Kategorie: Wirtschaft Seite 49 von 54

Die „Finanzkrise“ – nun also doch eine Systemkrise?

Tja, nun ist aus dem, was Politik und Medien uns letztes Jahr noch als reine „Finanzkrise“ verkauft haben, inzwischen dann doch eine ausgewachsene Wirtschafts-, wenn nicht gar Weltwirtschaftskrise geworden. Fast täglich hört man in den Nachrichten von Firmen, die die schlechte Auftragslage durch Kurzarbeit ihrer Mitarbeiter abzufedern versuchen, oder die wie im Falle der deutschen Renommiermarken Märklin oder Schiesser gleich ganz Konkurs anmelden. Und dennoch habe zumindest ich immer noch den Eindruck, das eigentlich alles bei uns seinen gewohnten Gang geht. In meinem Umfeld ist niemand direkt betroffen, die Regale sind voll, die Straßen ebenfalls, das Einzige, was ich von der Krise gehört habe, waren zwei Äußerungen von zwei Bekannten – der eine war unlängst in Kalifornien, wo man die Angst der Menschen wohl selbst als Außenstehender richtig spüren soll, der andere in der Türkei, wo die Wirtschaft massiv zu schwächeln beginnt. Und in Deutschland? Da hat „unsere“ Regierung ja scheinbar alles im Griff, so viel Aktionismus, wie sie verbreitet, und wenn man sieht, wie sehr sie um die Autoindustrie und die Banken bemüht ist.

Bennett editorial cartoon

© Chattanooga Times Free Press / Bennett

Und man hört sogar schon die ersten Optimisten (wie unseren Neuwirtschaftsminister von und zu Guttenberg), dass im Frühjahr, spätestens im Herbst (2009!) der Abschwung wieder vorbei sein solle und es danach mit dem „Aufschwung“ (den es de facto ja nie gab; jedenfalls kam er bei den meisten Menschen nicht wirklich an) weiter gehen wird, wie wir es gewohnt sind – also alles halb so schlimm? Ich glaube nicht. Tatsächlich fand sich in den vergangenen Wochen eine Vielzahl von kritischen Stimmen und Analysen sowohl im Internet wie auch erstaunlicherweise in der bislang eher zurückhaltenden Mainstreampresse.

Vor gut zwei Wochen forderte Die Zeit in „Jetzt mal ehrlich“ (bezeichnenderweise unter der Rubrik „Ratlosigkeit“!) zu einer schonungsloseren Sicht auf die Lage auf und sprach sich für ein Ende des Schönredens und Verdrängens aus, das die Politik im großen Stil betreibt.

Am 8. Oktober 2008 war die Krise noch jung, man möchte fast sagen: unschuldig. An jenem Mittwochabend luden die Bundeskanzlerin und ihr Finanzminister die Chefs der wichtigsten Zeitungen ins Kanzleramt, um ihnen eine Botschaft zu übermitteln. Die lautete: Wir wissen zwar nicht genau, was in zwei oder drei Wochen ist, aber würden doch sehr herzlich um Ihr Vertrauen bitten und vor allem darum, dass Sie keine schlechte Stimmung machen, denn dazu ist die Lage zu ernst.

Die beiden trugen ihr Ansinnen auf beinahe schüchterne Weise vor, wahrscheinlich wussten sie, wie brüchig ihr Konzept war: den Banken einen Schirm aufspannen, ein kleines Konjunkturprogramm auflegen und den Menschen keine Angst machen, auf dass sie schön einkaufen gehen. Funktioniert hat immerhin das Letzte: Die Deutschen blieben cool und kauften zu Weihnachten wie üblich viel mehr, als sie brauchten. Ob das nun an den Zeitungen lag, sei dahingestellt, doch konnte man damals an die patriarchalische Vision glauben, dass die Eliten dem Volk nicht alles sagen – um es, mit Scheuklappen versehen, rasch durch die Krise zu führen.

901054_haus-restaurantUnd die folgenden, sehr spannenden Absätze, sind überschrieben mit:

1. Die Krise ist ohne Beispiel
2. Das Ende ist noch lange nicht in Sicht
3. Die Krise entwickelt sich schneller, als die Politik reagieren kann
4. Die erste Ursache ist nicht die ganze Lösung
5. Denen, die sich besonders sicher sind, kann man am wenigsten trauen
6. Die Krise wird immer größer, die Politik wird immer kleiner
7. Die Politik hat dem Volk nichts zu sagen
8. Die Krise erzeugt neue Krisen

Auch wenn dieser Artikel vielleicht ein wenig zu sehr (durchaus berechtigtes) Politiker-Bashing betreibt, so ist es doch bemerkenswert, wie weit die Autoren damit von der von der Regierung erbetenen Linie abzuweichen beginnen. als-ob-leben? kommentiert diesen Text in „Krisennews Spezial – Erster Klartext im Mainstream“:

das ganze lässt sich natürlich auch als versuch betrachten, mittels “neuer” aufrichtigkeit so etwas wie vertrauen in der herde zu erzeugen – ich verstehe den artikel jedoch persönlich v.a. als zeichen dafür, spätestens jetzt die sicherheitsgurte anzulegen und den helm aufzusetzen – die finale crashfahrt hat begonnen.

Ich kann Euch die Beitragsserie „krisennews und -gedanken“ dieses Blogs generell nur empfehlen, denn der Autor vermittelt darin ein vielfacettiges Bild von den derzeit um uns herum brodelnden Krisenherden, von denen wir aus der Tagesschau nur mal so am Rande, schlaglichtartig erfahren. In der letzten Folge (23) vom Sonntag, ging es beispielsweise u.a. um die Proteste in Italien und Frankreich. Eher grundlegender Natur ist „Es gibt Systemkrise, Baby“, in dem der Bogen von den reinen, direkt zu beobachtenden Symptomen, hin zu einer grundlegenden In-Frage-Stellung des Wirtschaftssystems, das diese Zustände hervorgerufen hat, geschlagen wird.

so bin (nicht nur) ich bekanntlich zb. der meinung, dass selbst dann, wenn die derzeit praktizierte ökonomie aktuell auf welchen wegen auch immer nochmals unter enormen aufwand in eine richtung des wachstums gezwungen werden sollte, die nächsten strukturellen krisen unmittelbar eintreten würden – und als erstes würde peak oil bzw. die folgen des peaks dafür sorgen, dass ein sog. aufschwung sehr sehr schnell wieder aufgrund rasant steigender energiepreise zum rohrkrepierer wird. aber das ist nur ein punkt, den ich v.a. deswegen immer wieder erwähne, weil er mir ansonsten überall zu kurz kommt. mittlerweile kommt die diagnose einer ausgewachsenen systemkrise jedoch aus immer mehr ecken, und es werden weitere – reale und halluzinierte – gründe genannt, mit denen sich eine nähere beschäftigung lohnt.

economist_cover_oh_fuck_september_3Ein weiteres Beispiel für eine eher konservative Zeitung, die sich nun plötzlich mit der Realität auseinanderzusetzen beginnt (zaghaft) ist die Financial Times Deutschland. In seiner Kolumne „Zeit für eine Bad-Ideas-Bank“ schreibt Thomas Fricke für einen Wirtschaftsjournalisten doch sehr Erstaunliches:

Das globale wirtschaftliche Desaster stürzt die Wirtschaftswissenschaft in eine Legitimationskrise – was das Gros der Betroffenen noch nicht merkt. Die Branche braucht eine ganz neue Generation von Ökonomen.

(…) “Wir sind eine Wissenschaft, die arrogant auftritt, aber gar keinen Grund hat, arrogant zu sein”, urteilte kürzlich Harvard-Ökonom Dani Rodrik. “In der Finanzkrise ist der Anspruch der Ökonomen erloschen, eine Wissenschaft zu sein”, polterte Moisés Naím*, Chef der Zeitschrift “Foreign Policy”, beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Umfragen in der Bevölkerung ergeben derzeit Ähnliches. “Die meisten von uns sind ziemlich ratlos”, räumt Friedrich Schneider, Chef der Vereinigung deutschsprachiger Ökonomen, ein: “Wir sind in der Krise.”

Das Problem liegt weniger darin, dass keiner die Lehman-Pleite vorhergesagt hat (sonst hätte es sie wahrscheinlich nicht gegeben). Die aktuelle Finanzkrise reißt ganze Glaubenssätze mit: dass Märkte am besten funktionieren und eigene Fehler glimpflich korrigieren. “Diese Annahme ist gescheitert”, sagt Nobelpreisträger Edmund Phelps. “Der Marktfundamentalismus war ein Fehler”, so Ken Rosen von der University of California – ein Standardsatz, dem in Davos 2009 niemand mehr widersprach.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Feature des ARD-Wirtschaftsmagazins PlusminusKrisenbekämpfung – Wachsende Schuldenberge“ – nicht, weil dort die beiden „Experten“ Prof. Max Otte und Dr. Marc Faber auf die (amerikanische) Notenbankpolitik der letzten Jahre schimpfen, sondern wegen der Implikationen, die man aus diesen Zeilen ablesen kann:

Vor allem Alan Greenspan, der einst so verehrte Chef der US-Notenbank, hat während seiner Amtszeit jede Rezession mit sehr viel billigem Geld bekämpft, das er durch Zinssenkungen in den Markt pumpte. Dass Politik und Notenbanken den aktuellen Crash mit eben diesem Mittel bekämpfen, hält er in der gegenwärtigen Situation zwar für alternativlos, langfristig aber für verheerend: „So wie Politik und Notenbanken auf die Krise reagieren, ist es sehr wahrscheinlich, dass wir uns die nächste Blase schon wieder aufbauen, und die wird genauso groß, wenn nicht sogar noch größer als die gegenwärtige“, so der Wirtschaftswissenschaftler.

Eine sehr gute und wie ich finde zutreffende und fundierte Analyse der Gründe, die zu dieser Krise geführt haben, liefert Lothar Galow-Bergemann in der Zeitschrift krisis – „Krisengeflüster – wahre und falsche Ursachen der Finanzkrise“. Es lohnt sich, diesen etwas längeren Vortrag in Gänze durchzulesen, denn er stellt die ganze Problematik gut auf eine breitere Basis als das bloße Finanzsystem und räumt auch mit einigen vereinfachenden, ablenkenden Erklärungsversuchen („alles nur Schuld der dummen amerikanischen Häuslebauer“, „diese gierigen Banker!“ usw.) auf.

Wenn es nur eine Krise wäre, die diese globalisierte Wirtschaftsordnung der Menschheit beschert, so könnte man fast noch von Glück reden. Aber es sind derer mindestens gleich fünf: – die Hunger- und Ernährungskrise – die Energiekrise – die Umwelt- und Klimakrise – die staatliche Zerfallskrise in großen Teilen der Welt – und die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise. Alle diese Krisen sind miteinander verwoben und bilden gemeinsam eine Art globaler Hyperkrise, die – und das ist leider nicht übertrieben – möglicherweise dazu führen wird, dass sich die Menschheit selber vernichtet und einen Großteil der Natur gleich mit. Nur wer mit ideologischen Scheuklappen à la Guido Westerwelle oder Friedrich Merz herumläuft, kann davor noch die Augen verschließen.

(…) Der erste Strickfehler (der kapitalistischen Wirtschaft): Sie funktioniert nur, wenn sie ewig wachsen kann. Jedes Kind weiß zwar, dass so etwas auf Dauer schief gehen muss. Aber trotzdem ist das ewige Wirtschaftswachstum die heilige Kuh dieser Gesellschaft. Kommt das Wachstum ins Stottern, geht es gar zurück, jammern Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kommunalpolitiker und Zeitungskommentatoren unisono, denn dann geht es unweigerlich an die Profite, an die Arbeitsplätze, an die Steuereinnahmen, kurz an die Grundlagen von Wirtschaft und Staat.

(…) Denn – und das ist gewissermaßen das „Sahnehäubchen“ auf der globalen Hyperkrise: Personalisierte und regressive ideologische Krisenverarbeitung in den Köpfen fördert das Umsichgreifen des Ressentiments und die Gefahr, dass extrem menschenfeindliche und reaktionäre Bewegungen entstehen, die sich zusammenphantasieren, die Krise könne mittels der Vernichtung der von ihnen ausgemachten Bösewichte überwunden werden. Dieser Wahn verschärft dann das Krisenpotential noch einmal deutlich und die Lage wird noch explosiver.

Abschließend noch zwei passende Sichtweisen zus der Blogwelt – zum einen von Feynsinn, der die „Psychologie des Neoliberalismus“ sehr treffend analysiert und klar macht, dass eine der Krisenursachen eben auch in dieser Ideologie zu suchen ist.

Die letzte Schlacht einer realitätsblinden Strategie ist ebenso konsequent wie tragisch. Diese war von vornherein darauf angelegt, sich gegen jede Kritik abzuschotten und jedes Opfer hinzunehmen. Der Neoliberalismus kann sich nicht anders denken als alternativlos. Die Verhöhnung und Beschuldigung der Verlierer, das Zusammenrücken derer, die sich als “Elite” betrachten, das Hinnehmen jeder schreienden Ungerechtigkeit auf dem Weg in den Abgrund waren Programm.

Auch Claudia Klinger befasste sich in ihrem Blog digital diary mit der Krise: „Finanzkrise ungelöst: Das KOAN des Kapitalismus“ – ihr schönes Zitat soll diesen Beitrag beschließen:

Das ungelöste Finanzproblem erscheint mir zunehmend als ein KOAN des Kapitalismus, da es system-immanent unlösbar erscheint. “Ein Koan ist ein Zen-Rätsel, dessen Lösung zur unmittelbaren Erfahrung der Erleuchtung führt, weil die Grenzen des logischen Denkens durchbrochen werden müssen. Diese Zen-Technik ist bereits Jahrhunderte lang erprobt und bewährt, erfordert jedoch absolutes Loslassenkönnen von herkömmlichen Denkstrukturen, was meist nur unter großem psychischen Einsatz gelingt.”

Nachtrag: den Artikel von Friedrich Krotz „Die Wurzeln der Krise: Der Kapitalismus ruiniert sich selbst“, der am 18.2. in der taz erschien, kann ich auch nur zur Lektüre empfehlen!

Was also ist die Krise? Das Bankensystem hat sich selbst ruiniert, aber nicht weil es die Regeln des Kapitalismus verletzt hat, sondern weil es sie konsequent befolgt hat: Ziel war und ist nichts als Gewinn, soziale Verantwortung oder Ethik hin oder her. Ebenso wie der Staatssozialismus an sich selbst erstickt ist, haben sich die Banken damit in einem Meer von Geld selbst ertränkt und sich gegenseitig in die Pleite getrieben.

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Die Yes Men schlagen in Berlin zu und stellen ihren neuen Film „The Yes Men Fix The World“ vor

Die Yes Men, die profiliertesten Culture Jammer der Jetztzeit, die letztes Jahr für Furore mit ihrer Parodie der New York Times sorgten sind wieder da – und wie! Auf der Berlinale lief gerade ihr neuer Film „The Yes Men Fix The World” an (offizieller Kinostart in Deutschland ist der 19. Februar), in dem sie sich diesmal, wie die Frankfurter Rundschau berichtet, „die freundlichen Konzerne von nebenan, also Exxon, Halliburton oder die Profiteure der Hurrican-Katastrophe von New Orleans“ vorknöpfen. Anlässlich einer Berlinale-Charity-Veranstaltung, die von BMW gesponsort wurde, haben sich die Aktivisten sogleich an eine neue Aktion gemacht – sie sind zwischen den Absperrungen hindurch auf den roten Teppich gestiegen, ließen ihre Kostüme zu beachtlicher Kugelgröße aufblasen und standen mehrere Minuten lang allen geladenen Prominenten im Weg herum. Ihr Anliegen: sie wollten erst wieder gehen, wenn BMW aufhört, Autos zu produzieren, denn deren Sponsoring einer Charity-Aktion sei lediglich Greenwashing. Sie wurden schließlich von den Sicherheitskräften gewaltsam entfernt. Es ist immer wieder erstaunlich, was sich die Yes Men so alles trauen, die scheinen ziemlich schmerzbefreit zu sein, Respekt! Von alledem gibt es ein schönes Youtube-Video:

[via De-Branding]

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Wem gehört Deutschland?

Im Jahre 2002 sendete die ARD-Sendung Panorama diesen Bericht zur Frage: „Wem gehört Deutschland?“, der verdeutlicht, wer zu den Profiteuren der steigenden Staatsverschuldung gehört, nämlich die großen Bankinstitute. An Aktualität hat dieser Beitrag (leider) seitdem nichts verloren – im Gegenteil: man darf sogar konstatieren, dass er vor dem Hintergrund der Rettungsbillionen, die in das marode Finanzsystem gepumpt werden, eher noch an Brisanz gewinnt. [via]

Die Banken, bei denen sich der Staat (und damit wir alle) so verschuldet hat, bekommen nun in der „Finanzkrise” Geld vom Staat, das dieser sich wiederum von den Banken leihen muss. Absurd… aber natürlich sehr einträglich für die Banken! Wie stellte Henry Ford bereits um 1920 so treffend fest:

„Es ist gut, dass die Bürger der Nation unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen, denn wenn sie es würden, glaube ich, gäbe es eine Revolution vor morgen früh.“

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Irrsinn der Globalisierung – Neokolonialismus Marke Daewoo

crash_carIn diesen verrückten Zeiten, in denen sich die Krisenmeldungen aus der ganzen Welt häufen und das globale Wirtschaftssystem zu kollabieren droht, gibt es doch immer noch Konzerne, die die Ungunst der Stunde nutzen, um Vorteile für sich daraus zu ziehen. So konnte man unlängst die unglaublich erscheinende Meldung lesen, dass der koreanische Konzern Daewoo Logistics sich die Hälfte des der fruchtbaren Flächen des Inselstaates Madagaskar gesichert hat, um dort Mais und Getreide anzubauen, das anschließend nach Südkorea verschifft wird. Als Gegenleistung bietet der Konzern nicht etwa schnödes Geld an – nein, das wäre natürlich zu teuer. Statt dessen soll Daewoo im Gegenzug für dieses Entgegenkommen der Regierung Know-How und Arbeitsplätze auf die Insel bringen. Die Frankfurter Rundschau beschreibt dies in „Neokolonialismus – Daewoo kauft Madagaskar auf“ so:

Für die internationale Umwelt und Agrarorganisation Grain ist der Daewoo-Deal mit Madagaskar ein besonders krasser Fall einer “Landnahme”, die die Ernährungssicherung der heimischen Bevölkerung gefährde. Lebensmittel- und Finanzkrise hätten eine neue “globale Landnahme” ausgelöst, bilanziert Grain in einer Studie.

Vor allem Schwellenländer und Ölstaaten sicherten sich Ackerflächen in armen Staaten. Eine lange Liste des “offshore farmings” präsentiert Grain, führt etwa die saudische Firma Adco auf, die im Sudan auf 10 000 Hektar die Weizenernte einfährt und übers Rote Meer heimholt, während im Anbaugebiet die Menschen hungern.

Absolut skandalös und unerträglich, dieses Gebaren, das zeigt, wohin das kurzsichtige, egoistische Profitmaximieren die Erde bringt – nämlich zurück ins 19. Jahrhundert. Wer gegen diese Enteignung des Landes protestiert, auf den wird auch noch geschossen.

Reinhard Schanda schreibt in Die PresseHalb Madagaskar zum Nulltarif“ dazu süffisant und auf den Punkt:

Nach den Regeln der Marktwirtschaft macht es Sinn, die Produktionsmittel für Lebensmittel den Ärmsten wegzunehmen: In armen Ländern kann wegen niedrigerer Lohnkosten und niedrigerer Kosten für Grund und Boden billiger produziert werden. Am meisten Sinn macht es also, Lebensmittel in den ärmsten Ländern der Welt billig zu produzieren und in den reichsten Ländern der Welt zum dortigen Preisniveau, also viel teurer, zu verkaufen. So funktioniert Marktwirtschaft in einer Welt des liberalisierten Welthandels.

Die Nachteile einer solchen Entwicklung sind evident: In den armen Ländern wird den ohnehin hungernden Menschen die Grundlage für ihre eigene Lebensmittelversorgung entzogen. Und in den reichen Ländern wird den dort wirtschaftenden Bauern durch Dumpingpreise, mit denen sie aufgrund der Kostenstruktur in reichen Ländern nicht konkurrieren können, die Existenzgrundlage entzogen – sodass sie nur noch mit umfangreichen Förderungen überleben können. Die Entwicklung hat also Verlierer auf beiden Seiten. Gewinner sind nur die Unternehmen, die diesen Handel betreiben.

Ach ja: Und Gewinner sind auch die Konsumenten in den reichen Ländern, die ihre Lebensmittel billiger kaufen können, als wenn sie im eigenen Land produziert würden. Dafür bleibt ihnen mehr Geld, um größere Flat-Screen-TVs und schnellere Autos kaufen zu können. Was für ein Gewinn!

Ehrlich gesagt ist das absolut zum Kotzen – und jeder sollte diesem Konzern mal seine Meinung geigen.

[via Uns gehört die Welt! und futur 2]

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Surftipp & Aktionstipp: Autowechsel jetzt

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Sollte die Abwrackprämie der Bundesregierung (von selbiger ja forsch als „Umweltprämie“ tituliert – für wie blöd werden die Bürger eigentlich gehalten? (das war eine rhetorische Frage ;-) ) tatsächlich einen wirklichen Vorteil bringen – neben der kurzzeitigen Ankurbelung der Autoindustrie, was ich jetzt mal nicht als unbedingt positiv bewerte –, so liegt er wohl in der Hoffnung begründet, dass die Leute von großen, umweltzerstörenden auf kleinere, ein paar Prozent weniger umweltzerstörende PKW umsteigen.

Um die anscheinend unbelehrbaren Fahrer der Minipanzer (SUVs, Geländewagen) ein wenig zum Umdenken zu bewegen, haben BUNDjugend und Grüne Jugend ein gemeinsames Projekt aus der Taufe gehoben und mit einer schön gestalteten und informativen Website versehen: Autowechsel jetzt. Dort erfahren wir ein wenig mehr über die Hinter- und Beweggründe und die grundsätzlichen Nachteile dieser perversen Egomanie-Boliden, die das Straßenbild verschandeln und die Straßen für alle anderen Verkehrsteilnehmer unsicherer machen. Wer mithelfen will, kann sich dort (natürlich wieder ablösbare) Aufkleber „Think big, drive small“ bestellen, die man auf die Windschutzscheiben der entsprechenden Karren pappen kann, und einen sog. „Strafzettel“ als zip-Datei herunterladen, zum Ausdrucken und hinter die Scheibenwischer klemmen. Viel Spaß beim Subversieren!

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Lidl/Aldi/Discounter – Profite auf Kosten der Allgemeinheit, oder: Die Spirale abwärts. Teil 2/2

(Dies ist Teil 2 meines Discount-Diskurses – Teil 1 findet Ihr hier.)

Nach alledem ist es nur logisch, dass dieses gnadenlose Drehen an der Kostenschraube bis in den Schmerzbereich hinein nicht an den Unternehmensgrenzen der Discountketten Halt macht, sondern sich nahtlos auf die inländischen Zulieferbetriebe und deren Produzenten etc. ausdehnt. Da Aldi/Lidl usw. gewaltige Warenmengen abnehmen, aber um jeden Cent knausern, werden auch die Zulieferer unter den Druck gesetzt, zu sparen, Kosten zu senken, so billig wie nur irgend möglich zu produzieren/produzieren zu lassen, damit der Betrieb noch profitabel bleibt. Das bedeutet, dass die Probleme, die sich schon bei den Discountern zeigen, also Lohndumping, Ausbeutung der Mitarbeiter, unbezahlte Überstunden, direkt auch bei den nachgelagerten Firmen auftreten. Und dann wiederum bei den Produzenten oder bei den Landwirten, die die Industrialisierung der Landwirtschaft mit all den schädlichen Folgen für Böden & Umwelt (und der Gesundheit der Menschen) immer weiter voranpeitschen müssen. Mehr Chemikalien, um die Erträge zu erhöhen, der Einsatz von Leiharbeitern, von Wanderarbeitern aus Osteuropa, Schwarzarbeit, Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte usw. usf. Der letztes Jahr von Günther Wallraff aufgedeckte Skandal um eine Brötchenfabrik, die unter schlimmsten Bedingungen für Lidl poduziert machte Schlagzeilen, wenngleich sich der gemeine Discountkunde offenbar selbst durch solche Meldungen nicht in seinem Kaufverhalten erschüttern lässt…

u1_sw_aldi-2_282x398Selbstverständlich haben die Discounter auch längst die Vorteile der Globalisierung für sich entdeckt und produzieren zuhauf in Billiglohnländern, um noch mehr Kram unter die Leute bringen zu können. Demzufolge herrschen in den Zulieferbetrieben außerhalb Deutschlands noch erbärmlichere Zustände, da hier Menschen unter fast unmenschlichen Bedingungen für den westlichen Billigwahn schuften müssen. Zeitlich sehr gut mit den ARD-Sendungen abgestimmt veröffentliche das Südwind-Institut für Ökonomie und Ökologie in Siegburg Anfang der Woche eine aufrüttelnde Studie über Arbeiterinnen in China, die für Aldi produzieren und bei denen kaum nennenswerte Arbeitsschutzregeln eingehalten werden. Wie auch, wenn das deutsche Unternehmen so wenig wie nur irgend möglich zahlen möchte und diesen Druck, wie eben schon geschrieben, direkt weiterreicht? Man lese dazu den Bericht aus der ZEIT („Aktionsware: Geizen auf Kosten chinesischer Arbeiter“) oder der taz („Aldi verstößt gegen die Arbeitsrechte“), genauso wie auch meine älteren Beiträge (hier, hier) und die ausführliche Studie der Kampagne Saubere Kleidung über die unfeinen Methoden von Lidl & kik bei der Herstellung der chemiedurchtränkten Billigtextilien, die bei uns im Lande ebenfalls reißenden Absatz finden.

Die Freude über diese „Schnäppchenhits“ wird getrübt durch die Umstände, unter denen sie produziert werden. Die meisten dieser importierten Waren stammen aus Zulieferfirmen, in denen “unmenschliche Arbeitsbedingungen” herrschen. ein.

Die Schnäppchen in Deutschland werden „erkauft durch systematische Verletzungen von Arbeits- und Frauenrechten“ in China, sagt die Autorin der Studie, Ingeborg Wick. In der chinesischen Textil- und IT-Industrie seien oft minderjährige Arbeiterinnen beschäftigt. Viele von ihnen müssten einen Teil ihres Lohns als Vermittlungsgebühr an ihre Schulen zahlen. Wochenlange Lohnzurückhaltung, Repressionen gegen Gewerkschaften – all das sei keine Seltenheit, nichts davon entspreche unseren Sozialstandards.

„Die meist weiblichen Beschäftigten arbeiten bis zu 91 Stunden pro Woche und können dennoch von ihren kargen Löhnen kaum leben“, sagt Wick. Der Arbeitsdruck sei enorm, Fehler würden mit Geldbußen bestraft.

Thomas Pany kommentiert dies auf Telepolis durchaus treffend:

„In Discountläden würden verstärkt Markenwaren und eine größere Sortimentsbreite für eine zahlungskräftige Mittelschicht angeboten”, heißt es dort und: “die größte Einzelgruppe der Kunden von Aldi [ist] die der Besserverdienenden“. Das ist für viele wahrscheinlich keine neue Erkenntnis und für die Informierten dürfte auch das Kernergebnis der Studie von Ingeborg Wick keine Überraschung sein: die bei Aldi angebotenen billigen Aktionsprodukte werden von den Zulieferbetrieben in China unter “massiver Verletzung von Arbeitsrechten” hergestellt.

Nimmt man aber die beiden Aussagen zusammen, dann ist es ein wenig verwunderlich, wie leicht sich der Mittelstand, der sich als Papa und Mama in Erziehungsgesprächen gerne als sehr informiert und moralisch orientiert zeigt, über solches Wissen in der Realität hinwegsetzt und fleißig beim Discounter einkauft. Oder ist es letztlich die Endorphinausschüttung beim Schnäppchenmachen, die klassenübergreifend ist? Der gelungene Aldi/Lidl-Großeinkauf – Anlass für kleine, wöchentliche Victory-Zeichen von Haushaltsackermännern und -frauen? Es scheint manchmal so.

Dies waren die Auswirkungen, die vor allem diejenigen treffen, die direkt oder indirekt im Umfeld der Discounter arbeiten (müssen) – wem das Wohlergehen anderer Menschen egal ist und wer auf Ethik und Moral pfeift, solange sie nicht ihn selbst betrifft, kann diesen Bereich vermutlich noch ausblenden und einfach weiter seinen Billigmist kaufen und sich freuen, dass er ja scheinbar so viel spart. Aber spart er wirklich? Führt das Pfennigfuchsen nicht vielmehr dazu, dass wir alle – und der Billigkäufer mit – drauflegen müssen und den günstigen Preis mit erodierenden Sozialsystemen, Umweltzerstörung, gesundheitlichen Risiken, der Verschandelung des Stadtbildes etc. am Ende doppelt und dreifach bezahlen? Ich denke schon – selbst, wer nur an die Maximierung des eigenen Nutzens (aber nicht ausschließlich ultrakurzfristig) denkt, ist besser beraten, den Discountern sein Geld nicht in den Rachen zu schmeißen.

einkaufswagen-aldiklBeispielsweise wird durch den niedrigen Preis, den die Aktionswaren haben, die Wegwerfmentalität gefördert – es wird viel Schund produziert, der dann vorschnell zu Müll wird. „Ach, das ist ja so günstig, da macht es ja nichts, wenn ich das Besteck nach einem Jahr wegschmeißen muss. Kauf ich mir halt wieder neues!“ (O-Ton einer Bekannten von mir!) Die daraus resultierende Ressourcenverschwendung zahlen wir alle, genauso wie die Umweltausbeutung und -zerstörung, die uns alle von Jahr zu Jahr teurer zu stehen kommt. Zumal dann, wenn Menschen in der sog. Dritten Welt die Existenzgrundlage entzogen wird, indem ihr Land, ihre Flüsse und Wälder, vergiftet werden, nur um billig und ohne lästige Umweltauflagen irgendeinen Ramsch herzustellen, der dann hier in der Ecke verstaubt oder alsbald auf der Müllkippe landet. Das perverse und selbstzerstörerische System, das unserem Wirtschaften zugrunde liegt (siehe The Story of Stuff), wird durch die Billigläden noch einmal extra angetrieben und verschärft die weltweiten Krisen immens!

Genauso fatal und teuer: die aus der voranschreitenden krebsgeschwürartigen Verbreitung der Discounter bei gleichzeitiger Zurückdrängung anderer, gewachsener Einzelhandelsstrukturen (=> bedrohliche Marktmachkonzentration) resultierende Arbeitsplatzvernichtung. Studien aus den USA haben ergeben, dass für jeden Arbeitsplatz, den WalMart schafft, 1.5 besser bezahlte Arbeitsplätze im Einzelhandel vernichtet werden (siehe z.B. das Buch von Franz Kotteder, Kapitel „Das vermeintliche Jobwunder“). Und WalMart ist im Vergleich zu Schlecker oder Aldi noch üppig mit Personal ausgestattet, so dass man sich die Folgen für den hiesigen Arbeitsmarkt entsprechend ausmalen kann. Die Folge davon ist natürlich ein allgemeines Absinken der Kaufkraft („Die Discounter erschaffen sich ihre eigene Kundschaft“), geringere Staatseinnahmen (durch niedrigeres Steueraufkommen) sowie höhere Staatsausgaben für Arbeitsmarktmaßnahmen (Hartz IV etc.) Diese Tendenz forcieren vor allem Aldi und Lidl noch dadurch, dass sie ihre Unternehmen in ganz besonders undurchsichtigen Stiftungsstrukturen angelegt haben, die dazu führen, dass die „armen“ Multimilliardäre noch zusätzlich Steuern sparen. Oder, anders formuliert: sie bereichern sich auf Kosten der Gemeinschaft. Wer in solchen Läden kauft, unterstützt dieses Sozialschmarotzer-Gebaren der Herren Albrecht und Schwarz aktiv mit seinem eigenen Geld und nimmt sich das, was er beim Einkauf angeblich spart, quasi mit der anderen Hand wieder aus dem Portemonnaie!

Also, kurz und gar nicht gut, mein leicht polemisches Fazit: Der Einkauf bei Discountern ist ignorant, unsozial und zerstörerisch (von dieser Einschätzung nehme ich diejenigen, die auf Grund ihrer persönlichen finanziellen Lage quasi dazu gezwungen sind, so billig wie nur irgend möglich einzukaufen, natürlich aus). Und, nein, Biowaren bei Aldi & Co. zu kaufen, ist KEIN „politischer Konsum“, sondern unterstützt ebenfalls nur dieses ausbeuterische und kranke System, statt nachhaltigere Alternativen zu fördern (auf dieses Thema werde ich noch mal in einem gesonderten Beitrag eingehen). Deswegen sollte sich auch bloß niemand von der neuen scheinheiligen Lidl-TV-Reklame einlullen lassen – das Discount-Prinzip ist und bleibt eine Abwärtsspirale, für uns alle.

Ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung zur neuen Südwind-Studie soll meine Ausführungen beschließen – „Discounter in der Kritik – Wer auf Aldi zeigt…“:

Wer dies alles empörend findet, mag sich nun über Aldi aufregen – aber eines nicht vergessen: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt immer auch mit drei Fingern auf sich. Ein Computer, der bloß 499 Euro kostet? Winterstiefel für 19,99 Euro? Lattenrost für 39,99 Euro? Dass an diesen Preisen irgend etwas nicht stimmen kann, konnte sich im Grunde jeder schon immer denken.

Und wer es jetzt nicht weiß, der will nicht wissen, sondern haben.

[Eins muss ich natürlich der Gerechtigkeit halber anmerken – diverse der oben aufgeführten Kritikpunkte betreffen nicht exklusiv nur die Discounter, sondern mittlerweile (wenn auch i.d.R. in abgeschwächter Form) ebenso generell große Handelsketten. Denn auch Markenware kann unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden (siehe Nike, H&M), so dass man dort den höheren Preis nicht für höhere Qualität, sondern fürs Image und die aufgemotzten Reklamekampagnen bezahlt. Deswegen sollte man sehr gut schauen, wo man kauft – Produkte, die NICHT von den weltweiten operierenden Megakonzernen stammen, sind schon mal eine gute Idee…]

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Wer nach alledem Discounter immer noch für tolle Einkaufsmärkte hält, dem habe ich noch eine Reihe weiterer Informationen anzubieten. So hatte Attac München 2005 eine Aktion gestartet, um auf die Missstände speziell bei Lidl hinzuweisen und dafür ein sehr gut gelungenes Adbusting eines Lidl-Werbezettels erstellt. Diesen Flyer könnt Ihr Euch hier herunterladen. Ideal zum Ausdrucken, Weiterverteilen und Aufklären ist auch dieses darauf basierende, im Internet kursierende doppelseitige Flugblatt.

Noch mehr Hintergrundwissen:

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Lidl/Aldi/Discounter – Profite auf Kosten der Allgemeinheit, oder: Die Spirale abwärts. Teil 1/2

lidlattacWer diesen Blog (und auch meinen musikbezogenen Coast Is Clear) seit einer Weile verfolgt, wird wissen, dass der Kampf gegen die Discounterschwemme und den Billigwahn von Anfang an ein wichtiges Thema für mich war. Schon seit längerem wollte ich an dieser Stelle eine ausführlichere Analyse der fatalen Folgen dieses Geschäftsmodells für Umwelt, Menschen und Gesellschaft schreiben – seit einigen Tagen ist ja auch in den Mainstreammedien das Interesse an Aldi, Lidl & Co. neu aufgeflammt. Ausgelöst nicht zuletzt durch den TatortKassensturz“ am letzten Sonntag, in dem es um die schlimmen Arbeitsbedingungen beim fiktiven Discounter „billy“ ging, und die anschließende Diskussionsrunde bei Anne Will mit dem Thema „Harte Bandagen beim Discounter” und Schilderungen von Betroffenen, die unter den Schikanen bei Lidl etc. zu leiden hatten und haben.

Dies nehme ich nun mal zum Anlass, genauer darzulegen, wieso Discounter ein Verarmungsmodell für uns alle (abgesehen von den Discountmilliardären selbst) und grundsätzlich nicht zu akzeptieren sind. So mancher Kritikpunkt an den Billigheimern ist natürlich schon länger bekannt, nur werden entsprechende Diskussionen meines Erachtens oft zu verengt geführt, d.h. sie berücksichtigen in der Regel nur einzelne Aspekte des leider sehr vielschichtigen und auch mit anderen Entwicklungen in der Wirtschaft & Gesellschaft verzahnten Problemfeldes. In meiner Buchrezension von Franz Kotteders Buch „Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter“ hatte ich vor einer Weile einige der Angriffspunkte ja bereits angerissen und dort auch erwähnt, dass die Mehrzahl der Discount-Kunden keineswegs zu den Einkommensschichten gehören, die quasi gezwungen sind, zu sparen, wo es nur geht, sondern es sich sehr wohl leisten könnte, andere Geschäfte zu besuchen.

Also, was ist so schlimm an der Aldisierung der Welt? Geld zu sparen und Lebensmittel und sonstige Waren für niedrigere Preise als im „normalen“ Einzelhandel zu kaufen, ist doch eigentlich eine tolle Sache? Ist Geiz nicht geil? Und tauchen Discounter-Produkte nicht bei Waren- und Geschmackstests immer mal wieder auf erstaunlich oberen Plätzen auf, trotz ihres billigen Preises? Wieso also mehr zahlen für eine (vermeintlich) mehr oder weniger vergleichbare Leistung?

Diese Fragen und Entgegnungen sind wohl die häufigsten, die man in entsprechenden Diskussionen zu hören bekommt. Es sind Äußerungen, die ausschließlich die (vermutete) kurzfristige Eigennutzenmaximierung ins Zentrum der Argumentation stellen und die demnach dem in unserem neoliberalen Wirtschaftssystem weithin propagierten Credo des schnellen Profits, der Quartalszahlenfixierung, kurz, dem „Nach mir die Sintflut / Hauptsache, mir geht’s gut“ perfekt entsprechen. Doch wie meistens bei extrem kurzsichtigen Betrachtungsweisen komplexer Abläufe werden die Mittel- bis Spätfolgen, die nicht nur zukünftige Generationen, sondern auch schon die Geizkäufer und Knauser selbst betreffen dürften, sowie die oft skandalösen Bedingungen, unter denen die Billigware aus dem Boden gestampft und vertrieben wird, von solchen Leuten komplett übersehen und unter den Teppich gekehrt.

Beginnen wir mit dem Punkt, den auch der Tatort und Anne Will besonders hervorhoben – den miesen Arbeitsbedingungen bei den Discountern selbst. Jedem, der sein Gehirn mal kurz einschaltet, sollte klar sein, dass die Discounter ihre billigen Preise primär auf Grund extremer Einsparungen erreichen können (und nicht etwa wegen großer Abnahmemengen oder spartanischer Architektur). Und da Mitarbeiter einen wesentlichen „Kostenfaktor“ für jede Bilanz darstellen, wird hier „natürlich“ (der Logik des Marktes folgend) als erstes gespart. Dies wirkt sich derart aus, dass in Discountläden weniger Menschen arbeiten als sonst im Einzelhandel üblich (=> höhere Belastung für den Einzelnen sowie generell steigende Arbeitslosigkeit im Sektor) und diese zudem noch schlechter bezahlt werden und generell unterhalb der üblichen Sozialstandards, wie man sie in reichen Ländern erwarten dürfte, schuften müssen.

aldi_250Beispielsweise verfügen gerade einmal 7 der ca. 3000 Lidl-Filialen in Deutschland über einen Betriebsrat, und auch die anderen Ketten wie Aldi und Schlecker unternehmen alles, um Betriebsräte zu verhindern und diejenigen, die sich gewerkschaftlich engagieren, psychisch unter Druck zu setzen und gar aus der Firma zu mobben (u.a. nachzulesen bei Kotteder). Der als-ob-leben-Blog präsentierte vor einigen Tagen eine kleine Auswahl aus tausenden von Beiträgen, die Betroffene im Discount-, aber auch dem sonstigen Handelsbereich nach der Anne Will-Sendung in den dortigen Blog schrieben und die einen erschreckenden Einblick in die Arbeitssituation heutzutage geben:

Hier mal einen kleinen Einblick in den Arbeitstag von mir und meinen Kollegen im Discounter.2 Frauen haben freiwillig gekündigt, weil sie den Druck nicht mehr aushalten konnten, ein Kollege hat sich runterstufen lassen vom Filialleiter zum stellv. Filialleiter (weniger Stunden) und ein Kollege ist so nervlich kaputt, dass er jetzt beim Arzt war und am Montag zum Nervenarzt überwiesen wurde, ganz zu schweigen von den Kolleginnen, die sich einen neuen Job gesucht haben – und das alles in eineinhalb Jahren.

Oder:

Folgendes hat sich bei mir zugetragen.
Eine Angestellte im 7 Berufsjahr wurde zu teuer.
Ich bekam vom Bezirksleiter die Anweisung “die muss weg ist zu teuer“
Ich habe nichts unternommen (Diebstahl unterschieben u.a)
Dann wurde ich aus meinem Urlaub zu Feierabend in die Filiale bestellt.
Der Bezirksleiter setzte mich und die Angestellte in den Aufenthaltsraum.
Der BZ-Leiter plusterte sich in seiner Manneskraft auf und warf der Angestellten Diebstahl vor. Sie stritt ab. Er wurde lauter und drohte!! Der BZ-Leiter erhöhte die Drohungen bis die Angestellte endlich nach gab und unter Tränen ihre Eigenkündigung schrieb.
Dann gingen alle nach Hause. Ich wusste nicht wie mir geschah.
Die Angestellte ging vor Gericht.
Ich musste aussagen.
Vor meiner Aussage wurde mir nahe gelegt, dass ich Alleinverdiener bin 3 Kinder und gebaut habe. Ich würde doch wissen, wer mein Arbeitgeber ist.
Ich der Zwangslage und unter Angst meine Existenz zu verlieren habe ich doch die Wahrheit gesagt.
Danach wurde ich so lange gemobbt bis ich selbst gekündigt habe.
Ein ex Aldi Marktleiter

aldi-chefs_250Ähnliche Schilderungen finden sich schon seit längerem auch auf der Seite Chefduzen – es lohnt sich, den dortigen Beitrag bzw. den Thread „Ob Lidl, Schlecker oder Aldi“, durchzulesen (hier als pdf, falls nicht mehr online). Er beginnt mit dem Zitat des Artikels „Fiese Arbeit – Alle unter Kontrolle“ aus der ZEIT vom 17.11.2005:

Ob Lidl, Schlecker oder Aldi – bei den Discountern regieren die Patriarchen. Und die Mitarbeiter dürfen nur eines: Funktionieren

(…) In einigen Filialen von Lidl kontrolliert bereits der Kassencomputer die Kassiererinnen. Pro Minute müssen sie mindestens 40 Artikel über den Scanner ziehen; Neulinge haben vier Monate Zeit, um die hohe Schlagzahl zu erreichen. Erzeugt wird eine Atmosphäre der Angst: Eine Verkäuferin aus Bremen berichtet, aus Furcht vor Kündigung mit hohem Fieber so lange im Laden gestanden zu haben, bis sie zusammenbrach. Lidl will sich zu einzelnen Vorwürfen nicht äußern.

(…) Der US-Handelsgigant Wal-Mart wollte seinen hiesigen Angestellten sogar ins Liebesleben hineinregieren und verbot ihnen Anfang des Jahres »private Beziehungen/Liebesbeziehungen« untereinander. Am Montag erklärte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf diesen Teil der »Unternehmensethik«-Richtlinie für rechtswidrig. Wal-Mart betonte, man habe nur Abhängigkeitsverhältnisse verhindern wollen.

Von den Überwachungsskandalen speziell bei Lidl (für die das Unternehmen auch gerichtlich verurteilt wurde) hatte ich an dieser Stelle ja schon mal berichtet – und dass diese Art des „Mitarbeiterhandlings“ sich leider bei den anderen Ketten in ähnlicher Weise wiederfindet, zeigt z.B. dieser Bericht über Bespitzelungen bei Plus (die Staatsanwaltschaft ermittelt auch in diesem Fall).

Dieses war der erste Streich – morgen folgt Teil 2 meines Discount-Diskurses, in dem es um all die anderen üblen Auswirkungen der Billigheimer-Schwemme geht.

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Surftipp / Lesetipp: Zeitschrift Humane Wirtschaft

zeitschrift-humanwirtschaftWirtschafts- und Finanzzeitschriften gibt es wie Sand am Meer. Die überwiegende Zahl schwimmt aber letztlich auch nur mit dem Strom, predigt die Heilslehren unseres derzeitigen Wirtschaftssystems und dient doch oft genug der Optimierung der Rendite der Leserportfolios. Wie gerade in den letzten Monaten immer deutlicher geworden sein sollte, wird es mit dem „Immer nur weiter so!“, das uns auch die Regierung mit ihrer Aufforderung zum Konsum und dem Hauptaugenmerk auf Ankurbelung des Wachstums und der „Vorfahrt für Arbeit“ permanent einzubläuen versucht, eben nicht immer weitergehen (können); das habe ich an dieser Stelle ja auch schon das eine oder andere Mal zu vermitteln versucht.

Sinnvoller als die Lektüre vom Manager Magazin, Focus Money oder der Wirtschaftswoche erscheint mir in diesen Zeiten, sich mit Alternativen zum Mainstream zu beschäftigen. Denn Ansätze für ein neues Denken und für ein Aufweichen der Dogmen der „Marktwirtschaft“ in ihrer momentanen Ausprägung gibt es durchaus, sie finden nur noch zu selten Gehör. Diesem Missstand will seit einigen Jahren die Zeitschrift Humane Wirtschaft (früher: Humanwirtschaft, davor: humanökonomie) abhelfen – das zweimonatlich erscheinende Magazin befasst sich vorrangig mit Möglichkeiten, das Geldsystem anders zu gestalten, als wir es kennen (Stichwort Regiogeld, regionale Währungen), mit den Problematiken des Zinseszinses, mit den Auswirkungen unseres Wachstumswahns auf Umwelt und Gesellschaft und generell mit der Art und Weise, wie Arbeit und Soziales in unseren Breitengraden organisiert und exerziert werden. Dabei bemühen sich Redaktion und Autoren – darunter u.a. die Buchautoren Helmut Creutz und Günther Moewes –, nicht nur den Ist-Zustand kritisch zu beleuchten und aufzuzeigen, wo es eklatante Fehlentwicklungen zu vermelden gibt, sondern es werden auch Denkanstöße und konkrete Alternativen dargelegt. Sicher ist nicht jeder Artikel eine Offenbarung und so manches auch diskussionswürdig, aber gute Anregungen gibt es dennoch zuhauf.

Sehr erfreulich und leider längst nicht bei allen Publikationen anzutreffen: es gibt ein komplettes Archiv aller Ausgaben mit allen Artikeln zum kostenlosen pdf-Download. Und ein Probeexemplar der neuesten Ausgabe kann man sich auf der Website ebenfalls gratis und unverbindlich bestellen.

Ein paar Artikel, die zu lesen sich meiner Meinung nach lohnt:

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Buchbesprechung: Tobias Schlegl „Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen“

schlegel-zu-spat-mittelFür mich war Tobias „Tobi“ Schlegl früher eigentlich nur einer von vielen mäßig interessanten Viva-Moderatoren, der nach seiner Zeit beim Kölner Musiksender in der Versenkung verschwand. Erst als er vor knapp zwei Jahren den Moderationssessel bei der N3-Satiresendung extra 3 erklomm, nahm ich ihn wieder wahr – und war angenehm überrascht über die Art und Weise, wie er auch ernste Themen wie z.B. die Probleme der Atommüllendlagerung, amüsant und bissig präsentierte. Tatsächlich erfahre ich in seinem aktuellen Buch „Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen. Eine Inspektion“ nun endlich auch, was er in der Zeit zwischen Viva und N3 getrieben hat und weshalb er bei extra 3 genau an der richtigen Stelle sitzt: er war Anfang dieses Jahrtausends Mitglied im „Rat für Nachhaltige Entwicklung“ – ein die Bundesregierung beratendes Gremium, das sich mit Themen wie Konsum, Umweltschutz oder Bildung beschäftigt.

Nun ist Tobias Schlegl also unter die Buchautoren gegangen und zeichnet auf seiner Reise durch Deutschland ein Bild der derzeitigen Nachhaltigkeitsdebatte. Jedes der 24 Kapitel trägt den Titel eines Songs seiner Lieblingsband Die Ärzte (Bela B. wird im Rahmen des Buches auch ausführlich interviewt) und gibt damit schon einmal die Marschrichtung vor: sein Buch richtet sich vor allem an jüngere Menschen und versucht, diese für die uns umgebenden Missstände zu sensibilisieren und für politisches und gesellschaftliches Engagement zu aktivieren. In sehr locker-flockigem Stil, dabei dennoch zielstrebig und kritisch, ohne jedoch im Mindesten verbissen zu wirken, macht sich Schlegel auf, Konzernen auf den Zahn zu fühlen, Aktivisten- und Umweltschutzgruppen zu besuchen und Fragen nach der Entwicklung unserer Gesellschaft aufzuwerfen.

So protestiert er zusammen mit Tilo Bode und foodwatch vor einer McDonald’s-Filiale, weil diese Firma den Tieren, die sie in ihre Burger pressen, nur genmanipuliertes Futter zu fressen gibt. Gemeinsam mit einigen Leuten von Attac nimmt Tobias Schlegl an einem Flashmob im Kölner Bahnhof gegen die Bahnprivatisierung und auch an einer globalisierungskritischen Stadtführung in Hameln teil. Er pflanzt einen ganzen Sonntag lang mit Freiwilligen Bäume, geht im Umweltbundesamt und bei der Stiftung Warentest auf Konfrontationskurs und scheitert daran, bei Filialen der großen Kleidungsketten wie H&M und Zara, genauere Informationen über die (bekanntlich oft katastrophalen) Produktionsbedingungen der Klamotten zu erhalten. Ebenfalls sehr lesenswert ist das Kapitel, in dem der Autor die Werbefloskeln von McD in deren Imagekampagne, laut der jeder mal hinter die Kulissen des Bratimperiums schauen kann, als hohle Versprechungen entlarvt, da es ihm auch nach vielen Wochen nicht gelingt, tatsächlich einen Termin zu ergattern.

Bei der Vielzahl an möglichen Angriffspunkten und Gesprächspartnern auf nur gut 200 Seiten ist klar, dass vieles lediglich angerissen werden kann. Hier könnte man vermutlich auch den einzigen wirklichen Kritikpunkt an Schlegls „Inspektion“ sehen – z.B. befasst er sich damit, woher Ikea das Holz für seine Möbelproduktion bezieht. Denn viele Holzprodukte werden aus illegaler Rodung und nicht nachhaltig gewonnen – ein Missstand, dem man mit Hilfe von Zertifizierungen wie dem FSC-Siegel abhelfen will. Ikea hat in der Hinsicht einen relativ guten Ruf, bemüht sich um „sauberes Holz“ und arbeitet auch mit den Leuten vom FSC zusammen, ohne allerdings deren Siegel auf ihren Produkten zu verwenden. Auch wenn dieses Unternehmen sich also in dm Bereich durchaus engagiert zeigt (wobei der geplante Anteil von FSC-Holz mit 30% auch noch viel Luft nach oben lässt), so fehlt mir im Buch dennoch die Betrachtung der anderen Waren, die Ikea in Massen unter die Leute bringt und die teils unter ähnlich unerfreulichen Bedingungen produziert werden wie bei vielen anderen Konzernen auch (niedrige Preise kommen halt nicht von ungefähr).

Das latente Manko der oft recht schlaglichtartigen Betrachtung gleicht Schlegl jedoch am Ende eines jeden Kapitels mit einer Reihe guter praktischer Tipps für den Alltag sowie Hinweisen auf Websites, auf denen man sich weiter informieren kann, aus und macht das Buch somit zu einem guten Ausgangspunkt für die eigenen Recherchen und Nachforschungen. Vor allem für Einsteiger und Neulinge in Sachen Nachhaltigkeit und Konsumgesellschaft ist „Zu spät?“ deshalb eindeutig zu empfehlen.

Tobias Schlegl „Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen. Eine Inspektion“, rororo 2008, 217 S., 8.95 €

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Neulich gab es in meiner Lieblingssendung quer (immer wieder erstaunlich, dass so etwas im Bayerischen Fernsehen läuft) wieder einmal ein kleines, feines Highlight zu bewundern – der Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer war zu Gast und unterhielt sich mit Moderator Christoph Süß über die Finanzkrise, über die Folgen, aber auch die Gründe sowie unsere „Kultur des Konsums und der Verschwendung“ und das alles verschlingende Wirtschaftswachstumspostulat, die er (wie ich denke: vollkommen richtiger Weise) als grundlegendes systemisches Problem begreift. Absolut sehenswert!

Banken vor neuen Milliardenlöchern: Was sagt ein Experte zur Finanzkrise?

Deutschlands Geldinstitute horten noch Unmengen von faulen Wertpapieren, die längst nicht abgeschrieben sind. Wenn diese Giftpapiere platzen, dann droht der nächste Bankencrash.

bild-3(Auf das Bild klicken, um den Film zu starten)

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