Allen, die heute, am vorerst letzten Sonnentag, nicht ohne Lesestoff zum Strand gehen wollen (und auch allen anderen), empfehle ich die Lektüre des überaus spannenden und gut geschriebenen Beitrags „Alles auf Anfang“ aus dem brand eins-Magazin, in dem die alltägliche Situation im Zuge der „Finanzkrise“ auf Island geschildert wird. Denn Island hat ja bereits das erlebt, was einigen anderen Staaten vermutlich noch bevor steht – den Staatsbankrott. Wie die Isländer mit diesen neuen Bedingungen umgehen und eine ganz neue Solidarität entdecken, das ist wirklich spannend und vielleicht auch anregend für unsere Zustände hierzulande. Also lesen!
Die meisten Isländer begreifen den Kollaps ihres Landes nur langsam. Doch einige suchen schon nach der Zukunft.
Michael Jackson ist tot. Über diese weltbewegende Nachricht habe ich in meinem Blog nichts weiter geschrieben und wollte es eigentlich auch weiterhin so halten (Personenkult und „Helden“verehrung sind nicht so meine Welt) – bis ich bei Lumières Dans La Nuit auf einen passenden Nicht-Nachruf gestoßen bin, dem ich inhaltlich eigentlich voll zustimmen kann, insbesondere den Stellen über die Inszeniertheit von Betroffenheit und der Struktur des „Showbiz“ (den Begriff „Funktionsmusik“ finde ich besonders schön) – „Anstelle eines Nachrufs“:
(…) Wenn die Menschen um mich herum auch nur halb so betroffen davon wären, dass ihnen ganz persönlich ein so genanntes “Grundrecht” nach dem anderen entzogen wird und dass ihnen ihr Leben vergällt, geraubt und enteignet wird, während eine kleine Clique von Besitzenden und Mächtigen sich am geraubten Lohn ihres Schweißes mästet, wie sie über den Tod eines sich durch bloßes Hinschauen als recht künstlich erweisenden Produktes der Contentindustrie betroffen fühlen gemacht werden, denn wäre ich für die Zukunft dieser Gesellschaft sehr viel optimistischer. Die industriell erstellte Unterhaltung — auch in ihren scheinbar ernsteren Inhalten, auch in ihren Meldungen vom Tod eines so genannten stars, bei dem bestenfalls die Selbstverstümmelung und die Monstrosität der Fleischvermarktung astronomische Ausmaße angenommen haben — sie ist in ihrer Abstopfung der Sinne und des Sinnes nichts als Unten-Haltung. (…)
(…) Deshalb werden heute noch synthetischere Produkte auf den Markt gespien, Gestalten, für die man zielgruppengerecht eingängige Funktionsmusik komponieren lässt, mit der sie dann für ein paar Wochen oder einen Sommer lang mit aller Macht in die Rundfunkempfänger gepresst werden, auf dass es zu einem Geschäft komme. Das sich auf diesem Wege irgendwelche Menschen zu fans entwickeln, die eine abstrakte persönliche Beziehung zu diesen Gestalten aufbauen, ist dabei explizit unerwünscht. Gewünscht sind austauschbare Nanoprominente für den Augenblick, die ohne Schmerzen für das kleine Investment in ihrem künstlichen Ruhm wieder fallen gelassen werden können. Was den Menschen heute als Glimmerwelt des show business vor Augen gestellt wird, hat längst schon das volle Gepräge jedes anderen Wirtschaftens und erachtet seine Arbeiter (darin seid gewiss: Show ist harte Arbeit!) als Menschenmaterial, als austauschbare Batterie im industriellen Produktionsprozess. Dem entsprechend gering ist auch die Mühe, die zur Jetztzeit in der Vermarktung von Musik aufgewändet wird, sie spiegelt wider, dass es sich hierbei um ein Einwegprodukt handelt, das benutzt und anschließend weggeworfen wird. (…)
Und allen, die nicht davor zurückschrecken, auch mal längere Analysen lesen, sei Helmut Lotters Beitrag „Das Gleichgewicht und der Schrecken“ im brand eins-Magazin ans Herz gelegt. Es geht, grob gesagt, um Ordnungswahn, unser Wirtschaftssystem und wie die Politik darauf einwirkt. Auch wenn so manches in dem Text für mich etwas arg nach FDP klingt – ich finde ja beispielsweise, dass der Einfluss der Wirtschaft auf die Politik viel zu groß ist (und nicht nur umgekehrt); auch in das Loblied auf die angeblich „soziale Marktwirtschaft“ werde ich hier sicher nicht einstimmen, denn jede dem Wachstum verpflichtete Wirtschaftsform muss irgendwann grandios scheitern (sofern der Planet nicht mitwächst) und wird zudem auf dem Rücken großer Teile der ärmeren Welt ausgetragen –, so sind doch auch eine Reihe interessanter Gedanken enthalten, z.B. auch über Keynes, der ja im heutigen Diskurs wieder von allen Seiten verehrt wird. Zu Unrecht, könnte man nun mutmaßen…:
(…) Stabilität und Wachstum sind in diesem Gesetz ein und dasselbe – und das ist bereits im Wortsinn absurd. Die sogenannte quantitative Operationalisierung des Stabilitätsgesetzes schreibt fest, dass stabile Verhältnisse im Lande dann herrschen, wenn das Wirtschaftswachstum zwischen drei und vier Prozent liegt. So viel Wachstum musste sein, das hatten die Experten auf der Grundlage der Verhältnisse der Jahre 1965 bis 1967 ausgerechnet, um das Gleichgewicht des Wohlstands zu sichern und allmählich auszubauen. Diese Wachstumsraten sind längst zu einem Glaubensbekenntnis geworden, zu einem religiösen Gebot der Volkswirtschaft. Weicht die Realität von diesen Zahlen ab, dann herrscht entweder ungehemmte Euphorie oder Katastrophenstimmung. Nur selten wird gefragt, woher diese Zahlen kommen und ob sie heute überhaupt noch sinnvoll sind. Das ist auch so mit einem weiteren Bekenntnis des Stabilitätsgesetzes, dem zur Vollbeschäftigung. Und bei alldem sollten dann auch noch die Preise stabil bleiben. Ohne Zweifel herrscht der Geist des Stabilitätsgesetzes bis heute. Was bei dieser Logik herauskommt, zeigt sich auf einen Blick. Seit 1967 steigt die Staatsverschuldung rapide an – der Abstieg beginnt damals. (…)
Das Ohnmachtsgefühl sorgt aber nicht dafür, dass energisch gefordert wird, die Gleichgewichtsmaßnahmen zu beenden und einen Neuanfang zu wagen, in dem das einzig relevante Ziel aller Ordnung und Stabilität liegt: ein verständlicher Rahmen, solide Grundsätze, aus denen klare Entscheidungen abgeleitet werden können. Unzählige Interessengruppen intervenieren angesichts der Ordnungsflut und fordern – neue Gesetze, Ausnahmen und Regeln. Wo zu viel ist, ist gleichzeitig nichts mehr. Die Angst vor einem Wechsel und vor der Veränderung führt aber dazu, dass man immer mehr Ordnungs-Werkzeuge und Ordnungs-Regeln anhäuft, an die man sich klammert, ihre Wirkungslosigkeit erkennt und sofort neue Regeln fordert, die oben aufgepfropft werden.
(…) Im Vorwort zur 1936 erschienenen deutschen Ausgabe seines Hauptwerks, “The General Theory of Employment, Interest and Money”, schreibt Keynes, dass seine Theorie “viel leichter den Verhältnissen eines totalen Staates angepasst werden” könnte als eine “unter Bedingungen des freien Wettbewerbes und eines großen Maßes von laissez-faire erstellte Produktion. Das ist einer der Gründe, die es rechtfertigen, dass ich meine Theorie eine allgemeine Theorie nenne.” Keynes hat sich mit dem Buch, das in Nazideutschland unzensiert erschien und von Parteiblättern wohlwollend besprochen wurde, ungeniert beim NS-Regime empfohlen. Politiker, die Keynes’ Theorien heute wieder empfehlen, und das sind die meisten, reden also einer “Stabilitätstheorie” das Wort, die gut zur Tyrannei passt, weil sie dafür verfasst wurde. Ob die Gläubigkeit an die staatswirtschaftliche “Allgemeine Theorie” eher auf Dummheit oder auf Naivität fußt, ist bis heute unklar – und unerheblich. Hier wird nichts weiter als das Gleichgewicht des Schreckens empfohlen. (…)
Nachdem ich mich im ersten Teil meiner kleinen, sachlich-polemischen Aufklärungsserie über die Schädlichkeit von Werbung mit den Auswirkungen auf die Sprache befasst habe, geht es diesmal schon eher ans Eingemachte. Mein heutiges Thema ist nämlich die immer weiter zunehmende Verschmelzung von Werbung mit redaktionellen, „journalistischen“ Inhalten in den Medien, die – so hoffen die Verantwortlichen – vom Leser bzw. Zuschauer gar nicht weiter als unheilige Interessensvermengung erkannt wird.
Betrachten wir zur Veranschaulichung der Problematik doch mal eine x-beliebige deutsche Fernsehzeitschrift – richtig, eines jener bunten Heftchen, von denen gefühlt ca. 20 konkurrierende (?) Magazine ausliegen, jeweils erkennbar an einer mit Photoshop bis zur Unkenntlichkeit retuschierten halbnackten Frau auf dem Titelbild, in der Regel ein sog. „Star“ oder „Promi“. Meiner Erfahrung nach ist mindestens ein Drittel, wenn nicht gar die Hälfte so eines Hefts mit offen als solcher zu erkennenden Werbung zugepflastert. Aber wie sieht es auf den verbleibenden „redaktionellen“ Seiten aus? Im vorderen Teil wird über diverse Stars und ihre neuen Filme, CDs, Bücher etc. berichtet, was in der Regel eigentlich auch nur ein Anpreisen von diesen Projekten darstellt – kritische Töne sind hier meist fehl am Platz. Dazu gibt es dann „Nachrichten“ aus den Bereichen Unterhaltungselektronik, Autos, Reisen – auch alles reine Konsumaufforderungen, und man darf davon ausgehen, dass für so manchen Bericht, der hier erscheint, der eine oder andere Euro aus den Taschen der Unternehmen geflossen ist. Den Vogel ab schießen aber manche Zeitschriften, die auch noch auf mindestens einer Doppelseite die Leser über die beliebtesten Werbespots/Anzeigen abstimmen lassen und Making ofs von neuen TV-Clips mit „Stars“ bringen – auch wieder ganz im Stile von echten Nachrichten oder Ereignissen, über die man neutral zu berichten vorgibt. Somit durchzieht eine bunte, grelle, unreflektierte und dumme Konsum- und Kommerzaura das komplette Heft, die einem nach einer Weile das Hirn verkleistert.
Von kostenlosen Werbeblättchen & sog. „Stadtteilzeitungen“ erwartet man sowieso nichts anderes – es ist ja bekannt, dass man für das Buchen einer größeren Anzeige gleichzeitig noch einen von der Redaktion geschriebenen, nicht als Reklame kenntlich gemachten, also den Anschein eines unabhängig recherchierten journalistischen Textes erwecken sollenden Artikels über die eigene Firma erhält. Diese Heftchen versuchen, irgendwie noch wie eine „richtige“ Zeitung auszusehen, sind oft im Format etc. den normalen Tageszeitungen ähnlich, und sollen den Leser so dazu animieren, sich die ganzen gekauften Artikel durchzulesen. Im Lumières dans la nuit-Blog wird solch ein Vorgehen am Beispiel der „Linden-Limmer Zeitung“ schön süffisant aufs Korn genommen:
Der Niedergang der traditionellen Printmedien ist der Aufstieg der offenen und verdeckten Reklame in diesen Medien. Ich kenne in meinem Umfeld keinen einzigen Zeitungsleser mehr. Jeder wache Mensch hat inzwischen mitbekommen, dass der so genannte »redaktionelle« Teil einer typischen Zeitung fast ausschließlich aus wörtlich übernommenen Agenturmeldungen besteht, und dass dieser direkt aus dem NITF-Feed abgeschriebene Content mit so viel Reklame aller Art daher kommt, dass die Werbung über fünfzig Prozent des gesamten Umfanges der Zeitung ausmacht. Was in den Zeitungen als scheinbares journalistisches Produkt verbleibt, entpuppt sich durch bloßes Hinschauen zu einem großen Teil als abgeschriebenes PR-Geschwafel derjenigen Werbekunden, die mit ihren geschalteten Anzeigen viel Geld in diesen sinnlosen Betrieb simulierten Journalis-Muses pumpen.
(…) die, wie der Name schon sagt, in den hannöverschen Stadtteilen Linden und Limmer in die wehrlosen Briefkästen gestopft wird, um Reklame aller Art zu transportieren. Dieses Produkt des Zehn Verlages kommt gar nicht zeitungstypisch auf schwerem, glänzendem Papier daher und verrät schon in dieser Dareichungsform seinen vorwiegend auf dem Blendglanz der Reklame beruhenden Charakter. Leider reicht das bloße Wort »Zeitung« in seinem historisch gewachsenen Ansehen für viele Menschen immer noch hin, so dass sie dieses Elaborat nicht zusammen mit dem anderen Postwurfmüll dem Altpapier überantworten und sogar darin zu lesen beginnen, als enthielte es irgend etwas Substanzielles.
Dummerweise ist dieses Prinzip, also eine den Anzeigenkunden genehme Berichterstattung, mehr oder weniger ausgeprägt bei allen reklamefinanzierten Medien Gang und Gäbe. So wurde neulich in dem Frontal 21-Special über die Pharmalobby auch aufgedeckt, wie die Hochglanzzeitschriften Vanity Fair, Glamour, Vogue oder auch Ausgaben des Bauer-Verlags wie Tina, Neue Post, TV Movie oder Fernsehwoche einer fiktiven (von den Autoren des Beitrags erfundenen) Pharmafirma einen von der jeweiligen Reaktion verfassten und natürlich positiven Beitrag zum neuen Antidepressivum xy in Aussicht stellten (und das, obwohl man in der EU für rezeptpflichtige Medikamente nicht werben darf). Vogue schlägt der Scheinfirma beispielsweise vor:
Durch O-Töne von Experten (Mediziner, Forscher) und zusätzliche Tipps wird die Leserin optimal mit der Thematik vertraut. Die Seiten werden im Vogue-typischen Redaktionsstil getextet und sind damit perfekt auf die Vogue-Leserschaft zugeschnitten.
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber mir wird bei sowas schon ziemlich schlecht – bedeutet das doch nichts anderes, als dass sich durch die kommerziellen Interessen Informationen, PR und Werbung soweit vermischen, dass man keinem Bericht, der in solchen Magazinen erscheint, mehr glauben kann/sollte, denn man weiß ja nie, wer sich diese im Heft dargelegte Meinung wie viel hat kosten lassen. In dem Frontal 21-Beitrag wird so ein Vorgehen auch ganz klar als „Verbrauchertäuschung“ bezeichnet, weil suggeriert würde, der Leser bekäme ein recherchiertes Produkt, obwohl es in Wahrheit doch nur Werbung sei.
Genauso unverfroren geht es auch bei der BILD-„Zeitung“ zu, die für ihr Klientel bzw. die ihr nahestehenden Konzerne und Interessengruppen ja gerne mal Stimmung macht, ohne den Leser darüber aufzuklären, worum es wirklich geht. Besonders beliebt ist die völlig unkritisch betriebene Zusammenarbeit mit dem Discount-Ekel Lidl – schon seit jeher arbeiten Lidl und BILD Hand in Hand zusammen und die „Zeitung“ befleißigt sich eines sehr Lidl-freundlichen Redaktionsstils (über die Überwachungsskandale bei Lidl wurde z.B. nur ganz klein in einer Ecke berichtet, während dies in den meisten anderen Medien deutlich intensiver geschildert wurde). Darüber gab es auf N3 mal einen hervorragenden Beitrag, den ich gar nicht oft genug empfehlen kann:
So könnte man den Bogen immer weiter spannen – auch im Fernsehen, gerade bei den privaten Sendern, sind Kommerz und „Inhalt“ so weit zusammengewachsen, dass man kaum noch weiß, ob eine SKL-Show nun reine Werbung ist oder vielleicht doch auch noch eine redaktionelle Bearbeitung erfuhr. Formate wie Deutschland sucht den Superstar dienen nur dazu, Plattenverkäufe zu generieren und für ein paar Monate hochgejubelte Sternchen nach oben zu spülen, damit man die Werbepausen zwischen den Shows möglichst teuer verkaufen kann. Die Cannes-Rolle, die regelmäßig in die Kinos gewuchtet wird und „die besten Werbespots der Welt“ (ein Widerspruch in sich) enthält, wird tatsächlich wie ein normaler Kinofilm gezeigt, obwohl es in den preisgekrönten Reklamefilmchen ausschließlich ums Formen eines Unternehmensimages und das Verkaufen von Produkten geht (immerhin wird hier mit offenem Visier gearbeitet, also nicht behauptet, dass es sich um journalistisch recherchierte Inhalte handele). Und so weiter, und so fort, die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.
Oft bestehe dieser Mehrwert im Vermischen von werblichem und redaktionellem Inhalt – eigentlich unvereinbar mit unabhängigem Journalismus. Sogenannte Advertorials ahmen gestalterisch die Anmutung des journalistischen Angebots nach, sind aber in Wirklichkeit bezahlte Werbung, die sich mittlerweile selbst in seriösen Tageszeitungen findet. Meistens steht etwas verschämt „Sonderthema“ oder „Verlagsbeilage“ darüber, manchmal auch „Extra“. Aber was sagt das dem Leser schon? Es könnte bedeuten, dass sich die Redaktion extra viel Mühe gibt. In Wahrheit hat sich der Verlag extra etwas einfallen lassen, um verkappte Werbung zu drucken. Dabei sieht das Presserecht ausdrücklich vor, dass Werbung und Redaktion nicht verquickt werden dürfen und Anzeigen als solche gekennzeichnet werden müssen.
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Man beachte die schönfärberische Umschreibung dieser Schleichwerbung… Reklame & Kommerz haben es also geschafft, die gesamten Medien endgültig zu Desinformationsschleudern zu machen.