Dies ist ein bemerkenswertes Buch. Der Verlag preist es launig mit „Ein freches Experiment, das die Konsumgesellschaft radikal in Frage stellt“ an – die Grundidee ist schnell skizziert und klingt eher nach etwas freakiger Unterhaltung als nach einer wirklichen Auseinandersetzung mit unserer Kaufkultur: der britische Lifestyle-Journalist Neil Boorman versucht, ein ganzes Jahr lang konsequent auf alle Luxus- und Markenprodukte zu verzichten und schildert seine Erfahrungen in einem persönlichen Tagebuch.
Der erste Teil von „Good bye Logo“ bestätigt diese Vermutung zunächst – Neil Boorman beschreibt sein Leben ausführlich als das eines wirklich Konsumsüchtigen. Er definiert sich und seine Außenwirkung vor allem über die von ihm gekauften und zur Schau getragenen Marken und geht dabei so weit, auch alle anderen Menschen um ihn herum danach einzuteilen, ob sie die richtigen (Adidas, Apple) oder falschen, da uncoolen Marken (Puma) besitzen. Er arbeitet extrem viel, um sich dann in der knapp bemessenen Freizeit vor allem dem Konsum hinzugeben – die Samstage verbringt er traditionell mit seiner Freundin in den Shoppingcentern Londons. Bis zu diesem Moment klingen die Ausführungen des Autors zumindest für mich doch etwas arg übertrieben, wenn nicht sogar klischeeüberladen, da zumindest ich solche Extremkäufer nicht kenne.
Als Boorman jedoch nach der Lektüre des ihm die Augen öffnenden Werkes „Ways of Seeing“ von John Berger langsam an seinem Lebensstil zu zweifeln beginnt und tatsächlich eine waschechte Kaufsucht diagnostiziert, wird das Buch plötzlich interessant. Um sich von seiner Sucht zu heilen, beschließt der Autor eine kathartische und aufsehenerregende Aktion: das öffentliche Verbrennen ALLER seiner Markenprodukte und das darauf folgende Leben ohne all diese Dinge. Er gibt sich 180 Tage Zeit, um sich auf den großen Moment vorzubereiten und begleitet diese Phase der Bestandsaufnahme und Analyse per Internettagebuch. Je näher der Termin rückt, desto öfter wird er von Mitbürgern für diese Aktion angefeindet, bei vielen ist das Kaufen und Besitzen von Sachen offenbar so tief verwurzelt, dass ihnen Boormans Plan als geradezu ketzerisch erscheint.
Es ist faszinierend mitzuerleben, wie sich Boorman im Laufe des Buches tatsächlich weiterentwickelt, wie er beginnt, den Fundamenten unserer Konsumgesellschaft auf den Grund zu gehen – er vertieft sich intensiv in Literatur zu diesem Thema und lässt den Leser an seinen Gedankengängen und Erkenntnissen teilhaben. Die eigentliche Verbrennung seiner Markenhabe wird als großes Ereignis inszeniert, auf das er lange hinfiebert und das von den Medien entsprechend begleitet wird. Fortan findet ein radialer Lebensstilwandel statt – keine fetischisierten Adidasturnschuhe mehr, sondern preiswerte Treter aus dem Armyshop oder Second-Hand-Laden, kein Fernsehen, statt dessen Lesen, Spaziergänge u.ä. Hier wird ihm und uns schnell klar, wie schwierig es mittlerweile geworden ist, der Allgegenwart der großen Konzerne zu entkommen, die sich in allen Lebensbereichen breit gemacht haben. So wird seine Suche nach markenfreien Produkten teilweise zu einer echten Odyssee, selbst im großen London.
Auch über sein Verhältnis zur Werbeindustrie reflektiert Boorman im Laufe der Wochen verstärkt und erkennt, mit welch perfiden Methoden die Reklame arbeitet, um bei den Menschen eine latente Unzufriedenheit zu erzeugen und den Kauf von profanen Gegenständen als Lösung dieser Unterbefriedigung, als persönlichkeitsbildend anzubieten. Vor allem seine Überlegungen zu diesem wichtigen Themenkreis gehören zu den besonders starken Momenten von „Good bye Logo“, die durch mannigfaltige Zitate und Literaturverweise gestützt werden.
Erschreckend ist auch seine Erkenntnis, dass viele Leute, die beispielsweise Nike-Schuhe kaufen, sehr wohl über die schlechten Arbeitsbedingungen, den niedrigen Lohn der Arbeiter(innen) und die extreme Spanne zwischen Endverbraucherpreis und Produktionskosten Bescheid wissen, dennoch aber unvermindert dieser Marke die Treue halten. Nicht nur Boorman beschleichen hier ungute Gefühle darüber, wie tief der Marken- und Konsumfetisch bereits ins allgemeine Bewusstsein eingesickert ist, wie sehr für den modernen Konsumenschen Marken zur Persönlichkeit gehören.
Schwachpunkt des Ansatzes des Autors ist sicherlich, dass er sich bei seinem Konsumverhalten nur auf das Vermeiden von Marken konzentriert und dabei nicht unbedingt auf Nachhaltigkeit etc. achtet – Biomarken sind bei ihm ebenfalls tabu. Dennoch führt sein neuer Lebensstil dazu, dass er sich gesünder ernährt, weniger Zeit für Kauf und Pflege irgendwelcher Dinge verschwendet und sein Denken von der Beschäftigung mit Coolness und Trendgerechtheit befreit. Der lockere, leicht zu lesende Stil und die von mir geschilderte zunehmende Dichte der Informationen machen das Buch somit zu einem echten Lesegenuss, machen Mut und regen den eigenen Geist an, über unser Verhältnis zum Warenfetisch und der verheerenden Wirkung von Werbung nachzudenken. Eine ganz klare Kaufempfehlung! (Interessante Frage: Ist eine Kaufempfehlung für ein Buch über Konsumkritik ein Widerspruch in sich? ;-)
>> Boormans Website Bonfire of the Brands, auf der er das Projekt dokumentiert
Neil Boorman „Good bye Logo. Wie ich lernte, ohne Marken zu leben“. Econ 2007, 304 S., 16,95 € – Neuauflage Januar 2009, Ullstein Taschenbuch, 8,95 €
steffino
eine mischung aus neil postman und naomi klein (‘no logo’)? ;-)
john berger ist prima!
steffino
das buch gibt es anscheinend auch günstiger:
http://is.gd/etzX
Peter M.
Ah danke für den Hinweis, dann ist also gerade eine günstigere Taschenbuchausgabe davon erschienen. Eigentlich auch ein erfreuliches Zeichen, dass der Ullstein-Verlag genügend Absatzpotential für dieses zwar unterhaltsame, aber eben doch auch sehr kritische Buch sieht.
dietmar baldtiger
*Ist eine Kaufempfehlung für ein Buch über Konsumkritik ein *Widerspruch in sich?
Ist lesen Konsum?
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