Kategorie: Gesellschaft Seite 32 von 43

Buchbesprechung: Lohoff/Trenkle/Wölflingseder/Lewed „Dead Men Working“

dead-men-working-02Lernt man irgend jemanden auf einer Party in Deutschland kennen, so dürfte eine der ersten Frage, die man gestellt bekommt, sein: „Und, was machst du so?“ Wer so fragt, dem geht es natürlich darum, welchen Beruf man ausübt, um seinen „Lebensunterhalt zu verdienen“, wie man so schön sagt, und nicht etwa um die Aktivitäten, mit denen man viel Zeit verbringt, die aber „nichts einbringen“. Dies sind Symptome der Arbeitsgesellschaft, in der wir leben, und in der der Beruf und die Karriere das zentrale Konstrukt ist, um das herum sich das restliche Dasein gefälligst zu gruppieren hat.

Dies ist auch der Ausgangspunkt, der die Autoren des Buches „Dead Men Working: Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs“ bewegt hat, sich mit der übergroßen Bedeutung, die die Arbeit im Leben der heutigen Menschen einnimmt, auseinanderzusetzen. Auf 300 Seiten tragen eine Vielzahl von deutschen und österreichischen Autoren (manche von ihnen im wissenschaftlichen Bereich tätig) ihre Gedanken und Überlegungen zu den Themen Arbeit, Arbeitslosigkeit, Bildung vs. Ausbildung uvm. zusammen. Einige, wie Norbert Trenkle, Andreas Exner oder Franz Schandl, sind mit ihren scharfzüngigen und sehr schonungslosen Analysen bereits in anderen Publikationen (Streifzüge, krisis) vertreten, die sich ebenfalls um den Wahnwitz unseres Wirtschaftssystems drehen, und haben auch vor mittlerweile über zehn Jahren das provokante „Manifest gegen die Arbeit“ veröffentlicht (das es HIER komplett zum Online-Nachlesen gibt).

Die einzelnen Kapitel bzw. Artikel des Buches zeichnen ein ordentliches Schreckbild der heutigen Gesellschaft und vor allem der Arbeitswelt, und zeigen an einigen persönlichen Schilderungen der Autorin Maria Wölflingseder, mit welch durchkalkulierter Perfidie diejenigen, die aus diesem Raster gefallen sind – die Arbeitslosen – drangsaliert werden, um sie ja nicht auf dumme Gedanken zu bringen. Spannend auch Gaston Valdivias „Zeitverschwendung Marktwirtschaft – über die absurdeste Reproduktionsweise seit Menschengedenken“, in dem er aufzeigt, wieviel Lebenszeit jeder einzelne von uns dafür verplempert, diese Form der Waren- und Konsumgesellschaft aufrechtzuerhalten, sowie Erich Ribolits’ Beitrag „Vom sinnlosen Arbeiten zum sinnlosen Lernen“, das sich sehr kritisch mit der permanenten Zurichtung aller Arbeitskäfte für den Arbeitsmarkt durch permanente (ausschließlich fachbezogene) Weiterbildung auseinandersetzt.

Gerade bei letztem Artikel kann man allerdings auch den Schwachpunkt des Buches erkennen – die meisten Texte zeichnen ein gerade hermetisches Bild der Welt, also ein sehr einseitiges, in dem es keine Schattierungen gibt. Es wird von einer Vorstellung der Arbeitswelt ausgegangen, die für viele der Autoren (als Freischaffende, Professoren, Redakteure etc.) sicherlich selbst gar nicht zutrifft, nämlich einem rein stumpfen, leeren, aufoktroyierten Verrichten nutzloser, entseelter Arbeit. Dass es darüber aber auch Menschen gibt, die ihren Job tatsächlich gerne machen (nicht zuletzt viele Selbstständige, die in Deutschland aber natürlich per se verdächtig sind, da sie sich oftmals nicht so leicht ins herrschende Schema pressen lassen), und mancher selbst in einem eigentlich unersprießlichen Job ein soziales Umfeld gefunden hat, auf das er ungern verzichten würde, fällt leider bei vielen Betrachtungen in diesem Buch unter den Tisch.

Dennoch ist natürlich die Absicht der Autoren, die Nachteile unserer derzeitigen krassen Ausrichtung des Daseins und des Denkens auf eine möglichst wertschöpfende (d.h. in Geldwert auszudrückende) Lebensweise, aufzuzeigen aller Ehren wert und wichtig, um Ausbeutung und Selbstausbeutung und die Durchkommerzialisierung, die wir in unserer Gesellschaft immer stärker erleben, zu bremsen, vielleicht sogar irgendwann einmal umzukehren. Dabei können diese hier versammelten Gedanken einn wichtigen Beitrag leisten.

Ernst Lohoff, Norbert Trenkle, Karl-Heinz Lewed, und Maria Wölflingseder (Hrsg.) „Dead Men Working: Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs“, Unrast Verlag, 2.A. 2005, 302 S., 18,– €

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Widerstand und Normopathen

Weihnachten ist überstanden, spätestens jetzt ist es mal wieder ein wenig an der Zeit für etwas Widerstand und Aktivismus. Der YouTube-Channel des Users Mediascanner ist immer eine Fundgrube für spannende Beiträge über gesellschaftliche Entwicklungen und alternative Denk- und Lebensweisen. So ist dieser Beitrag hier beispielsweise sehr erhellend – der Begriff „Normopathen“ ist super!

Hanna Poddig, die „Berufsaktivistin“, um die es darin u.a. geht, wird in der 3sat-Sendung Kulturzeit noch einmal etwas genauer porträtiert:

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Ich kaufe, also bin ich!

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© pitklad, stock.xchng

Statt irgendwelchen Technikplunder sollte man sich heute zu Weihnachten vielleicht lieber mal ein paar Minuten Zeit schenken, in denen man sich z.B. den kurzen Beitrag „Ich kaufe, also bin ich“ (>> mp3) von Deutschlandradio Kultur , einer Rezension des Buches „Leben als Konsum“ von Zygmunt Baumann, anhören kann. Gerade in diesen Tagen und Wochen des Turbokonsums kann es nicht schaden, sich die Auswirkungen des Daurkonsums auf unser Dasein einmal vor Augen, pardon, vor Ohren zu führen. ‘nen frohes Fest allerseits, übrigens. :)

Der Soziologe Zygmunt Bauman zeigt in seinem Essay auf, wie sehr der Konsum inzwischen unser aller Leben bestimmt, mehr noch: wie er zum zentralen Moment unserer Gesellschaft geworden ist. Bauman sieht in den Selbstdarstellungsportalen wie Facebook auch den Versuch, sich selbst zum Produkt zu machen.

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Meinungsmache

Die NachDenkSeiten gehören bekanntlich zu den interessantesten Websites im Netz und sind ein wichtiger Eckpfeiler einer „Gegenöffentlichkeit“ zu der tagtäglich auf uns einströmenden Gehirnwäsche durch die Mainstreammedien. Der Initiator des Projekts, Albrecht Müller, ist seit längerem auch als Buchautor aktiv und versucht so, ein bisschen mehr Licht ins Dunkel der alltäglichen Politik und Korruption zu bringen. Sein letztes Werk heißt „Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen“ und befasst sich genau mit dieser Rolle der Medien bei der politischen „Willensbildung“. Vor einiger Zeit stellte er das Buch in der Berliner Kulturbrauerei vor, im Rahmen einer Diskussion mit Oskar Lafontaine und Hans-Ulrich Jörges vom Stern – für alle, die sich an Weihnachten zwischen dem brennenden Baum und dem hoffentlich möglichst kleinen Geschenkeberg langweilen, empfehle ich den Videomitschnitt dieser Veranstaltung (in immerhin 15 Teilen!) – hier Teil 1, die restlichen findet Ihr dann direkt bei YouTube:

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Mega-Weihnachten

741770_toys_2Das Streben und Trachten transnationaler Konzerne scheint bekanntlich darin zu liegen, Geschmacksunterschiede weltweit zu nivellieren, Individualität einzuebnen und die Welt mit einheitlichen, genormten 08/15-Produkten zu überziehen. Wie sehr dies auch im Bereich der Spielzeuge voran geschritten ist, war mir selbst nur so am Rande bewusst (da ich seit langem keine Spielzeugläden mehr betrete), doch der Artikel „Mega-Weihnachten“ in der ZEIT wirf ein grelles Schlaglicht auf die perversen und perfiden Methoden der Spielzeugindustrie und ihrer angegliederten Marketing- und Reklameabteilungen. Ich empfehle die Lektüre dieses recht langen Dossiers (mitsamt den gruseligen Fotos von hässlichem Plastikspielzeug), denn die Autorin Susanne Gaschke beleuchtet die Problematik eines immer früher beginnenden Konsumbombardements der Kinder und der Verarmung der kindlichen Fantasie (einhergehend mit einem auch durch die Industrie forciert immer früher beginnenden Erwachsenwerden) sehr gelungen, wie ich finde. Hier ein paar Auszüge:

(…) Linn glaubt, die mittlere Kindheit schwinde deshalb, weil das Marketing der Händler und Hersteller immer aggressiver werde, sodass die Kinder auf Gedeih und Verderb zu Konsumenten gemacht würden. Und wegen einer von vielen Medien gefeierten »Coolness«, die Siebenjährige heute mitleidig über all jene Spielsachen lächeln lässt, die vor 20 Jahren noch Zwölfjährige begeistert hätten. (…)

(…) »Aber es gibt ja auch genug Kinder, die überhaupt nie etwas Gedrucktes in die Hand bekommen.« Kritischer Umgang mit Medien, dafür seien die Eltern und die Schule zuständig.

So klingt der Refrain all jener, die etwas zu dem großen Medienbuhlen um die Aufmerksamkeit der Kinder beitragen: Mütter, Väter und Lehrer seien dafür verantwortlich, Kindern einen souveränen Umgang mit Spielzeugen und Unterhaltungsangeboten beizubringen. Man kann das Ganze so zusammenfassen: Die Spielzeugindustrie bietet etwas potenziell Schädliches an, privatisiert die Gewinne und sozialisiert die Risiken. (…)

(…) »Seit den achtziger Jahren machen die Eltern mehr oder weniger, was die Kinder sagen«, sagt der Jugendforscher Ingo Barlovic von iconkids & youth. Die Ratlosigkeit der Eltern in vielen Fragen der Erziehung spiegele sich in den Ergebnissen seiner Befragungen. Er sagt: »Die Acht- bis Neunjährigen sind die schlimmste Zielgruppe, laut, hektisch, schreien viel und haben keinerlei Respekt vor Erwachsenen.« Pampige Antworten erhalte man schon von manchen Zweitklässlern. »Aber so ist es eben mit der kommerzialisierten Kindheit«, sagt Barlovic: »Alles dreht sich um mich. Autonomie wird immer wichtiger.« Und ein Nein, gleichbedeutend mit einem unmissverständlichen Verbot, ist für die vielen Eltern mit schwankenden Maßstäben immer schwerer auszuhalten. (…)

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Werbung schadet… Mietern!

moabit-l_75-werb-250Dass Reklame auf vielerlei Weise einzelnen Menschen wie der Gesellschaft schadet, habe ich ja in meinem Blog schon des öfteren dargelegt. Und auch über die Exzesse der Außenreklame in den USA berichtete ich einige Male – dass solche Zustände mittlerweile auch bei uns in Deutschland anzubrechen drohen, machte ein Ereignis in Berlin deutlich, das Anfang des Monats die Gemüter erhitzte und das ich auf Grund der thematischen Kompatibilität hier ebenfalls erwähnen möchte – da wurde den Mietern eines Hochhauses einfach während Renovierungsarbeiten ein riesiges Werbeplakat eines Billigstromanbieters vor die Nase gehängt, und zwar so, dass die betroffenen Wohnungen kaum noch Tageslicht bekamen. Nachts wurde es dafür beleuchtet. Unfassbar! (Nach Protesten wurde das Transparent inzwischen wieder abgenommen, aber die mediale Aufmerksamkeit war der Firma so schon mal sicher!) [via Moabit Online, von denen auch das Foto stammt]

Kann es denn sein, dass die Fenster von Mietern verhüllt werden dürfen, nur um Werbeeinnahmen zu machen? Bei manchen Fassadenarbeiten sind Planen notwendig, um zu verhindern, dass abfallender Putz auf den Gehweg fällt. Werbeplakate an Brandwänden, Fabriken oder Parkhäusern. Alles nicht schön. Aber Werbung vor Fenstern, hinter denen Menschen wohnen?

(…) Jetzt muss es darum gehen, dass diese Gesetzeslücke geschlossen wird und bewohnte Häuser nicht mehr zu Werbezwecken verhüllt werden dürfen. In Hamburg soll das bereits funktionieren.

Claudia Klinger vom Digital-Diary-Blog kommentierte dies absolut zutreffend:

Grade sah ich in der Abendschau, wie Mieter zweier Gebäude in Berlin es brav duldsam hinnehmen, dass man ihnen ein Gerüst mit Riesenwerbeplakat vor die Fenster baut: tags ist es nun dunkel, nachts blendet Helligkeit… UNGLAUBLICH!!!

Sie wurden natürlich beraten und ermuntert und meinten dann: „ja, eine Mietminderung werden wir verlangen!”

Na, wow! Mich GRUSELT es richtig angesichts dieser Schaf-artigen Duldsamkeit, wenn die Mächte des Geldes so weit gehen, locker den TAG aus dem Mieterleben zu streichen…

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Neue Studie zum Konsumverhalten: „Hilfe, mein Kunde denkt!“

Na, ob das alles so der Wahrheit entspricht… Da hat das Magazin Impulse doch eine aktuelle Studie durchgeführt, „Hilfe mein Kunde denkt!“, in der es um das Konsum-/Kaufverhalten der Bürger in Europa geht, und kommt zu relativ verblüffenden Ergebnissen, wenn man sich den immer noch grassierenden Erfolg der Billigbilligbillig-Läden, aber auch von McDoof, Nestlé, Coca-Cola & Co. vor Augen führt:

Die Wirtschaftskrise hat einen unerwarteten Nebeneffekt: Firmen erkennen ihre Kunden kaum wieder. Denn diese wollen nicht mehr Waren konsumieren – sondern weniger. Und grübeln tun sie auch. (…)

“Der ungebrochene Konsumoptimismus der 90er-Jahre hat in die Leere geführt. Heute haben die Leute das Bedürfnis nach Beschränkung”, sagt Andreas Trautmann, Leiter der BBDO-Niederlassung in Düsseldorf. (…)

Preisgünstig allein genüge auch deshalb nicht, weil Kunden mit ihren Einkäufen immer stärker ihre Moralvorstellungen ausdrückten. Im Extremfall sei das sehr negativ für die Hersteller, zeigt die Untersuchung: Wer früher gegen bestimmte Entwicklungen auf der Straße ging, protestiere inzwischen häufig mit Konsumverweigerung, lautet ein Fazit der Studie. (…)

Leise Signale der Hoffnung lassen sich aus diesen Zahlen ablesen – dass nämlich doch nicht alle Konsumenten nur von 12 Uhr bis Mittag denken. [via]

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Vom Strippenziehen – Die Folgen von Lobbying & Korruption für Umwelt und Gesellschaft

Wie Lobbyismus funktioniert, sehen wir momentan gerade sehr „schön“ an einem aktuellen Beispiel der internationalen Politik – während die Staatsführer der Welt in Kopenhagen ihre Köpfe zusammenstecken, um (vermutlich halbherzige) Lösungen für die Umwelt- und Klimaprobleme der Erde zu finden, arbeitet man im Hintergrund schon eifrig daran, dass diese „Lösungen“ nicht gar zu spürbar für die Wirtschaft werden. So lässt sich Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Rüttgers vom Energieriesen E.On einpannen, einen entsprechenden Paragraphen in NRW zu kippen, damit das Unternehmen neu geplante Kohlekraftwerke bauen darf. (Siehe dazu auch die neue Kampagne von Campact „Keine Lex E.On“ – bitte mitzeichnen!)

politische-okologie-lobbyismus

Auch die Zeitschrift politische ökologie befasst sich in einer ihrer letzten Ausgaben mit dem Schwerpunktthema Lobbyismus – „Vom Strippenziehen – Die Folgen von Lobbying und Korruption für Umwelt und Gesellschaft“:

In der politischen ökologie117 erfahren Sie, mit welchen Mitteln wirtschaftliche Eliten ihre Interessen in die Gunst der Politik rücken und was für mehr Transparenz zu tun ist.

Industrieberater verwässern in Brüssel Umweltgesetze. AKW-Betreiber finanzieren Umweltgruppen, die Atomkraft reinwaschen. Marktradikale Denkfabriken schleusen Expert(inn)en ins Fernsehen ein, die neoliberale Reformideen propagieren, um den Weg zu ebnen für Privatisierung und Sozialabbau. Greenwashing, eine unkritische Berichterstattung, Nebenanstellungen von Abgeordneten oder schlicht Bestechung machen es der Öffentlichkeit nicht leicht zu durchschauen, wer welche Interessen verfolgt.

Die Autorinnen und Autoren der politischen ökologie117 nehmen die Lobbygruppen und ihre Methoden unter die Lupe, decken Umweltskandale auf und heben grüne Deckmäntelchen hoch. Sie bieten Strategien gegen den Filz und Ansätze für mehr Demokratie sowie eine kritischere Öffentlichkeit.

_ Warum sorgt die Politik nicht für mehr Transparenz?
_ Welche negativen Folgen für Mensch und Umwelt zeitigt der Lobbyismus?
_ Ist die derzeitige Krise ein Nährboden für Korruption?

Einen Artikel daraus gibt es sogar online als kostenloses pdf – Thomas Leif geht in seinem Beitrag „Lobbyismus und Demokratie – Die Politikflüsterer“ (>> pdf) scharfzüngig den Folgen auf den Grund, den diese Einflussnahme der Wirtschaft auf unser politisches und gesellschaftliches System hat.

Sie regieren mit, lautlos, aber hocheffektiv: Lobbyisten der Energie-, Pharma- oder der Zigarettenindustrie schreiben an Gesetzen mit und setzen Abgeordnete unter Druck. Der massive Einfluss der Lobbys gefährdet die Integrität der Politik – und damit auch die Demokratie.

(…) Parlamentsfolklore und politischer Alltag
Deutschland lebt mit einer Lebenslüge. Mit der Lüge, dass unsere Gesetze im Wesentlichen von den dafür gewählten und vom Volk legitimierten Abgeordneten entworfen, beraten und bestimmt werden. Tatsächlich schwindet der parlamentarische Einfluss auf die Gesetzgebung seit Jahren. Immer häufiger segnen die Fraktionen im Deutschen Bundestag das ab, was über die starken Lobbyorganisationen rund um den Reichstag erdacht, erwünscht und über viele Kanäle frühzeitig in den parlamentarischen Prozess eingebracht wurde. Was viele Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand zugeben, verdrängt die politische Klasse, ignoriert die Wissenschaft, übersieht die Medienszene und verschweigt die zunehmend mächtige Lobby. (…)

In den deutschen Sozialkunde- und Politiklehrbüchern wird in der Regel Parlamentsfolklore vermittelt. Kaum ein Wort über die geschickte Platzierung wichtiger Lobbyist(inn)en in den Minist erien, die der Bundesrechnungshof in einer bahnbrechenden Studie analysiert und scharf kritisiert hat. (…)

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Kauf nix – Gegen den Wachstumswahnsinn

Neulich gab es in der Fernsehsendung Nano wieder einen jener eher seltenen hellen Momente kritischer Klarsichtigkeit in den Medien zu bestaunen – tatsächlich erwähnt die Redaktion den Buy Nothing Day und legt anschließend dar, wieso unsere Vorstellung vom Bruttosozialprodukt als Wohlfahrtsindex und auch unsere Wachstumsideologie unsinnig und schädlich ist. Für die Leser meines Blogs sind solche Gedanken natürlich nichts Neues, für den nichtsahnenden TV-Zuschauer aber vermutlich schon. Was man allerdings hieran auch gut erkennen kann, ist die Flüchtigkeit und Kurzfristigkeit dieses Mediums: denn im Prinzip sind diese Ideen, die in dem Beitrag dargestellt werden, so revolutionär und umwälzend, dass man nachfolgend eigentlich stundenlange Diskussionsrunden, Themenabende usw. anschließen müsste, damit dieser Impuls nicht versickert. Statt dessen läuft danach vermutlich ein Bericht über den nächsten Autosalon, einen Flugzeugabsturz, ein Fußball-Länderspiel oder die neuesten Jubelmeldungen der Wirtschaftspolitik („die deutsche Wirtschaft wächst weiter!“). So verpuffen auch richtige und wichtige Informationen sehr schnell in einem Meer aus Beliebigkeit, Belanglosigkeit und auch widersprechenden Informationen, denn allein das Material, was die Sender in ihren Nachrichtensendungen und Polittalkshows so bringen, verdeckt mit seinen abgestandenen Gedanken in den üblichen ausgelatschten Bahnen die wirklich kritischen Ansätze, die nötig wären, um in der Gesellschaft etwas zu verändern.

Der Nationale Wohlfahrtsindex als Maßstab der Zukunft zur Messung der Gesellschafts-Wirtschaftssituation.
Der Oldenburger Verschenkmarkt – die Superidee in der Überflussgesellschaft. Das Überangebot nicht zu Müll machen, sondern lagern und später nutzen, oder umgestalten statt neu produzieren.
Die Zukunft durch Überlegen mitgestalten. Wenn Neukauf, dann vielleicht ökofaire Produkte. Fair für Afrika und überhaupt für kleine Produzenten.

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„Kurvendiagramm, dein Wille geschehe“ – Gedanken zur Lehre der Wirtschafts„wissenschaften“

92297_sales_figuresSelten klaffen Anspruch und Wirklichkeit so weit auseinander wie beim verzweifelten Versuch von Volks- und Betriebswirtschaftslehre, sich als ernstzunehmende Wissenschaft zu inszenieren. Die gerade tobende Wirtschaftskrise hat jedoch schonungslos gezeigt, welch dünne Bretter hier eigentlich gebohrt werden und mit welch schalem Wasser man hier kocht. Dass VWL & BWL alles andere als wissenschaftlich sind, ist mir auch in meinem eigenen Studium an der Uni Kiel irgendwann klar geworden – bereits früh fiel mir auf, dass vor allem BWLer krampfhaft darum bemüht sind, Banalitäten und simple Algorithmen in beeindruckende Formeln und Powerpoint-Präsentationen zu gießen, um sich den Anstrich echter Forschung zu geben. Aber gehört zu einer Wissenschaft nicht viel mehr als nur Formeln und Dogmen zu verbreiten, sollte wissenschaftliches Arbeiten nicht vielmehr darin bestehen, kritisch zu prüfen, vermeintlich unumstößliche „Wahrheiten“ zu hinterfragen, zu falsi- oder zu verifizieren? Davon konnte in meinem BWL-Studium praktisch nie die Rede sein. Auffällig auch, dass die Grundannahmen, auf denen das wackelige Gebäude dieser Lehren fußt, nur am Rande gestreift und später gar nicht mehr thematisiert wurden. So können sich VWLer und BWLer jahrelang durch ihre ganz eigene Welt der Preis-Absatz-Funktionen und Elastizitäten, der Marktgleichgewichte und Kostendegressionen hangeln, im festen Glauben, dass damit alles Fundamentale über die Welt dort draußen vermittelt würde.

In den letzten Monaten habe ich eine ganze Reihe von Artikel gefunden, die sich mit dieser isolierten Scheinwelt der Wirtschafts„wissenschaftler“ kritisch auseinandersetzen – „Wer kauft die Kartoffeln?“ von Yves Wegelin in der Schweizer WOZ beispielsweise:

An den Schweizer Wirtschaftsfakultäten lernt man viel über Mathematik – aber nichts über Wirtschaft. Erinnerungen eines ehemaligen Studenten.

Da war er also, der Beweis. Der Dozent unterstrich das «g*>g» auf dem Projektor doppelt mit roter Farbe – das System der Pensionskasse führe somit eindeutig zu einem grösseren Wirtschaftswachstum als jenes der AHV, verkündete er.

Wir StudentInnen hatten die letzten zwei Stunden damit verbracht, komplizierte mathematische Formeln auszurechnen – je eine für das jeweilige Vorsorgesystem. Den mathematischen Schritten hatte ich mit einiger Mühe folgen können, doch eines wollte mir nicht in den Kopf: Welches wirtschaftliche Argument steckte hinter diesem angeblichen Beweis? Der Dozent konnte mir auch nicht helfen – das «g*» sei doch Beweis genug. Es klingelte – alle eilten aus dem Saal.

In der gleichen Zeitung schrieb Franziska Meister „Die Lehre ist so frei, wie der Markt will“ darüber, wie die zunehmende Ökonomisierung der Lehre die Unis nach und nach zerstört (sie bezieht sich dabei nicht nur auf BWL & VWL):

Immer stärker beeinflussen neoliberale Denkmuster die strategische Ausrichtung der Schweizer Hochschulen. Als wissenschaftlich erfolgreich gilt, wer viele Drittmittel organisiert.

Früher lud die Universität Zürich politische Schwergewichte wie Winston Churchill zu Vorträgen ein – heute bietet sie Wirtschaftskapitänen wie Daniel Vasella und Peter Brabeck eine Plattform. Das ist kein Zufall. Die Schweizer Hochschulen treten zunehmend selbst als Unternehmen auf, ihre RektorInnen gefallen sich in der Rolle von CEOs.

Die viel zu rigiden und wirklichkeitsfernen Grundannahmen in VWL & BWL beschreibt und widerlegt auch Norbert Rost in seinem Artikel „Der Homo Oeconomicus – Eine Fiktion der Standardökonomie” (>> pdf) in einer älteren Ausgabe der Zeitschrift für Sozialökonomie:

Die Wirtschaftswissenschaften durchdringen unser gesellschaftliches Leben, indem auf ihren Forschungen und Überlegungen basierende Erkenntnisse über die Politik in gesetzliche Rahmenbedingungen gegossen werden, indem Handlungsempfehlungen in Unternehmen eingesetzt werden und indem Bilder, die die Wirtschaftswissenschaften produzieren, unser Weltbild prägen. Eines dieser Bilder ist das Konzept des „Homo Oeconomicus“. Es erhebt den Anspruch, menschliches Verhalten im ökonomischen Kontext zu erklären und zu beschreiben Doch wie wirkl ich ist dieses Bild des wirtschaftenden Menschen? (…)

(…) Fritjof Capra übt in seinem Buch „Wendezeit“ grundsätzliche Kritik an den Wirtschaftswissenschaften: „Die heutige Wirtschaftswissenschaftist charakterisiert durch die für die meistenSozialwissenschaften typische zusammenhanglose und reduktionistische Methodik.“ Wirtschaft sei, so Capra, „nur ein Aspekt eines umfassenden ökologischen und gesellschaftlichen Gewebes […] ein lebendiges System aus Menschen, die in ständiger Interaktion miteinander […] sind.“ Er fordert: „Auf der fundamentalsten Ebene muss die Neuformulierung ökonomischer Vorstellungen und Modelle sich mit dem zugrunde liegenden Wertsystem befassen und es im kulturellen Gesamtzusammenhang sehen.“

© Dominik Gwarek, stock.xchng

© Dominik Gwarek, stock.xchng

Dass man abseits der Mainstreammedien durchaus gewohnt ist, kritisch zu hinterfragen wundert nicht, aber tatsächlich kehrte im Zuge der Wirtschaftskrise auch in einigen sonst extrem wirtschaftsnahen Blättern für einen Moment sowas wie Nachdenklichkeit und Vernunft ein (die vermutlich im Lichte der aktuellen Jubelmeldungen, dass alles ausgestanden sei und die Wirtschaft wieder wachsen müsse, leider auch schnell wieder in den Schrank gehängt werden dürfte). In der Süddeutschen Zeitung schrieb Patrick Illinger über „Der ganz banale Wahnsinn“:

(…) Niemand sollte die Formelwerke der modernen Ökonomie für eine exakte Wissenschaft halten, nur weil es in dieser Disziplin einen Nobelpreis gibt. Die Leistung der Auguren der Finanzwelt beschränkt sich erschreckend oft auf die einhellige Vorhersage, in Zukunft werde es so weitergehen wie jüngst, nur noch stärker. Im Moment überbieten sich Ökonomen mit den düstersten Prognosen. Als der Dax (und weiland der Nemax) im Frühjahr 2000 auf schwindelnde Höhen kletterte, war sich fast kein Anlageberater zu blöde, weitere Aktienkäufe zu empfehlen.

Dass Menschen zum Umgang mit komplexen Systemen gar nicht befähigt sind, hat die psychologische Forschung längst erwiesen, zum Beispiel Dietrich Dörner mit seinem vor 20 Jahren erschienenen Standardwerk “Die Logik des Misslingens”. Dennoch glauben fast alle Akteure der Finanzwelt an monokausale Ursache-Wirkungsbeziehungen und mithin an die Beherrschbarkeit eines Systems wie der Finanzwelt. Wenn dann eine Leitzinssenkung die Krise nicht beseitigt, ist das Staunen groß.

(…) “Die Welt ist aber immer ein bisschen verrückter als du denkst”, warnt der Ex-Börsenmakler und Autor des 2007 erschienenen Buches “Der schwarze Schwan”, Nassim Nicholas Taleb, in dem er über die Macht unvorhersehbarer Ereignisse schreibt.

Dazu passt auch dieser Artikel von Joachim StarbattyWarum die Ökonomen versagt haben” aus der FAZ:

(…) Weil sich die Zunft der Ökonomen nicht mehr um das kümmert, was „jenseits von Angebot und Nachfrage“ liegt, kann sie sich kein umfassendes Bild mehr von Wirtschaft und Gesellschaft machen. Wer die einschlägigen Journale durchblättert oder die von der Europäischen Zentralbank publizierten Aufsätze studiert, wird Wilhelm Röpke recht geben, dass das meiste, was da „unter dem großmäuligen Titel der modernen Ökonomie“ getrieben werde, ein „riesenhafter szientistischer Leerlauf“ sei.

(…) Daraus schien sich ein konjunkturelles „Perpetuum mobile“ zu ergeben: Die Billiggeldpolitik treibt die Immobilienpreise; die daraus resultierenden Wertsteigerungen werden in aktuellen Konsum umgesetzt; die Chinesen stillen mit billigen Verbrauchsgütern den amerikanischen Konsumhunger; sie legen die verdienten Dollar aus den Exportüberschüssen in amerikanischen Staatsanleihen an und halten damit ihrerseits das amerikanische Zinsniveau niedrig; die Hauspreise steigen weiter . . . Da kann man nur sagen: Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.

Und auch Deutschlandradio Kultur setzt hier in seiner Kritik des letzten Buches des neoliberalen Einpeitschers Hans-Werner Sinn nach – „Egoismus als Ausweg aus der Klimakrise“:

(…) Diese ganze Argumentation ist nur dann stimmig, wenn man Sinns wirtschaftsideologische Grundvoraussetzung akzeptiert und die lautet, dass die “individuelle Vorteilssuche das generelle Erfolgsgeheimnis der marktwirtschaftlichen Ordnung’ ist. Die Reduktion wirtschaftlichen Handels auf Egoismus verneint alle anderen Motive und jede Zukunftsplanung. Nach mir die Sinnflut. Doch das ist kein Naturgesetz.

Genau diesen Anschein aber erweckt der Autor mit zahlreichen mathematischen Modellen. Er tut so, als ob die Wirtschaft quasi naturwissenschaftlichen Gesetzen folgt. (…)

Und Jürgen Kremer untersucht „Die blinden Flecken der Volkswirtschaftslehre“ (pdf) akribisch und widerlegt viele ihrer Prämissen und Vorgehensweisen als unwissenschaftlich – ein lohnenswerter Artikel!

(…) Skandalöserweise gibt es in der Volkswirtschaftslehre nicht einmal ein Modell eines langfristig stabilen Wirtschaftssystems. Obwohl uns deren Vertreter häufig — und gelegentlich mit bemerkenswerter Arroganz — ihre Meinungen und Prognosen als wissenschaftlich fundierte Wahrheiten zum Besten geben und obwohl die Verwendung mathematischer Formeln ihr ein wissenschaftliches Antlitz verleiht, muss festgestellt werden, dass sich die Volkswirtschaftslehre in einem katastrophalen intellektuellen Zustand befindet. Insbesondere ist sie keine Wissenschaft, wie noch ausgeführt werden wird. (…)

Abschließend noch ein weiterer Artikel aus der FAZ, der zeigt, in welchem Zustand sich die Lehre an den Unis mittlerweile befindet und wie weit dies von forschender Wissenschaft entfernt ist – Prof. Markus ReiserUniversitätsreform: warum ich meinen Lehrstuhl räume

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