Die „Finanzkrise“ – nun also doch eine Systemkrise?

Tja, nun ist aus dem, was Politik und Medien uns letztes Jahr noch als reine „Finanzkrise“ verkauft haben, inzwischen dann doch eine ausgewachsene Wirtschafts-, wenn nicht gar Weltwirtschaftskrise geworden. Fast täglich hört man in den Nachrichten von Firmen, die die schlechte Auftragslage durch Kurzarbeit ihrer Mitarbeiter abzufedern versuchen, oder die wie im Falle der deutschen Renommiermarken Märklin oder Schiesser gleich ganz Konkurs anmelden. Und dennoch habe zumindest ich immer noch den Eindruck, das eigentlich alles bei uns seinen gewohnten Gang geht. In meinem Umfeld ist niemand direkt betroffen, die Regale sind voll, die Straßen ebenfalls, das Einzige, was ich von der Krise gehört habe, waren zwei Äußerungen von zwei Bekannten – der eine war unlängst in Kalifornien, wo man die Angst der Menschen wohl selbst als Außenstehender richtig spüren soll, der andere in der Türkei, wo die Wirtschaft massiv zu schwächeln beginnt. Und in Deutschland? Da hat „unsere“ Regierung ja scheinbar alles im Griff, so viel Aktionismus, wie sie verbreitet, und wenn man sieht, wie sehr sie um die Autoindustrie und die Banken bemüht ist.

Bennett editorial cartoon

© Chattanooga Times Free Press / Bennett

Und man hört sogar schon die ersten Optimisten (wie unseren Neuwirtschaftsminister von und zu Guttenberg), dass im Frühjahr, spätestens im Herbst (2009!) der Abschwung wieder vorbei sein solle und es danach mit dem „Aufschwung“ (den es de facto ja nie gab; jedenfalls kam er bei den meisten Menschen nicht wirklich an) weiter gehen wird, wie wir es gewohnt sind – also alles halb so schlimm? Ich glaube nicht. Tatsächlich fand sich in den vergangenen Wochen eine Vielzahl von kritischen Stimmen und Analysen sowohl im Internet wie auch erstaunlicherweise in der bislang eher zurückhaltenden Mainstreampresse.

Vor gut zwei Wochen forderte Die Zeit in „Jetzt mal ehrlich“ (bezeichnenderweise unter der Rubrik „Ratlosigkeit“!) zu einer schonungsloseren Sicht auf die Lage auf und sprach sich für ein Ende des Schönredens und Verdrängens aus, das die Politik im großen Stil betreibt.

Am 8. Oktober 2008 war die Krise noch jung, man möchte fast sagen: unschuldig. An jenem Mittwochabend luden die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister die Chefs der wichtigsten Zeitungen ins Kanzleramt, um ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Die lautete: Wir wissen zwar nicht genau, was in zwei oder drei Wochen ist, aber würden doch sehr herzlich um Ihr Vertrauen bitten und vor allem darum, dass Sie keine schlechte Stimmung machen, denn dazu ist die Lage zu ernst.

Die beiden trugen ihr Ansinnen auf beinahe schüchterne Weise vor, wahrscheinlich wussten sie, wie brüchig ihr Konzept war: den Banken einen Schirm aufspannen, ein kleines Konjunkturprogramm auflegen und den Menschen keine Angst machen, auf dass sie schön einkaufen gehen. Funktioniert hat immerhin das Letzte: Die Deutschen blieben cool und kauften zu Weihnachten wie üblich viel mehr, als sie brauchten. Ob das nun an den Zeitungen lag, sei dahingestellt, doch konnte man damals an die patriarchalische Vision glauben, dass die Eliten dem Volk nicht alles sagen – um es, mit Scheuklappen versehen, rasch durch die Krise zu führen.

901054_haus-restaurantUnd die folgenden, sehr spannenden Absätze, sind überschrieben mit:

1. Die Krise ist ohne Beispiel
2. Das Ende ist noch lange nicht in Sicht
3. Die Krise entwickelt sich schneller, als die Politik reagieren kann
4. Die erste Ursache ist nicht die ganze Lösung
5. Denen, die sich besonders sicher sind, kann man am wenigsten trauen
6. Die Krise wird immer größer, die Politik wird immer kleiner
7. Die Politik hat dem Volk nichts zu sagen
8. Die Krise erzeugt neue Krisen

Auch wenn dieser Artikel vielleicht ein wenig zu sehr (durchaus berechtigtes) Politiker-Bashing betreibt, so ist es doch bemerkenswert, wie weit die Autoren damit von der von der Regierung erbetenen Linie abzuweichen beginnen. als-ob-leben? kommentiert diesen Text in „Krisennews Spezial – Erster Klartext im Mainstream“:

das ganze lässt sich natürlich auch als versuch betrachten, mittels “neuer” aufrichtigkeit so etwas wie vertrauen in der herde zu erzeugen – ich verstehe den artikel jedoch persönlich v.a. als zeichen dafür, spätestens jetzt die sicherheitsgurte anzulegen und den helm aufzusetzen – die finale crashfahrt hat begonnen.

Ich kann Euch die Beitragsserie „krisennews und -gedanken“ dieses Blogs generell nur empfehlen, denn der Autor vermittelt darin ein vielfacettiges Bild von den derzeit um uns herum brodelnden Krisenherden, von denen wir aus der Tagesschau nur mal so am Rande, schlaglichtartig erfahren. In der letzten Folge (23) vom Sonntag, ging es beispielsweise u.a. um die Proteste in Italien und Frankreich. Eher grundlegender Natur ist „Es gibt Systemkrise, Baby“, in dem der Bogen von den reinen, direkt zu beobachtenden Symptomen, hin zu einer grundlegenden In-Frage-Stellung des Wirtschaftssystems, das diese Zustände hervorgerufen hat, geschlagen wird.

so bin (nicht nur) ich bekanntlich zb. der meinung, dass selbst dann, wenn die derzeit praktizierte ökonomie aktuell auf welchen wegen auch immer nochmals unter enormen aufwand in eine richtung des wachstums gezwungen werden sollte, die nächsten strukturellen krisen unmittelbar eintreten würden – und als erstes würde peak oil bzw. die folgen des peaks dafür sorgen, dass ein sog. aufschwung sehr sehr schnell wieder aufgrund rasant steigender energiepreise zum rohrkrepierer wird. aber das ist nur ein punkt, den ich v.a. deswegen immer wieder erwähne, weil er mir ansonsten überall zu kurz kommt. mittlerweile kommt die diagnose einer ausgewachsenen systemkrise jedoch aus immer mehr ecken, und es werden weitere – reale und halluzinierte – gründe genannt, mit denen sich eine nähere beschäftigung lohnt.

economist_cover_oh_fuck_september_3Ein weiteres Beispiel für eine eher konservative Zeitung, die sich nun plötzlich mit der Realität auseinanderzusetzen beginnt (zaghaft) ist die Financial Times Deutschland. In seiner Kolumne „Zeit für eine Bad-Ideas-Bank“ schreibt Thomas Fricke für einen Wirtschaftsjournalisten doch sehr Erstaunliches:

Das globale wirtschaftliche Desaster stürzt die Wirtschaftswissenschaft in eine Legitimationskrise – was das Gros der Betroffenen noch nicht merkt. Die Branche braucht eine ganz neue Generation von Ökonomen.

(…) “Wir sind eine Wissenschaft, die arrogant auftritt, aber gar keinen Grund hat, arrogant zu sein”, urteilte kürzlich Harvard-Ökonom Dani Rodrik. “In der Finanzkrise ist der Anspruch der Ökonomen erloschen, eine Wissenschaft zu sein”, polterte Moisés Naím*, Chef der Zeitschrift “Foreign Policy”, beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Umfragen in der Bevölkerung ergeben derzeit Ähnliches. “Die meisten von uns sind ziemlich ratlos”, räumt Friedrich Schneider, Chef der Vereinigung deutschsprachiger Ökonomen, ein: “Wir sind in der Krise.”

Das Problem liegt weniger darin, dass keiner die Lehman-Pleite vorhergesagt hat (sonst hätte es sie wahrscheinlich nicht gegeben). Die aktuelle Finanzkrise reißt ganze Glaubenssätze mit: dass Märkte am besten funktionieren und eigene Fehler glimpflich korrigieren. “Diese Annahme ist gescheitert”, sagt Nobelpreisträger Edmund Phelps. “Der Marktfundamentalismus war ein Fehler”, so Ken Rosen von der University of California – ein Standardsatz, dem in Davos 2009 niemand mehr widersprach.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Feature des ARD-Wirtschaftsmagazins PlusminusKrisenbekämpfung – Wachsende Schuldenberge“ – nicht, weil dort die beiden „Experten“ Prof. Max Otte und Dr. Marc Faber auf die (amerikanische) Notenbankpolitik der letzten Jahre schimpfen, sondern wegen der Implikationen, die man aus diesen Zeilen ablesen kann:

Vor allem Alan Greenspan, der einst so verehrte Chef der US-Notenbank, hat während seiner Amtszeit jede Rezession mit sehr viel billigem Geld bekämpft, das er durch Zinssenkungen in den Markt pumpte. Dass Politik und Notenbanken den aktuellen Crash mit eben diesem Mittel bekämpfen, hält er in der gegenwärtigen Situation zwar für alternativlos, langfristig aber für verheerend: „So wie Politik und Notenbanken auf die Krise reagieren, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir uns die nächste Blase schon wieder aufbauen, und die wird genauso groß, wenn nicht sogar noch größer als die gegenwärtige“, so der Wirtschaftswissenschaftler.

Eine sehr gute und wie ich finde zutreffende und fundierte Analyse der Gründe, die zu dieser Krise geführt haben, liefert Lothar Galow-Bergemann in der Zeitschrift krisis – „Krisengeflüster – wahre und falsche Ursachen der Finanzkrise“. Es lohnt sich, diesen etwas längeren Vortrag in Gänze durchzulesen, denn er stellt die ganze Problematik gut auf eine breitere Basis als das bloße Finanzsystem und räumt auch mit einigen vereinfachenden, ablenkenden Erklärungsversuchen („alles nur Schuld der dummen amerikanischen Häuslebauer“, „diese gierigen Banker!“ usw.) auf.

Wenn es nur eine Krise wäre, die diese globalisierte Wirtschaftsordnung der Menschheit beschert, so könnte man fast noch von Glück reden. Aber es sind derer mindestens gleich fünf: – die Hunger- und Ernährungskrise – die Energiekrise – die Umwelt- und Klimakrise – die staatliche Zerfallskrise in großen Teilen der Welt – und die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise. Alle diese Krisen sind miteinander verwoben und bilden gemeinsam eine Art globaler Hyperkrise, die – und das ist leider nicht übertrieben – möglicherweise dazu führen wird, dass sich die Menschheit selber vernichtet und einen Großteil der Natur gleich mit. Nur wer mit ideologischen Scheuklappen à la Guido Westerwelle oder Friedrich Merz herumläuft, kann davor noch die Augen verschließen.

(…) Der erste Strickfehler (der kapitalistischen Wirtschaft): Sie funktioniert nur, wenn sie ewig wachsen kann. Jedes Kind weiß zwar, dass so etwas auf Dauer schief gehen muss. Aber trotzdem ist das ewige Wirtschaftswachstum die heilige Kuh dieser Gesellschaft. Kommt das Wachstum ins Stottern, geht es gar zurück, jammern Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kommunalpolitiker und Zeitungskommentatoren unisono, denn dann geht es unweigerlich an die Profite, an die Arbeitsplätze, an die Steuereinnahmen, kurz an die Grundlagen von Wirtschaft und Staat.

(…) Denn – und das ist gewissermaßen das „Sahnehäubchen“ auf der globalen Hyperkrise: Personalisierte und regressive ideologische Krisenverarbeitung in den Köpfen fördert das Umsichgreifen des Ressentiments und die Gefahr, dass extrem menschenfeindliche und reaktionäre Bewegungen entstehen, die sich zusammenphantasieren, die Krise könne mittels der Vernichtung der von ihnen ausgemachten Bösewichte überwunden werden. Dieser Wahn verschärft dann das Krisenpotential noch einmal deutlich und die Lage wird noch explosiver.

Abschließend noch zwei passende Sichtweisen zus der Blogwelt – zum einen von Feynsinn, der die „Psychologie des Neoliberalismus“ sehr treffend analysiert und klar macht, dass eine der Krisenursachen eben auch in dieser Ideologie zu suchen ist.

Die letzte Schlacht einer realitätsblinden Strategie ist ebenso konsequent wie tragisch. Diese war von vornherein darauf angelegt, sich gegen jede Kritik abzuschotten und jedes Opfer hinzunehmen. Der Neoliberalismus kann sich nicht anders denken als alternativlos. Die Verhöhnung und Beschuldigung der Verlierer, das Zusammenrücken derer, die sich als “Elite” betrachten, das Hinnehmen jeder schreienden Ungerechtigkeit auf dem Weg in den Abgrund waren Programm.

Auch Claudia Klinger befasste sich in ihrem Blog digital diary mit der Krise: „Finanzkrise ungelöst: Das KOAN des Kapitalismus“ – ihr schönes Zitat soll diesen Beitrag beschließen:

Das ungelöste Finanzproblem erscheint mir zunehmend als ein KOAN des Kapitalismus, da es system-immanent unlösbar erscheint. “Ein Koan ist ein Zen-Rätsel, dessen Lösung zur unmittelbaren Erfahrung der Erleuchtung führt, weil die Grenzen des logischen Denkens durchbrochen werden müssen. Diese Zen-Technik ist bereits Jahrhunderte lang erprobt und bewährt, erfordert jedoch absolutes Loslassenkönnen von herkömmlichen Denkstrukturen, was meist nur unter großem psychischen Einsatz gelingt.”

Nachtrag: den Artikel von Friedrich Krotz „Die Wurzeln der Krise: Der Kapitalismus ruiniert sich selbst“, der am 18.2. in der taz erschien, kann ich auch nur zur Lektüre empfehlen!

Was also ist die Krise? Das Bankensystem hat sich selbst ruiniert, aber nicht weil es die Regeln des Kapitalismus verletzt hat, sondern weil es sie konsequent befolgt hat: Ziel war und ist nichts als Gewinn, soziale Verantwortung oder Ethik hin oder her. Ebenso wie der Staatssozialismus an sich selbst erstickt ist, haben sich die Banken damit in einem Meer von Geld selbst ertränkt und sich gegenseitig in die Pleite getrieben.

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Die Yes Men schlagen in Berlin zu und stellen ihren neuen Film „The Yes Men Fix The World“ vor

Die Yes Men, die profiliertesten Culture Jammer der Jetztzeit, die letztes Jahr für Furore mit ihrer Parodie der New York Times sorgten sind wieder da – und wie! Auf der Berlinale lief gerade ihr neuer Film „The Yes Men Fix The World” an (offizieller Kinostart in Deutschland ist der 19. Februar), in dem sie sich diesmal, wie die Frankfurter Rundschau berichtet, „die freundlichen Konzerne von nebenan, also Exxon, Halliburton oder die Profiteure der Hurrican-Katastrophe von New Orleans“ vorknöpfen. Anlässlich einer Berlinale-Charity-Veranstaltung, die von BMW gesponsort wurde, haben sich die Aktivisten sogleich an eine neue Aktion gemacht – sie sind zwischen den Absperrungen hindurch auf den roten Teppich gestiegen, ließen ihre Kostüme zu beachtlicher Kugelgröße aufblasen und standen mehrere Minuten lang allen geladenen Prominenten im Weg herum. Ihr Anliegen: sie wollten erst wieder gehen, wenn BMW aufhört, Autos zu produzieren, denn deren Sponsoring einer Charity-Aktion sei lediglich Greenwashing. Sie wurden schließlich von den Sicherheitskräften gewaltsam entfernt. Es ist immer wieder erstaunlich, was sich die Yes Men so alles trauen, die scheinen ziemlich schmerzbefreit zu sein, Respekt! Von alledem gibt es ein schönes Youtube-Video:

[via De-Branding]

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Weise Worte (5)

„Wir können uns eine Zukunft, die aussieht wie die Vergangenheit, nicht leisten.“
US-Pulitzer-Preisträger Thomas L. Friedman zur aktuellen „Finanzkrise“

[via]

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Nachtrag zu Discountern, Teil 2: Interview mit dem Südwind-Institut

Der Mein Leben als Kunde-Blog hat am Freitag ein Interview mit Ingeborg Wick geführt, die als Autorin für die neue Südwind-Studie über die beschämenden Arbeitsbedingungen bei chinesischen Aldi-Zulieferbetrieben verantwortlich ist. Lest Euch dieses Interview mal durch, ich finde es sehr interessant, auch was z.B. die möglichen Preiskonsequenzen angeht, die eine Verdopplung der Löhne der Arbeiterinnen zur Folge hätte.

„Wir haben ähnliche Fallstudien wie nun bei Aldi auch schon bei Adidas, Otto, Karstadt, C&A, Puma gemacht. Wir wollen aber klarmachen, dass mit dem Prinzip des Discounters eine weitere Verschärfung des Wettbewerbs eintritt.“

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Wem gehört Deutschland?

Im Jahre 2002 sendete die ARD-Sendung Panorama diesen Bericht zur Frage: „Wem gehört Deutschland?“, der verdeutlicht, wer zu den Profiteuren der steigenden Staatsverschuldung gehört, nämlich die großen Bankinstitute. An Aktualität hat dieser Beitrag (leider) seitdem nichts verloren – im Gegenteil: man darf sogar konstatieren, dass er vor dem Hintergrund der Rettungsbillionen, die in das marode Finanzsystem gepumpt werden, eher noch an Brisanz gewinnt. [via]

Die Banken, bei denen sich der Staat (und damit wir alle) so verschuldet hat, bekommen nun in der „Finanzkrise” Geld vom Staat, das dieser sich wiederum von den Banken leihen muss. Absurd… aber natürlich sehr einträglich für die Banken! Wie stellte Henry Ford bereits um 1920 so treffend fest:

„Es ist gut, dass die Bürger der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen, denn wenn sie es würden, glaube ich, gäbe es eine Revolution vor morgen früh.“

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society conspiracy – das Spiel

2904Schon im Sommer 2004, also vor mittlerweile annähernd 5 Jahren, hob Norbert Rost in seinem Feldpolitik-Blog das „Spiel“ society conspiracy aus der Taufe. Bei diesem „Spiel“ dreht sich alles darum, das alltägliche Streben nach einer besseren Welt, danach, andere Menschen davon zu animieren, etwas weniger ignorant durchs Leben zu gehen oder lästigen Konzernen oder Reklamekampagnen Einhalt zu gebieten, neu zu definieren, nämlich als Teil eines (lebenslangen) Spiels mit selbst verfassten Regeln und Zielen. Das Ganze ist etwas schwer zu beschreiben ist, deshalb empfehle ich einfach mal, sich den Originalartikel in Gänze durchzulesen, da ich ihn wirklich sehr anregend finde. Übrigens, auch dieser Beitrag von mir ist von nun an ein Teil des Spiels… :-)

Das Konzept. society conspiracy ist ein Erlebnis-Spiel. Es findet in derselben Gesellschaft statt, in der du dich sowieso aufhältst. Das Spiel erweitert dein Tun aber um eine Ebene – du ziehst nicht nur dein Leben durch, nein du spielst nebenbei auch society conspiracy. Als Mitspieler verbreitest du rote Pillen, redest zweideutige Dinge, konfrontierst, provozierst, protestierst. Natürlich heimlich und geheimnisvoll, lieber leise als laut. Und immer mit einem Lächeln auf den Lippen. Humor ist eine Waffe. Verwirrung dein Ziel. Das Denken des Gegenübers zu provozieren, ihn mit roten Pillen aus der vorgegeben Bahn zu bringen kann erhellend sein. Und befreiend.

(…) Alleine spielt sichs immer einsam. Versuche herauszufinden, auf welchem Wege du Mitspieler findest, die nicht vom Spielmechanismus gesteuert werden oder wie es möglich ist, mechanische Spielfiguren zu coolen Mitspielern mutieren zu lassen. Zusammen werdet ihr wissen, wie es weitergeht.

Norberts Spiel ist übrigens eine gelungene Verdeutlichung, worum es beim so genannten „Meme Warfare“ geht, einer der Grundlagen, auf denen Culture Jamming und generelle Subversion beruhen. Dieses wichtige und erhellende Konzept werde ich demnächst in einem gesonderten Beitrag noch etwas ausführlicher erläutern.

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Werbung gegen Realität, Teil 11: Katzen würden (kein) Whiskas kaufen

dosenfutter_2Wer kennt sie nicht, die markigen Sprüche „Katzen würden Whiskas kaufen“, „Ein ganzer Kerl Dank Chappi“ oder die süßlich-schleimige TV-Reklame, in der eine Tierhalterin ihrer Katze eine Dose Fertigfutter öffnet, mit einem Petersilieblättchen verfeinert und das Tier daraufhin in schnurrende Ekstase verfällt (ich verlinke hier generell nicht auf Original-Reklame, um die Spots nicht unnötig noch bekannter zu machen als sie eh schon sind)? Die Botschaft ist klar: dieses Zeug ist so lecker, das hätten die Werbeleute am Set am liebsten selbst gegessen! Natürlich ist es auch extrem gesund, denn Katzen wissen schließlich am besten, was gut für sie ist. Und gerade, weil so große Konzerne dahinter stehen, wird die Qualität ja wohl unbestritten sein, denn das Futter wird doch „von führenden Züchtern empfohlen”! (Es sind übrigens nur sehr wenige Firmen, die sich diesen Markt teilen, auch wenn sie ihren Produkten verschiedene Namen geben, um eine größere Vielfalt zu suggerieren. Marktführer Effem produziert u.a. Whiskas, Sheba, Brekkies und Chappi; Mars z.B. Kitekat, Cesar, Pedigree und Frolic; dazu gibt es dann natürlich noch eine Reihe von Billigprodukten anderer Hersteller und Supermarktketten.)

Auf der Seite Cat Care der Tierhilfe Kassel wird Klartext geredet über das von den Marketingfuzzis in so hohen Tönen angepriesene, angeblich so unheimlich leckere und gesunde Dosenfutter – „Katzen würden Mäuse kaufen. Was ist drin im Katzenfutter?“. Tatsächlich sollte sich auch in diesem Falle niemand der Illusion hingeben, dass vollmundige bunte Werbeversprechungen irgend etwas mit der Realität zu tun hätten, denn in Wirklichkeit kauft der Tierfreund im Supermarkt oft nur schamlos überteuerte und mit Zusatzstoffen „hochgepimpte“ Abfälle! Selten ist das Missverhältnis von schillernder Reklamewelt zum eigentlichen Produkt so krass wie hier.

Wenn man sich aber mal eine Dose Katzenfutter einer x-beliebigen Firma ansieht, ist man sehr erstaunt, darin so ziemlich alles zu finden – nur fast kein Fleisch!

Was ist eigentlich in der Dose?

Los geht es meist mit „Fleisch und tierischen Nebenerzeugnissen”. Das ist nichts anderes als: billige Schlachtabfälle, zerkleinertes Fell, Knochen, Federn, Schnäbel, Wolle, Urin und etliches mehr. Auch wenn die Katze in der Natur die ganze Maus frisst, ist das Verhältnis der einzelnen tierischen Bestandteile in der Dose nicht ausgeglichen und die Qualität des verwendeten Fleisches nicht sehr hoch, weil das für den Hersteller viel zu teuer wäre. Generell kann man sagen, dass der Fleischanteil daran immer sehr gering ist, und die “4% Huhn, Kaninchen etc.” bedeuten nichts anderes, als dass von diesen Abfällen 4% von entsprechendem Tier stammen. Diese Abfälle sind für den menschlichen Verzehr nicht zugelassen, und fallen deshalb auch nicht unter die Bestimmungen der Lebensmittelindustrie. Nicht alle verwendeten Kadaver sind frisch, und außerdem werden natürlich auch kranke Tiere verarbeitet, so dass sich u.a. auch karzinogenes Gewebe in den Dosen befindet. Nicht sehr appetitlich und auch nicht sehr gesund!
Normalerweise würde eine Katze dieses Zeug nicht anrühren, aber die zugesetzten Fette (Abfallfette, z.B. altes Bratfett), die Geschmacks- und Konservierungsstoffe und der zugesetzte Zucker lassen die Katze ihren Ekel vergessen.

(…) Zum Schluss findet man noch eine besondere Überraschung in der Dose: Zucker! Dieser schädigt nachweislich den Organismus der Katze und verursacht Zahn- und manchmal auch Bauspeicheldrüsenprobleme.

Verdummung im Supermarkt
katzeLeider werden die Tierbesitzer nicht über die Zusammensetzung aufgeklärt, sondern mit netten Bildchen von süßen und zufriedenen Katzen ruhig gestellt, die von der Dose und vom Fernseher prangen. Ob man nun die Firma x, die Firma y oder die Firma mit den lila Aufklebern kauft, ob die Dose schlicht ist oder das Futter in kleinen, teuren 100-g-Schälchen oder Tütchen daherkommt, ob es sich als Ragout, Geschnetzeltes oder Häppchen in Gélé tarnt; der Großteil der Futtermarken kommt aus derselben Fabrik ein und desselben Herstellers – und der hat als Ziel die Optimierung seiner Bilanz und nicht die Gesundheit unserer Katzen.

Fast alle genannten Inhaltsstoffe, einschließlich Zucker, sind billige Rohstoffe, die die Dose füllen, ohne der Katze auch nur ansatzweise von Nutzen zu sein. Hinzu kommen noch Konservierungsstoffe, die meist unter dem Deckmantel „EWG-Zusatzstoffe” laufen und Krebs auslösen können. Hier wird deutlich, dass der Tierbesitzer bewusst im Unklaren gelassen wird.

Guten Appetit, kann man den armen Tieren da nur noch zurufen, und fordern, dass die Hersteller und Reklameleute zur Strafe den Dreck mal selbst fressen müssten… In eine ähnliche Kerbe schlägt auch der Beitrag „Macht Tiernahrung unsere Vierbeiner krank?“:

»Meiner Auffassung gehören viele Verantwortliche der Futtermittelindustrie ins Gefängnis, 5 Jahre mindestens und ohne Bewährung.« (Prof. O. Wassermann, Toxikologie Kiel, 1998)

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Vom Wissen zum Handeln / Sozial-ökologische Forschung

Aha, wird in den Ministerien also auch mal was halbwegs Sinnvolles gefördert und nach vorne gebracht – gerade eben entdecke ich doch diesen Unterbereich auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung: „Sozial-ökologische Forschung“, mit der dort nachzulesenden Absicht:

Ziel des Förderschwerpunktes ist die Entwicklung von Strategien zur Lösung konkreter gesellschaftlicher Nachhaltigkeitsprobleme: z.B. zur Umsetzung der „Agrarwende“, der Verbesserung der Ernährung der Bevölkerung, der Liberalisierung netzgebundener Ver- und Entsorgungssysteme (z.B. Wasser, Energie) und Emissionshandel. Eine derartige Forschung  erfordert ein Zusammenwirken der Wissenschaftler/-innen der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Dabei werden gesellschaftliche Akteure – z.B. Verbraucher/-innen, Kommunen, Unternehmen und Nichtregierungs-Organisationen – in den Forschungsprozess einbezogen. Damit soll der ökologische Umbau der Gesellschaft unterstützt werden, ohne dabei die soziale Gerechtigkeit und die wirtschaftlichen Belange aus den Augen zu verlieren.

Inwieweit in diesen Forschungen tatsächlich nachhaltige Konzepte – und nicht nur von den neoliberalen Thinktanks wie der INSM eingeflüsterte Strategien – erarbeitet und untersucht werden, ist natürlich die Frage. Immerhin können wir uns dort die Info-BroschüreVom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsum“ als 8seitige pdf-Datei herunterladen, die sich mit der Frage auseinandersetzt:

„Bio-Lebensmittel verkaufen sich schon ganz gut, auch das ein oder andere Produkt aus Fairem Handel. Warum wechseln aber nur wenige zu einem Ökostrom-Anbieter? Warum sind umweltfreundliche Autos noch kein Verkaufs-Hit? Warum setzen sich energiesparende und energieeffiziente Geräte nur so langsam durch?“ (Agenda 21)

Bzw. im offiziellen, nicht mehr so plastischen Behörden-Wortlaut:

bmb-soef-nh-konsumZum Thema fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung seit 2008 zehn (Verbund)projekte.

Mit der neuen Förderbekanntmachung des BMBF zum Themenschwerpunkt Nachhaltiger Konsum wird ein gesellschaftliches Handlungsfeld aufgegriffen, das in den letzten Jahren an politischer Aktualität kontinuierlich zugenommen hat. Trotz umfangreichen Wissens hinsichtlich der Notwendigkeit nachhaltiger Konsummuster und einer breiten Maßnahmenpalette im Bereich der Verbraucheraufklärung ist es bisher aber kaum gelungen, einen generellen Trend in Richtung nachhaltigem Konsum zu bewirken.

Die sozial-ökologische Forschung hat sich die Aufgabe gestellt, Blockaden, die einer Umsetzung vom Wissen zum Handeln entgegenstehen, zu identifizieren und zu analysieren. Als Ausgangspunkte werden die Verbraucherperspektive und das individuelle Handeln gewählt. Es soll Orientierungs- und Handlungswissen generiert werden, das für unterschiedliche Akteursgruppen nutzbar ist und zur Stärkung der Verbraucherkompetenz beiträgt. Die Vorhaben sollen die im jeweiligen Bedürfnisfeld erwarteten Nachhaltigkeitsgewinne konkretisieren und insbesondere im Hinblick auf Fortschritte der Energieeffizienz abschätzen. Eine besondere Herausforderung besteht darin, eine Brücke zwischen individuellem Handeln und ökologischen sowie gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu schlagen.

Interessant erscheint mir in dem Zusammenhang auch der Bereich „Wie Internet-Handel der Umwelt nutzt. Vom Consumer zum Prosumer – Entwicklung neuer Handelsformen und Auktionskulturen zur Unterstützung eines nachhaltigen Konsums“ – mit dieser Thematik beschäftigt sich das IZT (Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung) ausführlich auf seinen Seiten.

Auktions- und Handelsportale im Internet haben das Konsumverhalten in den letzten Jahren tief greifend verändert. Sie haben unter anderem bewirkt, dass Konsument(inn)en erworbene Produkte nach einer gewissen Nutzungszeit weiterverkaufen. Damit nehmen sie auch eine Rolle als Produzierende ein und werden so vom reinen »Consumer« zum »Prosumer«. Hier eröffnen sich Chancen zu einem nachhaltigeren Konsum, weil durch die Vermarktung gebrauchter Güter die Lebens- und Nutzungszeit von Produkten verlängert und Umweltbelastungen durch häufigen Neuerwerb vermieden werden. Durch Verpackung, Transport und elektronischen Handel entstehen allerdings ebenfalls Umweltbelastungen. Das Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, den Internet-Handel umfassend zu untersuchen – etwa das Kauf- und Verkaufsverhalten, die Motivationen der Nutzer(innen) sowie die mit dem Online-Handel verbundenen Umweltauswirkungen – und aus dieser Analyse gemeinsam mit einem internationalen Internet-Auktions-Unternehmen Innovationsstrategien zu erarbeiten, die zu einer Umweltentlastung beitragen können.

Das IZT veranstaltet übrigens am 24.2. zusammen mit dem rbb im Museum für Kommunikation Berlin unter dem Motto Zukunftsgespräche 2009 eine Podiumsdiskussion, in er es um „‚Grüner Surfen‘ – Wie passen Klimaschutz und Informationsgesellschaft zusammen?“ geht (dieses Thema wurde ja z.B. auch hier und hier schon mal (kritisch) angesprochen).

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McDonald’s säuft ab…

… zumindest wünscht man sich doch zuweilen, dass die Burgerbratklitschen alle mal von der einen oder anderen Springflut hinweggeschwemmt werden würden. Ähnliche geheime Gelüste trieben möglicherweise auch die dänische Künstlergruppe Superflex um – wie sonst kommt man auf die Idee, ein McDoof-„Restaurant“ im Miniaturmaßstab realitätsnah nachzubauen, anschließend zu fluten und all das als kleinen Film ins Netz zu stellen und in der South London Gallery vorzuführen? Das Ergebnis kann sich auf jeden Fall sehen lassen und erfreut vielleicht auch den einen oder anderen Leser hier. ;-)

[via culture jamming (ein sehr empfehlenswerter Blog – „Sand im Getriebe der Gedankenmaschine“)]

Flooded McDonald’s from Superflex on Vimeo.

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Neue Studie: Discounter-Boykott – Verbraucher pfeifen auf Lidl – Angekratztes Arbeitgeber-Image vertreibt die Kunden

Wenn diese Studie stimmen sollte (und die Leute nicht bloß aus Scham bei der Umfrage falsche Angaben gemacht haben), wäre das ja sehr erfreulich: laut einer neuen Untersuchung des Marktforschungsunternehmens Grass Root Communications

haben 40 Prozent der Konsumenten wegen angeblich schlechter Arbeitsverhältnisse für Lidl-Mitarbeiter bereits auf Einkäufe bei der Billig-Kette verzichtet. Jene Supermarktketten, die einen schlechten Ruf als Arbeitgeber genießen, werden von knapp der Hälfte der Verbraucher “nach Möglichkeit” oder immer gemieden. “Ein Geschäftsmodell, das auf Mitarbeiter-Ausbeutung basiert, darf keine Zukunft haben. Offenbar wird dies vom Konsumenten auch tatsächlich abgestraft”, meint Grass-Roots-Geschäftsführer Johannes Broscheid-Vogt.

Dies meldet zumindest pressetext – etwas dubios erscheint mir ja die Aussage „wegen ANGEBLICH schlechter Arbeitsverhältnisse“bei der Vielzahl an bekannt gewordenen Verstößen bei Lidl & Co. ist das doch nun inzwischen erwiesener Fakt. Aber okay – obige Entwicklung ist ja vielleicht ein erster Schritt zur Ausmerzung dieses widerwärtigen und unsozialen Geschäftsmodells. Ich bleibe dran!

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