Jul
24
2009
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Unter Kontrolle technischer Gadgets?

gadgetNa, Hand aufs Herz, wer von Euch besitzt oder benutzt ein iPhone oder ein anderes technisches Spielzeug, ohne das, so will uns die Reklame zumindest einreden, ein Leben heutzutage gar nicht mehr lebenswert oder vorstellbar ist? „Cool“ ist mensch ohne solch ein Teil natürlich erst recht nicht! Was viele Benutzer solcher Gadgets nicht wissen – diese Geräte stehen oft unter der Kontrolle der Hersteller, die quasi aus der Ferne Inhalte tilgen oder verändern können. Spiegel Online (manchmal lohnt es sich halt doch, auch mal einen Blick in die Mainstreammedien zu werfen) berichtete vorgestern ausführlicher über den neuen Trend zur Fernsteuerung via elektronischer Geräte – „Wie uns Gadgets an Konzerne fesseln”. Aufhänger ist der letzte Woche bekannt gewordene Fall Amazons, die bei Kunden, die für ihr ebook-Lesegerät Kindle die digitale Ausgabe von George Orwells „1984“ gekauft hatten, selbige auf Grund von Lizenzproblemen einfach wieder löschten, was die Vorstellung von „Besitz“ im digitalen Zeitalter stark relativiert – und natürlich auch Tür und Tor für andere Manipulationsmöglichkeiten öffnet.

Mit jedem Hightech-Gadget, das wir erwerben, geben wir ein Stückchen Freiheit auf. Denn viele Geräte hängen heute per Datenleitung oder Funkverbindung dauerhaft an den Servern des Herstellers. Für Überwacher und Kontrolleure bieten sich völlig neue Möglichkeiten – Kunden verlieren Rechte. (…)

(…) Das Schutzbedürfnis der Nutzer aber führt im Konzert mit dem Kontrollbedürfnis der Hersteller zu einer gefährlichen Situation, schreibt Zittrain: “Eine Verschiebung hin zu angebundenen Geräten stellt auch eine Wasserscheide hinsichtlich der Regulierbarkeit des Internets dar” (Hervorhebung vom Autor). Die “Gefahren des Exzesses” rührten dann nicht mehr von Virenschreibern und Hackern her, sondern von “Eingriffen von Regulierungsbehörden in die Geräte selbst, und damit in die Art und Weise, wie Menschen diese Geräte benutzen können.” Anders formuliert: Durch tethered appliances wächst nicht nur die Macht der Hersteller über die Nutzer ihrer Geräte – mittelbar wächst auch die Macht staatlicher Organe, die mit genügend Druck jeden Hersteller zu Erfüllungsgehilfen eigener Überwachungs- und Kontrollwünsche machen können. Wer glaubt, Großkonzerne würden sich dem Willen von Autokraten und Diktatoren nicht beugen, der werfe einen Blick nach China, wo Infrastrukturanbieter und Suchmaschinisten brav den Wünschen der Regierung folgen. (…)

(…) Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass diese “merkwürdigen Mischtechnologien” uns nie ganz gehören werden, selbst dann, wenn wir viel Geld dafür bezahlt haben sollten. Jeder Webmail-Account, jedes Hightech-Telefon, jeder DVD-Player mit Internet-Anbindung schränkt unsere Freiheit ein bisschen weiter ein – zumindest potentiell.

Apropos Spiegel – in der neuen Ausgabe findet sich ein weiterer erstaunlicher Artikel, nämlich „Freizeit: Wie wollen wir leben?“, der sich mit der übergroßen Bedeutung der Arbeit in unserer Gesellschaft beschäftigt und beispielsweise neue Trends wie die „gleefully frugal“ beleuchtet.

“Viel Arbeit, wenig Zeit: Lange galt das als einziger Weg zu einer erfolgreichen Existenz. Doch die Krise wird das ändern – zum Glück.”

“Es gibt ein etwas angestaubtes, konsumkritisches Motto aus den siebziger Jahren: Wer weniger arbeitet, hat mehr Zeit zum Leben. Das klingt gut 30 Jahre später noch ein bisschen ungewohnt, aber es könnte wieder in die Zukunft weisen.”

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Jul
13
2009
1

Die Herrschaft der Beliebigkeit – Eine Demokratiekritik

streifzuege-logoHach, es ist immer wieder erfrischend, einen Blick auf die Websites der Zeitschriften krisis und Streifzüge zu werfen, denn dort werden tatsächlich einmal kritische Gedanken zu Papier gebracht, die an so mancher als unumstößlich geltenden Normalität unseres Daseins rütteln. Neben der Kritik an der Überhöhung des Wertes der Arbeit und unserer Warengesellschaft wagt sich Autor Peter Klein in der neuen Ausgabe von Streifzüge (Nr. 46/2009 – das Heft gibt es komplett auch als kostenloses pdf!) an ein viele von uns seit Jahren umtreibendes und seit den ganzen Aktionen rund um die Internetsperren und das Ignorieren von E-Petitionen vermehrt beschäftigendes Thema: der Zustand unserer (Parteien-)Demokratie. In „Die Herrschaft der Beliebigkeit – Eine Demokratiekritik“ geht es dem Autor vor allem darum, dass heutzutage schon das Nachdenken über Alternativen und grundlegende Änderungen am momentanen Zustand fast ausgeschlossen erscheint, zumal die Verbindung von Demokratie mit dem (kapitalistischen) Wirtschaftssystem bereits so tief ins allgemeine Bewusstsein gesickert ist, dass auch hier echte Verbesserungen für viele kaum noch vorstellbar sind. Hier (wie üblich) ein paar Auszüge:

(…) Wie bei allen Bewusstseinszuständen, die es zu einer gesellschaftlichen Monopolstellung gebracht haben, ist natürlich auch mit diesem eine Gefahr verbunden. Es entsteht ein ideologischer Nebel, der es den Menschen schwer macht, die Härte und Grausamkeit, die mit der Ausübung jeglicher politischer Macht verbunden ist, deutlich wahrzunehmen. So sind etwa die vom Westen angezettelten Kriege der letzten Jahre trotz ihrer Unbeliebtheit auf bemerkenswert wenig Widerstand in der Bevölkerung gestoßen. Bomben, die im Namen der Demokratie und des Menschenrechts töten, machen anscheinend einen vernünftigeren und harmloseren Eindruck als das, was von „Hass“ und „religiösem Fantatismus“ angetriebene Attentäter tun – mag es militärisch gesehen auch noch so stümperhaft und unwirksam sein. (…)

Überhaupt zeichnet sich die westliche Demokratie durch ein hohes Maß politischer Zumutungs- und Frustrationstoleranz aus. Bei allem Lob der Kritik, bei aller mit Nachdruck zelebrierten Offenheit und Streitkultur – sie hat sich im letzten halben Jahrhundert als ein Hort der politischen Ruhe und Stabilität bewährt. Und dieser Umstand scheint mir von grundsätzlicher Bedeutung zu sein. Er verweist auf die Tatsache, dass die Menschen des Westens, jeder einzelne für sich, ziemlich viel mit sich selbst zu tun haben. Dafür sorgt die politisch-rechtliche Grundstruktur, in der sie sich befinden. Die moderne demokratische Gesellschaft ist eine weitgehend individualisierte Gesellschaft. Das Volk, das herrscht, ist eine rechtliche Struktur, die auf das vereinzelte Individuum zugeschnitten ist. Die Menschen sind hier rechtlich voneinander unabhängige Subjekte, die ihr Leben in freier Selbstverantwortung zu gestalten haben. Was immer diesem selbstverantwortlichen Subjekt zustößt, es handelt sich zunächst einmal um seine eigene Angelegenheit und um sein eigenes Pech. Jeder ist hier seines Glückes Schmied, und das heißt im Umkehrschluss, dass er sich auch das Misslingen und das Unglücklichsein selbst zuzuschreiben hat. Das hämische „Selber schuld!“ liegt mehr auf der Linie des verbreiteten Einzelkämpfertums als die Entwicklung von Solidaritätsgefühlen. Mit anderen Worten: Die Zeiten, in denen man noch politische Überzeugungen hegte und Opfer für sie brachte, sind in der überaus „coolen“ Gesellschaft der westlichen Demokratie lange vorbei. Das Dasein als privater Egoist fristen zu müssen, ist schon anstrengend genug. (…)

(…) Wenn das Nein zur Abwechslung einmal etwas früher auftreten und sich obendrein auch noch Gehör verschaffen könnte, wäre dies in Anbetracht der historischen Erfahrungen sicher von Vorteil. In diesem Sinne möchte ich den hier vorliegenden Versuch einer Demokratiekritik verstanden wissen. Die Krise, mit der wir konfrontiert sind, besitzt nach meiner Auffassung fundamentalen Charakter, das Ende einer ganzen Epoche zeichnet sich ab. Je deutlicher wir uns diese Situation bewusst machen, je besser wir mental darauf eingestellt sind, desto weniger Schmerzen wird uns der Übergang in die postkapitalistische Ära bereiten. Hinter den immergleichen Formeln und Floskeln wie hinter den Gitterstäben eines Käfigs hin- und herzustreifen, ist das Letzte, was uns Not tut. Es kommt im Gegenteil darauf an, diese Gitterstäbe zu durchschauen und zu überwinden. Der Abschied von der kapitalistischen Epoche fällt in dem Maße leicht, in dem sich die Einsicht verbreitet, dass das zu Verabschiedende überflüssig ist wie ein Kropf, dass es gut und nützlich ist, wenn man es hinter sich lassen kann. Der Abschied wird zur Qual ohne Ende, wenn man sich an den gewohnten Maßstäben und Denkformen um jeden Preis festzukrallen versucht. (…)

(…) Es ist schon viel gewonnen, wenn es uns gelingt, zu dieser Konstellation mental und bewusstseinsmäßig auf Distanz zu gehen. Letzten Endes sollte die demokratische Vernunft aber als das aus unsichtbaren Mauern bestehende Gefängnis verstanden werden, das den modernen Menschen daran hindert, seine existenzielle Befindlichkeit ernst zu nehmen und sich auf eine unbefangene Debatte darüber einzulassen.

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Jul
04
2009
4

Die Krise und der Zustand in Island und Italien

Zwei Artikel sind mir gestern über den Weg gelaufen, die sich mit den aktuellen Zuständen und Krisenfolgen direkt in Europa befassen und die mich beide erschrocken haben. Auf Yahoo! fand sich der kurze und bestürzende Bericht „Isländer müssen für Bankenkollaps bluten”, in dem es um die aktuelle Lage in Island geht. Der kleine Inselstaat ist von dem Bankanchaos besonders hart getroffen worden und muss nun drastische Einsparungen und Verschärfungen in Bezug auf die Bürger in Kauf nehmen, und das, obwohl die meisten Menschen ja nichts für diesen Bankenpoker können. In gewisser Weise ist die Beschreibung dessen, was gerade auf Island passiert, eine komprimierte Fassung dessen, was uns auch hierzulande in Zukunft blühen dürfte: das für die Rettung der Banken verpulverte Geld muss ja an irgendeiner Stelle wieder reingeholt werden… Pikant auch, dass eine rot-grüne Regierung in Island solche Beschlüsse fasst.

Knapp neun Monate nach dem Kollaps des isländischen Finanzsektors bekommen die 320 000 Bürger jetzt die Rechnung für die gigantischen Fehlspekulationen von Bankmanagern präsentiert.

Sie sollen nach der Verabschiedung eines «Stabilitäts-Paketes» im Parlament in Reykjavik mit deutlich höheren Steuern, ebenso deutlich verminderten Sozialleistungen des Staates und weniger Geld für Krankenhäuser und Schulen dazu beitragen, das Minus im Staatshaushalt auf zehn Prozent des Bruttonationalproduktes zu beschränken.

faschistische-uniformSowieso schlimm, auch schon vor dem offiziellen Ausbruch der „Finanzkrise“, war die Lage ja in Italien – ein Land, in dem so jemand wie Berlusconi, der die Medien unter seiner Fuchtel und vieles auf dem Kerbholz hat, als Regierungschef gewählt wird, muss masochistisch veranlagt sein. Auf Lumières Dans La Nuit habe ich nun einen Beitrag gelesen, der einen den Atem stocken lässt, denn man kann den Eindruck bekommen, dass Italien direkt auf dem Weg zu einem neuen Faschismus ist – „Krisennews Spezial: Italien”. Zum Beispiel wenn man sich die Uniformen der neu gegründeten „Bürgerwehr“ mit ihrer Sonnenrune anschaut… wie krank ist das!

(…) Berlusconis Regierung hat sich währenddessen auf die Ärmsten der italienischen Gesellschaft eingeschossen. Seine grausame Anti-MigrantInnen Politik schließt ein „Sicherheitspaket” ein, das per Notverordnung eingeführt wurde und in dem medizinisches Personal und HausbesitzerInnen angewiesen werden, mutmaßlich illegale MigrantInnen zu melden. Berlusconi und seine Partner aus der Lega Nord und der „postfaschistischen” Nationalen Allianz haben in Folge mehrerer Vergewaltigungen, die vorgeblich von Nicht-Italienern begangen wurden und denen große mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde, ganz bewusst Migration mit Verbrechen in Verbindung gebracht. Reagiert hat die Regierung mit lebenslänglichen Freiheitsstrafen für die Vergewaltigung Minderjähriger und Überfälle, in denen das Opfer getötet wird. Mit dem Vorschlag, allen Nicht-ItalienerInnen Fingerabdrücke abzunehmen strebt sie die Kriminalisierung aller MigrantInnen an. Am bedenklichsten ist, dass sie den Einsatz von Straßenpatrouillen vorgesehen hat, die von unbewaffneten und unbezahlten Freiwilligentruppen („ronde”) durchgeführt werden – darunter auch pensionierte PolizistInnen und SoldatInnen. (…)

Und Die Welt führt weiter aus:

(…) “Die GNI ist die neueste Erfindung aus der rechtspopulistischen bis neofaschistischen Schmuddelecke Italiens. Es steht für “Guardia Nazionale Italiana”, “Italienische Nationalgarde”. Sie will Ordnung bringen in die italienischen Innenstädte, die sie in einem ständigen Niedergang sieht, vor allem verursacht durch Einwanderer.

Um ihr Ansinnen auch nach außen wirkmächtig darzustellen, greift die “Nationalgarde” in die Altkleidersammlung der Geschichte. Wer mitmachen will, soll eine Uniform tragen, die jenen aus der Zeit des Faschismus ähnelt: Springerstiefel, Khakihemden, schwarze Krawatten. So will “GNI” in Italien Streife gehen, sobald ein Gesetz der Regierung Berlusconi in Kraft tritt, das Bürgerwehren zur Unterstützung der Polizei erlaubt. (…)

(…) “Die Uniformen der “Nationalgarde”, die italienweit etwa 2000 Mitglieder haben soll, lösten erwartungsgemäß heftige Reaktionen aus. Junge Kommunisten diskutieren bereits in Internetforen, eine “Kommunistische Miliz Italiens” zu gründen, und die Nachrichtenagentur Ansa meldet, römische Juden hätten angekündigt, eine “Gegenbürgerwehr” zu gründen, eine “Brigate ebraica”, eine “Jüdische Brigade”. (…)

Grauenhaft, das klingt wirklich nach den 1930er Jahren, was sich da zusammenbraut…

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Jul
03
2009
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Zwei spannende Lesetipps (Sommeredition Teil 1)

1178368_sit_and_read_2Michael Jackson ist tot. Über diese weltbewegende Nachricht habe ich in meinem Blog nichts weiter geschrieben und wollte es eigentlich auch weiterhin so halten (Personenkult und „Helden“verehrung sind nicht so meine Welt) – bis ich bei Lumières Dans La Nuit auf einen passenden Nicht-Nachruf gestoßen bin, dem ich inhaltlich eigentlich voll zustimmen kann, insbesondere den Stellen über die Inszeniertheit von Betroffenheit und der Struktur des „Showbiz“ (den Begriff „Funktionsmusik“ finde ich besonders schön) – „Anstelle eines Nachrufs“:

(…) Wenn die Menschen um mich herum auch nur halb so betroffen davon wären, dass ihnen ganz persönlich ein so genanntes “Grundrecht” nach dem anderen entzogen wird und dass ihnen ihr Leben vergällt, geraubt und enteignet wird, während eine kleine Clique von Besitzenden und Mächtigen sich am geraubten Lohn ihres Schweißes mästet, wie sie über den Tod eines sich durch bloßes Hinschauen als recht künstlich erweisenden Produktes der Contentindustrie betroffen fühlen gemacht werden, denn wäre ich für die Zukunft dieser Gesellschaft sehr viel optimistischer. Die industriell erstellte Unterhaltung — auch in ihren scheinbar ernsteren Inhalten, auch in ihren Meldungen vom Tod eines so genannten stars, bei dem bestenfalls die Selbstverstümmelung und die Monstrosität der Fleischvermarktung astronomische Ausmaße angenommen haben — sie ist in ihrer Abstopfung der Sinne und des Sinnes nichts als Unten-Haltung. (…)

(…) Deshalb werden heute noch synthetischere Produkte auf den Markt gespien, Gestalten, für die man zielgruppengerecht eingängige Funktionsmusik komponieren lässt, mit der sie dann für ein paar Wochen oder einen Sommer lang mit aller Macht in die Rundfunkempfänger gepresst werden, auf dass es zu einem Geschäft komme. Das sich auf diesem Wege irgendwelche Menschen zu fans entwickeln, die eine abstrakte persönliche Beziehung zu diesen Gestalten aufbauen, ist dabei explizit unerwünscht. Gewünscht sind austauschbare Nanoprominente für den Augenblick, die ohne Schmerzen für das kleine Investment in ihrem künstlichen Ruhm wieder fallen gelassen werden können. Was den Menschen heute als Glimmerwelt des show business vor Augen gestellt wird, hat längst schon das volle Gepräge jedes anderen Wirtschaftens und erachtet seine Arbeiter (darin seid gewiss: Show ist harte Arbeit!) als Menschenmaterial, als austauschbare Batterie im industriellen Produktionsprozess. Dem entsprechend gering ist auch die Mühe, die zur Jetztzeit in der Vermarktung von Musik aufgewändet wird, sie spiegelt wider, dass es sich hierbei um ein Einwegprodukt handelt, das benutzt und anschließend weggeworfen wird. (…)

Und allen, die nicht davor zurückschrecken, auch mal längere Analysen lesen, sei Helmut Lotters Beitrag „Das Gleichgewicht und der Schrecken“ im brand eins-Magazin ans Herz gelegt. Es geht, grob gesagt, um Ordnungswahn, unser Wirtschaftssystem und wie die Politik darauf einwirkt. Auch wenn so manches in dem Text für mich etwas arg nach FDP klingt – ich finde ja beispielsweise, dass der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik viel zu groß ist (und nicht nur umgekehrt); auch in das Loblied auf die angeblich „soziale Marktwirtschaft“ werde ich hier sicher nicht einstimmen, denn jede dem Wachstum verpflichtete Wirtschaftsform muss irgendwann grandios scheitern (sofern der Planet nicht mitwächst) und wird zudem auf dem Rücken großer Teile der ärmeren Welt ausgetragen –, so sind doch auch eine Reihe interessanter Gedanken enthalten, z.B. auch über Keynes, der ja im heutigen Diskurs wieder von allen Seiten verehrt wird. Zu Unrecht, könnte man nun mutmaßen…:

(…) Stabilität und Wachstum sind in diesem Gesetz ein und dasselbe – und das ist bereits im Wortsinn absurd. Die sogenannte quantitative Operationalisierung des Stabilitätsgesetzes schreibt fest, dass stabile Verhältnisse im Lande dann herrschen, wenn das Wirtschaftswachstum zwischen drei und vier Prozent liegt. So viel Wachstum musste sein, das hatten die Experten auf der Grundlage der Verhältnisse der Jahre 1965 bis 1967 ausgerechnet, um das Gleichgewicht des Wohlstands zu sichern und allmählich auszubauen. Diese Wachstumsraten sind längst zu einem Glaubensbekenntnis geworden, zu einem religiösen Gebot der Volkswirtschaft. Weicht die Realität von diesen Zahlen ab, dann herrscht entweder ungehemmte Euphorie oder Katastrophenstimmung. Nur selten wird gefragt, woher diese Zahlen kommen und ob sie heute überhaupt noch sinnvoll sind. Das ist auch so mit einem weiteren Bekenntnis des Stabilitätsgesetzes, dem zur Vollbeschäftigung. Und bei alldem sollten dann auch noch die Preise stabil bleiben. Ohne Zweifel herrscht der Geist des Stabilitätsgesetzes bis heute. Was bei dieser Logik herauskommt, zeigt sich auf einen Blick. Seit 1967 steigt die Staatsverschuldung rapide an – der Abstieg beginnt damals. (…)

Das Ohnmachtsgefühl sorgt aber nicht dafür, dass energisch gefordert wird, die Gleichgewichtsmaßnahmen zu beenden und einen Neuanfang zu wagen, in dem das einzig relevante Ziel aller Ordnung und Stabilität liegt: ein verständlicher Rahmen, solide Grundsätze, aus denen klare Entscheidungen abgeleitet werden können. Unzählige Interessengruppen intervenieren angesichts der Ordnungsflut und fordern – neue Gesetze, Ausnahmen und Regeln. Wo zu viel ist, ist gleichzeitig nichts mehr. Die Angst vor einem Wechsel und vor der Veränderung führt aber dazu, dass man immer mehr Ordnungs-Werkzeuge und Ordnungs-Regeln anhäuft, an die man sich klammert, ihre Wirkungslosigkeit erkennt und sofort neue Regeln fordert, die oben aufgepfropft werden.

(…) Im Vorwort zur 1936 erschienenen deutschen Ausgabe seines Hauptwerks, “The General Theory of Employment, Interest and Money”, schreibt Keynes, dass seine Theorie “viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepasst werden” könnte als eine “unter Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines großen Maßes von laissez-faire erstellte Produktion. Das ist einer der Gründe, die es rechtfertigen, dass ich meine Theorie eine allgemeine Theorie nenne.” Keynes hat sich mit dem Buch, das in Nazideutschland unzensiert erschien und von Parteiblättern wohlwollend besprochen wurde, ungeniert beim NS-Regime empfohlen. Politiker, die Keynes’ Theorien heute wieder empfehlen, und das sind die meisten, reden also einer “Stabilitätstheorie” das Wort, die gut zur Tyrannei passt, weil sie dafür verfasst wurde. Ob die Gläubigkeit an die staatswirtschaftliche “Allgemeine Theorie” eher auf Dummheit oder auf Naivität fußt, ist bis heute unklar – und unerheblich. Hier wird nichts weiter als das Gleichgewicht des Schreckens empfohlen. (…)

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Jun
30
2009
5

Wie der Druck durch Werbung die freie Presse korrumpieren kann, Teil 2/2

Dies ist Teil 2 meiner gestern begonnen Übersetzung des Berichts von Project Censored über die Studie „Dictating Content: How advertising pressure can corrupt a free press“, in dem einer der Initiatoren ein wenig mehr über die Hintergründe erzählt.

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zeitungsdruckKommentare: Viele Medienkritiker haben der Presse bereits in der Vergangenheit vorgeworfen, anfällig für den Druck der Werbung zu sein. Bisher gab es dennoch keine breit gefächerten Beweise dafür, wie dieser Prozess funktioniert. Dank der Studie des Center for the Study of Commercialism liegen diese Beweise nun vor, obwohl sie nach wie vor im großen Stile von der Presse selbst ignoriert werden. Autor Ronald K.L. Collins beschreibt die Studie und wie sie von den Nachrichtenmedien aufgenommen wurde:

„Soweit wir wissen, war ‚Dictating Content‘ die erste Studie dieser Art, die sich mit dem Thema befasst, wie der Druck durch die Werbeindustrie den redaktionellen Inhalt in Print- und elektronischen Medien beeinflussen kann. Der Bericht zitiert mehr als 60 konkrete Beispiele für werbebedingte Zensur in Print- und elektronische Medien, darunter mehr als zwei Dutzend, die niemals zuvor offengelegt wurden.“ (‚Eine bemerkenswerte Leistung, wenn man bedenkt, wie panisch viele Nachrichtenteams reagieren, sobald diese Frage angesprochen wird.‘ schrieb Doug Ireland in Village Voice, 24.3.1992.)

„Zum ersten Mal berichtete eine Studie den Amerikanern – vor allem den Konsumenten – wie der Inhalt der Medieninformationen durch direkten oder indirekten Werbedruck beeinflusst werden kann. Solche Informationen können einen erheblichen Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungen haben, die Amerikaner treffen, von den Häusern und Autos, die sie kaufen bis hin zu den Medikamenten, die sie benötigen könnten. Außerdem ist das öffentliche Wissen über den Werbedruck in Bezug auf Akohol- und Tabakberichterstattung, von entscheidender Bedeutung für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit.“

„Einige Medien (z.B. The Washington Post) befassten sich nicht mit der Geschichte, weil, einem Journalisten zufolge, das Problem, wie man sagt, ‚bestens bekannt‘ unter Journalisten sei (z.B. in den Redaktionen, den wissenschaftlichen Fachblättern etc.). Selbst wenn dies wahr sein sollte, übersieht solch ein Argument einen wichtigen Fakt: die Öffentlichkeit wird über diese Art der privaten Zensur, die die Freiheit der Presse einschränkt, im Dunkeln gelassen.“

„Kurz gesagt, Informationen der Art, wie sie in ‚Dictating Content‘ angeschnitten werden, sind ein wichtiger Bestandteil des öffentlichen Informationsrechts, ohne die die hohen Ziele des ersten Verfassungszusatzes nicht erreichbar sind.“

„Über 200 Nachrichten- und Presseorganisationen erhielten Pressemitteilungen und Einladungen zu unserer Pressekonferenz über unsere Studie. Während die Studie selbst wenig bis mäßige Berichterstattung in Zeitungen erlangte, wurde über sie im Fernsehen und in wichtigen Zeitschriften überhaupt nicht berichtet. Die einzige Erwähnung im Fernsehen war ein kurzer Fox Morning News-Bericht am 12. März 1992. Alle wichtigen Sender und Magazine bekamen vorab Pressemitteilungen und/oder Kopien unserer Studie. Dennoch wurden keine Reporter von Fernsehsendern oder wichtigen Zeitschriften eingeteilt, darüber zu berichten – und niemand berichtete.“

„Dieses totale Totschweigen des Themas bei Network-Fernsehsendern und den großen Magazinen war vielleicht vorhersehbar, wenn man bedenkt, das unsere Studie ergab, dass das Problem des Drucks durch Werbekunden am akutesten bei diesen Medien ist.“

„Wenn die Medien nicht intensiv das Thema der Beeinflussung der Presse durch die Werbung beleuchten, ist anzunehmen, dass dieses Problem bestehen bleibt und sogar noch schlimmer wird. Zu viele Redakteure und Produzenten werden befangen/ängstlich sein angesichts des Werbedrucks; zu viele Reporter werden zurückhaltend bleiben, wenn es darum geht, sich mit Geschichten zu befassen, die in der Versenkung verschwinden oder die zu ihrer Entlassung führen könnten; und viel zu oft werden er Öffentlichkeit Informationen vorenthalten werden, die notwendig sind, um informierte Entscheidungen zu treffen. Derweil wird dieser Teufelskreis der Zensur fortbestehen, der die kurzfristigen kommerziellen Gewinne über den langfristigen Gewinn ungestörter Kommunikation stellt.“

„Das Center for the Study of Commercialism wird seine Bemühungen auf diesem Gebiet fortsetzen. Momentan arbeiten wir an einer Studie über die wichtigsten Handbücher/Anleitungen, die im Journalismus und Kommunikationsabteilungen benutzt werden, um festzustellen, in welchem Maße, falls überhaupt, das Thema des Werbedrucks und der redaktionellen Integrität behandelt werden. Gleichzeitig versucht das Center, Gruppen wie die Society of Professional Journalists und die American Society of Newspaper Editors anzusprechen, lange notwendige Schritte in diesem Bereich zu unternehmen, indem freiwillige Richtlinien etabliert werden.“

„Dennoch, das Problem bleibt. So ergab beispielsweise eine neue Studie der Society of American Business Editors & Writers, dass 75 Prozent der befragten Redakteure und Autoren angaben, dass sie sich des wachsenden Drucks der Werbetreibenden, den Inhalt der Publikationen zu beeinflussen, bewusst seien. Nahezu die Hälfte der Befragten antwortete, dass der Werbedruck die Art und Weise, wie ihre Publikation Nachrichten bearbeitete oder darüber berichtete, beeinträchtigt habe. Am schlimmsten daran ist, dass über solche Informationen über diese Form der Zensur praktisch niemals berichtet werde, vor allem nicht bei den Network-Fernsehstationen und den großen Magazinen.“

„In einer hochkommerzialisierten Kultur wie der unsrigen, kann die in der Verfassung festgelegte Metapher des Marktplatzes der Ideen nur umgesetzt werden, wenn es eine kritische Distanz zwischen den Kräften des Marktes und der Pressefreiheit gibt, insbesondere was kritische Gedanken über den Markt angeht. Leider haben leise, aber mächtige Zensurkräfte verhindert, dass diese Botschaft ankommt.“

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Jun
29
2009
17

Wie der Druck durch Werbung die freie Presse korrumpieren kann, Teil 1/2

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Vor einigen Wochen hatte ich schon einmal das amerikanische Center for the Study of Commercialism vorgestellt („The culture of Commercialism“), das sich vor allem in den 90ern intensiv mit den Folgen und Schäden unserer Konsum- und Reklamegesellschaft auseinandergesetzt hat. So untersuchte es auch die Auswirkungen, die Werbung auf die Inhalte und die Freiheit der Presse und Medien hat (siehe auch meinen Beitrag „Werbung schadet, Teil 2b: Medienmanipulation durch Werbeentzug“) – interessant sicher auch für alle, die immer noch glauben, dass „Werbung doch gar nicht so schlimm“ sei oder „nicht wirklich schaden“ würde. Ihre Studie „Dictating content: How advertising pressure can corrupt a free press“ ist leider online nicht komplett verfügbar, lediglich gebraucht konnte ich noch ein Buchexemplar ergattern. Glücklicherweise existiert das Project Censored, eine Website, die „the news that didn’t make the News“, also die Nachrichten, die von den Mainstreammedien gerne unter den Tisch gekehrt werden, für eine wache Öffentlichkeit bereit hält. Dort findet man auch eine zusammenfassende Darstellung der Studie, die ich Euch hier in übersetzter Form biete.

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Wie der Druck durch Werbung die freie Presse korrumpieren kann

Zusammenfassung: Die freie Presse in Amerika ist nicht wirklich frei – auf jeden Fall nicht vom Einfluss der Werbetreibenden auf den Inhalt der Nachrichten. Während die Menschen die staatliche Kontrolle der Medien befürchten, kommt eine deutlich subtilere und dennoch durchdringendere Beeinflussung durch den Werbedruck zustande. „Den Inhalt diktieren. Wie der Druck durch Werbung die freie Presse korrumpieren kann“, eine Studie des Center for the Study of Commercialism, dokumentiert Dutzende von Beispielen von Zensur durch Werbung in den Medien.

518690_magazines_2Eine der rohesten Formen von Zensur wird definiert als „direkte wirtschaftliche Zensur“, die vorliegt, wenn ein Werbekunde den Massenmedien offen diktiert, was die Öffentlichkeit hören oder nicht hören soll. Zu den Beispielen zählt die Auswirkung auf Berichte über die Automobilindustre, die ihrer Bedeutung mit riesigen Werbebudgets Ausdruck verleiht. „Wir fassen keine Geschichten mehr an, die mit Autos zu tun haben“, sagt der Seattle-Reporter Herb Weisbaum. „Selbst eine einfache Konsumentenaufklärung darüber, worauf man beim Kauf eines neuen Autos achten soll, kann den Zorn der lokalen Autohändler erregen.“ Er ergänzt: „Geschichten werden abgesägt… verwässert; und am traurigsten: Geschichten werden gar nicht erst versucht, weil die Journalisten wissen, dass sie es sowieso nie auf den Sender schaffen.“

In ähnlicher Weise beeinflussen die Werbebudgets, die hauptsächlich auf lokaler Ebene von Maklern und Einzelhändlern ausgegeben werden, die Berichterstattung über deren Wirtschaftszweige. Der außergewöhnliche Einfluss von Tabakfirmen auf die Berichterstattung über das Rauchen und die Verbindung zu Krebserkrankungen, wird in der Studie ebenfalls dokumentiert.

Andere Formen von Medienverzerrung sind die Selbstzensur durch die Journalisten (wenn das Schreckgespenst einer möglichen negativen Reaktion eines Werbekunden einen Journalisten davon abhält, eine bestimmte Story auch nur vorzuschlagen); das Vermelden falscher Nachrichten (von Werbekunden erstellten Berichte oder News (Advertorials etc.) werden als seriöse, unverfälschte Nachrichten gesendet); Storys werden als Lockmittel gebracht (Geschichten, die bewusst aktuelle oder potentielle Kunden gut da stehen lassen); aufgeblasene/hohle Meldungen werden benutzt, um die Werbeeinnahmen zu erhöhen.

Redaktionelle Unabhängigkeit zu erreichen ist schwierig, wenn man den Druck, Werbeeinnahmen erzielen zu müssen, berücksichtigt. Und jene, die versuchen, journalistische Integrität zu wahren, gefährden ihren Job/ihren Lebensunterhalt. Den Journalisten zufolge, die verantwortlich für die „Dictating Content (den Inhalt diktieren)“-Studie sind: „Als wir Journalisten für diese Studie befragt haben, verlangten sie, gefangen im Kreuzfeuer zwischen Werbekunden und den Redakteuren, die Anonymität ihrer Aussagen zu wahren, weil sie Angst davor hatten, ihren Job zu verlieren oder auf eine schwarze Liste zu gelangen.“ Ein Redakteur bestätigte, dass er gefeuert wurde, nachdem er sich mit dem Herausgeber über den Einfluss der Werbung gestritten hatte; der Redakteur ergänzte, dass er seine Zukunft in der Branche aufs Spiel setzen würde, wenn er dies offiziell äußern würde.

Das Center for the Study of Commercialism  lud am 11. März 1992 200 Medienvertreter zu einer Pressekonferenz in Washington ein, um die Ergebnisse der Studie zu präsentieren. Keine einzige Radio- oder Fernsehstation schickte einen Reporter, und nur zwei Zeitungen, The Washington Post und The Washington Times, machten sich die Mühe, zu erscheinen. The Post brachte anschließend nichts darüber; The Times druckte eine Meldung ab, aber nannte die Werbetreibenden nicht, die in der Studie zitiert wurden. Die Pressekonferenz, die zeigen sollte, wie Werbung die Presse unterdrückt, unterstrich ihre Aussage damit deutlich.

– Amy Cohen, Project Censored

… Morgen geht’s weiter mit Teil 2 zu dieser hochinteressanten Studie. …

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Jun
26
2009
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Protestaktion: Lobbyisten zu Transparenz verpflichten

lobbyisten-scanner-enthuellt_kleinUnd heute gleich noch eine passende Aktion zur, besser gesagt gegen die allmähliche Aushöhlung der Demokratie durch die Krakenarme der Lobbys – die löbliche Initiative LobbyControl, die sich dafür einsetzt, den Einfluss der Wirtschaftslobbys auf die Politik und damit auch die Gesellschaft einzudämmen, ruft auf, bei ihrer Protestaktion online mitzumachen. Diesem Aufruf schließe ich mich natürlich gerne an, auch wenn nach dem Reinfall mit der E-Petition bezüglich der Internetzensur Ernüchterung eingekehrt ist, was den tatsächlichen Einfluss der Bürger auf die politischen Entscheidungen anbelangt. Versuchen sollte man es trotzdem immer wieder, sonst kann man sich ja gleich einen Strick nehmen oder auswandern. Hier die gestrige Pressemitteilung von LobbyControl:

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Unter dem Motto “Wer – wie viel – für wen? Wer das nicht sagt, muss gehen!” haben wir heute Morgen mit einer symbolischen Aktion ein verpflichtendes Lobbyistenregister gefordert. Wir enthüllten im Berliner Zentrum einen “Lobbyisten-Scanner”, der Geldscheine, Firmenlogos, und Gesichter bekannter Lobbyisten zeigte. Zeitgleich starteten wir unseren Online-Appell an den Bundestag. Bitte beteiligen Sie sich und helfen Sie, Lobbyisten zu Transparenz zu verpflichten! Unterzeichnen Sie jetzt unseren Appell: www.lobbycontrol.de/blog/index.php/lobby-appell/

Hintergrund unserer Aktion war der zweite Tag der offenen Tür der Berliner Lobbyisten, genannt “Seitensprünge”.  So interessant es sein mag, einmal einen Blick in die Repräsentanz des Deutschen Brauerbundes oder die Räume der Tabaklobby zu werfen – wir finden, dass einen Tag lang Büros besichtigen und Vorträge hören noch lange keine Transparenz schafft.

Denn das ganze Jahr über findet Lobbyismus hinter verschlossenen Türen statt und auch am “Tag der offenen Tür” bleiben wichtige Fragen nach Kunden und Lobbybudgets unbeantwortet. Für echte und dauerhafte Transparenz kann nur ein verpflichtendes Lobbyisten-Register sorgen, das 365 Tage im Jahr Antworten darauf gibt, wer mit wie viel Geld und in wessen Auftrag die Politik beeinflusst.

Deshalb haben wir heute den Online-Appell “Lobbyisten zu Transparenz verpflichten” gestartet. Mit wenigen Klicks können Sie die Abgeordneten des Bundestages auffordern, ein Lobbyisten-Register einzuführen. Die Unterschriftenliste wird LobbyControl im Herbst den Mitgliedern des neu gewählten Bundestags überreichen. Denn das Thema ist bereits auf der politischen Tagesordnung in Berlin angekommen. Letzte Woche hat sich der Innenausschuss in einer Anhörung damit befasst; die Forderung nach einem verpflichtenden Lobbyisten-Register hat außerdem Eingang in die Wahlprogramme von SPD, Grünen und Linken gefunden. Jetzt ist es Zeit, dass den Worten Tagen folgen. Mit Ihrer Unterstützung werden wir dafür
sorgen, dass die neue Bundesregierung das Thema gleich wieder auf dem Tisch hat.

Helfen Sie, dass Lobbyisten zu Transparenz verpflichtet werden – unterschreiben Sie jetzt! www.lobbycontrol.de/blog/index.php/lobby-appell/

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Jun
25
2009
1

Deutsche und die Korruption

bahrain_new_currency_2008Als passenden Nachtrag zu meinem etwas unbegeisterten Artikel über den Zustand unserer Parteiendemokratie möchte ich Euch heute den Artikel „Deutsche und die Korruption – Mehr Misstrauen wagen“ empfehlen, den Hans-Martin Tillack für die neue Ausgabe des Stern (das ist dann schon der zweite vernünftige Artikel dort innerhalb weniger Monate!) geschrieben hat. Gerade, da man sich in Deutschland ja sehr viel auf seine Behörden und Ämter einbildet, schadet ein Blick übr den Tellerrand nicht – Tillacks Beitrag beginnt recht behutsam:

(…) Jetzt ist es Zeit für einen ähnlichen Erkenntnisschub in Sachen Korruptionsbekämpfung. Keiner kann bezweifeln, dass Deutschland hier etwas nachzuholen hat. Schwarze Kassen gab es nicht nur bei der CDU, sondern auch beim Weltkonzern Siemens. Eben erst haben Staatsanwälte ein Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter des Lkw-Bauers MAN eröffnet. Zuvor standen Konzerne wie Daimler oder Thyssen-Krupp im Visier der Ermittler und sogar ein Mitarbeiter der Bankenaufsicht Bafin. Wir müssen realisieren, dass es Gründe gibt, warum Finnland oder Schweden in Korruptionsrankings besser dastehen als wir. Und wir müssen uns der Frage stellen, ob die effizientere Korruptionsprävention in den nordischen Ländern vielleicht einer der Gründe ist, warum sich die Wirtschaft dort über viele Jahre deutlich dynamischer entwickelt hat als in Deutschland. (…)

… und wird dann schnell deutlicher:

(…) Wir sind gewohnt, uns bei der Verbrechensbekämpfung auf unseren Staat zu verlassen, auf Polizei und Justiz. Doch gegen Korruption und Amtsmissbrauch helfen die klassischen staatlichen Instrumente wenig. Mehr Repression, mehr Eingriffsmöglichkeiten für Polizei und Staatsanwälte, eingeschränkte Bürgerrechte – beim Kampf gegen die Korruption ist das nicht der Königsweg. Denn Polizei und Staatsanwaltschaft sind ja gerade Teil des Staatsapparates, unter dessen Protagonisten sich oft die Täter finden.

Darum liegt die Lösung nicht in mehr Staat, sondern in mehr Bürgerrechten. Nicht der Staat braucht mehr Zugriff auf die Daten der Bürger, sondern die Bürger benötigen mehr Möglichkeiten, das Gebaren der Mächtigen zu kontrollieren. (…)

Besonders schön finde ich die Schlusssequenz, in der der Autor auf den Zustand der Öffentlichkeit hierzulande anspielt – Misstrauen gegenüber staatlichen Gebilden anstatt Obrigkeitshörigkeit erscheint auch mir höchst angebracht:

Solche Regelwerke durchzusetzen ist eine Aufgabe der Politik. Doch es ist auch eine Aufgabe der Bürger und der Öffentlichkeit – gerade dann, wenn die Politik nicht in der Lage ist, sich aus eigenem Antrieb selbst zu beschränken. (…) Staaten, die über ausgefeilte Strategien zur Verhütung von Korruption verfügen, besitzen häufig auch eine besonders wache Öffentlichkeit. “Der Reflexionsstand über die Schädlichkeit von politischer Korruption” sei in anderen Ländern oft “erheblich höher” als in Deutschland, sagt die ehemalige SPD-Senatorin Anke Martiny. Sie hat recht. Mehr öffentliches Misstrauen ist im Interesse unserer Republik.

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Jun
21
2009
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Die Demokratiesimulation

Man hat es ja eigentlich schon ahnen und vermuten können – die Politiker, die mit ihrem neuen Gesetz zum„Schutz vor Kinderpornographie“ ein recht wirkungsloses, leicht zu umgehendes und letztlich auf eine Zensur generell missliebiger Inhalte hinauslaufendes Regelwerk vorlegten, ignorierten nun natürlich auch die über 134.000 Unterzeichner der E-Petition gegen dieses Vorhaben. Leute, die vom Internet so wenig halten und so wenig Ahnung haben wie offenbar „unsere“ Volksvertreter in Berlin, pfeifen selbstverständlich auch auf jegliche Initiative, die über das Internet entsteht. Schlimm an dieser ganzen Aktion ist vor allem, wie gesagt, dass zukünftiger Zensur Tür und Tor geöffnet wird, ohne dass tatsächlich etwas Wirksames gegen Kinderpornographie unternommen wird (dies hatte ich hier schon mal aufgegriffen). Die Art und Weise, wie nun einfach so über die Bedenken vieler Bürger, auch vieler Experten etc. hinweggegangen wird, ist zudem ein trauriges Abbild dessen, was die Parteien heutzutage so unter „Demokratie“ verstehen. Es wird die Politik- und Wahlverdrossenheit sicher weiter steigern – oder, was zu hoffen wäre, Alternativen wie die Piratenpartei stärken.

nospdthumbnailInsgesamt hatten gerade mal 4 Abgeordnete der Regierungsparteien den Mut oder den Durchblick, dieses Gesetz abzulehnen (1 von der CDU, 3 von der SPD) – von der CDU war dabei ohnehin nichts anderes zu erwarten, die sind sich treu geblieben, aber dass auch die SPD fröhlich den Zensurhammer schwingen mag, ist schon traurig. Dementsprechend harsch fiel in den letzten Tagen auch die Kritik an dem gesamten Procedere in der Internetgemeide aus (z.B. hier, hier, hier oder hier sowie bei Netzpolitik) – bis hin zu der schönen Aktion „No SPD – SPD-Verbot jetzt“. Wir dürfen gespannt sein, wie sich das freie Internet hierzulande weiter entwickeln wird – erste Rufe nach der Zensur von „Killerspiel“seiten im Netz sind schon laut geworden…

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Jun
12
2009
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Europawahl: PIRATEN ziehen ins Europaparlament ein

piratenpartei-logoUnd nochmal krankheitsbedingt heute nur etwas „Fremdfutter“ – wenngleich erfreuliches. Denn die Piratenpartei hat es bei den Europawahlen am Sonntag durch ihr gutes Abschneiden in Schweden tatsächlich ins EU-Parlament geschafft! Derzeit sammelt die Piratenpartei übrigens noch Unterschriften, damit sie auch zur Bundestagswahl zugelassen wird – 3/4 der Stimmen hat sie schon zusammen, also bitte unterstützen. Selbst, wenn Zweifel daran, ob sich durch Wahlen noch groß was bewegen lässt, angebracht bleiben, heutzutage mehr denn je zuvor („Würden Wahlen wirklich etwas verändern, so wären sie verboten“, wie mal sinngemäß ein berühmter schlauer Kopf, komm jetzt grad nicht auf den Namen, sagte).

Hier die dazugehörige Pressemitteilung:

————————

Die Europawahl am vergangenen Wochenende war für die Piratenpartei ein voller Erfolg. Bei ihrer ersten bundesweiten Teilnahme an Wahlen erreichte die Piratenpartei in Deutschland mit 0,9% der abgegebenen Stimmen das beste Wahl-Ergebnis ihrer jungen Geschichte und konnte 229.117 Wähler für sich gewinnen. In Schweden, dem Ursprungsland der PIRATEN-Bewegung, konnte die Piratpartei mit ihrem Spitzenkandidaten, dem 54-jährigen Informatiker Christian Engström ein Rekord-Ergebnis von 7,1% einfahren. Damit ziehen zum ersten Mal PIRATEN in das Europäische Parlament ein.

Andreas Popp, Spitzenkandidat der deutschen PIRATEN freut sich über das Ergebnis: “Wir sind zum ersten Mal zu einer Europawahl angetreten und obwohl wir bei vielen Wählern noch kaum bekannt waren, haben wir ein solch tolles Ergebnis erzielt. Das zeigt uns, dass sich viele Bürger mit unseren Zielen identifizieren und dass weiteres Potential besteht. Es zeigt auch, dass Bürgerrechte, Datenschutz und ein faires Verständnis von Patent- und Urheberrechten wichtige moderne Themen sind, die die Menschen beschäftigen. Ganz besonders danken wir allen, die uns unterstützt haben. Ohne sie wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.
Unser Minimalziel von 0,5% haben wir übertroffen. Wir sind jetzt in der staatlichen Parteienfinanzierung und jetzt geht es erst richtig los! Ab morgen konzentrieren wir uns auf die Wahlzulassung zur Bundestagswahl! Denn auch hier heißt es: Klarmachen zum Ändern!”.

Jens Seipenbusch, stellvertretender Vorsitzender der Piratenpartei Deutschland ergänzt weiter: “Mit Christian Engström und den Schweden haben wir ab jetzt aktive Freibeuter direkt in Straßburg und Brüssel vor Ort, die ein wachsames Auge auf alle Vorgänge und Gesetzesvorhaben haben werden. Von diesem Frühwarnsystem werden auch die deutschen Bürgerinnen und Bürger profitieren. Mit der Piratenpartei werden ab jetzt auch die wichtigen Themen der Informationsgesellschaft im Europaparlament konsequent vertreten. Die Piratenpartei Deutschland gratuliert Christian Engström und der schwedischen Schwesterpartei zu ihrem grandiosen Wahlerfolg.”

Auch Thorsten Wirth, Kandidat zur Europawahl und Sitzenkandidat der hessischen Landesliste zur Bundestagswahl freut sich außerordentlich, kritisiert aber die teilweise undifferenzierte Berichterstattung: “Wir sind da. Aus dem Stegreif 0,9% und auf einmal entdeckt uns die Presse. Einige Journalisten halten es dabei leider immer noch für ausreichend, aus unserem Namen unser Programm ableiten zu können. Es ist also herrlich, zu sehen dass unser Name es vermag, die Oberflächlichkeiten einiger Journalisten zu entlarven. Die Journalisten, die sich einmal die Zeit genommen haben, sich mit unseren Zielen auseinander zu setzen, schreiben sehr viel differenzierter. Wir haben jetzt etwas erreicht und die Erwartungen sind hoch. Wir werden noch viel arbeiten müssen, um uns und diesen Erwartungen gerecht zu werden. Ich danke allen, die uns gewählt haben!”.

[Quelle]

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