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Lesetipps: Die Alten werden vom Fernsehen betäubt und vom Volk bezahlte Verblödung

Über das Fernsehen, vor allem das private Kommerzgedudel, lässt sich ja viel Kritisches sagen und schreiben. Dass es viele Menschen sediert und eigene Aktivitäten lahmlegt, ist auch nichts Neues, schließlich ist das „Abschaltenwollen“ mit Hilfe des Flimmerkastens für viele Normalität. Waren es früher die Kinder, deren TV-bestimmtes Freizeitverhalten in die Kritik geriet, sind es nun auch die älteren Menschen, für die passives Fernsehen zum Lebensinhalt geworden ist, wie Heise zu berichten weiß – „Die Alten werden vom Fernsehen betäubt“:

Das Problem ist wohl nicht nur, dass die Menschen zu früh zu Fernsehsüchtigen erzogen werden, sondern dass die Sucht mit dem Alter steigt

Gewarnt wird gerne davor, dass Kinder und Jugendliche zu lange vor der Glotze sitzen und dabei lethargisch und aufmerksamkeitsgestört werden. Gerade erst wurde wieder bestätigt, dass exzessives Computerspielen ebenso wie häufiger Fernsehkonsum bei Kindern die Konzentrationsfähigkeit zu mindern und die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen scheint, allgemein an Aufmerksamkeitsstörungen zu leiden. Computerspiele und Fernsehkonsum könnten so eine der Ursache für die Ausbildung der Aufmerksamkeitsstörung ADHD bei Kindern sein (s.a. Fernsehkonsum von Kleinkindern soll anhaltend das Verhalten prägen).

Dabei wird aber symptomatisch die allseits bekante Tatsache übersehen, dass die Jungen nicht diejenigen sind, die am meisten fernsehen, sondern dass die älteren und alten Menschen zunehmend mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen. Probleme scheint man damit wenig zu haben, da es sich ja um alte Menschen handelt, von denen nichts mehr erwartet wird und die mit Fernsehen auch still gestellt werden können. […]

[…] In allen Altersgruppen steht Fernsehen ganz vorne, man muss sich wirklich fragen, ob unsere Gesellschaften, die gerade erst einmal seit wenig mehr als einem halben Jahrhundert unter die TV-Medienglocke getaucht ist, ein Leben ohne Fernsehkonsum unbeschadet durchstehen könnten. Und die älteren? Sie sind zunehmend gesellschaftlich abgeschaltet und werden gehalten wie Vieh im Käfig, das mit inszenierter Unterhaltung und bewegten Bildern in den Tod geführt wird, weil eine Tötung gegen die guten Sitten verstößt. Das Non-Stopp-Fernsehen ist der kleine und indirekte Tod.

Neben der mehr als nur berechtigten Kritik am komplett durchommerzialisierten Bunt-Klimbim-Programm der Privatsender begleitet auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten stets der Vorwurf, die von den Bürgern zwangserhobenen Gelder sinn- und nutzlos zu verpulvern und nur noch, wie die Privaten, auf die Quote zu schauen. Jens Jessen geht in der ZEIT in „Öffentlich-rechtliche Sender: Vom Volk bezahlte Verblödung“ mit diesen Zuständen hart ins Gericht, wobei ich anmerken möchte, dass diese Sender immerhin ab und zu mal etwas Kritisches oder Gehaltvolles bringen, wenn natürlich auch viel zu viel televisionärer Quark unters Volk gebracht wird…:

[…] Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland scheint es gut zu gehen. Er expandiert gegen alle Widerstände ins Internet. Er hat ein Gesetz ertrotzt, das es erlaubt, die Rundfunkgebühr in jedem Haushalt zu erheben, unabhängig davon, ob dort Empfangsgeräte existieren. Die politischen und juristischen Siege verschärfen indes auch die Legitimationskrise eines Systems, das in Wahrheit nur noch wenig von dem liefert, was seine Finanzierung durch Zwangsgebühren rechtfertigen könnte.

Diese Legitimationskrise ist nicht heute und nicht gestern entstanden – und erst recht nicht durch das Internet. Wenn es eine Ursache gibt, dann liegt sie in der Konkurrenz der privaten Sender, die den Quotendruck hergestellt hat, der als Mutter aller Missstände gelten kann. Wann immer eine gute Sendung aus dem Programm genommen wird, heißt es: Die Quote war schlecht, und wann immer eine schlechte Sendung im Programm gehalten wird: Die Quote war gut. Über Qualität und Angebot von Sendungen nach der Zuschauerquote zu urteilen bedeutet aber für die öffentlich-rechtlichen Sender, dass sie sich wie reine Wirtschaftsunternehmen verhalten, das heißt nach Maßgabe der Produktverkäuflichkeit, ohne Blick auf eine weitergehende Verantwortlichkeit. Warum sollen Sender, die sich wie Privatakteure auf dem Markt verhalten, eine Gebühr bekommen, die sie von der Rücksicht auf den Markt befreit? Dies ist die Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Er wird für eine Freiheit bezahlt, die er nicht nutzt. […]

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Radiotipps für den August

Der Sommer macht grad Pause und viele Leute Urlaub, dafür senden Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur unbeirrt weiter – hier ein paar interessante Sendungen, die im August auf uns warten. Weitere Infos auf der Internetseite www.dradio.de. (Danke an Wiebke von Attac Kiel für die Liste.)

DLR-K
Mo. 02.08.10  –  19:30 Uhr

Zeitfragen
Das politische Feature
“Arbeit macht das Leben süß?”
Über den Druck auf Angestellte und Freischaffende
Von Thomas Klug

DLR-K
Do. 05.08.10  –  13:07 Uhr

Länderreport
Motorisierte Monokultur
Das Autoland Saarland
Von Tonia Koch

DLR-K
Mo. 09.08.10  –  19:30 Uhr

Zeitfragen
Der Widerspenstigen Zähmung
Kann die Politik die Finanzmärkte kontrollieren?
Von Conrad Lay
Finanztransaktionssteuer oder Bankenabgabe – zur Zeit sind viele Vorschläge im Umlauf, wie die Politik auf die Finanzkrise reagieren und die Verursacher der Krise in die Schranken weisen sollte.
Aber kann die Politik die Banken kontrollieren? Und dienen die vorgeschlagenen Instrumente überhaupt diesem Ziel? Wie bei Shakespeare geht es auch bei der Zähmung der Banken um Schein und Sein, um Verkleidung, verstellte Identitäten und Rollenspiele.
Kann die Finanzwelt die Politik durch kluge Unterwürfigkeit wirkungsvoller beeinflussen als durch Widerspenstigkeit? Ist die Bankenabgabe nichts anderes als eine moderne Variante der klugen Unterwürfigkeit?

DLR-K
Di. 10.08.10  –  13:07 Uhr

Länderreport
Stadt, Land, Geld
Das finanzielle Leid der Kommunen – am Beispiel Niedersachsen
Von Susanne Schrammar
Wollen sie ihre Schulden in den Griff bekommen, müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Ausgaben kürzen. Viele Kommunen jedoch fragen mittlerweile leicht genervt: wie denn noch?
Der Großteil der kommunalen Ausgaben geht auf Pflichtaufgaben zurück. Nicht alles haben die Kommunen selbst beschlossen.
Der Bund hat es ihnen aufgedrückt. Ein Beispiel: der Ausbau der Kinderbetreuung.
Das Prinzip: Wer bestellt, bezahlt gilt hier anscheinend nicht.
Der “Länderreport” wirft am Beispiel Niedersachsen einen Blick auf die finanziellen Beziehungen von Bund, Land und Kommunen und die Schwierigkeit, den Gürtel noch enger zu schnallen.

DLR-K
13:07 Uhr

Länderreport
“Ausverkauft und zugebaut … ”
Wie Privatisierungen und Bauprojekte unsere Landschaft verändern
Von Thilo Schmidt
Wohngebiete, Gewerbeprojekte und Autobahnen fressen sich täglich durch die Landschaft.
Bildlich gesprochen: Flächenfraß – bürokratisch ausgedrückt: Flächeninanspruchnahme.
Wie man es auch nennt: Rund 100 Hektar Land werden täglich zubetoniert.
Das will die Bundesregierung ändern – bis 2020 soll der Wert auf 30 ha sinken.
Umwelt- und Naturschutzorganisation begrüßen dies, beklagen jedoch, es gebe ein Umsetzungsproblem.
Der “Länderreport” schaut nach und besucht außerdem Mecklenburg-Vorpommern.
Dort sorgt sich mancher über eine andere Bedrohung der Landschaft: die Privatisierung von Seen.+

DLR-K
Mo. 16.08.10  –  19:30 Uhr

Zeitfragen
“Wir sind die Guten”
Wie Unternehmen sich und ihre Produkte ins rechte Licht rücken.
Von Martin Hartwig

DLR-K
Mo. 30.08.10  –  19:30 Uhr

Das politische Feature
Die Zukunft des Lernens – Schulreformen in Deutschland
Von Barbara Leitner
Mit dem Thema Schule werden inzwischen Wahlen gewonnen oder verloren.
Dahinter verbirgt sich eine neue Macht für Schulentwicklung: bildungsorientierte Eltern.
Da gibt es Mütter und Väter, die sich für das Modell der Gemeinschaftsschule stark machen, also längeres gemeinsames Lernen bevorzugen.
Andere starten Bürgerbegehren, um dafür zu sorgen, dass ihr Nachwuchs nicht mit den “Bildungsschmuddelkindern” lernen muss.
Ebenso wie manche Eltern allein ihr eigenes Kind sehen, schaut die Bildungsbürokratie nur auf die jeweiligen Landeskinder und zwingt den Bildungsdampfer – abhängig von der politischen Machtkonstellation – hin und her zu manövrieren.
Es gibt bundesweit Schulreformen und einige davon verdienen den Namen nicht, sind allenfalls Reaktionen auf den demografischen Wandel.
Doch es bewegt sich etwas, Schulen öffnen sich für neue Formen des Lernens.

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Wer mit der Angst der Menschen Profit macht / Hunger in Deutschland / Das Brokkoli-Patent

Längst sind es nicht nur vermeintlich spinnerte Ideen irgendwelcher Verschwörungstheoretiker, wenn man sich darüber Gedanken macht, wer eigentlich die Nutznießer von der konsequent geschürten Angst und Panik vor Pandemien, Terroristen usw. usf. sind. Eine richtige „Angst-Industrie“ ist entstanden, die vom Sicherheitsbedürfnis vieler Menschen lebt und davon, dass Medien und Politik und auch Reklame immer neue Säue durchs Dorf treiben, die unser aller Leben angeblich bedrohen. Das gutsituierte Handelsblatt stellte sich in seiner Ausgabe vom 23. Juli ebenfalls dieser Frage – „Die Suche nach Sicherheit – Wer mit der Angst der Menschen Profit macht“. Der komplette Artikel lohnt sich:

Der Terror hat die Menschen ängstlicher gemacht. Sie verlangen nach mehr Sicherheit – beim Reisen, beim Essen, beim Geldanlegen. Für die Bevölkerung birgt die Angst nur Negatives – doch für den Markt wird sie zum neuen Milliardengeschäft. […]

Experten schätzen den Sicherheitsmarkt schon heute auf einen dreistelligen Milliardenbetrag. In mancher Hinsicht facht sich die Branche selbst an. Die technischen Möglichkeiten, Daten zu sammeln und zu speichern, sind in den vergangenen Jahren um ein Vielfaches gewachsen. Doch je größer der Datenberg, desto dringender die Not nach Analyse. Dabei geht es nicht nur um die Erkennung von Gesichtern auf einer Überwachungskamera. Data-Mining, wie es im Fachjargon heißt, umfasst die Auswertung von Bildern genauso wie jene von mitgeschnittenen Telefongesprächen, überwachten E-Mails oder die Erkennung von verdächtigen Abbuchungen. Data-Mining hat viele Anwendungen: Terrorbekämpfung, Aufspüren von Kreditkartenbetrügern oder gezielteres Marketing durch Auswertung von Datensätzen. […]

Privatsoldaten sind die schillerndsten Mitarbeiter der Angst AG. Doch die Entstaatlichung des Gewaltmonopols hat viele Gesichter. In den USA etwa ist die Behausung von Straftätern längst keine hoheitliche Aufgabe mehr. Unternehmen wie die Corrections Corporation of America aus Nashville verwalten rund 80 000 Gefangene und bringen es auf einen Jahresumsatz von 1,7 Milliarden Dollar. Der Gewinn hat sich in den vergangenen fünf Jahren verdreifacht. […]

Um eine noch existenziellere Form der Angst ging es neulich auch beim MDR-Magazin Fakt – es zeigte, wie allen Jubelmeldungen von neoliberalen Wirtschaftlern wie dem INSM-nahen Ifo-Institut („Die deutsche Wirtschaft ist wieder in Partylaune“) die Realität vieler Menschen hierzulande anders aussieht. „Hunger in Deutschland“. Auf der MDR-Website kann man sich den dazugehörigen Beitrag (derzeit noch) online anschauen:

In Deutschland sind elf Millionen Menschen von Armut bedroht. Tausende leben bereits am Existenzminimum. Dabei handelt es sich nicht nur um Obdachlose, sondern auch um Rentner, Witwer, Alleinstehende und Alleinerziehende. Für viele gehört der Hunger inzwischen zum Leben dazu. Und ihre Situation scheint aussichtslos. […]

[…] Von Armut betroffen sind oft Menschen, die von Sozialleistungen leben. Nach Ansicht von Experten kann man mit den Regelsätzen für einen begrenzten Zeitraum auskommen, aber nicht auf Dauer. Doch anders als noch vor 20 Jahren ist Armut heute von langfristiger Natur. Das sagt Rudolf Martens, Wissenschaftler beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Er befürchtet, dass sich die Gesellschaft in Deutschland in Teilen auf amerikanische Verhältnisse zubewegt. […]

© lockstockb, stock.xchng

Apropos Ernährung – es gibt ebenfalls Neues von der „Genfood-Front“: nach dem irrsinnigen Plan von Monsanto, sich Schweinefleisch patentieren zu lassen, ist nun der Brokkoli ins Visier der Großkonzerne gerückt. Der Blog „Ratlosigkeit und Katzen“ schreibt in „Das Brokkoli-Patent“:

[…] Ich weiß ja, dass es das gibt; aber, dass ein britischer Konzern meint, er hätte einen Patentanspruch auf stinknormalen Brokkoli, war mir neu.
„Ja ist es denn!“, knirschte ich schon wieder, diesmal beim Zerhacken der Frühlingszwiebeln, denn diese britischen Forscher, und mit ihnen Monsanto und die anderen bösen Riesen, meinten ein Patent stünde ihnen dann zu, wenn sie im Labor einfach und schlicht ein paar Gene des jeweiligen Gemüses oder Geflügels (denn auf Tiere kann auch ein Patent angemeldet werden) lokalisierten. Ein Vorgang, der in den Laboren heutigentags trivial ist. […]

Der Deutschlandfunk brachte dazu eine eigene Sendung, in der u.a. Felix Löwenstein vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft zu Wort kommt:

„Also es ist meiner Ansicht, ohnehin problematisch, Patente auf Lebewesen zu erheben, auch auf gentechnisch veränderte. Und in Wirklichkeit ist es doch so, dass die Hauptmotivation ist, gentechnisch-veränderte Pflanzen herzustellen, dass man dann hinterher ein Patentschutz darauf haben kann. Was nun in den letzten paar Jahren passiert ist, ist, dass immer mehr Patente angemeldet werden auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere. Weil man ein Verfahren patentiert, dass irgendein Gen beschreibt und daraus leitet man dann weitreichende Ansprüche ab.“

Jibbet auch noch einen schönen Beitrag von quer zu dem Thema – „Wem gehört die Natur? Aufstand gegen Brokkoli-Patent“:

Das Brokkoli-Patent: Ein kleiner Schritt für das Patentamt, ein großer Schritt für die Menschheit? Wir von quer sind skeptisch. Kritiker warnen vor Monopol-Konzernen, die mit Hilfe von patentierten Zuchtverfahren die weltweite Lebensmittelindustrie kontrollieren könnten und damit, was bei uns auf den Tisch kommt und zu welchem Preis. Befürworter erwarten dagegen eine goldene Zukunft – und der Brokkoli zur Krebsprävention ist da erst der Anfang. Kommen bald Potenz fördernder Spargel, Schokokekse gegen Schlaganfall und Salami gegen Syphilis?

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Leben im Web 2.0 und Apple & der Datenschutz

Das Adbusters Magazin ruft ja jährlich zur Digital Detox Week auf und wirbt damit für eine Woche ohne digitale Gadgets, um die Abhängigkeit, die viele von uns mittlerweile von technischen Geräten haben, aufzuzeigen. Mich selbst, der ich auch jeden Tag stundenlang vorm Rechner hänge, beschleicht auch bereits seit Jahren ein ungutes Gefühl, wenn ich sehe, wie sehr manche Menschen mittlerweile von Handys und ähnlichen Sachen geworden sind oder fast schon zwanghaft überall Mails checken, Twitter- und Facebookacounts aktualisieren u.a. Denn dass solche Entwicklungen nicht ohne Auswirkungen für die Psyche des Einzelnen wie auch die Gesellschaft bleibe, ist eigentlich klar. Ich will damit keiner rückwärtsgewandten Technikfeindlichkeit das Wort reden – schließlich betreibe ich ja selbst mehrere Blogs & Websites –, dennoch empfinde ich ein diffuses Unbehagen, je mehr sich die Leute von der Technik abhängig machen.

So, wie es in der dreiteiligen Reihe „Leben 2.0 – Mobile Zukunft“ im WDR dargestellt wird, möchte ich, wenn ich ganz ehrlich bin, eigentlich nicht wirklich leben… (falls keine Videos zu sehen sind (zB weil Ihr noch den Internet Explorer benutzt), bitte hier entlang: Teil 1, Teil 2, Teil 3):

Teil I:

Teil II (ja, gleiches Vorschaubild, aber anderer Beitrag!):

Teil III (ja, nochmal gleiches Vorschaubild, aber anderer Beitrag!):

Mit meinem Unbehagen bin ich nicht allein, wie der jüngste ironische „quer-Schläger“ in der BR-Sendung quer verdeutlicht – „Früher wusste Gott alles und heute Steve Jobs“:

Übrigens bezieht sich Christoph Süß auf die neueste Meldung zum Thema Apple und der (Nicht-)Datenschutz – „Apple greift iPhone-Standortdaten ab“. Nicht nur Google oder Microsoft wollen alles über ihre Kunden wissen…

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Illegaler Handel mit Hundebabys

Jaja, der Markt hat ja angeblich immer Recht und regelt alles optimal… Wohin die komplette Durchvermarktung des Lebens und der kurzsichtige Billigwahn der Menschen jedoch auch führt, zeigte quer im Bayerischen Fernsehen letzten Donnerstag – „Welpen aus dem Kofferraum: Illegaler Handel mit Hundebabys“ (interessant auch die vielen Zuschauerkommentare dort!):

Weil reinrassige Hundebabys ein Vermögen kosten, kaufen sich viele Deutsche übers Internet ihr Schmusetier. Hier bekommt man edle Welpen aus Osteuropa schon für ein Drittel des regulären Preises. Erst hinterher merken die Käufer, dass sie weder sich noch dem Tier einen Gefallen getan haben. Die schlecht gepflegten Hunde leiden oft an Durchfall, Viruserkrankungen oder Leberentzündung. Viele von ihnen sterben schon kurz nach dem Kauf. quer hat einen der Hundedealer, der drei Welpen auf einem Parkplatz bei Holzkirchen verhökern wollte, mit Kamera, Polizei und Amtstierarzt überrascht.

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Die Gier der Kirchen

Über so manches Übel unserer heutigen Gesellschaft habe ich hier in meinem kleinen Blog ja schon berichtet, manches Unwesen angeprangert und viele unselige Entwicklungen gegeißelt. Gerade die durch dieses unser Wirtschaftssystem geförderte Tendenz, der Profitmaximierung vieles unterzuordnen und nur auf den eigenen Vorteil aus zu sein, zeichnet das Wirtschaftstreiben aus, vor allem im größeren „globalisierten“ Maßstab gesehen. Eine Determinante, die unser Leben immer noch mitbestimmt, habe ich dabei allerdings bisher ausgespart – die Kirche. Nicht aus Pietät oder moralischen Gründen, sondern weil das Thema Religionskritik eigentlich etwas für andere Blog ist und hier irgendwie zu weit führte. Dennoch animiert mich der Beitrag „Kirchenaustritt: Gebühren und Schikanen“, den Panorama unlängst sendete, nun doch einmal das ganz und gar weltlich-geldliche Streben der Kirchen, vor allem der katholischen, zumindest schlaglichtartig zu beleuchten:

Die Zahl der Kirchenaustritte ist auf Rekordniveau. Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken. Und jeder abtrünnige Gläubige bedeutet für die Kirche auch weniger Geld. Aber die Kirche schaut nicht tatenlos zu: Die beiden großen Kirchen in Deutschland und auch einige Gemeindeverwaltungen legen Austrittswilligen zum Teil unerwartete Hürden in den Weg. […]

Der Spiegel berichtete vor einigen Wochen ja ebenfalls über die Unsummen, mit denen das kirchliche Treiben vom Staat, und damit von Steuerzahler, quersubventioniert wird – „Geheime Parallelwelt“:

Prunksucht, Diebstahl, undurchsichtige Kassen: Die katholische Kirche wird von Finanzaffären erschüttert. Während an der Basis gespart werden muss, bleibt manchen Bischöfen kaum ein Wunsch unerfüllt. […]

“Die katholische Kirche hat das angeborene Recht, unabhängig von der weltlichen Gewalt, Vermögen zur Verwirklichung der ihr eigenen Zwecke zu erwerben, zu besitzen, zu verwalten und zu veräußern”, so steht es im Kirchenrecht. Dieses “angeborene Recht” und die dahinterliegenden Milliarden zu verteidigen ist eine der zentralen Aufgaben der Bischöfe. […]

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Weise Worte (22): Fahrräder sind schneller als Autos

Der typische amerikanische Mann widmet seinem Auto mehr als 1600 Stunden im Jahr. Er sitzt darin, während es fährt und während es stillsteht. Er parkt es und sucht es wieder auf. Er verdient das Geld, um dafür eine Anzahlung zu leisten und die monatlichen Raten zu bezahlen. Er arbeitet, um das Benzin, das Wegegeld, die Versicherung, die Steuern und die Strafzettel zu bezahlen. Er verbringt vier seiner sechzehn wachen Stunden auf der Straße oder damit, die Mittel für den Betrieb des Autos zu beschaffen. […]

Der typische amerikanische arbeitende Mann wendet 1600 Stunden auf, um sich 7500 Meilen fortzubewegen: das sind weniger als fünf Meilen pro Stunde. In Ländern, in denen eine Transportindustrie fehlt, schaffen die Menschen dieselbe Geschwindigkeit und bewegen sich dabei, wohin sie wollen – und sie wenden für den Verkehr nicht 28%, sondern nur 3% bis 8% ihres gesellschaftlichen Zeitbudgets auf. Der Verkehr in den reichen Ländern unterscheidet sich von dem Verkehr in armen Ländern nicht dadurch, dass für die Mehrheit mehr Kilometer auf die Stunde der einzelnen Lebenszeit entfallen, sondern dadurch, dass mehr Stunden mit dem Zwangskonsum der großen Energiemengen verbracht werden, welche die Transportindustrie „abpackt“ und ungleich verteilt. […]

Auf dem Fahrrad kann der Mensch sich drei- bis viermal schneller fortbewegen als der Fußgänger, doch er verbraucht dabei fünfmal weniger Energie. Auf flacher Strasse bewegt er ein Kilogramm seines Gewichts einen Kilometer weit unter Verausgabung von nur 0,15 Kalorien. Das Fahrrad ist der perfekte Apparat, der die metabolische Energie des Menschen befähigt, den Bewegungswiderstand zu überwinden. Mit diesem Gerät ausgestattet, übertrifft der Mensch nicht nur die Leistung aller Maschinen, sondern auch die aller Tiere. […]

Ein Volk kann durch die Energiemenge seiner Maschinen ebenso überfahren werden wie durch den Kaloriengehalt seiner Nahrung, aber die energiemäßige Übersättigung der Nation gesteht man sich viel schwerer ein als eine krankmachende Diät. […]

Wenn mehr als ein gewisses Quantum Energie in das Transportsystem eingefüttert wird, so bedeutet dies, dass mehr Menschen sich im Lauf eines Tages schneller über weite Distanzen bewegen und immer mehr Zeit einsetzen, um befördert zu werden. Der tägliche Radius eines jeden erweitert sich auf Kosten der Möglichkeit, den eigenen Weg zu gehen.

Ivan Illich, „Die sogenannte Energiekrise oder die Lähmung der Gesellschaft. Das sozial kritische Quantum der Energie“, 1974 (!)

[via 52 Wege für den Wandel der Welt]

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Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und ihr Treiben

Lobbyismus ist ein in unserer Demokratie immer bedrohlicher werdendes Problem – sickern doch viele durch große Unternehmen und Interessensgruppen eingeleitete und zum Teil medial flankierte Initiativen irgendwann in den politischen Entscheidungsprozess, ohne dass die meisten Menschen dies überhaupt wahrnehmen. Wie massiv die Einflussnahme von Wirtschaftsseite inzwischen geworden ist, habe ich hier im Blog ja auch schon einige Male aufgezeigt, u.a. bei meiner Buchrezension von „Giftmüll macht schlank“. Hierzulande gibt es eine ganze Reihe von wirtschaftsnahen „Think Tanks“, also quasi Tarnorganisationen, die sich den Anstrich von Wissenschaftlichkeit und Seriösität geben, in ihren Studien und Empfehlungen jedoch eindeutig die Interessen der Industrie vertreten. Und dies so geschickt, dass ihre Vertreter von vielen Medien gerne als „Experten“ eingelden und präsntiert werden, so dass auch die größten Zumutungen noch als „alternativlos“und „nützlich für das Land“ verkauft werden. Leider vermisse ich gerade bei Medienleuten oft das kritische Hinterfragen von Studien und Expertisen und das Offenlegen der Verflechtungen, die so manches Institut mit Unternehmen und Verbänden unterhält.

Einer der aktivsten und vielleicht auch unangenehmsten Vertreter dieser Gattung von Tarnorganisation ist die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (kurz: INSM), die mit ihren prominentesten Köpfen Hans Werner Sinn (laut BLÖD-Zeitung „Deutschlands klügster Professor“) und Ulrich van Suntum erschreckend oft in Nachrichten und Talkshows auftauchen und ihre Botschaften unter das Volk bringen dürfen. Wofür dieses Institut steht, gibt es ganz offen, wenn auch in Neusprech-Schönfärber-Deutsch auf seiner Homepage preis (obwohl man so eine Scheiße nicht noch verlinken sollte, ist es nicht verkehrt, sich das mal anzuschauen):

Um die Soziale Marktwirtschaft zu erneuern und sie leistungsfähig zu halten, muss jener Ballast abgeworfen werden, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat. Im Einzelnen bedeutet dies:

Neue Wirtschaftspolitik
Weniger ist mehr. Der Staat sollte sich auf seine Kernkompetenzen beschränken, Bürokratie und Genehmigungsverfahren vereinfachen. Weitere Entlastung von Steuern und Abgaben bringt neue Freiräume für die Eigeninitiative von Bürgern und Unternehmen.

Neue Beschäftigungspolitik
“Sozial ist, was Jobs schafft” – Arbeitslose müssen sinnvoll qualifiziert statt alimentiert werden. Alles, was im Sozial- und Arbeitsrecht die Schaffung neuer Arbeitsplätze verhindert, muss überprüft und – wenn nötig – korrigiert werden.

Neue Sozialpolitik
“Hilfe zur Selbsthilfe”- dieses Prinzip muss stärker als bisher betont werden. Ansprüche auf Rundum-Absicherung sind nicht mehr bezahlbar. Wer mehr Schutz will, muss zusätzlich privat vorsorgen. Klar ist aber auch: Die Solidarität mit den wirklich Bedürftigen der Gesellschaft bleibt bestehen.

Neue Tarifpolitik
“Stichwort Flexibilität” – die Tarifpolitik muss sich stärker an den Bedürfnissen der Betriebsparteien ausrichten. Das heißt zum Beispiel: weiterer Ausbau flexibler Arbeitszeiten und Einbau flexibler Lohnkomponenten.

Neue Bildungspolitik
In der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts stehen und fallen Standorte mit dem Rohstoff “Wissen”. Die Bildungspolitik gehört deshalb zu den zentralen Themen der Reformdebatte. Hier geht es um mehr Wettbewerb, mehr Effizienz und mehr Tempo.

Kurz gesagt, die INSM steht für all das, was FDP und andere Neoliberale seit Schröder als unumgängliche „Reformen“ anpreisen, mit den bekannten Folgen eines Reallohnverlustes bei gleichzeitigem Anstieg der großen Vermögen. Die soziale Schieflage wird also weiter vorangetrieben. Der Blog Perspektive 2010 schreibt aktuell in „Die Lügen der INSM und ihrer Studien“:

Im Dezember vergangenen Jahres  ließ die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) eine “Studie” von ihrem wissenschaftlichen Mietmaul Prof. Dr. Ulrich van Suntum vorstellen, welche belegen sollte, dass soziale Ungleichheit angeblich die Menschen glücklich mache. Dabei kam beispielsweise solcher Unsinn heraus:

Überraschenderweise geht eine größere Ungleichheit tendenziell mit einer steigenden Lebenszufriedenheit einher. Eine mögliche Erklärung liegt darin, dass die Nivellierung von Einkommen nicht nur für die Wohlhabenden nachteilig ist, sondern auch die Anreize und Aufstiegschancen künftiger Leistungsträger reduziert. Zudem ist die im Zeitablauf zunehmende Ungleichverteilung vorwiegend dadurch zustande gekommen, dass die Einkommen der reicheren Haushalte gestiegen sind, während sich die Einkommen der ärmeren Schichten absolut gesehen nur wenig verändert haben. Die Einkommensungleichheit ist in Deutschland somit für sich genommen offenbar kein “Unglücks-Faktor”. […]

[…] Die Fakten jedoch sehen etwas anders aus, wenn man nicht auf den verfälschten Mist hereinfällt, den die INSM regelmäßig zur Manipulation der öffentlichen und veröffentlichten Meinung in Auftrag gibt. Zum Beispiel so:

Ungleichheit macht krank

Je größer die wirtschaftliche Schere in einem Land ist, desto mehr Kranke gibt es. Das bestätigt eine Studie der Technischen Universität Darmstadt auf einer Datenbasis von 21 Ländern.
(…)
Analysiert wurden die bevölkerungsreichsten Länder der Welt wie China und Indien, aber auch Deutschland oder Dänemark. “Alle befragten Personen zusammen repräsentieren die Hälfte der Weltbevölkerung”, sagte Karlsson. Die Studie erfasst Staaten mit relativ geringer ökonomischer Ungleichheit wie Deutschland bis hin zu solchen mit extrem ungleicher Vermögensverteilung wie Russland oder Südafrika. “Damit haben wir eine sehr detaillierte Datenbasis”, sagte Karlsson. Die dreijährige Studie wurde in Zusammenarbeit mit der Universität Lund in Schweden erstellt.

Im Laufe der Zeit haben sich Autoren in einer ganzen Reihe von kritischen Beiträgen mit den Umtrieben der INSM befasst. So war sich die Initiative beispielsweise nicht zu blöd, für eine ordentliche Summe Geld Dialoge in der ARD-Serie Marienhof nach ihrem Gusto schreiben zu lassen, wie der Verein Lobbycontrol in dem pdf „INSM und Marienhof – Eine kritische Bwertung“ ausführlich darlegt. In „Revolution von oben“ fasst der Zeitgeistlos-Blog detailliert die Hintergründe und die Absichten dieser Gesellschaft zusammen und klärt auch darüber auf, wie sich dieser Laden finanziert:

[…] Die Initiative wurde im Jahr 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründet. Martin Kannegießer, Arbeitgeberpräsident von Gesamtmetall, startete eine Umfrage ob die Deutschen eine gute Meinung von der Marktwirtschaft hätten oder nicht und das Ergebnis veranlasste ihn zur Gründung der Initiative. 22 Prozent im Osten und nur 44 Prozent im Westen hatten eine gute Meinung von der Marktwirtschaft. Seitdem sah es die Initiative als ihre Aufgabe an, einen “Bewusstseinswandel der Deutschen voranzutreiben”, wie es Martin Kannegießer formuliert hat. Möglichst viele Deutsche sollten fortan den Weg der Neoliberalen als den Weg zu mehr Freiheit und zu mehr Wohlstand ansehen. Wirtschaftsliberale Themen sollten zudem fortan auf die politische und mediale Agenda gesetzt werden. Folglich überweist der Arbeitgeberverband Gesamtmetall bis zum Jahr 2010 rund 10 Millionen Euro jährlich an die Initiative, welche die Summe zu 70% für PR – Kampagnen und zu 30% für Anzeigen verwendet. […]

[…] Die Agentur Scholz & Friends in Berlin ist die “PR-Maschine” der INSM und liefert mit rund 40 Mitarbeitern permanente Zuarbeit. Sie entwickelt die Strategie der INSM, verwaltet die ausführliche Internetseite inklusiver neuer Studien und ist verantwortlich für die Kampagnen. Grundlage aller Kampagnen sind wissenschaftliche Arbeiten und Studien, welche zumeist vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und vom demoskopischen Institut Allensbach herausgegeben werden. […]

[…] Die ständige Wiederholung von augenscheinlich unveränderbaren Sachverhalten, wie der demografische Wandel und die Globalisierung, fungieren als Hauptargumente für marktwirtschaftliche Reformen, die in erster Linie den Grossunternehmen mehr Profit bringen, den Sozialstaat jedoch abbauen und die Demokratie damit als ganzes zusehends aushöhlen, da immer mehr Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden.

Sehr zu empfehlen ist dazu übrigens auch der INSM-Watchblog, der deren Aktivitäten mit Argusaugen betrachtet.

Abschließend noch etwas für die Generation YouTube – wer also nicht so gerne so viel lesen möchte, kann ja stattdessen ein paar Minuten seiner Zeit für diesen Beitrag opfern:


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In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich? 2/2

Heute Teil 2 meiner Betrachtung aktueller gesellschaftlicher Entwicklung, die in den Medien nachgezeichnet wird. (HIER Teil 1) Das im ersten Teil angesprochene Gefühl der zeitlichen Verdichtung und des permanenten Informiertseinmüssens wird durch Web 2.0, durch Dienste wie Twitter, Facebook & Co. natürlich noch zusätzlich befeuert – dies ist auch Thema der Serie „Digitales Denken – wie verändert uns das Internet?“ der FAZ. Geert Lovink wirft in „Was uns wirklich krank macht“ einen kritischen Blick auf die sog. oder vermeintliche „Informationsüberflutung“ und den Aufmerksamkeitsdruck:

[…] Flexibilität in der Netzökonomie hat zu einer Fragmentierung der Arbeit geführt, zu befristeter Zeitarbeit. Uns allen ist diese Fragmentierung der Arbeitszeit bekannt. „Psychopathische Störungen“, schreibt Berardi, „treten heutzutage immer klarer als soziale Epidemie auf, genauer als soziokommunikative Epidemie.Wer überleben will, muss konkurrenzfähig sein, und wer konkurrenzfähig sein will, muss vernetzt sein, eine riesige und ständig wachsende Datenflut aufnehmen und verarbeiten. Das führt zu permanentem Aufmerksamkeitsstress, für Affektivität bleibt immer weniger Zeit.“ Um fit zu bleiben, greifen die Leute zu Prozac, Viagra, Kokain, Ritalin und anderen Drogen. Wenn wir diese Analyse auf das Internet übertragen, sehen wir die beiden Bewegungen – die Erweiterung der Speicherkapazität und die Verdichtung von Zeit –, die Computerarbeit so stressig machen. Daraus resultiert das Chaos unserer Zeit. Chaos ist, wenn sich die Welt so schnell dreht, dass wir nicht mehr hinterherkommen. […]

[…] Die Älteren, ob konservativ oder liberal, glauben an das Prinzip der freien Entscheidung, doch für die junge Generation X, im „kapitalistischen Realismus“ aufgewachsen, gilt das nicht mehr. Berardi: „Nicht die Technologie ist das Problem. Damit müssen wir leben. Problematisch ist die Kombination von Informationsstress und Konkurrenz. Im Marktwettbewerb müssen wir stets die Ersten und Besten sein. Was wirklich krank macht, ist nicht die Informationsüberflutung, sondern der neoliberale Druck mit seinen unmöglichen Arbeitsbedingungen.“ […]

Zu diesem Gesellschaftsbild passen natürlich auch die Casting-Shows, die bei vielen Menschen die Illusion erzeugen, man könne es auch heutzutage noch vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen – statt etwas zu können, muss man eigentlich nur als medialer „Star“, als VIP Liebling der Massen werden und hat dann seine paar Monate Ruhm. Dafür lassen sich Kandidaten demütigen und vorführen, und Millionen von Fernsehzuschauern sehen sich dieses televisonäre Äquivalent zu Erbrochenem auch noch Woche für Woche an. Kinder, die ihre Geburtstage bei McDoof feiern, werden natürlich schon mal bestens geschmacklich vorformatiert, um solche Sendungen später im jugendlichen und Erwachsenenalter dann als „gute Unterhaltung“ zu empfinden und für gesellschaftlich relevant zu halten. Besonders übel finde ich ja bekanntlich Germany’s Next Topmodel, eine kommerzdurchtränkte Prostitutionsshow, in der sich junge Frauen an die Reklameindustrie verkaufen. Elisabeth Raether und Matthias Kalle beleuchten in ihrem sehr guten und ungewöhnlich ausführlichen Artikel die Schattenseiten des schönen Scheins und zeigen, wie verlogen und undurchsichtig es in der Pro7- und Heidi-Klum-Plastikwelt zugeht – „Ware Schönheit“:

[…] Der Sender braucht sie für die Welt, die er sich selbst geschaffen hat: Es gibt die Shows wie Germany’s next Topmodel , in denen junge Mädchen bekannt gemacht werden, und es gibt Boulevardsendungen, in denen diese jungen Mädchen dann als Prominente auftauchen – prominent, weil der Sender es entschieden hat, weil der Sender für eine Öffentlichkeit sorgen kann, die seine eigenen Produkte feiert. Ein Kreislauf, eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. […]

[…] Germany’s next Topmodel gibt vor, einen Traum erfüllen zu können, den Traum vom Topmodel. Aber keine, die ProSieben bisher zu “Germany’s next Topmodel” gekürt hat, ist heute Topmodel. Die Gewinnerinnen sind ProSieben-Gesichter, Markenbotschafterinnen des Senders und der Show geworden. […]

[…] Das Fernsehen selbst suggeriert jungen Menschen ständig, sie könnten Protagonisten der Unterhaltungsbranche sein, wichtige Akteure mit Einfluss. Aber die Stars sind nicht die Teilnehmer, der Star ist die Show – jene Maschine, die den Kreislauf in Gang setzt, der große Motor des sich selbst speisenden Prinzips. […]

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In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich? 1/2

Aktuell findet die 10. KarmaKonsum-Konferenz in Frankfurt/Main statt. Eher zufällig entdeckte ich bei Twitter eine Aussage von Bernd Kolb, der in seiner Eröffnungsrede erstaunliche Daten zu Gehör brachte: „9% aller deutschen Kindergeburtstage werden inzwischen bei McDonald’s gefeiert.“ Als ich dies las, fehlten mir zunächst einmal die Worte – wie schrecklich ist das, dass so viele Kinder ihren Geburtstag in einer industriell gefertigten, von Marketingzombies und „Storedesignern“ erdachten 08/15-Kunstwelt feiern und dabei mit miesem, ungesundem und umweltschädlichem Fast Food abgefüllt werden? Welche Eltern lassen so einen Unfug zu und führen ihre Kinder schon früh in eine normierte Marken- und Konsumorientierung? Traurig.

Wie das Leben so spielt passte diese Meldung hervorragend zu einigen anderen Artikeln, die mir in den letzten Tagen über den Weg gelaufen sind und die ich deshalb unter dem Blickwinkel des Zustands der momentanen Gesellschaft, in der wir leben, hier versammeln möchte. Sie zeigen nebenbei, dass auch die so oft geschmähten Mainstreammedien durchaus immer mal wieder Interessantes zum kritischen Diskurs beitragen (können). Dass unsere „Prä-Kollaps-Gesellschaft“ unter dem Einfluss neoliberalen Ellenbogendenkens an allen Ecken zu bröseln beginnt, zeigt und fördert die Politik quasi täglich durch ihre volksfernen, klientelgesteuerten Entscheidungen. Jüngstes Beispiel: Das Geklüngel um die Wahl des Bundespräsidenten. Ohne viel Federlesens „zauberte“ unsere Kanzlerdarstellerin den ihr genehmen Kandidaten aus dem Hut, ohne Rücksicht darauf, welcher Kandidat sich eher eignen würde. Der Philosoph und Autor Richard David Precht stellt in seinem flammenden Plädoyer in der ZEIT klar, dass solch ein Gebaren ein weiterer Sargnagel für eine lebendige Demokratie ist und die Menschen weiter in Politikverdrossenheit treibt – „… und keiner wacht auf – Leben wir noch in einer Demokratie oder überlassen wir die Politik lieber einer kleinen Führungselite?“:

[…] Es ist schwierig, Angela Merkel etwas begreiflich zu machen, wenn ihr Machterhalt darauf beruht, es nicht zu begreifen. Ein geeigneter Kandidat für das höchste Amt im Staate für Merkel – das ist nicht der Integerste, der Begabteste, der Klügste, der Eigenständigste, Umsichtigste, der Brillanteste. Ein geeigneter Kandidat ist der aus Sicht der Kanzlerin geeignetste Kandidat. Das heißt: nicht der Integerste, der Begabteste, der Klügste, der Eigenständigste, der Umsichtigste oder der Brillanteste. […]

[…] Die Aufgabe, die auf einen künftigen Präsidenten zukommt, ist mit keiner zuvor vergleichbar. Das Land hat die mutmaßlichen Grenzen seiner wirtschaftlichen Expansion erreicht. Was ansteht, ist der geordnete Rückzug aus dem Wachstumswahn. Sparzwänge und Verteilungskämpfe nie gekannten Ausmaßes werden das Klima in der Bundesrepublik verändern. Die Luft wird dünner, der Tonfall rauer. Wir wissen nicht, wie lange es noch Parteien in Deutschland gibt, aber allesamt arbeiten sie ungebremst an ihrem Verschwinden. Die Wahlbeteiligungen sinken dramatisch, das Ansehen unserer Politiker ist auf dem Tiefstand. […]

[…] Das Risiko dabei ist offensichtlich: Politik, ebenso wie Wirtschaft, ist an Voraussetzungen gebunden, die sie nicht selbst erzeugen kann. Wenn jeder in der Wirtschaft ausschließlich zweckrational seine Gewinne mehrt, wird das Fundament unterspült: Vertrauen, Fairness, Augenmaß und Anstand. Die Marktnormen kannibalisieren die Sozialnormen. Und die Folge sind Wirtschaftskrisen, am Schwarzen Freitag nicht anders als heute. Die Politik aber, und dies bleibt zumeist unbemerkt, folgt den gleichen Gesetzen. Sie setzt ein Interesse an der Demokratie voraus, ein Vertrauen in die Regierenden und die Annahme von Wahrhaftigkeit: dass ein jeder sich müht, nicht zu seinem eigenen Besten, sondern zum Besten des Landes. Die Zweckrationalität des Regierens jedoch folgt einer ganz anderen Logik – das Kanzleramt ist nicht Deutschland. An der Macht zu bleiben verlangt nicht Wahrhaftigkeit und Fairness. Regieren gebiert keine Solidarität, sondern sie verzehrt sie. Erneuernde Wechsel, die mehr sind als ein »Weiter so!« unter anderen Fahnen, sind deshalb unumgänglich. […]

Wenn Rücksichtslosigkeit und egozentrische Selbstverwirklichung das moderne Credo darstellen, dann kann es nicht verwundern, dass auch die zukünftige „intellektuelle Elite“ oft einen eindimensionalen, karrierefixierten und eigennutzenmaximierenden Weg einschlägt. Auf Spiegel Online schildert Klaus Werle in „Karriere, Karriere, Knick“ den bedrückend flachen geistigen Horizont der heutigen Studentengeneration:

Studenten machen sich selbst zum passgenauen Firmenfutter. Ultra-pragmatisch perfektionieren sie ihre Lebensläufe, straff, stur, strategisch. Doch bei allem Ehrgeiz vergessen sie das Wichtigste: Manchmal sind die krummen Wege die geraden. […]

[…] Aber profitieren auch die Studenten selbst? Zumindest glauben es viele; die Optimierung der Bildung haben sie längst verinnerlicht. “Alles Tun wird auf die eigene Marktgängigkeit, die Verwertbarkeit im Lebenslauf hin abgeklopft”, so Jugendforscher Hurrelmann. Anna-Lena sagt: “Wir sind schon eine ichbezogene Generation. Jeder will in Rekordzeit, mit Rekordnoten durch die Uni. Manchmal frage ich mich, wie ich das Pensum noch steigern soll, wenn ich im Beruf bin.” Ironisch schaut sie auf ihre schmale Festina-Uhr, als sei es deren Schuld, dass der Tag nur 24 Stunden hat. […]

[…] Woran es fehlt, sind Menschen mit Köpfchen und Neugier. Die mit Kreuzungen, Sackgassen und Umleitungen umgehen können – nicht nur mit Einbahnstraßen. Die mit individuell Besonderem statt mit Mainstream-Wissen überzeugen. Das lernt man nicht, indem man einen normierten Ausbildungskanon im Rekordtempo absolviert. […]

Morgen geht es weiter mit Teil 2.

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