Kategorie: Gesellschaft Seite 16 von 43

Regenerative Energie dezentral gewinnen und dezentral speichern

© ohzara, stock.xchng

Jetzt, wo der Atomausstieg scheinbar (mal wieder) beschlossene Sache ist und die Bundesregierung nur wenige Monate nach der ersten „Energierevolution“ die zweite epochale Umwälzung in der Energiepolitik proklamiert hat, stellen sich viele Fragen. Wie lange lässt man die Atommeiler tatsächlich noch laufen? Wohin mit dem Atommüll, der uns und die nächsten hundert Generationen noch freudig strahlend begleiten wird? Wer zahlt das alles? Und sollte man die großen Energiekonzerne für ihre unverschämte Gier, also den Forderungen nach Entschädigung für entgangene Gewinne, die sie eh nie bekommen hätten, wenn Schwarz-Gelb den ursprünglichen Atomausstieg von Rot-Grün nicht kassiert hätte, alle teeren und federn oder genügt ein einfaches Abwickeln? Auf jeden Fall sind die technischen Herausforderungen des Atomausstiegs nicht zu unterschätzen, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass man in den vergangenen Jahrzehnten lieber Geld in die Atomkraft gesteckt hat, statt sich rechtzeitig Gedanken über die Zeit danach zu machen.

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Konsumismus, oder: das Zeitalter der Deppen

In „Unser Blog über die wichtigen Dinge“ stieß ich jüngst auf diesen sehr hübschen kleinen Animationsfilm, der diverse Aspekte der menschlichen geschichte und vor allem unseres Wirtschafts- und Konsumsystems treffend beschreibt, auch wenn ich damit bei den Stammlesern des Konsumpfs natürlich offene Türen einrenne:

Ein wenig Recherche ergab dann, dass obiger Kurzfilm aus Szenen der Dokumentation „The Age of Stupid“ von Franny Armstrong stammt – dieser Film, der im Jahr 2009 in die Kinos kam und dessen Finanzierung durch „crowd funding“ realisiert wurde, ist tatsächlich bei YouTube in Gänze anschaubar (jedenfalls momentan noch) (EDIT Jan. 2013: Nun gibt es den Film noch bei Vimeo, mit spanischen Untertiteln) und lohnt sich sicherlich, wenn man die Ankündigung so liest:

2055 – London ist überflutet, Sydney in Flammen, Las Vegas eine Wüste. Der letzte Mensch, gespielt vom Oscar nominierten Pete Postlethwaite, sitzt in einem riesigen Weltarchiv, das die Überreste der Zivilisation enthält Er sucht in seinem interaktiven Bildschirm nach Antworten auf die Frage: Warum haben wir die Klimakatastrophe nicht verhindert, als wir es noch konnten? In glaubhaften Bildern, ohne anklagend zu sein, legt der Film eine Denkart offen, die auf stetes Wachstum zielt und an ihrem Größenwahn zugrunde geht. Die Regisseurin Franny Armstrong zeigt gleichzeitig alternative Ansätze für einen Umbruch, der zu einem völlig neuen Umgang mit den Ressourcen der Erde führt und sie plädiert für eine eigenständige, selbstverantwortliche Haltung unserem Planeten gegenüber.

The Age of Stupid | Subtitulada from Humanidad en Transicion on Vimeo.

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Buchbesprechung: Ulrich Eicke „Die Werbelawine: Angriff auf unser Bewusstsein“

Ich möchte heute quasi eine Art Doppelposting vom Stapel lassen – denn zum einen will ich Euch eine sehr spannende Website vorstellen und ans Herz legen, die seit einigen Monaten im Netz steht und sich an alle richtet, die die derzeitige Entwicklung in Gesellschaft und Politik skeptisch sehen. „Kritisches Netzwerk“ heißt das Projekt, und der Untertitel „Das Netzwerk mit Forum für kritische Geister und konstruktive Gesellschaftsreformer“ zeigt schon an, dass es sich nicht um ein softes Social Network wie Utopia handelt, sondern um ein Austauschmedium für Menschen mit durchaus fundierter Grundsatzkritik. Natürlich finden auch konsumkritische Themen dort ihren Platz, so das das Kritische Netzwerk perfekt zum Themenkatalog meines Blogs passt:

Das KRITISCHE NETZWERK ist ein neues Internetprojekt und wurde im Dezember 2010 öffentlich. Durch die Zusammenführung von Menschen mit netzpolitischem Interesse, engagierter Aktivisten, Netzwerke, Bürgerinitiativen, Nichtregierungsorganisationen und Verbände wird es in der Lage sein, gemeinsame Nenner für eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit und Aktionen zu finden.

Wir sind sicher, daß bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes große Schnittmengen an Themen und Inhalten vorhanden sind, die im KRITISCHEN NETZWERK gebündelt werden sollten. Unsere Motivation ist es, auf einer Ebene der gemeinsamen Nenner Mitstreiter aus unterschiedlichsten Bereichen (politisch-, ethisch-, sozial- und / oder umweltorientiert) zu finden, die sich unter Ausklammerung egomanischer Interessen für gemeinsame Ziele einsetzen. Auf der Basis eines humanistischen Weltbilds wollen wir mit dazu beitragen, den Weg zu einer neuen solidarischen Gesellschaft zu ebnen. Nur gemeinsam sind wir stark!

Mit Helmut Schnug, einem der Initiatoren des Netzwerks, habe ich vereinbart, dass einige meiner Konsumpf-Beiträge auch dort erscheinen werden, und im Gegenzug werde ich passende Artikel von dort auch hier vorstellen. Den Auftakt macht die folgende kurze Buchrezension von Helmut zu einem mir bis dato unbekannten werbekritischen Werk, das es leider nur noch antiquarisch gibt:

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Ulrich Eicke – Die Werbelawine: Angriff auf unser Bewusstsein.

Verlag: Knesebeck und Schuler (1991) / Knesebeck Von Dem GmbH (1999)
ISBN: 3-926901-38-1 / ISBN 978-3-926901-38-5
gebunden, 279 Seiten, für wenige Euros gebraucht zu bekommen!

Ständig werden wir auf irgendeine Weise durch Werbung beeinflußt. Ursprünglich sollte die Markenartikelwerbung dem Verbraucher durch zusätzliche Informationen zur Orientierung bei der Kaufentscheidung dienen, doch, laut Ulrich Eicke, einem Insider der Branche, „wird Werbung heute mehr und mehr im Stil des Show-Business betrieben.“

Er setzt sich in diesem Buch kritisch mit den Methoden der Werbebranche auseinander und geht unter anderem folgenden Fragen nach:

  • Wieso liefert die Werbung dem Verbraucher immer weniger Sachinformationen?
  • Was bedeutet die ständige Werbeberieselung durch das Fernsehen?
  • Was geschieht mit Kindern, denen die Markenartikelwerbung ihre Symbole ins Gehirn “einpflanzt”?
  • Wo verläuft die Grenze zwischen Suggestion und Lüge?
  • Welche Auswirkungen hat die Werbeindustrie auf die Freiheit der Presse, der Print-, Funk- und visuellen Medien?
  • Was bedeuten Product Placement und Kultursponsoring?
  • Welche Zusammenhänge gibt es zwischen Werbung und Politik?

Diese und andere Fragen untersucht Ulrich Eicke, weil Werbung unseren Alltag beeinflußt und tief in unser Bewußtsein eindringt.

Textzitat:
„Werbung bestimmt die Tagesordnung, d. h. sie kann mit riesigen Geldsummen den Konsum als einzigen Tagesordnungspunkt auf die Tagesordnung setzen. In der Schlacht um einen Anteil am öffentlichen Bewusstsein läuft das darauf hinaus, dass alles nicht Kommerzielle und alles nicht Beworbene nicht behandelt, sprich: ignoriert wird. Bereiche ohne Kommerz und Werbung, die den Musen und der Entspannung dienen, werden nicht respektiert. Werbung macht es sich mit zunehmender Macht in der Privatsphäre bequem, so dass die Stimme des Kommerzes zur dominierenden Ausdrucksweise in der Gesellschaft wird.“

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Lesetipps: Konsum in Dresden | Deutsche Bank | Bayer und die Uni Köln | Alternativlosigkeit

© svilen001, stock.xchng

Was macht man am besten, wenn man als Unternehmen davon abhängig ist, dass einem die Gesellschaft nicht die Geschäftsgrundlage entzieht und sie einen außerdem vor wirtschaftlichen Rückschlägen schützt – so wie im Bankenbereich? Richtig, man bemüht sich schon möglichst früh, Lobbyarbeit an der Basis zu leisten, um das Meinungsbild der Menschen entsprechend ganz im eigenen Sinne vorzuformatieren. Nun ist es nicht neu, dass große Konzerne sich in den letzten Jahrzehnten immer wieder und vermehrt in den Bildungsbetrieb einmischen – man denke an die Bertelsmann Stiftung oder auch an BP; das britische Unternehmen hat eigene (bewachte!) Bereiche an amerikanischen Unis, an der Studenten exklusiv für sie forschen (was in der Doku „Gekaufte Wahrheit“ von Bertram Verhaag sehen kann). Aus der Sicht der Unternehmen, die ihren eigenen Profit und den Ausbau ihrer Marktmacht im Blick haben, ist das durchaus verständlich. Ob es auch für die gesamte Gesellschaft von Vorteil ist, wenn einstmals freie Lehre solcherrt kanalisiert wird, darf bezweifelt werden. Von daher finde ich die beiden folgenden Meldungen eher bedenklich – die taz berichtet in „Wissen von der Deutschen Bank“ darüber, wie sich das Bankinstitut an Berliner Unis mit eigenen Instituten einen Wissensvorsprung zu sichern versucht:

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Der Preis unseres Konsumismus

Ein kleiner Schocker zwischendurch: Vor einiger Zeit stieß ich auf der Seite von Indymedia-Portland-Seite auf einen Kurzfilm, dessen Titel „Price of Consumption“ mich natürlich sofort angesprochen hat. Ein User namens vftr hat eine Collage von Konsumbildern und den Folgen für unsere Umwelt nebeneinandergestellt. Da es zum Teil drastische Bilder zu sehen gibt, warne ich schon mal vor! Wer unter 16 ist, sollte sich das auch besser nicht anschauen, so von wegen Jugendschutzgesetz und so. :-)

This film draws the connection between products being consumed and the consequences of the extreme consumption patterns occuring in every day american life. This is a semi-experimental piece(not your typical Videos From The Resistance video) using almost all “found footage” that really brings these consequences to life and is set to a soundtrack of emotional melodramatic gothic piano. Be warned it contains graphic images and might make you cry.

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Denken mit Powerpoint – die Formatierung der Gedanken

In ihrer Reihe „Aula – Wissen 2.0 – Wie das Internet die Bildung verändert“ brachte der Rundfunksender SWR vor einer Weile einen sehr interessanten Beitrag von Burkhard Spinnen zur Powerpointisierung des Alltags und des Präsentierens: „Denken mit Powerpoint – vom Niedergang der Vortragskultur“. Ich habe das nicht nur an der Uni, wo Excel und Powerpoint quasi als Allheilmittel zur Gestaltung und Vorlesungsbestreitung eingesetzt werden, erlebt, sondern sehe es auch fast täglich bei meiner eigenen Arbeit: Microsofts Office-Programme, neben Powerpoint vor allem auch Word, haben viele PC-Benutzer in den Stand versetzt, selbst Dinge zu schreiben und zu drucken. Was an sich ja erst einmal eine gute Sache ist, da es die Möglichkeiten des einzelnen erweitert und ihn unabhängiger von sogenannten bzw. selbsternannten Experten macht.

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Anleitung zum Müßiggang

Heute möchte ich Euch, quasi als Gastbeitrag, folgende Buchbesprechung von Andreas G. von der Transition Town Initiative in Kiel mit auf den Weg geben, in der es um das gerade in diesen Tagen des „Aufschwungs“ und der Fantasien von „Vollbeschäftigung“ aktuelle Thema Arbeit und ihre überhöhte Bedeutung geht.

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Tom Hodgkinson: „How to be idle“ (2004),  zu deutsch etwa:  „Anleitung zum Müßiggang“

Der lockere Stil des Buches wirkt zunächst nur unterhaltsam, aber im Verlauf von über 330 Seiten wird deutlich, dass der Autor über eine ernst gemeinte Botschaft verfügt: eine handfeste Kultur-und Konsumkritik, die viele Denkanstöße für gewandeltes Leben liefert.

„Nichts zu tun ist harte Arbeit“, bemerkte schon Oscar Wilde; ausgehend von dieser Einsicht hat der britische Autor Hodgkinson eine Kulturgeschichte der Faulheit, genauer: der Untätigkeit, geschrieben, zugleich eine Kritik der arbeitssüchtigen Lebensweise westlicher Prägung.

Der lockere Stil wirkt zunächst nur unterhaltsam, aber im Verlauf von über 330 Seiten wird deutlich, dass der Autor über eine ernst gemeinte Botschaft verfügt, und seine Biographie unterstützt diesen Eindruck: Seit seinem Universitätsabschluß 1993 hat er erfolgreich jegliche reguläre berufliche Karriere vermieden, und stattdessen die Zeitschrift „The Idler“ begründet; das Emblem der Zeitschrift zeigt eine Schnecke.

Das Buch ist in 24 Kapitel eingeteilt, gemäß den Stunden des Tages; und jede Stunde lädt auf ihre Weise zum Untätigsein, Schwänzen, Entspannen, Nickerchen-Halten, etc ein. Zitate aus einer Vielzahl von Quellen, darunter aus etlichen Werken der Weltliteratur, bilden das Gerüst und belegen, dass Hodgkinson, trotz aller Untätigkeit, ein fleißiger Leser geblieben ist. Es geht ihm auch nicht wirklich darum, rein gar nichts zu tun, sondern um die Freiheit, das zu tun, was er tun möchte.

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Horst Stowasser über Anarchismus

Die Älteren unter Euch werden sich vielleicht noch daran erinnern, dass ich vor ein, eineinhalb Jahren voller Begeisterung das Buch „Anarchie!“ von Horst Stowasser rezensierte und meine Sympathie für die vom Autoren darin dargelegten Gesellschaftsentwürfe (Utopien?) zum Ausdruck brachte. Kurze Zeit später verstarb Stowasser leider, und Deutschland verlor einen der führenden Köpfe der anarchistischen Bewegung. Zum Glück gibt es neben seinen Büchern aber noch einige andere Dokumente, die den Geist seiner Ideen weiter tragen – so fand ich beim Nokturnal Times-Blog nachfolgende Videos, in denen Horst Stowasser auf einer Podisumsdiskussion Interpenetration Festivals von chmafu nocords einige Facetten und Ansprüche des Anarchismus darlegt.

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Propaganda im Klassenzimmer

Dass ich eine besonders hohe Meinung von Werbefritzen und Marketingheinis hätte, kann man sicherlich nicht behaupten. Das Ansehen dieser Berufsgruppe ist in meinen Augen aber noch ein wenig gesunken (sofern das überhaupt möglich war), nachdem ich den Beitrag „Wie die Werbewirtschaft Schulen und Kindergärten ins Visier nimmt“ von Report Mainz über sog. „Bildungssponsoring“ gesehen hatte und darin die selbstzufriedenen, anscheinend bar jeder Zweifel über ihr Tun seienden Werber erblickte, die nur darüber nachdenken, wie sie die Produkte ihrer Auftraggeber möglichst prominent an Schulen und Kindergärten platzieren können. Dazu fällt mir echt nichts mehr ein! Wir sind auf dem „besten“ Weg zu amerikanischen Verhältnissen, wie mir scheint (obwohl man dort ja mittlerweile wieder versucht, den Kommerz an Schulen ein wenig zurückzudrängen)…

Das Geld in Kindergärten und Schulen ist knapp. Bildungssponsoring heißt deshalb seit einigen Jahren das Zauberwort. Unternehmen und Verbände sollen die leeren Kassen wieder füllen. Doch die nutzen Bildungssponsoring gezielt, um in Kitas und Schulen Markenwerbung zu betreiben. Das ist in 13 Bundesländern eigentlich verboten.

Ein Weg, dieses Verbot zu umgehen, ist den Lehrern gesponserte Unterrichtsmaterialien anzubieten. Die sind auf den ersten Blick oft attraktiv und aufwändig gestaltet, doch bei genauerem Hinsehen halten so Werbebotschaften Einzug in die Klassenzimmer. Politisch motivierte Stiftungen und Unternehmen nehmen so massiv Einfluss auf die Lehrinhalte oder bombardieren bereits Kindergartenkinder mit Markenlogos.

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Die Verschwendung der öffentlichen Hand

Sicher, Privatisierung einstmals öffentlicher Güter geschieht oft genug zum Nachteil der Menschen, darüber habe ich hier im Blog ja auch schon oft genug geschrieben. Leider ist es aber mitnichten so, dass Abläufe, die nach wie vor in öffentlicher Hand liegen, deshalb zwingend effizient und zielgerichtet ablaufen. Vielmehr wird bei öffentlichen Investitionen gerne mal mit Kostenschätzungen getrickst und das Geld der Steuerzahler verbrannt – darüber hat auch das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus Anfang des Jahres im Beitrag „Teures Bauen – Warum öffentliche Bauvorhaben oft viel mehr kosten als geplant“ von Arne Hell berichtet. Abgehobene, bürgerferne Entscheidungsprozesse wie auch auf den eigenen Gewinn bedachte Subunternehmer wirken sich also nachteilig für uns alle aus, wie man an Prestigebauten wie der immens teuren Hamburger Elbphilharmonie sieht:

Öffentliche Großbauvorhaben werden sehr häufig teurer als geplant. Solche Kostenexplosionen sind meistens hausgemacht. Regierungen, Baudezernenten, Bürgermeister und Verwaltungen rechnen die Preise für Großbauprojekte gerne schön, das haben uns auf Anfrage mehrere Politiker und ehemalige Verantwortliche bestätigt. Das heißt, dass die Baukosten im Einzelfall gar nicht wirklich “steigen”, sondern dass sie einfach über dem vorher berechneten Preis liegen. Das Problem: Auf Grundlage dieses Preises haben Parlamente oder Stadträte den Projekten zugestimmt.

Risiken runter, Nutzen rauf
Gerade bei Infrastrukturprojekten hat diese Methode System. Um ein Bauprojekt wie Stuttgart 21 oder z.B. auch die 2006 fertig gestellte ICE-Trasse von München nach Nürnberg beschließen zu können, muss das Projekt einen bestimmten Nutzen erfüllen. Das heißt: Die zu erwartende Zahl von Passagieren oder der Zuwachs an Gütertransporten auf der Strecke muss in einem vernünftigen Verhältnis zu den Baukosten stehen. Der Vorsitzende des Bauausschusses im Bundestag, Winfried Hermann (Bündnis 90/Die Grünen), kennt viele Beispiele, bei denen die Kostenrisiken eines Projekts absichtlich zu niedrig angesetzt wurden, der erwartete Nutzen dafür zu hoch. “Im Grunde werden Parlamente systematisch veräppelt”, sagt Hermann. “Wir sollten uns das nicht länger bieten lassen und auf einem finanzorientierten Controlling bestehen.”

Wer verdient daran, wenn es teurer wird?
Häufig fehlen aber auch die Anreize dafür, geplante Kosten einzuhalten. Architekten und Planer verdienen in der Regel prozentual an den Gesamtbaukosten. Steigt der Preis, dann steigt auch ihr Honorar. So ist es zum Beispiel im Fall der Hamburger Elbphilharmonie. Der Anteil der Stadt Hamburg stieg seit 2006 von einmal angedachten 77 Millionen Euro auf 323 Millionen. Der Gesamtpreis für das Konzerthaus an der Elbe wird bei mehr als 500 Millionen liegen. “Das war ein schwerer Fehler der Stadt Hamburg”, sagt Marcel Schweitzer vom Hamburger Bund der Steuerzahler. “Sie hat mit den Architekten einen Indexhonorarvertrag abgeschlossen, so dass das Architektenbüro wahrscheinlich ein Interesse daran hat, dass besonders lange und besonders teuer geplant wird.” Gleichzeitig sind die Architekten auch Generalplaner, d.h. es gibt keine Instanz, die das Ausmaß der Planungen überwacht.

Koste es, was es wolle
Ein weiterer Kostentreiber bei öffentlichen Großbauprojekten sind Extrawünsche von Politikern. Gerade bei Prestigebauten, gerne auch “Leuchtturm” genannten Projekten, übersteigen die Baukosten die Planungen. So ist es beispielsweise im Fall des neuen NRW-Landesarchivs in Duisburg. Das Land wollte mit einem Prachtbau an einer ganz bestimmten Stelle ein Zeichen setzen: Im Innenhafen von Duisburg. Eine Essener Immobilienfirma schnappte dem Land allerdings das Grundstück weg, offenbar weil es einen Tipp bekam. Anstatt sich nach einem anderen Bauplatz umzusehen, ließ sich Nordrhein-Westfalen auf einen Deal ein: Statt wie geplant zwei Millionen Euro zahlte es für das Grundstück am Ende fast 30 Millionen. Die alte Landesregierung um Jürgen Rüttgers wollte das Archiv unbedingt an dieser prestigeträchtigen Stelle. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Korruptionsverdachts.

Planungsfehler und Größenwahn – für öffentliches Geld haftet niemand
Kostenexplosionen bei öffentlichen Großprojekten gibt es weltweit. Nach einer internationalen Studie von 2003 (u.a. von Prof. Werner Rothengatter vom Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsforschung der Universität Karlsruhe) lagen die Baukosten im Schnitt um 50 Prozent über den Planungen. Für diese Überschreitungen, sofern sie nicht dem Bauunternehmen angelastet werden können, haftet keiner der Verantwortlichen persönlich – im Gegensatz zu einem privaten Bauprojekt, bei dem der Bauherr die Mehrkosten direkt spürt. Der Bund der Steuerzahler schlägt daher Prämien vor, die ein Planer oder ein Unternehmen bekommen, wenn es die Baukosten einhält. Solange es solche Anreize nicht gibt, dürfte es “plötzliche” Kostenexplosionen im öffentlichen Bau immer wieder geben.

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