das Lügenfernsehen

Was ich vom Fernsehen halte? Nun, meiner vorsichtigen Einschätzung nach sind ca. 99,99% der Sendungen im Privatfernsehen und vielleicht 90% der Sachen im öffentlich-rechtlichen (Arte und 3sat einmal ausgenommen) Schrott, Schund und Käse; teils desinformierend und tendenziös, gerne verdummend und irreführend, nicht selten geschmacksbefreit und schlichtweg dämlich. So hart muss ich das leider sagen. Von daher hat mir die Sendung „Das Lügenfernsehen“ in der NDR-Reihe „Panorama – Die Reporter“ nicht wirklich die Augen geöffnet, mir aber wieder einmal vor Augen geführt, mit welch schamlosen Methoden die Sender heutzutage arbeiten, bloß um Quote zu machen. Und dass so ein Müll wie die RTL-Serie „Mitten im Leben“ über 30% Marktanteil bei den 14–29jährigen hat, finde ich erschreckend – noch sinnloser kann man seine Lebenszeit ja kaum verschwenden, als sich gescriptete und schlecht gespielte Pseudo-„Reality“ anzuschauen…

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Not in our name, Marke Hamburg!

© thoursie, stock.xchng

Folgendes Manifest von Hamburger Künstlern und Freischaffenden, die sich gegen die Durchvermarktung der Stadt und ihrer Viertel aussprechen, über das ich erst jetzt im Netz gestolpert bin, will ich hier einfach mal in ihrer Gänze zitieren – treffender kann man die Malaise von Gentrifizierung, Standortwettbewerb etc. nicht auf den Punkt bringen! Auf der Website „Not in our name, Marke Hamburg!“ könnt Ihr auch den Aufruf unterzeichnen und somit signalisieren, dass Ihr die aktuelle Stadtentwicklung hin zu einer Marke ebenfalls nicht gutheißt.

Ein Gespenst geht um in Europa, seit der US-Ökonom Richard Florida vorgerechnet hat, dass nur die Städte prosperieren, in denen sich die „kreative Klasse“ wohlfühlt. „Cities without gays and rock bands are losing the economic development race“, schreibt Florida. Viele europäische Metropolen konkurrieren heute darum, zum Ansiedelungsgebiet für diese „kreative Klasse“ zu werden. Für Hamburg hat die Konkurrenz der Standorte mittlerweile dazu geführt, dass sich die städtische Politik immer mehr einer „Image City“ unterordnet. Es geht darum, ein bestimmtes Bild von Stadt in die Welt zu setzen: Das Bild von der „pulsierenden Metropole“, die „ein anregendes Umfeld und beste Chancen für Kulturschaffende aller Couleur“ bietet. Eine stadteigene Marketing-Agentur sorgt dafür, dass dieses Bild als „Marke Hamburg“ in die Medien eingespeist wird. Sie überschwemmt die Republik mit Broschüren, in denen aus Hamburg ein widerspruchfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: Kaum eine Woche vergeht ohne ein touristisches Megaevent, das „markenstärkende Funktion“ übernehmen soll.

Liebe Standortpolitiker: Wir weigern uns, über diese Stadt in Marketing-Kategorien zu sprechen. Wir sagen: Aua, es tut weh. Hört auf mit dem Scheiß. Wir lassen uns nicht für blöd verkaufen. Wir wollen weder dabei helfen, den Kiez als „bunten, frechen, vielseitigen Stadtteil“ zu „positionieren“, noch denken wir bei Hamburg an „Wasser, Weltoffenheit, Internationalität“ oder was euch sonst noch an „Erfolgsbausteinen der Marke Hamburg“ einfällt. Wir denken an andere Sachen. An über eine Million leerstehender Büroquadratmeter zum Beispiel und daran, dass ihr die Elbe trotzdem immer weiter zubauen lasst mit Premium-Glaszähnen. Wir stellen fest, dass es in der westlichen inneren Stadt kaum mehr ein WG-Zimmer unter 450 Euro gibt, kaum mehr Wohnungen unter 10 Euro pro Quadratmeter. Dass sich die Anzahl der Sozialwohnungen in den nächsten zehn Jahren halbieren wird. Dass die armen, die alten und migrantischen Bewohner an den Stadtrand ziehen, weil Hartz IV und eine städtische Wohnungsvergabepolitik dafür sorgen. Wir glauben: Eure „Wachsende Stadt“ ist in Wahrheit die segregierte Stadt, wie im 19. Jahrhundert: Die Promenaden den Gutsituierten, dem Pöbel die Mietskasernen außerhalb.

Und deshalb sind wir auch nicht dabei, beim Werbefeldzug für die „Marke Hamburg“. Nicht, dass ihr uns freundlich gebeten hättet. Im Gegenteil: Uns ist nicht verborgen geblieben, dass die seit Jahren sinkenden kulturpolitischen Fördermittel für freie künstlerische Arbeit heutzutage auch noch zunehmend nach standortpolitischen Kriterien vergeben werden. Siehe Wilhelmsburg, die Neue Große Bergstraße, siehe Hafencity: Wie der Esel der Karotte sollen bildende Künstler den Fördertöpfen und Zwischennutzungs- Gelegenheiten nachlaufen – dahin, wo es Entwicklungsgebiete zu beleben, Investoren oder neue, zahlungskräftigere Bewohner anzulocken gilt. Ihr haltet es offensichtlich für selbstverständlich, kulturelle Ressourcen „bewusst für die Stadtentwicklung“ und „für das Stadt-Image“ einzusetzen. Kultur soll zum Ornament einer Art Turbo-Gentrifizierung werden, weil ihr die üblichen, jahrelangen Trockenwohn-Prozesse gar nicht mehr abwarten wollt. Wie die Stadt danach aussehen soll, kann man in St. Pauli und im Schanzenviertel begutachten: Aus ehemaligen Arbeiterstadtteilen, dann „Szenevierteln“, werden binnen kürzester Zeit exklusive Wohngegenden mit angeschlossenem Party- und Shopping-Kiez, auf dem Franchising- Gastronomie und Ketten wie H&M die Amüsierhorde abmelken.

Die Hamburger Kulturpolitik ist längst integraler Bestandteil eurer Eventisierungs-Strategie. Dreißig Millionen Euro gingen an das Militaria-Museum eines reaktionären Sammlerfürsten. Über vierzig Prozent der Ausgaben für Kultur entfallen derzeit auf die Elbphilharmonie. Damit wird die Kulturbehörde zur Geisel eines 500-Millionen-Euro-Grabes, das nach Fertigstellung bestenfalls eine luxuriöse Spielstätte für Megastars des internationalen Klassik- und Jazz-Tourneezirkus ist. Mal abgesehen davon, dass die Symbolwirkung der Elbphilharmonie nichts an sozialem Zynismus zu wünschen übrig lässt: Da lässt die Stadt ein „Leuchtturmprojekt“ bauen, das dem Geldadel ein Fünf-Sterne-Hotel sowie 47 exklusive Eigentumswohnungen zu bieten hat und dem gemeinen Volk nur eine zugige Aussichtsplattform übrig lässt. Was für ein Wahrzeichen!

Uns macht es die „Wachsende Stadt“ indessen zunehmend schwer, halbwegs bezahlbare Ateliers, Studio- und Probenräume zu finden, oder Clubs und Spielstätten zu betreiben, die nicht einzig und allein dem Diktat des Umsatzes verpflichtet sind. Genau deshalb finden wir: Das Gerede von den „pulsierenden Szenen“ steht am allerwenigsten einer Stadtpolitik zu, die die Antwort auf die Frage, was mit städtischem Grund und Boden geschehen soll, im Wesentlichen der Finanzbehörde überlässt. Wo immer eine Innenstadtlage zu Geld zu machen ist, wo immer ein Park zu verdichten, einem Grünstreifen ein Grundstück abzuringen oder eine Lücke zu schließen ist, wirft die Finanzbehörde die „Sahnelagen“ auf den Immobilienmarkt – zum Höchstgebot und mit einem Minimum an Auflagen. Was dabei entsteht, ist eine geschichts- und kulturlose Investoren-City in Stahl und Beton.

Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die Kleinegeile-Läden-Betreiber und Ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur „Stadt der Tiefgaragen“ (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und bespielbaren Platz gibt. Mittlerweile, liebe Standortpolitiker, habt ihr bemerkt, dass das zum Problem für euer Vorhaben wird. Doch eure Lösungsvorschläge bewegen sich tragischerweise kein Jota außerhalb der Logik der unternehmerischen Stadt. Eine frische Senatsdrucksache etwa kündigt an „die Zukunftspotenziale der Kreativwirtschaft durch Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu erschließen“. Eine „Kreativagentur“ soll zukünftig u.a. „Anlaufstelle für die Vermittlung von Immobilienangeboten“ sein. Wer sich die Mieten nicht leisten kann, muss sich als „künstlerischer Nachwuchs“ einsortieren lassen und bei der Kreativagentur um „temporäre Nutzung von Leerständen“ ersuchen. Dafür gibt es sogar einen Mietzuschuss, allerdings nur, wenn „die Dringlichkeit des Bedarfs und die Relevanz für den Kreativstandort Hamburg“ gegeben sind. Unmissverständlicher kann man nicht klarstellen, was „Kreativität“ hier zu sein hat: Nämlich ein Profi t Center für die „Wachsende Stadt“.

Und da sind wir nicht dabei. Wir wollen nämlich keine von Quartiersentwicklern strategisch platzierten „Kreativimmobilien“ und „Kreativhöfe“. Wir kommen aus besetzten Häusern, aus muffigen Proberaumbunkern, wir haben Clubs in feuchten Souterrains gemacht und in leerstehenden Kaufhäusern, unsere Ateliers lagen in aufgegebenen Verwaltungsgebäuden und wir zogen den unsanierten dem sanierten Altbau vor, weil die Miete billiger war. Wir haben in dieser Stadt immer Orte aufgesucht, die zeitweilig aus dem Markt gefallen waren – weil wir dort freier, autonomer, unabhängiger sein konnten. Wir wollen jetzt nicht helfen, sie in Wert zu setzen. Wir wollen die Frage „Wie wollen wir leben?“ nicht auf Stadtentwicklungs- Workshops diskutieren. Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik.

Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. Es geht darum, Orte zu erobern und zu verteidigen, die das Leben in dieser Stadt auch für die lebenswert machen, die nicht zur Zielgruppe der „Wachsenden Stadt“ gehören. Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein. Wir solidarisieren uns mit den Besetzern des Gängeviertels, mit der Frappant-Initiative gegen Ikea in Altona, mit dem Centro Sociale und der Roten Flora, mit den Initiativen gegen die Zerstörung der Grünstreifen am Isebek-Kanal und entlang der geplanten Moorburg-Trasse in Altona, mit No-BNQ in St. Pauli, mit dem Aktionsnetzwerk gegen Gentrifizierung und mit den vielen anderen Initiativen von Wilhelmsburg bis St. Georg, die sich der Stadt der Investoren entgegenstellen.

Ted Gaier, Melissa Logan, Rocko Schamoni, Peter Lohmeyer, Tino Hanekamp und Christoph Twickel  für die „Not in Our Name, Marke Hamburg“-Initiative

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Neuer Angriff der Werbefritzen: Flash Projection

Man kann Marketingfuzzis sicherlich nicht vorwerfen, dass sie per se keine Kreativität besäßen. Schade bloß, dass dieser Einfallsreichtum oft für etwas so Nutzloses, wenn nicht gar Schädliches wie Reklame verschwendet wird. Da werden selbst abgelegenste Stellen mit Reklame überzogen, es werden Botschaften an den Himmel geblasen, auf Pontons genagelt und vor vollbesetzten Stränden auf und ab gefahren. Interaktive Displays sollen mit potentiellen Kunden kommunizieren uvm. Über all solche Abstrusitäten und das generelle Verletzten der Privatsphäre durch die Werbetreibenden habe ich in meinem Blog ja auch schon das eine oder andere Mal berichtet.

Ganz neu ist nun die Idee einer deutschen Firma, die für eine allseits bekannte Autofirma eine neue Technik namens „Flash Projection“ einsetzt – am Ende eines Kinowerbespots wird mit Hilfe eines speziellen Blitzes eine Projektion auf der Netzhaut der Zuschauer erzeugt, so dass diese das Logo des Herstellers sehen, sobald sie ihre Augen schließen. Noch intrusiver geht es ja kaum noch – es scheint, als wären der Aufdringlichkeit der Kommerzpropaganda keine Grenzen gesetzt. Vielleicht am Schlimmsten ist, dass es sogar Leute gibt, die das total toll finden, so befeuert und manipuliert zu werden… Ich will den entsprechenden Spot hier nicht einbinden, weil ich keinen Bock habe, einer Automarke Platz einzuräumen, aber Ihr findet ihn bei YouTube >> hier entlang

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Fernsehtipp: Gegenangriff – Wirtschaft im Fadenkreuz der Kunst

Es gibt mal wieder was Tolles auf Arte zu bestaunen – die vierteilige Serie „Gegenangriff – Wirtschaft im Fadenkreuz der Kunst“, die leider schon läuft, aber zum Glück noch wiederholt wird (und zudem im Internet zu betrachten ist). Besonders spannend scheint mir Folge 3, „Konsum“ zu sein, die am 26.4. um 11:50 Uhr noch einmal ausgestrahlt wird:

Künstler erforschen das Territorium der Ökonomie. Die vierteilige Dokumentationsreihe “Gegenangriff” verbindet auf einzigartige Weise das Abenteuer Kunst mit einer Entdeckungsreise in das Territorium der Wirtschaft. Zum ersten Mal zeigt eine ARTE-Dokumentationsreihe Wirtschaft als Objekt von Kunst, statt Kunst als Objekt von Wirtschaft

Was bleibt von den Schlachtfeldern des Konsums?

Konsum ist das Glücksversprechen des Kapitalismus. Wer sind wir ohne Dinge, ohne Konsum? Was, wenn da nichts mehr ist: keine Dinge, keine Waren, keine Marken, keine Projektionsflächen? Der britische Künstler Michael Landy eröffnet neue Perspektiven auf das “Konsumparadies” mit einem radikalen Selbstexperiment.

Im Namen der Kunst zerstört er im Februar 2001 systematisch seinen gesamten Besitz. Landy stellt ein Inventar seines Lebens auf: mehr als 7.000 Objekte, von der Geburtsurkunde bis zum Schaffellmantel seines Vaters, werden in ihre Einzelteile zerlegt und pulverisiert. Titel der in einem Video dokumentierten Aktion: Breakdown. Die Vernichtungsaktion wird für Landy zur Befreiung auf Zeit aus einem System, das nicht aufhört, sich selbst zu reproduzieren. Sie ist eine Reflektion über die verborgene Beziehung zwischen Individuum, Besitz und Identität. Eine Meditation über Wert und Wesen der Dinge und den Kern unseres heutigen Konsums.

Nach einem Jahrzehnt spricht Landy über die Prozesse der Zerstörung seines materiellen Lebens, die zu einer zweijährigen Schaffenspause führten. Ein Film über Paradies und Hölle des Konsums, über Schöpfung und das Nichts.

“Gegenangriff” fordert auf zur radikalen Selbstbefragung: Was kaufen wir, wenn wir kaufen? Wer bin ich ohne die Dinge, die ich besitze? Wer bin ich ohne Konsum?

Die vierteilige Dokumentationsreihe stellt vier zeitgenössische Künstler vor, die auf unorthodoxe Weise unser Wirtschaftssystem erkunden: vier Grenzgänger. Einen Italiener, der Geld zu Kunst verdaut, einen Klangkünstler, der die Dynamik des Finanzmarkts in Sound transformiert, einen Briten, der in einem Selbstexperiment seinen gesamten Besitz zerstört, eine Fotografin, die über Jahrzehnte den Habitus der ökonomischen Elite dokumentiert. Die Resultate reichen von humorvoller Subversion, akribischer Investigation, existentiellem Selbstexperiment, bis zu einfühlender Dokumentation.

Mit ihren ungewöhnlichen Werken loten sie Fragen aus, die uns alle angehen: von Geld und Tausch, Börse und Spekulation, Konsum und Besitz, Armut und Reichtum. Wie funktioniert Geld? Was kaufen wir, wenn wir kaufen? Wer sind wir ohne Dinge? Warum wächst die Kluft zwischen Arm und Reich? Mit außergewöhnlichen Mitteln führt uns die Kunst vor Augen, aus welchen stillschweigenden Annahmen das Wirtschaftsgeschehen im 21. Jahrhundert seine Kraft bezieht. “Gegenangriff – Wirtschaft im Fadenkreuz der Kunst” eröffnet überraschende Perspektiven auf die Welt der Ökonomie.

Sendetermine der vier Folgen:
Geld – 19.4., 11:40 Uhr
Spekulation – 28.4. 11:45 Uhr
Konsum – 26.4. 11:50 Uhr
Ungleichheit – 24.4. 23:35 Uhr

Und wenn Ihr schon mal bei Arte seid, könnt Ihr ja heute, am Dienstag, auch gleich noch diese Sendung um 20:15 vormerken:

Die Dokumentation „Dritte Welt im Ausverkauf“ erzählt, wie die Nahrungs- und Finanzkrise 2008 zu einem unfassbaren Wettlauf um die Kontrolle von Agrarflächen rund um den Globus geführt haben (anhand von Beispielen aus Äthiopien, Indien, Saudi Arabien und Latein Amerika). Mehr als fünfzig Millionen Hektar Land wurden bereits verkauft. Industrielle, Finanzinvestoren und sogar Regierungen produzieren nun in ärmeren Ländern. Doch diese Staaten schaffen es häufig noch nicht einmal, ihre eigene Bevölkerung zu ernähren…

Gleichzeitig wird diese Dokumentation um 20h15 auf http://planete-a-vendre.arte.tv/de/ mit realtime Informationen von Twitter, Flickr, Google News und Wikipedia über das Thema gezeigt. Es ist unter Mozilla Firefox zu sehen.

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Recherchen zur käuflichen Presse – Schleichwerbung auf dem Vormarsch

Reklame hat ja bekanntlich viele negative Auswirkungen auf Pressefreiheit und Gesellschaft – wie ich auch schon in meiner kleinen Serie „Werbung schadet“ vor einiger Zeit darstellte, gibt es nicht zuletzt auch den Einfluss auf reklamefinanzierte Medien, die aus Rücksicht auf Werbekunden pfleglich mit gewissen Unternehmen umspringen. Das NDR-Medienmagazin ZAPP berichtete nun über die Undercover-Recherche eines taz-Redakteurs zu diesem Thema – also ob Zeitungen sich in ihren Inhalten an die Wünsche von potentiellen Kunden anpassen oder Werbung als solche deutlich kennzeichnen. Die Ergebnisse sind teilweise erfreulich (weil es durchaus einige Medien gibt, die solche Vorgehensweisen strikt ablehnen), andererseits auch ernüchternd, weil sich eben auch diverse Medien gerne dazu bereit erklärten, bei solchen undurchschaubaren Deals mitzumischen. „Undercover: Recherchen zur käuflichen Presse“:

Reklame – schalten Sie da auch immer ab? Oder überlesen Werbeanzeige einfach? Für Unternehmen ist das bedauerlich. Schließlich wollen die Ihnen was verkaufen. Und finden dafür auch tatsächlich immer wieder Mittel und Wege. Einer führt direkt in die Redaktionen. Eigentlich sollen PR und journalistische Inhalte dort streng getrennt werden, doch das ist nicht immer der Fall. ZAPP über journalistische Mogelpackungen und gekaufte Inhalte.

Er hat aufgedeckt, was eigentlich kein Zeitungsleser erfahren soll. Der “taz”-Redakteur Sebastian Heiser hat ein heimliches Geschäft offen gelegt. Seine verdeckten Aufnahmen zeigen, wie bereitwillig sich manche Zeitung kaufen lässt.

Bei der “Frankfurter Rundschau” hieß es demnach: “Im Prinzip sind wir für alles offen. Wenn Sie heute mit dem Thema kommen Solarenergie, dann machen wir halt nächste Woche das Thema Solarenergie.” (…)

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Dauerwerbesendung als Programm – RTL und der „Undercover Boss“

© nkzs, stock.xchng

Einer der Gründe, wieso ich seit langem kein Privatfernsehen mehr schaue, ist (neben dem miesen, langweiligen Programm und dem kranken Menschenbild, das dort gerne propagiert wird) die komplette Durchkommerzialisierung des Angebots. Neben der „normalen“ Reklame, vor der man wenigstens meist durch Einblendungen und Jingles gewarnt wird, sind viele Sendungen durchsetzt mit Product Placement und unseligen Verquickungen und Verstrickungen mir Marken und Unternehmen. Als Beispiel sei hier nur „Germany’s Next Topf-Modell“ genannt, über dessen plump-abstoßenden Kommerzfaktor ich bereits HIER ein wenig referiert habe.

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Wissensbasis: Sexy Ware – Wie aktuell ist Konsumkritik?

© iprole, stock.xchng

Heute möchte ich Euch mal nur einen einzigen Artikel als Lesetipp an die Hand geben – da ich ihn für einen grundsätzlich wichtigen halte, wird er auch in die Wissensbasis aufgenommen und hier noch mal explizit empfohlen. Es geht um „Sexy Ware: Wie aktuell ist Konsumkritik?“ von Christian Leder, der vor einiger Zeit im Schweizer Soziologie.ch-Magazin erschien. Das Magazin wird zwar nicht mehr weitergeführt, aber freundlicherweise existieren alle Artikel noch im Online-Archiv. So auch dieser, der einer ganzen Reihe grundlegender Fragen (auch vor durchaus wissenschaftlichem Hintergrund) nachgeht und zur Diskussion stellt, inwieweit Konsumkritik in Zeiten der Spaß- und Eventgesellschaft noch angemessen ist bzw, ob sie nicht gerade heute aktueller denn je ist. Hier ein paar Auszüge aus dem Text, ich empfehle wie gesagt die komplette Lektüre:

(…) Die Ware, ein “Fetisch”. In Vernachlässigung der Bedeutung von “Fetisch” als etwas Mythischem verwenden wir den Begriff heute vornehmlich in einem sexuellen Zusammenhang. Irgendwie denken wir bei “Fetisch” doch sofort an “Lack und Leder”, an unkonventionelle sexuelle Vorlieben, an die niederen Triebe. Einmal davon abgesehen, dass die massenmediale Werbung oft genau an jene sexuellen Lüste appelliert, nimmt unsere Beziehung zu Konsumprodukten tatsächlich oft eine dem sexuellen Verlangen ähnliche Gestalt an. Das dringende Verlangen, jetzt dieses oder jenes Produkt zu haben. Die Fixierung auf ein Produkt, von dessen Besitz man sich Stimulierung verspricht. Die Überzeugung, das Innehaben jenes Tops, jenes mp3-Players oder jener Tasche würde einen mit tiefem Glück erfüllen – und stellen wir nach dem Kauf nicht regelmässig etwas wie eine Ernüchterung, eine postkoitale Tristesse fest? Der orgiastische Kaufrausch endet – wie wohl jeder Rausch in einer Depression endet – in Ernüchterung. Bei Feststellung dieser Verwandtschaft des Kaufrausches zum Sexuellen und Mythischen sollten wir uns, die wir Webers Terminus der “Entzauberung” kennen, fragen, ob die Entzauberung der Natur unser mythisches Bedürfnis auf die Warenwelt verschiebt. Ob wir, da wir unsere Sehnsüchte nicht länger auf die Natur projizieren, einen Ersatz suchen – und ihn im Konsumprodukt finden.

Käuflichkeit des Glücks

Was die Warenwelt als Objekt der Projektion unserer Sehnsüchte so attraktiv macht ist, dass man die Waren grundsätzlich alle kaufen kann. Ganz egal was einer ist und was einer macht: hat er das nötige Geld, kann er sich seinen Wunsch erfüllen. Diese Demokratisierung des materiellen Wohlstandes wurde von liberaler Seite oft hervorgehoben und der sogenannt Amerikanische Traum, die theoretische Möglichkeit vertikaler Mobilität, wurde als Antrieb wirtschaftlichen Handelns postuliert. Dieses Argument unterstellt eine Gleichsetzung der Demokratisierung des Wohlstandes mit einer Demokratisierung des Glücks. Man schreibt den materiellen Gütern die mythische Fähigkeit zu, uns glücklich zu machen. Unter diesen Vorzeichen wird die Arbeit zu einem blossen Mittel zum Zwecke des Erwerbs. Und tatsächlich ist unsere Lebensweise zutiefst geprägt von der wirtschaftlichen Doppelrolle, der Aufspaltung in Arbeiter und Konsumenten. Wir nehmen die Mühen der Arbeit auf uns, um uns nach Feierabend vergnügen und uns dabei selbst finden zu können. (…)(…) Wir sind kein Volk von Arbeitern und Künstlern sondern von Arbeitern und Konsumenten. Vor dreissig bis vierzig Jahren hätte eine solche Haltung gegenüber dem Konsum grosses Gehör gefunden. Heute spricht man im Feuilleton grösstenteils unkritisch von der “Erlebnisgesellschaft”, der “Freizeitgesellschaft” und der “Spassgesellschaft”. Wer heute von “Konsumterror” spricht wird als unzeitgemässer Marxist belächelt. Der Soziologie fällt es immer schwerer, einen kritischen Anspruch zu bewahren. Die Institutionen der Kritik haben sich von der Gesellschaftstheorie gelöst und sind selbständig geworden. Sie machen uns auf die aktuellen Probleme aufmerksam: auf die Umweltverschmutzung, auf die weltweit gesehen massiv ungerechte Verteilung der Ressourcen und des materiellen Wohlstandes, auf Hunger, Krankheit und Tod jenseits unseres Kontinents, auf die Kluft zwischen Armen und Reichen. Alles Probleme, die mit dem Konsum zusammenhängen. Eine Kritik, die am Konsum ansetzt, vertraut auf die Einsicht des Einzelnen. Sie ist dem aufklärerischen Ideal verpflichtet, dass jede/r Einzelne sich ihrer/seiner Verantwortung bewusst wird und sich fragt, ob sie/er damit einverstanden ist, wie es ist. Die Konsumkritik vertraut auf die praktische Vernunft – und unterscheidet sich dadurch vom Marxismus, der die einzige Lösung in der Beseitigung des “falschen Bewusstseins”, in der Revolution sieht.

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Die Durchkommerzialisierung der digitalen Welt – Teil 2: Apple

© michaelaw, stock.xchng

Nachdem ich im ersten Teil meiner kleinen Serie über die Kommodifizierung und Konzernisierung der digitalen Medien (vor allem des Internets) Facebook und seine Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir mit dem Web umgehen, beleuchtet habe, ist heute ein anderer großer „Player“ an der Reihe – Apple. Apple sorgt in anderer Form dafür, dass sich das digitale Nutzungsverhalten der Menschen ändern kann und dem Kommerz Vorschub geleistet wird, denn das Unternehmen bringt mit dem iPhone und dem iPad Geräte auf den Markt, die proprietäre Software benutzen und bei denen Apple versucht, den Daumen auf die Datenströme zu haben. Dies könnte in letzter Konsequent eine Beschneidung der Meinungsfreiheit bedeuten, wie in den letzten Monaten in diversen Medien kritisiert wurde. Ein Beispiel für skeptische Berichte ist „Wenn Apple zensiert“ im Medien-Monitor:

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