Eine Stadt für die Menschen

Manchmal, wenn ich so durch Kiel gehe, vorbei an den komplett mit Automobilen zugestellten Straßenrändern, mich zwischen peinlichen Geländewagen hindurchquetsche und den niemals, nicht mal Nachts, enden wollenden Verkehrslärm auszublenden versuche, steigt ein wunderlicher, gar wundersamer Gedanke in mir auf: wie wäre es wohl, wenn unsere Städte nicht um die Autos herum errichtet wären? Wenn sich die Infrastruktur nicht primär danach richtete, wie man möglichst schnell von A nach B fahren kann? Wenn all das hässliche, aufdringliche Blech auf vier Rädern, das 24 Stunden nonstop das Stadtbild bestimmt, nicht da wäre und man demzufolge auch keinen „Parkraum“ benötigt? Kurz: wie sähe eine „Stadt für die Menschen“ aus? Diese Frage stellte sich unlängst auch der Stuttgart Blog – anhand eines Dokumentationsbandes über Stuttgart im letzten Jahrhundert. Bis in die 1930er Jahre hinein war die Stadt nämlich autofrei, was sich auch direkt in der Architektur niederschlug:

stuttgart-bopser_400Die Menschen haben sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der (in nahezu jeder Straße vorhandenen) Straßenbahn fortbewegt und das hat funktioniert. Die Räume zwischen den Häusern (heute besser als Straßen bekannt) war für die Menschen da und nicht für die Autos. Große Plätze wie z.B. der Charlottenplatz oder der Österreichische Platz waren keine stinkenden Verkehrsknotenpunkte, sondern Plätze, auf denen sich Menschen aufhielten und lebten.

Doch plötzlich kam das Auto. Irgendwann nach dem Krieg wurde das plötzlich modern, dass sich jeder mit seinem eigenen Fahrzeug fortbewegen kann. Obwohl wir heute wissen, dass diese extrem teure, laute, gefährliche, antiquierte Form des Individualverkehrs die Luft verpestet und die Lebensqualität enorm einschränkt, ist die Stadt seit dem Durchbruch dieser „Technologie“ vollkommen auf das Auto fixiert. Menschen werden an den Straßenrand bzw. auf die wenigen verbleibenden und somit völlig überlaufenen Fußgängerzonen verbannt. Ist die Zeit denn nicht reif für eine Art Rückbesinnung bzw einen weiteren Schritt, was den Personenverkehr in der Stadt betrifft?

(…) Natürlich muss es ausgereifte Alternativkonzepte geben, und ich bin mir sicher, dass sich in diesem Bereich schon viel getan hätte, wenn die Autoindustrie keine so bedeutende Rolle in Politik und Wirtschaft inne hätte, um die Existenz dieser eigentlich antiquierten Verkehrsform aufrecht zu erhalten.

Tja, doch die Realität sieht leider anders aus. Das jüngst „geschnürte“ Konjunkturpaket II enthält weitere Maßnahmen zur Stützung und Stärkung dieser Fetischindustrie – die Vorstellung, dass die dort genannte Abwrackprämie für Altautos z.B. nur dann gezahlt werden würde, wenn man sein Auto ganz abschafft (und nicht einen Neuwagen kauft), ist in diesen Zeiten, bei dieser Regierung, natürlich illusorisch, wenn nicht gar ketzerisch. (Die Frankfurter Rundschau schlug kürzlich ein ausgewogeneres Konjunkturpaket vor, nämlich ein „Programm für wahrhaft Bedürftige“.)

Übrigens gibt es tatsächlich Orte auf der Welt, wo der Rückbau von Straßen/Autobahnen keine Utopie, sondern Realität ist – nämlich in Seoul. In „Es gibt keine Zukunft ohne Umwelt“ beschreibt Prof. Hermann Knoflacher, dass dem Autoverkehr nicht überall alles geopfert wird (siehe dazu auch seinen Artikel „Der Einfluss des Autos auf die Stadt“):

Der jüngst gewählte Präsident von Südkorea hat die Zeichen der Zeit schon vor Jahren erkannt, als er noch Bürgermeister von Seoul war. Die 5,8 km lange Autobahn mitten durch die Stadt hätte saniert werden müssen. Er entschied sich, der Stadt wieder Leben zu schenken und die lokale Wirtschaft zu unterstützen. Die Autobahn war nicht die Lebensader der lokalen Wirtschaft, sondern strangulierte diese. Also wurde beschlossen, sie um der Zukunft willen abzureißen.

(…) Unsere Politiker, die der Bevölkerung neue Fahrbahnen versprechen, merken wahrscheinlich gar nicht, dass sie damit den Menschen die Türen in die Zukunft verbauen. Wer diese Politiker wählt, darf sich nicht wundern, wenn er und seine Kinder immer weniger Freiheit und Chancen im Leben haben werden.

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5 Kommentare

  1. daniel

    “die Vorstellung, dass die dort genannte Abwrackprämie für Altautos z.B. nur dann gezahlt werden würde, wenn man sein Auto ganz abschafft (und nicht einen Neuwagen kauft), ist in diesen Zeiten, bei dieser Regierung, natürlich illusorisch, wenn nicht gar ketzerisch.”

    Ein interessanter Gedanke. Und für die 2500 Euro bekäme man sogar mindestens 2 anständige Fahrräder. Leider gilt “Autoverbrauch” derzeit schon fast als Tugend. Mit entsprechender Infrastruktur lässt sich der Einsatz von Autos praktisch erzwingen.
    Von autofahrenden Mitmenschen höre ich auch oft, radfahren sei ihnen zu gefährlich wegen der vielen Autos.

    Zum Thema “Stadt für Menschen” passt auch das sicher schon bekannte Buch “Stehzeuge” von Hermann Knoflacher.

    • Danke für den Buchtipp – das kenne ich tatsächlich noch nicht. Klingt interessant! (ist aber offenbar vergriffen, schade…)

  2. Tai Fei

    Naja, Ziel der Infrastruktur sollte es schon sein, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Genau daran krankt ja inzwischen der Individualverkehr in Ballungsräumen, da er dass immer weniger gewährleisten kann.
    Ferner wird ja gerne verdrängt das die Städte bis in die 30er Jahre nun nicht unbedingt eine bessere Lebensqualität boten. Die fehlende Mobiliät zwang zu Konzentration was sich in solchen Mietkaseren wie in Berlin mit x-Hinterhöfen niederschlug (ja ich habe hier die soziale Komponente ausgeblendet).
    Das Hauptproblem ist halt die völlige Vernächlässigung des öffentlichen Nahverkehrs. Der ist vielerorts keine wirkliche Alternative, da Taktzeiten, Linienführung und Vernetzung mit Anschlüssen immer weiter zurück gefahren wurden. Die vorhandene Infrastruktur wird auf Verschleiß gefahren wie die S-Bahn in Berlin beweist. Aber auch bei uns in Leipzig ist es offensichtlich. Da wird immer mehr zusammen gestrichen. Die Gleiskörper von Straßenbahnen sind teils so marode dass nur noch Schritt gefahren wird – und nein das liegt da nicht am Autostau, im Gegenteil hier wird die Bahn zum Verkehrshindernis. Auch ein Riesenproblem ist die Preisstruktur beim öffentlichen Verkehr.

    Ich sehe da auch immer gerne nach Hong Kong. Dort gibt es zwar offensichtlich auch Probleme mit dem Individualverkehr. Dennoch wurde der öffentliche Nahverkehr nie vernächlässigt und konsequent ausgebaut. Preise sind adäquat und mit der Octopus-Card besteht ein simples und universelles Zahlungssystem.

    • “Ich sehe da auch immer gerne nach Hong Kong. Dort gibt es zwar offensichtlich auch Probleme mit dem Individualverkehr. Dennoch wurde der öffentliche Nahverkehr nie vernächlässigt und konsequent ausgebaut. Preise sind adäquat und mit der Octopus-Card besteht ein simples und universelles Zahlungssystem.”

      Definitiv ein guter Hinweis. Und man muss gar nicht mal so weit schauen – in Lodnon klappt das beispielsweise auch wunderbar, und Dank Oyster-Card ebenfalls absolut bezahlbar. Das Problem dürfte aber sein, so etwas auch in kleinere Städten und Gemeinden einzuführen/zu bezahlen.

  3. Tai Fei

    Wobei ich das Prinzip der Registierung bei der Oyster-Card für seeehr bedenklich halte. Die Octopus-Card (Standart-Version) ist komplett ohne Registrierung zu bekommen und damit anonym, auch der Pfand verfällt in dem Fall nicht.
    Ich gebe allerdings zu, dass auch hier ein Profil erstellt werden kann, die Personalisierung ist jedoch nicht soooo einfach möglich und erfordert schon etwas mehr Aufwand. Schönes Bsp. wie das dann doch geht ist hier der Spielfilm “Eye in the Sky” aus To´s Milkyway-Studio.

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