Kategorie: Politik Seite 25 von 27

Digitaler Aktivismus: aus dem Netz auf die Straße

Die vorletzte Folge des ZDF-Videopodcasts Elektrischer Reporter hatte es mal wieder in sich – es ging um das hochaktuelle und immer wichtiger werdende Thema „politischer Protest im Internet“, und passt somit erneut perfekt in meinen Blog:

Das Netz bietet für den politisch aktiven Menschen eine Fülle von Kommunikations- und Aktionsmöglichkeiten. Dabei braucht es weder eine Führungsspitze noch Mitgliederlisten, wie das Beispiel der Gruppe “Anonymous” und ihr Kampf gegen die Scientology-Sekte zeigt. Protest im Web entsteht spontan, ist scheinbar chaotisch – und kann dennoch wirkungsvoll sein.

Fest steht: Die digitalen Medien verändern das politische Leben. Politik wird entkoppelt von den Institutionen und kehrt zurück in den Alltag der Bürger. Und wenn dort ausreichend Wut über die herrschenden Umstände vorhanden ist, müssen die Mächtigen mit Attacken aus völlig unerwarteten Richtungen rechnen.

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Buchbesprechung: Tobias Schlegl „Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen“

schlegel-zu-spat-mittelFür mich war Tobias „Tobi“ Schlegl früher eigentlich nur einer von vielen mäßig interessanten Viva-Moderatoren, der nach seiner Zeit beim Kölner Musiksender in der Versenkung verschwand. Erst als er vor knapp zwei Jahren den Moderationssessel bei der N3-Satiresendung extra 3 erklomm, nahm ich ihn wieder wahr – und war angenehm überrascht über die Art und Weise, wie er auch ernste Themen wie z.B. die Probleme der Atommüllendlagerung, amüsant und bissig präsentierte. Tatsächlich erfahre ich in seinem aktuellen Buch „Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen. Eine Inspektion“ nun endlich auch, was er in der Zeit zwischen Viva und N3 getrieben hat und weshalb er bei extra 3 genau an der richtigen Stelle sitzt: er war Anfang dieses Jahrtausends Mitglied im „Rat für Nachhaltige Entwicklung“ – ein die Bundesregierung beratendes Gremium, das sich mit Themen wie Konsum, Umweltschutz oder Bildung beschäftigt.

Nun ist Tobias Schlegl also unter die Buchautoren gegangen und zeichnet auf seiner Reise durch Deutschland ein Bild der derzeitigen Nachhaltigkeitsdebatte. Jedes der 24 Kapitel trägt den Titel eines Songs seiner Lieblingsband Die Ärzte (Bela B. wird im Rahmen des Buches auch ausführlich interviewt) und gibt damit schon einmal die Marschrichtung vor: sein Buch richtet sich vor allem an jüngere Menschen und versucht, diese für die uns umgebenden Missstände zu sensibilisieren und für politisches und gesellschaftliches Engagement zu aktivieren. In sehr locker-flockigem Stil, dabei dennoch zielstrebig und kritisch, ohne jedoch im Mindesten verbissen zu wirken, macht sich Schlegel auf, Konzernen auf den Zahn zu fühlen, Aktivisten- und Umweltschutzgruppen zu besuchen und Fragen nach der Entwicklung unserer Gesellschaft aufzuwerfen.

So protestiert er zusammen mit Tilo Bode und foodwatch vor einer McDonald’s-Filiale, weil diese Firma den Tieren, die sie in ihre Burger pressen, nur genmanipuliertes Futter zu fressen gibt. Gemeinsam mit einigen Leuten von Attac nimmt Tobias Schlegl an einem Flashmob im Kölner Bahnhof gegen die Bahnprivatisierung und auch an einer globalisierungskritischen Stadtführung in Hameln teil. Er pflanzt einen ganzen Sonntag lang mit Freiwilligen Bäume, geht im Umweltbundesamt und bei der Stiftung Warentest auf Konfrontationskurs und scheitert daran, bei Filialen der großen Kleidungsketten wie H&M und Zara, genauere Informationen über die (bekanntlich oft katastrophalen) Produktionsbedingungen der Klamotten zu erhalten. Ebenfalls sehr lesenswert ist das Kapitel, in dem der Autor die Werbefloskeln von McD in deren Imagekampagne, laut der jeder mal hinter die Kulissen des Bratimperiums schauen kann, als hohle Versprechungen entlarvt, da es ihm auch nach vielen Wochen nicht gelingt, tatsächlich einen Termin zu ergattern.

Bei der Vielzahl an möglichen Angriffspunkten und Gesprächspartnern auf nur gut 200 Seiten ist klar, dass vieles lediglich angerissen werden kann. Hier könnte man vermutlich auch den einzigen wirklichen Kritikpunkt an Schlegls „Inspektion“ sehen – z.B. befasst er sich damit, woher Ikea das Holz für seine Möbelproduktion bezieht. Denn viele Holzprodukte werden aus illegaler Rodung und nicht nachhaltig gewonnen – ein Missstand, dem man mit Hilfe von Zertifizierungen wie dem FSC-Siegel abhelfen will. Ikea hat in der Hinsicht einen relativ guten Ruf, bemüht sich um „sauberes Holz“ und arbeitet auch mit den Leuten vom FSC zusammen, ohne allerdings deren Siegel auf ihren Produkten zu verwenden. Auch wenn dieses Unternehmen sich also in dm Bereich durchaus engagiert zeigt (wobei der geplante Anteil von FSC-Holz mit 30% auch noch viel Luft nach oben lässt), so fehlt mir im Buch dennoch die Betrachtung der anderen Waren, die Ikea in Massen unter die Leute bringt und die teils unter ähnlich unerfreulichen Bedingungen produziert werden wie bei vielen anderen Konzernen auch (niedrige Preise kommen halt nicht von ungefähr).

Das latente Manko der oft recht schlaglichtartigen Betrachtung gleicht Schlegl jedoch am Ende eines jeden Kapitels mit einer Reihe guter praktischer Tipps für den Alltag sowie Hinweisen auf Websites, auf denen man sich weiter informieren kann, aus und macht das Buch somit zu einem guten Ausgangspunkt für die eigenen Recherchen und Nachforschungen. Vor allem für Einsteiger und Neulinge in Sachen Nachhaltigkeit und Konsumgesellschaft ist „Zu spät?“ deshalb eindeutig zu empfehlen.

Tobias Schlegl „Zu spät? So zukunftsfähig sind wir jungen Deutschen. Eine Inspektion“, rororo 2008, 217 S., 8.95 €

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Na bitte!

484010_business_man_modifiedÜberall wird gemosert und gemeckert, dass die Banken und Banker so undankbar seien und die Zigmilliarden von Staatsgeldern die sie zur Aufrechterhaltung ihres Roulettes benötigen, einfach so nähmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Tatsächlich wissen die Banken sehr wohl, bei wem sie sich für diesen Geldsegen zu bedanken haben – nein, natürlich nicht bei den Bürgern des Landes, die diese Gelder aus Steuern aufbringen müssen, sondern bei den Parteien, die diese Beschlüsse in seltener Einmütigkeit gefasst haben. Dieser Artikel auf n-tv, „Großspenden der Großbanken – ‘Peanuts’ für die Union“ verschlägt einem fast die Sprache – die drei besonders finanzwirtschaftsfreundlichen Parteien CDU/CSU, FDP und SPD erhalten von diversen Großbanken, Parteispenden in der Höhe vieler Hunderttausender von Euro. Darf man in diesem Zusammenhang den Begriff „Korruption“ in den Mund nehmen? Es macht zumindest keinen sehr koscheren Eindruck. Warum viele Bürger & Wähler diesem Treiben tatenlos zusehen und diesen Parteien in der Krise trotzdem Kompetenz oder Glaubwürdigkeit zugestehen, wird mir für immer ein Rätsel bleiben.

Trotz Finanzkrise haben die deutschen Parteien im vergangenen Jahr die meisten Großspenden aus der Bankenbranche erhalten. Dies geht aus den gesetzlich vorgeschriebenen Angaben der Parteien an den Bundestag hervor, die nun erstmals für das gesamte Jahr vorliegen.
Allein die Deutsche Bank überwies im letzten Quartal insgesamt 500.000 Euro an CDU, SPD und FDP: Jeweils 200.000 Euro gingen an die CDU und die FDP, 100.000 Euro gingen an die SPD. Zu den Förderern gehörten auch die Commerzbank, der Finanz- und Versicherungskonzern Allianz sowie die Privatbanken Sal. Oppenheim und Berenberg.

(Siehe dazu auch den aktuellen Beitrag bei als-ob-leben?)

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Eine Stadt für die Menschen

Manchmal, wenn ich so durch Kiel gehe, vorbei an den komplett mit Automobilen zugestellten Straßenrändern, mich zwischen peinlichen Geländewagen hindurchquetsche und den niemals, nicht mal Nachts, enden wollenden Verkehrslärm auszublenden versuche, steigt ein wunderlicher, gar wundersamer Gedanke in mir auf: wie wäre es wohl, wenn unsere Städte nicht um die Autos herum errichtet wären? Wenn sich die Infrastruktur nicht primär danach richtete, wie man möglichst schnell von A nach B fahren kann? Wenn all das hässliche, aufdringliche Blech auf vier Rädern, das 24 Stunden nonstop das Stadtbild bestimmt, nicht da wäre und man demzufolge auch keinen „Parkraum“ benötigt? Kurz: wie sähe eine „Stadt für die Menschen“ aus? Diese Frage stellte sich unlängst auch der Stuttgart Blog – anhand eines Dokumentationsbandes über Stuttgart im letzten Jahrhundert. Bis in die 1930er Jahre hinein war die Stadt nämlich autofrei, was sich auch direkt in der Architektur niederschlug:

stuttgart-bopser_400Die Menschen haben sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der (in nahezu jeder Straße vorhandenen) Straßenbahn fortbewegt und das hat funktioniert. Die Räume zwischen den Häusern (heute besser als Straßen bekannt) war für die Menschen da und nicht für die Autos. Große Plätze wie z.B. der Charlottenplatz oder der Österreichische Platz waren keine stinkenden Verkehrsknotenpunkte, sondern Plätze, auf denen sich Menschen aufhielten und lebten.

Doch plötzlich kam das Auto. Irgendwann nach dem Krieg wurde das plötzlich modern, dass sich jeder mit seinem eigenen Fahrzeug fortbewegen kann. Obwohl wir heute wissen, dass diese extrem teure, laute, gefährliche, antiquierte Form des Individualverkehrs die Luft verpestet und die Lebensqualität enorm einschränkt, ist die Stadt seit dem Durchbruch dieser „Technologie“ vollkommen auf das Auto fixiert. Menschen werden an den Straßenrand bzw. auf die wenigen verbleibenden und somit völlig überlaufenen Fußgängerzonen verbannt. Ist die Zeit denn nicht reif für eine Art Rückbesinnung bzw einen weiteren Schritt, was den Personenverkehr in der Stadt betrifft?

(…) Natürlich muss es ausgereifte Alternativkonzepte geben, und ich bin mir sicher, dass sich in diesem Bereich schon viel getan hätte, wenn die Autoindustrie keine so bedeutende Rolle in Politik und Wirtschaft inne hätte, um die Existenz dieser eigentlich antiquierten Verkehrsform aufrecht zu erhalten.

Tja, doch die Realität sieht leider anders aus. Das jüngst „geschnürte“ Konjunkturpaket II enthält weitere Maßnahmen zur Stützung und Stärkung dieser Fetischindustrie – die Vorstellung, dass die dort genannte Abwrackprämie für Altautos z.B. nur dann gezahlt werden würde, wenn man sein Auto ganz abschafft (und nicht einen Neuwagen kauft), ist in diesen Zeiten, bei dieser Regierung, natürlich illusorisch, wenn nicht gar ketzerisch. (Die Frankfurter Rundschau schlug kürzlich ein ausgewogeneres Konjunkturpaket vor, nämlich ein „Programm für wahrhaft Bedürftige“.)

Übrigens gibt es tatsächlich Orte auf der Welt, wo der Rückbau von Straßen/Autobahnen keine Utopie, sondern Realität ist – nämlich in Seoul. In „Es gibt keine Zukunft ohne Umwelt“ beschreibt Prof. Hermann Knoflacher, dass dem Autoverkehr nicht überall alles geopfert wird (siehe dazu auch seinen Artikel „Der Einfluss des Autos auf die Stadt“):

Der jüngst gewählte Präsident von Südkorea hat die Zeichen der Zeit schon vor Jahren erkannt, als er noch Bürgermeister von Seoul war. Die 5,8 km lange Autobahn mitten durch die Stadt hätte saniert werden müssen. Er entschied sich, der Stadt wieder Leben zu schenken und die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Die Autobahn war nicht die Lebensader der lokalen Wirtschaft, sondern strangulierte diese. Also wurde beschlossen, sie um der Zukunft willen abzureißen.

(…) Unsere Politiker, die der Bevölkerung neue Fahrbahnen versprechen, merken wahrscheinlich gar nicht, dass sie damit den Menschen die Türen in die Zukunft verbauen. Wer diese Politiker wählt, darf sich nicht wundern, wenn er und seine Kinder immer weniger Freiheit und Chancen im Leben haben werden.

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„Kreuz gemacht und abgehakt – Demokratie ohne Demokraten?“

Wenn man sich in den Weiten des Internetzes so umschaut, kann man durchaus eine ziemliche Parteipolitikmüdigkeit bzw. eine große Erzürntheit über das, was die Parteien (aller Couleur) so machen, feststellen. Mit diesem Thema befasste sich letzte Woche auch eine Sondersendung des ARD-Magazins Monitor, die der Frage nachgingen, ob wir inzwischen eine Demokratie ohne Demokraten seien. In einer Umfrage fanden sie heraus, dass beispielsweise 29% der Leute auf Teile ihrer demokratischen Rechte verzichten würden, wenn nur der Wohlstand gesichert sei (bezeichnender Weise gab es die höchste Zustimmung hierzu bei CDU/CSU- und Linke-Anhängern!). Sind wir also alle zu bequem in dieser Servicedemokratie geworden und hoffen, dass „der Staat“ es für uns richten werde?

Ein Auto muss man tanken, klar, sonst fährt es nicht. Eine Blume gießen. Aber Demokratie, die läuft immer, wächst und macht sich von selbst? Demokratie braucht Bürger mit eigenen Ideen und persönlichem Einsatz. Volkspartei, so hieß das mal. Die großen Bundestagsparteien haben heute so wenig Mitglieder wie nie.

Dabei engagieren sich Millionen Demokraten ohne großes Aufsehen darum zu machen: Jeder Dritte gestaltet mit – ob in der Suppenküche oder bei der Schulpflegschaft – sogar mehr junge als ältere Menschen sind dabei. Und nicht nur in den USA organisieren sich Millionen, um über das Internet direkt Einfluss auf die Politik zu nehmen. Die Politprofis bedienen sich moderner Marketingmethoden, um sich und ihre Botschaften zur Wahl zu stellen. Gleichzeitig werden demokratische Werte und bürgerschaftliches Engagement verwässert, wenn Politik bei Menschenrechtsverletzungen wegschaut, um den wirtschaftlichen Gewinn nicht zu gefährden.

MONITOR-Spezial widmete sich zu Beginn des Wahljahres 2009 ausschließlich der Demokratie und den Demokraten.

bild-11(auf das Bild klicken, um den Film in einem neuen Fenster zu starten)

Dazu passt dieser Artikel aus der ZEIT auch noch wie die Faust aufs Auge – „Generation Krise – Jugend in Deutschland“:

Die deutsche Jugend ist politischer als ihr Ruf: Rechte wie linke Gruppen erleben Zuspruch. Selbst eine Rebellion ist nicht ausgeschlossen.

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Die Grüne Tomate im Dezember 2008 geht an… Angela Merkel!

die_gruene_tomate_toppSeit September 2008 wird der neue Bürger- und Verbraucherpreis „Die Grüne Tomate – ausgezeichnet unreif“ an Politiker, Institutionen und Konzerne vergeben, die sich beim Thema Greenwashing und rückschrittliche Klimapolitik besonders hervortun. Einen der ersten Preisträger, Vattenfall, hatte ich hier auch schon vorgestellt. Nun ist die Wahl zur Grünen Tomate für den Monat Dezember abgeschlossen, und über den Gewinn darf sich diesmal unsere Bundeskanzlerin freuen. Hier die offizielle Pressemitteilung dazu:

Umfaller beim Klima-Gipfel kommt nicht gut an

Fast 50 Prozent der Teilnehmer an der Wahl zur „GRÜNEN TOMATE“ waren bei der Dezember-Abstimmung der Meinung, dass die kurze Zeit als „Klimakanzlerin geadelte“ Bundeskanzlerin Angela Merkel für ihre Vorreiterrolle zur Schaffung von Ausnahmeregelungen im „Klima-Paket“ auf dem EU-Gipfel in Brüssel am 11./12. Dezember 2008 die GRÜNE TOMATE verdient.

Der Bürger- und Verbraucher-Preis „DIE GRÜNE TOMATE – ausgezeichnet unreif“ wird seit September 2008 von Bürgern und Verbrauchern innerhalb der Community von utopia.de regelmäßig initiiert. Die Idee für diesen Preis entstand, als Mitglieder der Internet-Plattform utopia.de im dortigen Forum darüber diskutierten, wie man auf die vielfältigen Versuche der Vermarkter reagieren sollte, Produkte und Haltungen ökologisch korrekter darzustellen, als sie tatsächlich sind. Nominierungen und die Abstimmung erfolgen öffentlich durch die angemeldeten Mitglieder der Community. Der Preis soll mehr öffentliches Bewusstsein für Greenwashing – Grünfärberei – schaffen.
Nominiert wurde die Bundeskanzlerin aufgrund ihres überraschenden und für viele Bürger unverständlichen Verhaltens beim EU-Gipfel in Brüssel am 11./12. Dezember 2008.
Im Anschreiben an Bundeskanzlerin Merkel heißt es daher: „Wer sich in der Öffentlichkeit als Klimaschützerin profiliert, um dann in der Realität Ausnahmeregelungen zu initiieren, die einem wirkungsvollen ‚Klimaschutz-Paket‘ diametral zuwider laufen, betreibt ‚Grünfärberei‘.

Der damit einhergehende drohende Verlust der Glaubwürdigkeit sowie der Vorreiterrolle der Europäischen Union in Sachen Klimaschutz lässt dieses Verhalten darüber hinaus als noch bedenklicher erscheinen.“

Der Preis soll mehr öffentliches Bewusstsein für Grünfärberei schaffen und keineswegs nur anprangern, sondern – ausgestattet mit einer „Pflegeanleitung“ – den Ausgezeichneten auf die Sprünge helfen, am Ende doch für positive Veränderungen im Sinne einer nachhaltigen Gesellschaft zu wirken.

Die ‚Pflegeanleitung‘ für „DIE GRÜNE TOMATE:
1. Waschen Sie Ihre Grüne Tomate nicht rein, sondern gießen Sie sie mit Ehrlichkeit.
2. Düngen Sie Ihre Grüne Tomate nicht mit Pseudoökologie, sondern mit Nachhaltigkeit.
3. Umgeben Sie Ihre Grüne Tomate nicht mit faulem Zauber, sondern mit reiner Natur.
4. Lassen Sie Ihre Grüne Tomate nicht durch leere Worte, sondern aufgrund voller Überzeugung reifen.
5. Reichen Sie Ihrer Grünen Tomate nicht nur den Grünen Daumen – geben Sie ihr ein grünes Herzstück!
6. Wachsen Sie selbst – ehe Sie es von Ihrer Grünen Tomate verlangen!
7. Werden Sie wahrhaftig grün – und sorgen Sie dafür, dass Ihre Grüne Tomate nicht vor Scham, sondern aufgrund Ihrer Reife erröten kann. Viel Erfolg!

Das vollständige Endergebnis ist nachzu-lesen unter:
http://www.utopia.de/forum/showthread.php?t=3867

DIE GRÜNE TOMATE ist ein Bürgerpreis und wird von der utopia.de Community regelmäßig an Unternehmen, Produkte, Manager, Politiker, Lobbyisten, Agenturen, Pressestellen oder Institutionen vergeben, die durch „Greenwashing“, also Grünfärberei, glänzen.

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Beyond the Bailout: Agenda für eine neue Wirtschaft

[Dies ist meine Übersetzung des Artikels Beyond the bailout – Agenda for a New Economy” von David Korten, der im November 2008 im US-amerikanischen YES! Magazine als Teil ihres Winter-Specials „Sustainable Happiness“ erschien. Noch mehr Infos über eine nachhaltigere Wirtschaftsordnung findet man u.a im Artikel „Path to a New Economy – The YES! take on an economy that serves people and communities”. Ach ja, und ein frohes neues Jahr allerseits!]

david-korten-dsc_0055e-2Die Finanzkrise hat die Mythen zum Schweigen gebracht, dass unsere Wirtschaftsinstitutionen solide seien und dass Märke am besten funktionieren, wenn sie dereguliert werden. Unsere ökonomischen Einrichtungen haben versagt, nicht nur finanziell, sondern auch in sozialer und ökologischer Hinsicht. In Verbindung mit der Wahl eines neuen Präsidenten mit dem Mandat zum Wandel, gibt uns dies die gute Gelegenheit, innezuhalten, zu überdenken und umzugestalten.

Der zukünftige Präsident Obama hat versprochen, die Wirtschaft von der Basis her wachsen zu lassen. Dies wäre eine grundlegende Verbesserung gegenüber der bisherigen Vorgehensweise, die Spitze auf Kosten des Fundaments zu entwickeln. Das eigentliche Bedürfnis besteht jedoch in einer Transformation unserer wirtschaftlichen Werte und Institutionen von Grund auf, um sie auf die Erfordernisse und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auszurichten. Deshalb stehen fünf Schritte auf der Tagesordnung: die Wall Street aufzuräumen, nach den Regeln des Marktes zu spielen, die Realwirtschaft sich selbst finanzieren zu lassen, zu ermitteln, was wir wirklich wollen und zu schuldfreiem Geld zu wechseln.

Der aktuelle Zusammenbruch des Marktes und die daraus resultierenden Versprechen auf Rettungspakete von über einer Billion Dollar haben die Aufmerksamkeit des Landes auf die verheerenden Folgen der Wall Street-Deregulierung gerichtet. Dies ist aber nur die Spitze des Eisbergs einer gescheiterten Wirtschaftsordnung, die dringend einer grundsätzlichen Umgestaltung bedarf.

Unsere Wirtschaft hat sich drastisch von den menschlichen Bedürfnissen und der Umwelt entfernt. Das Ergebnis ist für beide ein Desaster. Einkommen sinken angesichts steigender Nahrungsmittel- und Energiepreise. Konsumentenverschuldung und Zwangsversteigerungen von Häusern erreichen historische Höchststände. Die Mittelschicht schrumpft. Die gewissenlose und zunehmende weltweite Schere zwischen arm und reich mit der damit einher gehenden sozialen Entfremdung erzeugt soziale Verwerfungen, die wiederum zu Verbrechen, Terrorismus und Völkermord führen.

Gleichzeitig treibt exzessiver Konsum das Ökosystem unserer Erde an den Rand des Kollaps, Wissenschaftler sind sich weltweit praktisch darüber einig, dass die menschlichen Aktivitäten wesentlich für den Klimawandel und der darauf folgenden Zunahme von Dürren, Überschwemmungen und Waldbränden verantwortlich sind.

Wir stehen einer monumentalen ökonomischen Herausforderung gegenüber, die weit über das hinaus geht, was im U.S.-Kongress diskutiert wird. Die Härten, die durch das vorübergehende Einfrieren der Kreditmärkte ausgelöst wurden, verblassen im Vergleich dazu.

Dies wäre ein guter Augenblick, die wirtschaftliche Leistung in Bezug auf das was wir wirklich wollen – gesunde Kinder, Familien, Gemeinschaften und natürliche Systeme – zu beurteilen.

Das Rettungspaket für die Wall Street, das der Kongress in einem Moment der Panik beschlossen hat, geht in keinster Weise auf die strukturellen Probleme ein, die zu der Kreditklemme geführt haben, ganz zu schweigen von den strukturellen Gründen, die für die noch schwereren Misserfolge des Wirtschaftssystems in Bezug auf Umwelt und soziale Entwicklungen verantwortlich sind. Auf der positiven Seite ist zu vermerken, dass die Finanzkrise die Mythen zum Schweigen gebracht hat, dass unsere Wirtschaftsinstitutionen solide seien und dass Märke am besten funktionieren, wenn sie dereguliert würden. Sie bringt uns den geeigneten Augenblick für einen tiefgreifenden Wandel.

Hier sind einige unverzichtbare Schritte in Richtung eines Systemumbaus, der uns auf den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung führt, die für alle funktioniert.

1104443_moneySchritt 1: Wall Street aufräumen
Die erste Sache, die angepackt werden muss, ist die aktuelle Krise unter Kontrolle zu bringen. Wall Street-Institutionen haben lange Zeit behauptet, dass ihre Handelsaktivitäten Wohlstand erzeugen, also jene Mittel, die die Wirtschaft am Laufen halten, die die wirtschaftliche Effizienz steigern und die Märkte stabilisieren. Der Finanzcrash hat den Schleier gelüftet und offenbart ein korruptes System, das auf Spekulation, dem Plündern von Firmenwerten, räuberischen Krediten und Anlageblasen wie bei Immobilien und „dot com“-Boomphasen beruht.

Wenn die Leute, die hieran beteiligt sind, irgend etwas von Wert produzieren, so ist dies rein zufällig, denn ihr eigentliches Ziel besteht darin, spekulative Gewinne einzufahren, die die gesamte Weltwirtschaft aufs Spiel setzen und zu gigantischen Forderungen für von den Steuerzahlern finanzierte Rettungsschirme führen, wenn ihre Vermögenswerte den Bach runtergehen. Für dieses Wirken/Arbeiten haben die 50 bestbezahlten Manager von privaten Investmentfonds 2007 zusammen stolze 588 Millionen US$ an Lohn erhalten – 19.000 Mal mehr als das durchschnittliche Einkommen.

Wir müssen Wall Street zur Rechenschaft ziehen, einen Teil der Verluste von jenen zurück holen, die dafür verantwortlich sind, und eine Wiederholung des Kreditkollaps verhindern. Die Empfehlungen des Institute for Policy Studies (IPS), eines Think Tanks aus Washington, sind ein guter Ansatzpunkt. In „Ein vernünftiger Plan für eine Erholung“ fordert das IPS den Kongress auf, die Finanzwelt sowohl für den Rettungsschirm als auch für die Ankurbelung der Realwirtschaft zahlen zu lassen. Der Plan sieht eine Transaktionssteuer vor, eine Mindest-Unternehmenssteuer, das Zurückholen der Bonuszahlungen an Manager, die für die Krise verantwortlich sind, das Ende von Steueroasen und ein Abschaffen von Steuerschlupflöchern für Vorstandsmitglieder. Das IPS fordert außerdem massive staatliche Regulierungen, um Spekulationen einzudämmen und eine wirkliche Übersicht über die Finanzmärkte zu erhalten.

Diese Vorschläge umzusetzen wäre ein sehr guter Anfang, um Spekulationen zu begrenzen, ein fortschrittliches Steuersystem wiederherzustellen, so dass eine bessere Verteilung der Wirtschaftsmacht gelingt, und um die besonders rücksichtslosen Wall Street-Firmen auszuschalten.

Zusätzliche Schritte werden notwendig, um – beginnend mit der Wall Street – Marktmachtkonzentrationen aufzubrechen, und die verbleibenden Banken auf das Allgemeinwohl einzuschwören. Die Entscheidung des Finanzministers Henry Paulson, dass die Regierung Beteiligungen an gefährdeten Banken erwirbt, ist ein positiver Schritt, der den Weg zu einer tiefgreifenden Umstrukturierung des Finanzsystems öffnen kann.

Die Regierung sollte sofort die Bestimmungen des Glass-Steagal-Gesetzes wieder in Kraft setzen, die die Fusionen von Geschäfts- und Investmentbanken untersagen, und die Zerschlagung von Finanz-Konglomeraten und anderen Wall Street-Firmen, die „zu groß sind zum Scheitern“ vorantreiben. Wie Senator Bernie Sanders feststellte: „Wenn ein Unternehmen zu groß ist, um zu scheitern, ist es auch zu groß, um zu existieren.“

2. Schritt: Nach den Marktregeln spielen
Sobald wir das unmittelbare Feuer gelöscht haben, können wir unsere Aufmerksamkeit der Umgestaltung von potential nützlichen Einrichtungen der Finanzwelt zuwenden, um sie mit den Anforderungen von Nachhaltigkeit und Fairness in Einklang zu bringen. Ironischer Weise, wenn man die von der Wall Street im Namen des freien Marktes begangenen Exzesse betrachtet, sieht die Wirtschaft, die wir erschaffen müssen, derjenigen von Adam Smith, auf den sich manche als Vater des Kapitalismus berufen, erstaunlich ähnlich.

Smith malte sich eine Welt lokaler Marktwirtschaften aus, bevölkert von kleinen Unternehmern, Handwerkern und familiär geführten Bauernhöfen mit starken Wurzeln in der Kommune, die sich in ihrer Produktion damit beschäftigen, ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Nachbarn zu befriedigen. Seine Vision hat wenig mit dem zu tun, was die Wall Street-Wirtschaft von freigelassenem Kapital, Credit Default Swaps, hektischer Spekulation und weltweiter Konzernimperien darstellt.

Wie ich schon in meinen Büchern When Corporations rule the world und The Post-Corporate world: Life after Capitalism ausführte, hängen sozial effiziente Marktallokationen von einer ganzen Reihe wichtiger Bedingungen ab, die die Wall Street und jene Ökonomen, die der fundamentalistischen neoliberalen Ideologie verpflichtet sind, geflissentlich ignorieren. Zu diesen Grundbedingungen zählen:

  • Marktpreise müssen die vollen sozialen und ökologischen Kosten internalisieren.
  • Der Handel zwischen Nationen muss im Gleichgewicht sein.
  • Investitionen müssen lokal erfolgen.
  • Kein Marktteilnehmer ist so groß, dass er den Marktpreis direkt beeinflussen kann.
  • Wirtschaftskraft/-macht muss gleich verteilt sein.
  • Jeder Marktteilnehmer muss über vollständige Informationen verfügen und es darf keine Handelsgeheimnisse geben (sprich: keine von der Regierung verhängten Patentrechte).

Um die Verzerrung durch unfaires Wettbewerbsverhalten zu verhindern müssen die Märkte reguliert werden, damit obige Grundbedingungen sichergestellt werden. Sehen Sie sie als grundlegende Bedingungen für gesundes, gerechtes und nachhaltiges Funktionieren der Wirtschaft an.

Schritt 3: Selbstfinanzierung der Realwirtschaft
1086817_dollar_in_a_box_1Weit davon entfernt die finanziellen Bedürfnisse der Realwirtschaft zu bedienen, wird jene von der Finanzwirtschaft wie eine Kolonie behandelt, die zum Wohle des Kolonialherren betrieben werden muss. In Zusammenarbeit mit der Federal Reserve [der amerikanischen Zentralbank] haben Wall Street-Akteure eine Kombination aus Kontrolle über die Geldversorgung, räuberischen Kreditpraktiken und Lobbying und Kampagnen eingesetzt, um Löhne zu drücken, soziale Sicherheitsnetze zu durchlöchern und sich den Wert der Produktivitätsgewinne selbst zu sichern. Das obere 1 Prozent der U.S.-Einkommen hat seinen Anteil am nationalen Geldeinkommen zwischen 1980 und 2005 von 9 auf 19 Prozent gesteigert, wie Charles R. Morris in The Trillion Dollar Meltdown feststellt. Das Einkommen von 90 Prozent der Haushalte fiel relativ zur Inflation, die Sparrate sank auf unter 1 Prozent und die Verschuldung der Haushalte explodierte, während die Bevölkerung darum kämpft, ihr Leben beieinander zu halten.

Ein unentbehrliches Element einer Nach-Krisen-Wirtschaft muss die Herstellung einer ausgeglicheneren Reichtumsverteilung sein, durch progressive Steuersätze, das Anheben der Mindestlöhne und die Regulierung von Hypotheken- und Kreditkarten-Zinssätzen. Dies wird denen, die am Boden sind, dabei helfen, Spareinlagen und Kaufkraft wiederherzustellen und in Kombination mit schuldfreiem Geld, auf das ich unten eingehen werde, die Abhängigkeit der Realwirtschaft von der Finanzwirtschaft auflösen. Die finanziellen Bedürfnisse der Wirtschaft werden am besten durch ein bundesweit reguliertes Netzwerk von unabhängigen, im lokalen Besitz befindliche Gemeinschaftsbanken bedient, die die klassische Lehrbuchfunktion von Banken erfüllen, ein Vermittler zwischen Menschen vor Ort zu sein, die nach einem sicheren Platz für ihre Ersparnisse suchen und Menschen vor Ort, die Kredite für einen Hauskauf oder eine Firmenfinanzierung benötigen. Die Erkenntnis, dass Menschen ihre Ersparnisse vermehrt von den gigantischen Bankkonzernen mit fragwürdigen Bilanzen hin zu kleineren lokalen Banken bewegen, ist ein positiver Schritt.

Die Interessen der Wall Street haben das ökonomische Spiel so manipuliert, dass Mega-Konzerne einen Wettbewerbsvorteil vor unabhängigen regionalen Unternehmen haben, die das Herzstück der Realwirtschaft sind. Das New Rules-Projekt des Institute for Local Self Reliance (Institut für lokales Selbst-Vertrauen) stellt eine Fülle von Empfehlungen zur Verfügung, wie man ein Gleichgewicht der Kräfte wiederherstellen kann.

Schritt 4: Messen, was wir wirklich wollen
Die einzige legitime Funktion eines Wirtschaftssystems ist, dem Leben zu dienen. Derzeit jedoch messen wir ökonomische Leistung ausschließlich mit Hilfe finanzieller Indikatoren – Bruttosozialprodukt (BSP) und Aktienkursen – während wir die Wirkungen auf soziale Bereiche und die Umwelt ignorieren. Wir zahlen jetzt den Preis dafür, dass wir die Wirtschaft jahrelang auf finanzielle Leistung hin getrimmt haben, die dazu führt, dass diejenigen, die Geld haben, noch mehr Geld machen – kurz: reiche Menschen werden reicher. Das war keine kluge Entscheidung. Wir müssen nun die verheerenden Kosten für diese Dummheit tragen, in Form von massiven sozialen und ökologischen Schäden und finanzieller Instabilität.

Dies könnte ein guter Zeitpunkt sein, damit zu beginnen, die wirtschaftliche Leistung in Bezug auf Dinge zu messen, die wir wirklich wollen – gesunde Kinder, Familien, Gemeinschaften und Ökosysteme. Dies würde Lebenswerte über Geldwerte stellen und die Art und Weise, wie unsere Wirtschaft entscheidet, dramatisch umstellen. Glücklichsein ist übrigens ein wichtiger Indikator für physische und psychische Gesundheit.

Wir können fortfahren, das BSP zu messen, eine Messgröße für wirtschaftlichen Durchsatz, als recht nützlichen Indikator für die wirtschaftlichen Kosten, ein gegebenes Niveau von Gesundheit und Wohlergehen zu halten. Wenn wir erkennen, dass das BSP Kosten und nicht Gewinne darstellt, wird es klar, wieso es ein Fehler ist, es permanent zu steigern. Eine ganze Anzahl von Forschern hat darauf hingewiesen, dass das Glücklichsein, genauso wie andere Messgrößen menschlicher, sozialer und ökologischer Gesundheit, gesunken ist, während das BSP anstieg, aber ihre Ansätze wurden bislang weitgehend ignoriert. Wir fahren damit fort unsere Wirtschaft so auszurichten, die Kosten zu maximieren statt den Nutzen/Vorteil ökonomischer Aktivität. Der Schock des Finanzkollaps gibt uns die Chance, die Aufmerksamkeit auf diese grundlegende Anomalie zu richten. Wir werden erkennen, dass wir einen wichtigen Schritt gegangen sind, wenn Wirtschaftsreporter fröhlich verkünden: „Es war ein erfolgreiches Quartal. Die Zufriedenheit stieg um zwei Punkte während das BSP um einen Punkt sank.“

Schritt 5: Wechsel zu schuldfreiem Geld
Dies bringt uns zur wichtigsten Reform von allen: die Änderung der Art, wie wir Geld erzeugen. Ein Schlüssel zur Macht der Finanzwirtschaft und der dem Finanzsystem innewohnenden Instabilität ist die Praxis privater Banken, Geld mit einem einfachen Buchhaltungseintrag zu erschaffen, jedes Mal, wenn sie einen Kredit vergeben. Da dieser Buchhaltungseintrag nur das Kapital, nicht aber die Verzinsungssumme erzeugt, führt dies zu einer Anhäufung der Schulden und einem Kollaps von Finanz- und Wirtschaftssystem, sofern die Wirtschaft nicht schnell genug wächst, um genügend Nachfrage nach weiteren Krediten zur Erschaffung neuen Geldes zu generieren, das benötigt wird, um die Zinszahlungen der früheren Kredite abzutragen. Das Verlangen nach Refinanzierung durch Schulden von nahezu jedem Dollar, der im Umlauf ist, garantiert das Fehlschlagen der Wirtschaft, es sei denn, das BSP und die Ungleichheit steigen permanent weiter.

Führende Wirtschaftswissenschaftler und Politiker, z.B. Thomas Jefferson und Benjamin Franklin, sprachen sich dafür aus, das System des von den Banken erschaffenen Schuld-Geldes durch ein alternatives System zu ersetzen, bei dem die Regierung schuldfreies Geld generiert, indem es durch Ausgaben in die Welt gesetzt wird, beispielsweise um öffentliche Güter wie Infrastruktur oder Bildung zu finanzieren. Die Vorstellung, dass die Regierung Geld mit einem Federstrich erzeugt, lässt sofort die Alarmglocken schrillen, weil man eine galoppierende Inflation befürchtet. Die grundlegende Änderung zum bisherigen Zustand wäre jedoch, dass das Geld von der Regierung für ein öffentliches Gut erzeugt wird statt von einer privaten Bank als privater Profit. Ellen Hodgson Browns The Web of Debt gibt eine informative Übersicht über aktuelle Diskussionen und Möglichkeiten in diesem Bereich.

Privat ausgegebenes Schuld-Geld trägt zur Verschuldung und hohen Steuern bei und trägt die Hauptschuld an der Umweltzerstörung, da es unendliches Wachstum, extreme Ungleichheit (durch die Sicherstellung permanenter Umverteilung von unten nach oben) und wirtschaftliche Instabilität benötigt, da die Kreditvergabe zum Antreiben rücksichtsloser Spekulation nette kurzfristige Bankgewinne bewirkt. Öffentlich herausgegebenes schuldfreies Geld würde die Schulden, Steuern und die ökologischen Schäden deutlich reduzieren, wäre besser verteilt und würde die finanzielle Stabilität erhöhen. In einer Demokratie sollten wir dies selbst entscheiden können.


Dies ist ein geeigneter Augenblick, eine Agenda nach vorne zu bringen, die die gescheiterten, dem Gelde dienenden Institutionen unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems durch Institutionen ersetzt, die dem Leben dienen. Die Vorstellung, dass wir Menschen das Leben über das Geld stellen, mag unrealistisch und wider unserer menschlichen Natur erscheinen. Sicherlich will uns unsere herrschende kulturelle Geschichte dies glauben machen. Diese Geschichte/Erzählung hat jedoch nicht mehr Wahrheitsgehalt als die Geschichte, dass Wall Street-Spekulationen einem höheren öffentlichen Interesse dienen. Wie ich bereits in meinem Artikel We are hard-wired to care and connect (Wir sind fest mit Fürsorge und Verbindung verdrahtet) im Herbst 2008 schrieb, haben Wissenschaftler herausgefunden, dass das menschliche Gehirn direkt auf Mitgefühl und Verbindung ausgerichtet ist.

Die vielen Jahre, die ich in Afrika, Lateinamerika und Asien gelebt habe, haben mich gelehrt, dass Menschen jeder Rasse, Religion und Nationalität weltweit den Traum einer Welt mit zufriedenen Kindern, Familien und Gemeinschaft, die in lebendiger, gesunder, natürlicher Umgebung leben, teilen. Wenn sie die Möglichkeit sehen, sind Menschen bereit, beachtliche Teile ihrer Lebensenergie in einen Versuch zu investieren, diesen Traum zu verwirklichen, wie es auf den Seiten von YES! regelmäßig dokumentiert wird. Von dem räuberischen Griff der Wall Street befreit, hat diese lange unterdrückte Energie das Potential, unsere Beziehungen untereinander und zur Erde zu verwandeln, und uns den gemeinsamen Traum einer Welt, die für alle funktioniert, klar zu machen.


David Korten ist Autor des internationalen Bestsellers When corporations rule the world und The Great Turning: From Empire to Earth Community. Er ist Mitbegründer und Vorsitzender des YES! Magazine, und Vorstandsmitglied der Business Alliance for Local Living Economies.

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Am Rande beobachtet, kritische Edition

Wo Licht ist, da ist auch Schatten, und den will ich in meinen heutigen Randbeobachtungen nicht aussparen. Im als-ob-leben?-Blog macht sich der Autor grundlegende kritische Gedanken zur aktuellen Lage und Situation, gerade auch im Angesicht der „Finanzkrise“, die von vielen Mainstreammedien noch arg verniedlicht wird. Gerne wird dort ja auch der Eindruck vermittelt, dass die Politik, unsere Regierung, alles im Griff habe und planvoll handele. Und die Kinder bringt der Weihnachtsmann…:

wenn man sich in diesen tagen quer durch den mainstream von print- und onlinemedien arbeitet, so ist die polarisierung im angesicht des kommenden jahres 2009 nicht zu übersehen – während auf der einen seite wahlweise bilder von scharfkantigen eisbergen, unermesslichen abgründen und verheerenden großbränden dominieren (die durch die krise generierten bilder werden hoffentlich in bälde einmal von psychohistorikern näher betrachtet werden), lässt sich die verfassung der anderen seite auf einen begriff bringen: “crisis? what crisis?” und allerhöchstens wird eine – inzwischen immerhin von “klitzeklein” auf “etwas größer” mutierte – rezession zugestanden, nach der aber “alles wieder so sein wird wie vorher”.

letzteres lässt sich mit halbwegs funktionierenden wahrnehmungsfähigkeiten nur als drohung begreifen. weiter mit dem zwang zum exponentiellen wachstum, weiter mit der umverteilung von unten nach oben, mehr konsum, mehr straßen, mehr autos, mehr müll. und vor allem mehr psychophysisches elend bei der ungebremsten expansion der dingwelt. das ist nicht nur der wunsch der “eliten”, sondern auch derjenige ihrer medial sedierten und konsum als sinnstiftend empfindenden braven untertanen, für deren idealtypische form das wort “ich-ag” die am treffendsten auf den punkt bringende metapher darstellt.

horst_koehlerIn die gleiche Kerbe, also der Verdrängung und Verharmlosung, schlug auch unser Bundespräsident Horst Köhler in seiner an Weltfremdheit kaum zu überbietenden Weihnachtsansprache – da darf sich niemand über Politikverdrossenheit wundern. Entsprechend hart gehen einige Blogs auch mit ihm & seiner Rede ins Gericht. Duckhome drückt es direkt aus: „Köhler, halt’s Maul“, die NachDenkSeiten widmen diesem „Phänomen“ gleich zwei Beiträge: „Köhlers Weihnachtsansprache: Beliebig und belanglos“ und „Bundespräsident Köhler stützt die Propaganda der Regierenden, statt dem Volk mit einem ehrlichen Wort beizuspringen“:

Insbesondere Horst Köhler muss wegen seiner engen Verflechtung mit diesem Milieu [der Finanzwelt] gewusst haben, dass sich die Hauptverantwortlichen der Bundesregierung, nämlich Bundeskanzler Schröder, Bundeswirtschaftsminister Clement und der damalige Bundesfinanzminister Eichel zu Beginn des Jahres 2003 mit den Spitzenvertretern der Finanzwirtschaft trafen.
Schon damals, zu Beginn des Jahres 2003 hatten die Verantwortlichen in der Bundesregierung mit den Spitzen der Banken und der Versicherungswirtschaft darüber beraten, wie man die Kredite notleidender Banken auf eine Auffanggesellschaft, eine so genannte „Bad Bank“ auslagern, bündeln und als Wertpapiere verpacken und weiterverkaufen könnte. Damals wurde beraten, der Staat solle als Entlastung für die Risiken einstehen und eine Garantie abgeben.
Schon damals war also erkennbar, dass es riesige Risiken gibt und schon damals gab es das unverschämte Begehren, solche von privaten Wirtschaftssubjekten erzeugten Risiken auf uns Steuerzahler abzuladen.
Ein in Finanzfragen bewanderter und eng mit der Finanzwirtschaft verflochtener Bundespräsident musste auch diesen Vorgang kennen.

Ach ja, die Wirtschaftskrise, dieses Thema wird uns 2009 sicher ordentlich in Atem halten. In England gab es zum Jahresende noch mal einen richtigen Kaufrausch, da viele Kaufhäuser Rabatte von bis zu 90% anboten. Dennoch, die Aussichten auch in Großbritannien sind düster: „Torschlusspanik“:

In Großbritannien wird gewarnt, dass der Konsumrausch zum Jahresende zur Verödung der Einkaufszonen führen könnte. Gegenwärtig scheint die Maxime des guten, also systemstabilisierenden Handelns zu sein, möglichst viel zu konsumieren. Wer kauft, dient der Gesellschaft oder deren Wirtschaftssystem, das gilt auch für Vorschläge, wie die Konsumkraft der Menschen verbessert werden kann. Egal was, Hauptsache, der Laden läuft, und Morgen ist ein anderer Tag. Das ist Panik, vor allem eine Panik, die nichts besser macht, denn der bedingungslose Konsum, das Leben auf Pump, das Schwelgen in hohen Renditen, hat schließlich die Krise hervorgebracht.

Woolworth muss trotzdem ein Viertel seiner Häuser schließen, andere Ketten folgen oder sind bereits gefolgt, die Preise sollen weiter fallen, die Verluste steigen. Ende des nächsten Monats dürfte jedes zehnte Geschäft in den Einkaufsstraßen der Städte leer stehen, wird gewarnt. Die Schulden der Geschäfte und Ketten steigen, die Gewinne sinken.

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Buchtipp: Lobby Planet Berlin

logo_lobbyplanet-berlin_140Heute rühre ich mal ein wenig die Werbetrommel, aber natürlich für etwas Sinnvolles – der Förderverein LobbyControl, eine „Initiative für mehr Transparenz und Demokratie“, hat es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Lobbyisten in unserem Land verstärkt auf die Finger zu schauen und ihre Versuche zu dokumentieren, die Politik im Sinne jeweiliger Interessensgruppen (und zum Schaden der meisten Bürger) zu beeinflussen. Nun hat der Verein den Lobby Planet Berlin herausgebracht, ein 168seitiges Buch mit vielen Infos darüber, wo einzelne Interessensvertretungen sitzen und was sie so bezwecken.

Der Lobby Planet Berlin führt anhand von 55 Stationen anschaulich in den Berliner Lobbydschungel ein. Er stellt Ihnen zahlreiche Lobbyorganisationen, Kampagnen und Netzwerke vor und erläutert ihre Methoden und Tricks.

Dabei geht es nicht immer zimperlich zu. Zahlreiche Beispiele von der Finanzlobby über die Tabakindustrie bis zur Klimapolitik machen anschaulich, wie unethische Lobbypraktiken, privilegierte Zugänge und Machtungleichgewichte demokratische Prozesse untergraben.

Bestellen kann man dieses erhellende Buch für 7,50 € + Porto direkt beim Verein, Neumitglieder erhalten es gratis.

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Gastkommentar: „Die Zeit der Experten ist vorbei”

Dieser längere Artikel von Volker Viehoff erschien dieser Woche im wirsinddasgeld-Blog, und da ich ihn für sehr gelungen und auch erhellend für die derzeitige Verwirrung in Wirtschaft und Politik halte (und für eine gute Ergänzung zu meinen eigenen Überlegungen neulich), möchte ich ihn hier (mit freundlicher Erlaubnis) auch noch einmal in Gänze bringen.

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Die Zeit der Experten ist vorbei

Es sei „erschreckend“ gewesen, sagte Frau Maischberger, dass die Experten in Ihren Talkrunden ihr nichts wirklich  Erklärendes zu den Geschehnissen diese „Weltfinanzherbstes“ hätten mitteilen können.

Eine aufschlussreiche Mitteilung.

Es waren Experten, die dieses System kreiert haben. Und sie haben jeder ihren Teil dazu beigetragen, ohne ein Ganzes oder die Wirkungszusammenhänge des Ganzen noch zu überschauen. Die Laiendarsteller in diesem Drama hatten sich derweil in die trügerische und bequeme Sicherheit gewiegt, dass die Sache so kompliziert sei, das sie sowieso nur von Experten zu verstehen wäre.

Bezeichnend ist die vielgehörte Aussage von „Geldanlegern“, die im nachherein bekannten, gar nicht verstanden zu haben, in was sie denn da überhaupt ihr Geld angelegt hätten.

Wie kann so etwas passieren? Und wie kann dies offensichtlich weltweit geschehen? Welche Haltung kommt da langsam zutage und was ist das für einen seltsame  „Täter – Opfergemeinschaft“? Finanzkonstrukteure, die nicht mehr wissen, wie sich das auswirkt, was sie erschaffen, Anleger, die nicht mehr wissen, was sie kaufen und Vermittler, die nicht mehr wissen, was sie da durchgehandelt haben?

Dies scheint allen drei Akteuren (man müsste fast sagen: „Passeure“) gemein zu sein: Das Nichtwissen, vielleicht auch das Nichtwissenwollen dessen, was sie tun. Stattdessen sich leiten, besser: antreiben zu lassen von etwas, was man wohl so beschreiben könnte: Gewinnstreben ohne wirklichen Einsatz.
Was geht hier vor? Auf welchen Haltungen beruhen solche Handlungen?

Es wird bald offensichtlich, was sich hier zeigt: Ein eklatante Vermeidung, ein systematisches Aus-dem-Weg-Gehen dessen, was für wahrhaft menschliches Existieren doch unvermeidlich ist: Verantwortung zu übernehmen für die eigenen Handlungen oder Unterlassungen.

Die ganze Geschichte der Neuzeit als Vorläuferin der Moderne und dessen, worin wir uns gerade befinden, scheint sich in der Konsequenz unserer Tage unter einer Leitmaxime zusammen fassen zu lassen. Diese lautet in etwa: „Handle stets so, dass sich ein ( vermeintlicher ) Vorteil aus Deiner Handlung für Dich ergibt und vermiede alles, was Dich an die möglichen oder erahnten tatsächlichen Folgen Deines Handelns oder Unterlassens erinnern könnte.“ Ein kantiger Imperativ – mit verheerenden Auswirkungen.

Folgen einzelne Individuen dieser Spur ist das für sie selber in. der Regel bedauerlich; sind diese  „Neurotiker des Geistes“ dann in herrschender Stellung ist es für die davon  Betroffenen fatal. Handelt hiernach ein ganzes Zeitalter, ereignet sich, was gerade geschieht: Eine Katastrophe. Global.
Wie kommt so etwas zustande? Wie hat es sich entwickeln können, dass so eine „seelische Fehlhaltung“ zum öffentlich-unrechtlichen Allgemeingut wurde?

Es würde zu kurz greifen, zöge man nur die Geschichte des deutschen Scheiterns der Zwangskollektivierung 1933- 1989 hier zurate. Es stimmt zwar, dass die dort verordnete absolute Priorität des „Gemeinwohls“ – so wie es die Machthaber es verstanden wissen wollten – zu einer heftigen Reaktion nach Abschaffung der Tyrannei geführt haben. Die 5 Reichsmark Scheidemünze des 3ten Reiches zierte nicht nur Hakenkreuz und Hindenburgkopf, sondern am Rande stand der Satz zu lesen: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“.

Das derzeitige Geldgebaren ist wohl eher so zu umschreiben: Aus maximalem Eigennutz entsteht Gemeinwohl irgendwie von alleine. Was es dazu braucht, um so einer „Logik“ folgen zu können ist eine unheilvolle Vermengung von wissenschaftlicher Theorien, geschichtlichem Vergessen, diskursbestimmender  Pressebeherrschung, indoktrinierender Lobbyarbeit, und vor allem jede Menge individueller Bereitschaft  sein Leben mit einem Höchstmaß an  Unbewusstheit „zu führen“. Man müsste eher sagen: Führen zu lassen. Vom Sich-Führen-lassen dieser Art ist es nicht weit bis zum Verführt werden.

Die Frage ist: Wer verführt hier wen?

Dazu müssen wir näher an das Epizentrum dieses „Bewusstseinsbebens“ heran kommen. Vielleicht müssen wir uns  von einer  Vorstellung verabschieden, ohne die modernes Menschenbewusstsein scheinbar gar nicht auszukommen vermag: Es gibt Schuldige, das sind die anderen und hinter fast allem steckt eine verborgene Absicht von Unterdrückung und Beherrschung.

Die Sache liegt wohl tiefer, als wir bislang bereit waren anzuerkennen. Und das wohl aus – nicht gutem, aber – nachvollziehbarem Grunde.

Die Neuzeit hat dem Menschen glauben machen wollen, er könne sein Existenz selbstbestimmt, selbstherrlich und von daher willkürlich führen. Dazu müsse er „den Mut haben sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“. Was anfangs nicht verraten wurde: Dafür braucht einige Generationen später der Einzelne Experten, die ihm erklären müssen, wie die Systeme, die sein Verstand sich ausgedacht hat und von dessen funktionieren er mittlerweile fast total abhängig geworden ist, denn überhaupt noch funktionieren.
Der derzeitige Medienstar der Genforscherszene beispielweise, Craig Vester, hat angemerkt dass „ die Bevölkerung  es sich deshalb auch nicht mehr leisten (kann), die Wissenschaften nicht zu verstehen: Wenn du kein wissenschaftliches Verständnis hast, während unsere Zukunft gleichzeitig komplett auf wissenschaftlichen Erfolgen aufbaut, dann überlässt du anderen die Gestaltung deiner eigenen individuellen Zukunft. Das sind beängstigende Aussichten.“

Wenn das schon ein „ausgewiesener Experte“ von sich gibt – was heißt das aber für die Verlässlichkeit von Expertentum überhaupt? Galten Experten zwar lange schon als ein wenig seltsam, mitunter  auch als krude Fachidioten, so hat man ihnen dennoch nicht abgesprochen „etwas zu verstehen“, was letztlich von Belang oder sogar von existentieller Bedeutung ist. Was sich aber jetzt zeigt ist, dass die Experten von dem, was wir meinten, dass sie es verstünden ( und beherrschen!) selber keine Ahnung mehr zu haben scheinen.

Das ist allerdings eine beängstigende Vorstellung, mehr – eine erschütternde Tatsache. Die „Finanzkrise“ ist nur Symptom. Sie steht, als wirksam gewordener Ausdruck für unsrem Umgang mit dem „Lebensmittel Geld“ stellvertretend für eine tiefwurzelnde Fehlhaltung, eine grundlegendes Missverstehen unsrer Existenz als Mensch.

Da tut sich der wahre Abgrund auf.

Wenn davon gesprochen wird, dass  weltweit „das Vertrauen“ der Marktteilnehmer ineinander  verloren gegangen sei, ist das doch also nicht nur ein Manko, ein Problem, dass es schnell zu lösen gelte. Es ist – fast möchte man sagen – eine erste Reaktion der Reste des gesunden Menschenverstandes. Eine Art „Vollbremsung“ vor dem Abgrund, in den die massenweise Abgabe der Verantwortung für die eigenen Handlungen an die Kaste der Experten, die mit „hohepriesterlichem“ Nimbus die Prozession der Wissenschaftsgläubigen zielsicher an den Rand desselben geführt haben. Offensichtich ohne wirklich zu wissen, was sie da tun! Und ohne „Unrechtsbewusstsein“. „Wer plant, wer forscht, wer treibt voran und wer will? Das wissen nicht einmal die Forscher. Frag einen Forscher und die Dürftigkeit einer Antwort wird an die eines Feldmarschalls grenzen, der Millionen Tode befiehlt und niemals über den Tod nachdachte“. So urteile der 1975 verstorbene Philologe und Byzantinist Erhart Kästner über die Unsäglichkeit des modernen Wissenschaftsbetriebes. Dieser Spezies verdanken wir die verantwortungslosen Weltwirtschaftsmodelle, die dann diese „Subspezies“ der Finanzexperten erst hervorbrachte, denen heute vor Ratlosigkeit bei Maischberger auf dem Sofa nichts Vernünftiges mehr einfällt. Es wird Zeit aus dem Tiefschlaf der Aufklärung aufzuwachen. Halten wir den Film an. Schluss mit „Eyes wide shut….“!

Der Mensch wird nur Mensch in der Entscheidung. Er kommt nicht umhin alle seine Handlungen und Unterlassungen als Frucht immer wieder zu treffender, zu erringender Entscheidungen zu begreifen. Entscheidungen sind, wie das Wort sagt, die Beendigung einer Scheidung. Etwas Geschiedenes wird Entschieden. Dadurch entsteht ein Weg, der Richtung gibt und zu dem man stehen kann, wodurch allein Verantwortung entsteht. Warum wird den Managern, bei aller Übertreibung, denn zurecht verantwortungsloses Handeln vorgeworfen? Ein Vorwurf, der seltsam verhallt? Weil diese, stellvertretend für alle „Marktteilnehmer“, vom Kleinanleger bis zum Politiker im Verwaltungsrat der Landesbank, ihre eigenen Handlungen letztlich nicht als eigene Handlungen erleben!

Ein unheimliches Phänomen wird hier sichtbar. Angedeutet und vorbereitet hat sich diese verhängnisreiche Entwicklung schon lange.

Es ist  bei der Suche nach hilfreichen Gegenwartsanalysen m.E. immer von größtem Aufschluss (und auch bestürzender Bewahrheitung), in den Archiven einige Jahrzehnte zurück zu blättern. Was dort mitunter über die damals anbrechende Zukunft ausgesagt wurde, ist heute oftmals zu deutende Gegenwart.

So auch die Aussagen, die der Theologe Romano Guardini um 1950 in seinem Werk „ Die Macht“ über das Wesen der anbrechenden Zeit systematisch organisierter Verantwortungslosigkeit auszusagen hatte.
„Es gibt keine nicht-verantwortete Macht.(..) Deren Wirkung ist immer Tat – oder wenigstens Zulassung – und steht als solche in der Verantwortung einer menschlichen Instanz, einer Person. Das ist auch dann so, wenn der Mensch, der sie ausübt, diese Verantwortung nicht will. (..) Sobald auf die Frage: wer hat das getan? weder ein „Ich“ noch ein“ Wir“; weder eine Person noch eine Personengemeinschaft mehr antwortet, scheint Machtausübung zur Naturwirkung zu werden.“

Er führt weiter aus, dass Macht immer dann zur Gefahr werde, wenn hinter ihr überhaupt kein ansprechbarer Wille mehr stehe, sondern nur einen anonyme Organisation, in welcher „ jeder durch benachbarte Instanzen geleitet, überwacht und dadurch – scheinbar- der Verantwortung enthoben“ sei.

Diese dann nicht mehr vom Bewusstsein einer Person getragene Handlung lasse dann  im Handelnden einen eigentümlichen leeren Raum entstehen. Da er sich nur als ein „Element in einem Zusammenhang“ erlebe, scheine er selber als „Subjekt der Handlung“ auszufallen.

Was aber als Folge dann geschieht, weist  in aller Dramatik auf die eigentliche Dimension dieses Missverstehens menschlichen Existierens hin. Es zeigt unweigerlich das, wovor das moderne Bewusstsein immer noch beharrlich die Augen verschließt, obwohl seine Wirkungen sich allenthalben explosionsartig ausbreiten: Diese Leere, die dort entstehe, wo die Person übersehen, verleugnet und vergewaltigt werde, bleibe nun nicht.  Was sich in diese hineinzwänge, ergieße, sei nichts anderes als das Böse – als Theologe wird er deutlicher: Der Böse.

Es gehört zu den fürchterlichsten Folgen neuzeitlicher Irrtümer über die Wirklichkeit, dass sie, wie Kästner es formulierte, das Böse nicht kenne. „Soviel Hilfe hatte es nie.“

Wer einigermaßen seine eigenen Seelenabgründe erkundet hat, weiß wovon hier die Rede ist. Und er sieht schmerzerfüllt, dass, solange hier nicht mutiger gedacht, gesprochen und beschrieben wird, alle wirtschaftlichen „Rettungsmaßnahmen“ oberflächlicher Art so viel Nutzen wie Löcher ins Wasser zu graben. Es wird die letzten Kräfte  sinnlos verbrauchen.

Sie hätten in einen „bodenlosen Abgrund“ geschaut, bekannte ein Wall Street Banker in den frühen Oktobertagen. Peer Steinbrück und Angela Merkel seien „erbleicht“, als Ihnen geschildert, welches unbeherrschbare Chaos unmittelbar bevorstehe, wenn die HRE Bank nicht gerettet werde. Hier waren wir nahe dran am wirklichen Geschehen. Was noch fehlte? Der Mut wirklich zu sehen, was man sieht.

Nun versuchen alle wieder die Experten ihren „Job“ machen zu lassen, nachdem sich die Lust an Managerschelte erschöpft hat. Wir versuchen noch einmal den Bannzauber der Wissenschaft über das Desaster zu werfen, um ohne radikaler Infragestellung unserer inneren Daseinshaltung doch noch irgendwie durchzukommen.

Das wird nicht gut gehen.

Und am Ende wird uns dabei kein Experte mehr zu Seite stehen. Die notwendende Hilfe kommt auch nicht „von oben“. Sie wartet innen. In jedem Einzelnen. Und hier ist jeder Experte – wenn er sich nur traut.

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