Kategorie: Gesellschaft Seite 40 von 43

Surftipp: Erklärung von Bern / Kinderarbeit für Schokolade

Nicht nur die aktuelle Ausgabe des Greenpeace Magazins befasst sich mit einem Thema, über das viele Konsumenten in den westlichen Industrieländern vermutlich wenig Gedanken machen, wenn sie ihre 60 Cent-Schokolade im Supermarkt kaufen – nämlich dem bitteren Beigeschmack, den solch niedrige Preise und die industrielle Massenproduktion für die Menschen in den Kakao-Produzentenländern haben.

Fast zehn Kilogramm Schokolade verspeist der Durchschnittsdeutsche jedes Jahr. Für diesen alltäglichen, selbstverständlichen Genuss schuften in der Elfenbeinküste Kindersklaven, oft gerade mal zehn Jahre alt, unter katastrophalen Bedingungen in Kakaoplantagen.

schoggihase_ausverkauft_endNein, auch in der Schweiz hat sich deshalb eine eigene Initiative gegründet, die sich aktiv dafür einsetzt, diese Zustände bei der Schokoladeherstellung bzw. Kakaoernte, vor allem die Kinderarbeit, nicht länger zu dulden – die Erklärung von Bern.

Obwohl die Schweiz als Schokoladenland gilt, ist bei uns kaum bekannt, dass in vielen Schokoladesorten Kinderarbeit steckt.
60 Prozent des weltweit gehandelten Kakaos kommt aus Westafrika. Kinderarbeit und Kindersklaverei ist auf den Kakaoplantagen der Elfenbeinküste gängig und werden von den Schokoladeherstellern seit Jahren bewusst in Kauf genommen.

Die Schweizerischen Schokoladenkonzerne gehören zu den grössten der Welt. Sie haben die Möglichkeit, die ausbeuterische Kinderarbeit zu beenden.

Darum fordert die EvB
* die Ausbeutung von Kindern auf Kakaoplantagen zu verhindern.
* Kakaopreise zu zahlen, die den Bauern erlaubt, faire Löhne an erwachsene Beschäftigte zu zahlen.
* den Kakaobauern durch Abnahmegarantien eine finanzielle Sicherheit zu schaffen.

KonsumentInnen haben Macht. Machen Sie Druck. Fragen Sie mit der Postkarte der EvB die Hersteller ihrer Lieblings-Schoggi, ob in dieser Schokolade garantiert keine Kinderarbeit steckt. Verlangen Sie von den Konzernen, alles zu unternehmen, damit nie wieder Kinder für Schweizer Schoggi leiden müssen.

Die Aktivitäten meiner speziellen „Freunde“ von der Genbude Nestlé kommentiert die EvB folgendermaßen:

Nestlé blockt den Dialog ab. Die firmeneigene Website ist mit CSR- und anderen Berichten sehr grosszügig gestaltet, Informationen zum Kerngeschäft sind jedoch nicht zugänglich. Das soziale Engagement vor Ort wird facettenreich beschrieben, das Hauptproblem, nämlich die konkreten Arbeitsbedingungen, wird hingegen mit keinem Wort erwähnt. Es geht nicht an, dass die Konsumierenden mit solchen Ablenkungsmanövern abgespiesen werden.

Nestlé hat als weltweit zweitgrösster Akteur im Kakao-Buisness direkte Kontrolle über die Lieferkette. Der Konzern besitzt damit reichlich Möglichkeiten, dem Elend auf den Plantagen entgegen zu treten. Der Ursprung der Missstände liegt nicht einfach bei den Kakaobauern, sondern bei den Strukturen des internationalen Kakaohandels, welche von mächtigen Unternehmen wie Nestlé massgeblich beeinflusst werden. Nestlé könnte mit dem Preis, den sie für Kakao bezahlt, die Lebensbedingungen der Bauern nachhaltig verbessern. Daher sollte der Konzern über seine konkrete Preispolitik offen kommunizieren und die Konsumierenden nicht mit Feigenblatt-Projekten abspeisen.

(c) International Labour Rights Forum

(c) International Labour Rights Forum

Wie sehr Aufklärung im Konsumbereich dringend nötig ist, zeigte mir eine Erfahrung, die ich unlängst in einem Supermarkt hatte – dort reagierte die Kassiererin auf den Hinweis eines Freundes, der mit mir Gepa-Schokolade kaufte, dass in der „normalen“ Industrie-Schokolade ja Kinderarbeit stecke, mit der gleichgültigen Aussage, dass die Kinder dort auf diese Wiese wenigstens etwas verdienen. Solange diese bräsige, satte Ignoranz den Grundtenor in unserer Gesellschaft darstellt, wird sich sicherlich nichts ändern, behaupte ich mal so.

Fraglich bleibt für mich bei all diesen eindeutig löblichen Aktionen natürlich immer, ob es überhaupt möglich ist, in diesem System der Profitmaximierung und des „ewigen“ Wirtschaftswachstums für faire Bedingungen weltweit zu sorgen oder ob nicht vielmehr bei der Fortführung der kapitalistischen Produktionsweisen immer eine kleine Gruppe privilegierter Menschen (zu denen wir in Deutschland bzw. Europa fraglos gehören) auf Kosten des Großteils der Welt lebt. Mit dieser Frage setzte sich neulich auch Klaus-Werner Lobo in seiner jetzt!-Kolumne in der Süddeutschen Zeitung auseinander – Zum Beispiel Konsum – LOHAS werden die Welt nicht retten.

(…) Weil es erstens unmöglich ist, weltweit agierende Konzerne mit Tausenden Zulieferbetrieben so umfassend zu kontrollieren, dass man sie „freisprechen“ könnte. Zweitens hat jeder Multi, der seine Profite auf Basis der Unterschiede zwischen armen und reichen Ländern erwirtschaftet, ein systematisches Interesse daran, diese Unterschiede aufrecht zu erhalten: Das liegt nicht an „bösen“ oder unwilligen ManagerInnen, sondern an einem Wirtschaftssystem, das Ausbeutung ökonomisch belohnt und so zur Geschäftsgrundlage macht.

(…) Ein Beispiel für die Blauäugigkeit vieler Lohas ist auch das deutsche „Internetportal für strategischen Konsum und nachhaltigen Lebensstil“ Utopia. „Kaufe dir eine bessere Welt“, heißt es da, als ob es nicht im Gegenteil darum ginge, die Welt vor ihren Verkäufern zu retten. Weil man „nicht von Spenden oder anderen gemeinnützigen Zuwendungen abhängig sein“ will, finanziert sich Utopia „durch das private Engagement der Gründer und erste Kooperationen“. Darunter auch Konzerne wie OTTO und Henkel. OTTO stand 2006 im „Schwarzbuch Markenfirmen“ noch für „Ausbeutung, sexuelle Belästigungen und andere Missstände in Zulieferbetrieben“, die Kampagne für Saubere Kleidung vermutet, dass China, die Türkei und Indien die Hauptlieferländer für Textilien sind. Überall dort sind desaströse Arbeitsbedingungen die Regel. Im Dezember 2006 wurde einem OTTO-Lieferanten sogar Kinderarbeit vorgeworfen. Immer mehr Utopia-User beklagen sich übrigens, dass ihr Account wegen kritischer Bemerkungen gelöscht worden sei.

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S wie… Subversion

bild-72Darf man über etwas so Konkretes, so Handlungsbezogenes wie Subversion wissenschaftlich nachdenken und referieren? Man darf! Und man kann – das zeigt das Magazin Malmoe, eine sowohl als Printausgabe wie auch im Netz veröffentlichte Zeitschrift, die sich mit dem Spannungsfeld von Kultur, Konsum, Internet und Gesellschaft befasst. In ihrer letzten Ausgabe, Heft Nr. 45, geht es nun also um Subversion, und es werden einige spannende Fragen gestellt (und beantwortet?).

Ist Subversion eine Strategie, eine Kunst des Handelns, die hegemoniale Machtpraktiken unterwandert? Oder ist sie eine Projektionsfläche, auf der sich Widerstand konsumieren lässt? Wann transformiert sich Subversion, wann wirkt sie schon als Begriff? Und: Ist Alltag Subversion oder Subversion alltäglich?

Das Inhaltsverzeichnis klingt schon mal durchaus vielversprechend (wenn auch teilweise vielleicht etwas abgehoben); vier der fünf Artikel sind übrigens komplett online nachlesbar. So lob ich’s mir, so publiziert man heute!

EDIT: Na sowas, nun sind es tatsächlich nur noch zwei Artikel, die online stehen. Was soll das…??

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Ex und hopp

cover-greenpeace-magazin-02-09Ich weiß nicht, wie viele meiner Leser auch das von mir an dieser Stelle schon einige Male erwähnte Greenpeace Magazin verfolgen – ich halte diese Zeitschrift ja für eine ausgesprochen gute, informative und vielseitige Publikation, die zudem auch Mut (und manchmal natürlich auch Wut) macht. Besonders angenehm ist ja die Werbefreiheit – da merke ich dann erst wieder, wie sehr die kommerziellen Botschaften, die sonst so in Heften auf einen einprasseln, das Gehirn und das Sichtfeld verkleben. In ihrer Ausgabe 02/2009 war eines der zentralen Themen verschwenderischer Konsum, und da dies so prima in meinen Blog passt, möchte ich den Artikel „Ex und Hopp. Wie unsere Wegwerfgesellschaft gedankenlos Ressourcen verschwendet“ hier explizit empfehlen. Wie beim Greenpeace Magazin üblich kann man nämlich alle vergangenen Hefte komplett online nachlesen! (In Papierform finde ich es aber noch immer angenehmer…) Leider fehlt bei dieser Onlineversion versehentlich noch der im Heft zu findende Abschnitt über die Ex- und Hopp-Mentalität der Menschen bei Elektronik, schade. Aber der Rest ist dort komplett nachzulesen, z.B.:

Das Erdöl reicht nur noch für 45 Jahre, trotzdem fahren wir überdimensionierte Spritschlucker. Jeder siebte Mensch auf der Welt hungert, trotzdem werfen wir Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll. Deutschland gehen die Facharbeiter aus, doch fast jeder Zehnte verlässt die Schule ohne Abschluss.

Verschwendung hat viele Ursachen: Gedankenlosigkeit, Bequem­lichkeit, Gier, bürokratische Auswüchse – oder schlicht die Logik der industriellen Produktion. Die ersten Brote nach Anfahren der Backstraße sind nun mal Ausschuss. Das neue Eigenheim soll bitte schön auf der grünen Wiese stehen, nicht auf einer sanierten Industriebrache. Wir zahlen steigende Krankenkassenbeiträge und werfen ein Fünftel unserer Medikamente unge­braucht weg.

Wir simulieren Überfluss. Dabei verschwenden wir nicht nur jede Menge Geld, sondern vernichten auch die Lebens­grundlagen unserer Kinder. „Würden alle Menschen auf der Welt so leben wie wir in Deutschland, würden selbst zwei Planeten nicht ausreichen”, sagt der Wirtschaftsexperte Jürgen Knirsch von Greenpeace.

(…) Mehr als 120 Liter Mineralwasser trinkt ein Durchschnittsdeutscher im Jahr. Rund 20 davon kommen nicht aus den über 200 Mineralbrunnen im Land. Schicker erscheint das Stille aus dem fran­zösischen Zentralmassiv oder das Spritzige aus Italien. Nur verbraucht die Fahrt von den Vogesen nach, sagen wir, Berlin pro Wasserkasten bis zu einem halben Liter Diesel.

(…) 113 Hektar Land werden in Deutschland täglich „verbraucht“. Das entspricht etwa 160 Fußballfeldern – voll mit neuen Eigen­heimen, Einkaufszentren und Parkplätzen, mit Sportanlagen, Campingplätzen und Autobahnen. Pro Jahr gehen so 412 Quadratkilometer Wiesen und Äcker verloren – mehr als die Fläche Bremens. Laut „Nationaler Nachhaltigkeitsstrategie“ soll der tägliche Flächenfraß bis 2020 auf 30 Hektar begrenzt werden. Doch noch hat sich nichts zum Besseren gewendet.

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Widerstand gegen die Internetzensur – Online-Petition unterzeichnen

bild-5Es ist an der Zeit, dass sich die Bürger gegen die unsinnigen, vermeintlich im Namen der Kinderpornographie geführten Internetsperren (die letztlich auf eine Zensur generell missliebiger Seiten hinauszulaufen drohen) zur Wehr setzen. Auf der Seite des Bundestages könnt Ihr jetzt eine Online-Petition unterzeichnen – zwar muss man sich dafür anmelden/registrieren, aber das sollte ja wohl keine allzu hohe Hürde für ein freies Internet sein.

Text der Petition
Wir fordern, daß der Deutsche  Bundestag die Änderung des Telemediengesetzes nach dem Gesetzentwurf des  Bundeskabinetts vom 22.4.09 ablehnt. Wir halten das geplante Vorgehen, Internetseiten vom BKA indizieren & von den Providern sperren zu  lassen, für undurchsichtig & unkontrollierbar, da die “Sperrlisten” weder einsehbar sind noch genau festgelegt ist, nach welchen Kriterien  Webseiten auf die Liste gesetzt werden. Wir sehen darin eine Gefährdung  des Grundrechtes auf Informationsfreiheit.

Begründung
Das vornehmliche Ziel – Kinder  zu schützen und sowohl ihren Mißbrauch, als auch die Verbreitung von Kinderpornografie, zu verhindern stellen wir dabei absolut nicht in Frage – im Gegenteil, es ist in unser aller Interesse. Dass die im Vorhaben vorgesehenen Maßnahmen dafür denkbar ungeeignet sind, wurde an vielen  Stellen offengelegt und von Experten aus den unterschiedlichsten Bereichen  mehrfach bestätigt. Eine Sperrung von Internetseiten hat so gut wie keinen nachweisbaren Einfluß auf die körperliche und seelische Unversehrtheit mißbrauchter Kinder.

Hier geht’s zur entsprechenden Seite. Bereits am ersten Tag haben 10.000 Menschen dort mitgezeichnet, was eine rekordverdächtig hohe Anzahl für eine E-Petition ist; zwei Tage später sind es bereits über 32.000 35.000 Unterzeichner. Also alle mitmachen, um den Wahnsinn zu stoppen! Und wer das nicht online machen mag – hier gibt es auch eine Offline-Version als pdf, zum Ausdrucken, Unterschreiben und wegschicken oder -faxen.

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Schönheitswahn und Körperkult…

… passend kommentiert von der Adbusters Media Foundation – das kranke Schönheitsideal, das durch Reklame und Medien sowie der Modebranche propagiert wird, gehört auch zu einem der wichtigen Angriffspunkte der Culture Jammer um Kalle Lasn (zusammen mit der Tabak- und Alkoholindustrie):

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Der Schweinewahnsinn

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© woodsy, stock.xchng

Ich weiß nicht, wie es Euch geht, wenn Ihr die derzeit pausenlos auf einen einprasselnden Meldungen zu der unaufhaltsamen Verbreitung der Schweinegrippe hört, aber ich fühle mich doch sehr an die vor einiger Zeit genauso grassierende Vogelgrippe erinnert, die ja das Ende der Zivilisation bedeuten sollte, auf dass sich alle Welt mit dem entsprechenden Mittel (Tamiflu) eindecke. „Deutschlands größtes Nachrichtenmagazin“, Der Spiegel, dreht, wie die Mehrzahl der Medien diese Woche weiter mit aller Macht am Panikrad und titelt forsch „Der neue Weltvirus – wie gefährlich werden die neuen Grippeerreger?”. Ich möchte das hier gar nicht weiter bewerten, dafür aber auf den ebenfalls dieser Tage erschienen interessanten Artikel „Die Schweinegrippe-Epidemie, die nie ausbrach“ im Schweizer Tagesanzeiger hinweisen, in dem die Autoren an eine im Jahre 1976 vermeintlich ausbrechende Schweinegrippe-Epidemie erinnern, die sich am Ende als viel heiße Luft entpuppte, der Pharmaindustrie aber einen schönen Schub brachte und der amerikanische Regierung im Wahljahr die Gelegenheit gab, sich als Krisenmanager darzustellen.

Die Schweinegrippe kam den Politikern gerade Recht: Sie standen wegen des Vietnam-Kriegs und der Watergate-Affäre unter Generalverdacht, zudem war 1976 Wahljahr. Die Schweinegrippe war ein willkommener Anlass, sich zu profilieren. Die Produktion des Impfstoffes begann. Inzwischen kamen die Wissenschaftler jedoch zur Besinnung. Nach genauer Analyse der Viren stellten sie fest, dass diese viel weniger aggressiv waren, als diejenigen der Spanischen Grippe. Die Weltgesundheitsorganisation riet den USA denn auch davon ab, Massenimpfungen durchzuführen.

Ungeachtet dessen begannen diese Anfang Oktober. Innerhalb von knapp zwei Wochen wurden etwa 40 Millionen Menschen geimpft. Doch die Bevölkerung freundete sich mit dem Programm nie richtig an. Mehrere Todesfälle – die allerdings nicht auf die Impfungen zurückzuführen waren, wie sich später herausstellte – bremsten das Unterfangen. Bis Ende 1976 liess sich weniger als ein Drittel der Amerikaner impfen. Im Dezember stoppte die Regierung die Übung schliesslich, ohne dass die grosse Schweinegrippe-Epidemie ausbrach.

Wer weiß – oder doch zumindest ahnt –, wie die Medien und ihre Hypes so funktionieren, darf angesichts der aktuellen Horrormeldungen auch durchaus leichte Skepsis durchschimmern lassen… So wie beispielsweise auch MMNews („Schweinegrippe: WHO bedroht gesamte Menschheit“ und „Schweinegrippe harmlos?“), Telepolis News („H1N1-Schweinegrippe scheint relativ mild zu sein“), Sisyphos Periodical („Schweingegrippe – die Unschuldigen werden getötet“), Die Dreckschleuder („Es will und will keine Pandamie kommen…“), Wissenmachtnix („Wer profitiert am meisten von der Schweinegrippe?“) und die Financial Times Deutschland („Virologen warnen vor Panikmache“) . Wir müssen uns also überraschen lassen, was wirklich daraus wird.

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Zwei Lesetipps zum aktuellen digitalen Leben

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© ilco, stock.xchange

Internetzensur (von der Regierung mehr schlecht als recht getarnt als „Kampf gegen Kinderpornographie“) und Urheberrechtsschutz sind zwei brandaktuelle Themen, wenn es um das Internet bzw. um moderne Medien und Mediendemokratie geht. Zu beiden Thematiken fand ich dieser Tage interessante, höchst lesenswerte Artikel, die ich Euch unbedingt auch ans Leseherz legen möchte. Denn tatsächlich ist die Freiheit, an die wir uns im Internet gewöhnt haben, akut in Gefahr, den Überwachungsfantasien einiger Interessensgruppen geopfert zu werden.

Der Blog Pandoras Kekzdose befasst sich in seinem ArtikelMissbrauch missbrauchen sehr eingehend und auch kritisch mit der von Familienministerin von der Leyen angeleierten Internetzensur, die ja angeblich nur gegen Kinderpornographie gerichtet sein soll. Wer’s glaubt…

Es ist eine schöne Welt, von der man da in den Tageszeitungen liest. Dass endlich auch das Internet, bekannte Anlaufstelle für Pädophile, Nazis und Terroristen, nicht mehr sicher ist, vor dem harten linken Haken des Gesetzes. Bald können wir auch wieder unsere Kinder allein ins Internet gehen lassen, ohne Angst haben zu müssen, dass sie sich ein Trauma fürs Leben einfangen. Bald ist auch endlich das Internet ein Teil der großen Demokratie der westlichen Zivilisation. Endlich all die Gesetze, die unsere Freiheit in der realen Welt regeln, auch im Internet. Ein Traum wird wahr. Ein Hoch auf die Ursula. Auf den Wolfi. Und auf den BKA.

Es ist fast zu schön um wahr zu sein. Quasi wie im Film. Am Ende siegt die Gerechtigkeit. Die Demokratie. Und was halt so dazugehört. Und keiner schreit mitten im Film “UNLOGISCH!”, keiner gibt in der Fernsehzeitung schlechte Kritiken ab und niemand zeigt mit dem Daumen runter. Einfach weil es alles so perfekt ist. Oder?…

Angefangen hat die neue, kritische und unzensierte Form des Journalismus mit den Blogs. Dabei geht es nicht um die HelloKittyEmoBlogs, die in der Blütezeit überall aus dem Boden sproßen. Es geht um die Blogs von Menschen aus Ländern, in denen freie Meinungsäußerung bestraft wird. Das Prinzip “ich schreib mal meinen Alltag ins Netz” wurde längst durch Twitter und Co. ersetzt. Mittlerweile wird richtig gebloggt. Über Politik, über Missstände, Gefahren, Ungerechtigkeit. Der Trend geht immer weiter zu einem virtuellen Protestschrei hin, der nun auch Deutschland erreicht hat. Die Blogs betrachten die aktuellen Geschehnisse aus einem neuen Blickwinkel. Aus einem Blickwinkel, der nicht nur wolkenlosen blauen Himmel und Sonnenschein widerspiegelt, sonder entsetzt auf die Gewitterwolken am Horizont zeigt, die immer näher kommen und alles in ein tiefes Schwarz tauchen.

(…) Zum Beispiel um weitere Sperrung von Seiten, wie zum Beispiel Pirate Bay und co., die der Unterhaltungsindustrie schon seit Jahren ein Dorn im Auge sind. Wäre die Welt nicht so viel schöner, wenn man diese ganzen bösen Copyrightverletzter mit einem Schlag ausradieren könnte? Wenn man mit ein paar Eingaben all die bösen Menschen von der Bildfläche bomben könnte, die unsere Welt so viel schlechter machen? Denn sein wir mal ehrlich – Kinderschänder, Killerspielspieler, Raubkopierer – wo ist denn da der Unterschied? Mittlerweile wird man sowieso schon härter fürs Raubkopieren als fürs Besitzen von Kinderpornografie bestraft. Wieso sollte man dann Kinderpornografie aus dem deutschen Web verbannen, Pirate Bay und Co. aber nicht?

Im Kampf um die E-Books, die nun den Markt erobern und plötzlich das Problem aufwerfen, dass man die ganzen Bücher nicht mehr im Bücherladen kaufen muss, sondern sich einfach bei Bedarf eben die Zipdatei aus dem Netz zieht, schaltet sich nun Christian Sprang, Leiter der Rechtsabteilung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels ein. Er plädiert dafür, Seiten zu sperren, die das Urheberrecht verletzen.

In diesem Zusammenhang ist auch das Interview mit Ursula von der Leyen von Interesse, das vor einigen Tagen von Radio Eins geführt wurde [via ZAF – der dazugehörige Artikel ist ebenfalls gut]. Bezeichnend finde ich dabei nicht nur ihr bemerkenswertes Gestammel, das von wenig Sicherheit zeugt:

Moderatorin: Das heißt speichern?
Ursula von der Leyen: Na ja, speichern…äh, ich habe Ihnen jetzt mal eben die Zahlen am Tag genannt. Das können Sie gar nicht, und das ist auch nicht das Ziel. Aber wenn Sie manchmal die diff, die diffizirn…also die komplexen Vorgänge des Suchens der Polizei nach bestimmten Täterringen, ähm, und und, ja, Pornoringen eben, Kinderschänderringen, äh, beobachten und soweit, äh, dieses Handwerk dann auch sich aus einem, einem Puzzle zusammensetzt, gehört mit dazu die Frage zu stellen, ob jemand immer wieder versucht, äh, einschlägige Seiten aufzurufen, und, äh, sich dort zu tummeln…nur das große Massengeschäft…und, ähm, wie gesagt, da sind viele auch dabei, die völlig harmlos sind, ähm, das ist, da interessiert uns nur deutlich zu machen, hier geht’s nicht weiter. Stopp!

– sondern auch einige ihrer Aussagen über Internetbenutzer allgemein:

Ursula von der Leyen: Na ja, wir wissen, daß bei den vielen Kunden, die es gibt, rund 80 Prozent, die ganz normalen User des Internets sind. Und jeder, der jetzt zuhört, kann jetzt eigentlich sich selber fragen, wen kenn’ ich, wer Sperren im Internet aktiv umgehen kann. Die müssen schon deutlich versierter sein. Das sind die 20 Prozent, die sind z.T. schwer Pädokriminelle, die bewegen sich in ganz anderen Foren, die sind versierte Internetnutzer, natürlich auch geschult im Laufe der Jahre in diesem widerwärtigen Geschäft.

Soso, 20%, die technisch versierten, sind also die Schlimmen, quasi schon per se „Pädokriminelle“. Und so jemand sitzt hierzulande in der Regierung…!

kabelEbenso unerfreulich – die Versuche einiger Menschen, das Urheberrecht als Keule gegen die Entwicklung im Internet, gegen die Digitalisierung generell, einzusetzen. Der „Heidelberger Appell“ des Philologen Roland Reuß richtet sich direkt gegen „Open Access“, also freien Zugang zu Wissen und Daten im Netz. Fritz Effenberger kommentiert dies auf Telepolis in Geistiges Eigentum als Heidelberger Postkartenidylle sehr passend, denke ich:

Die Bundesregierung, so fordern Reuß und bisher über 1500 Unterzeichner (darunter Teile unserer nationalen Schriftsteller-Elite), müsse sicherstellen, dass keinerlei private oder Suchmaschinen automatisierte Verbreitung von geistigen Inhalten stattfinden könne, also letztlich ein Verbot von GoogleBooks, YouTube und anderen Internetplattformen dieser Art. “Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation” sieht Reuß bedroht und erkennt nicht, dass seine Argumentation eine spiegelverkehrte Darstellung der Wirklichkeit liefert: Erst durch Internet und digitale Datenträger kann jeder Urheber auch ohne Verlage publizieren.

(…) Ich fordere daher die politischen Kräfte in unserem Land auf, nicht weiter über naive, da technisch unwirksame Verbote nachzudenken, sondern über die aktive Gestaltung des Urheberrechts in einer Zeit des technischen Umbruchs: Jeder Bürger kann sich heute via digitaler Weitergabe jedes Buch, jeden Film, jedes Musikstück besorgen, ohne dass dies technisch verhindert oder mitverfolgt werden kann; der Preis für die Verhinderung oder Aufdeckung wäre die Zerstörung des Internet, wie wir es kennen. Die Gesetze müssen dieser Realität entsprechend reformiert werden, der Urheber muss die ihm zustehende Vergütung erhalten. Diese wird tatsächlich heute schon teilweise erhoben und ausgeschüttet: Geräte und Medien zur Herstellung von Kopien sind mit einer Abgabe belegt, die von den zuständigen Verwertungsgesellschaften an die Autoren, Komponisten, geistigen Schöpfer ausgeschüttet werden.

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Weise Worte (7)

Dieselben Mechanismen, die zum Rauschmittelmissbrauch führen können, sind auch bei einer anderen Variante der Abhängigkeit im Spiel, die ich hier „Konsumismus“ nennen möchte. Kaufen ist zunächst angenehm, ist es doch so schön, ein neues Auto zu haben, eine neue Waschmaschine oder neue Kleidung. Ähnlich wie Drogen führt auch Kaufen schnell und leicht zu einem angenehmen Gefühl, weshalb manche Menschen vom Kaufen genau so abhängig sind wie andere von Drogen: Sie veranstalten wahre „Konsumorgien“ und empfinden einen „Schmacht“ nach Konsum wie der Alkoholiker nach Alkohol. Was für den Alkoholiker der Kater am nächsten Morgen ist, ist für den Konsum-Abhängigen die finanzielle Pleite, die seinen Exzessen regelmäßig folgt. So wird er zum Sklaven in einem Teufelskreis von Konsum und Bankrott.

Unglücklicherweise bedient sich die Wirtschaft unserer Lustlosigkeit. Rauschmittelgebrauch und Konsumismus werden durch die Massenmedien angeheizt und viele Menschen verdienen gerade daran, dass eine lustlose Bevölkerung ihr Geld für Drogen und Konsumartikel ohne echten Gebrauchswert ausgibt. Denken wir nur an das Jammer- und Protestgeschrei unserer Tabakbauern bei einer drohender Senkung des Zigarettenkonsums und uns wird schnell deutlich, in welchem Maße die Wirtschaft unseres Landes von der Lustlosigkeit der Bevölkerung abhängt. Das ist ein Teufelskreis! Millionen wahnsinniger „Konsumisten“ hasten mit Wohnmobilen, Geländewagen und geländegängigen Motorrädern unzählige Meilen durch unser Land, zerstören die Landschaft, vergeuden Energie, verpesten die Luft und suchen den Gefühlskitzel, den sie viel eher finden könnten, wenn sie anhielten und ihr Selbst mit sich und ihrer Umwelt kommunizieren ließen.

Das Wirtschaftswachstum, auf das wir Amerikaner so stolz sind, beruht auf einer Wahnsinnsspirale von Verdienen, Ausgeben, Produzieren, Verkaufen und Energie verbrauchen, die uns in jeder Hinsicht unserer eigenen Grundlagen beraubt. Wir sitzen mitten auf der Schutthalde unseres Bruttosozialproduktes und lechzen nach süßen Düften, sauberer Luft, Freiraum, Sonnenschein und „gutem Leben“.

Claude Steiner, „Wie man Lebenspläne verändert“, 1998

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Digital Detox Week 2009

digital-detox-weekOha, diesen Aufruf des Adbusters Magazins darf ich eigentlich gar nicht weiterverbreiten, grabe ich doch damit meinem Blog auch (zumindest für eine Weile) das Wasser ab. Aber ich finde die Idee der Digital Detox Week, also der digitalen Entgiftungswoche, spannend genug, um sie hier dennoch zum Thema zu machen. Analog zu ihrer „Mental Detox Week“, in der man den Medienzustrom, insbesondere via Fernsehen, reduzieren bzw. auf Null bringen soll, ist diesmal also das digitale Leben dran, vom 20.–26. April. Hand aufs Herz: Wer kann heutzutage noch eine ganze Woche auf Internet & Co. verzichten? Ich vermutlich nicht – schon allein, weil ich ja meine Blögge weiter betreuen will. ;-) Aber die mediale Dauerberieselung ist in unserer Gesellschaft so weit vorangeschritten, dass der Gedanke an „eine Woche ohne“ tatsächlich schon etwas Bedrohliches hat. Wobei ich sagen muss, dass ich es, als ich letztes Jahr ein paar Tage in London war, sehr genossen habe, eine Weile ohne Internetanbindung zu sein, keine E-Mails abzurufen etc. – der Geist beginnt wirklich ein wenig aufzuatmen.

Hier der dazugehörige Text von Adbusters:

The Digital Detox Challenge

Computer screens, iPods, TVs, phones and the dozens of other devices we’re cybernetically attached to are so pervasive that we can’t escape them. We live them, we breath them, we need them … Or do we?

On Monday, April 20, Adbusters challenges you to do the unthinkable: unplug. Say good-bye to Twitter and Facebook. Turn off your TV, iPhone and Xbox. Reconnect with the natural world and the people around you. You’ll be amazed at how the magic creeps back into your life.

Go to www.adbusters.org for inspiration, articles, videos, posters and more. Next Monday, don’t be afraid and don’t find excuses … take the plunge and see what happens.

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Der gute Konsument

Sicherlich fragt sich so mancher, wie man es schafft, ein wirklich guter Konsument zu sein oder zu werden, einer, der das System stabilisiert und unsere Wirtschaft voran treibt. Die wichtigsten Grundregeln hat der Brite Neil Boorman (u.a. Autor des Buches „Good bye Logo“) in seinem lehrreichen Film The Good Consumer zusammengefasst. Ich bitte höflichst, sich an die dort vorgestellten Regeln zukünftig strikt zu halten, denn in unserer Gesellschaft gilt schließlich das Motto: Ich konsumiere, also bin ich. Film ab:

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