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L.A. Law – Wie Hollywood unser Rechtssystem formt, Teil 1/2

business_lawDass Fernsehen mehr ist als nur bloße Unterhaltung und Zerstreuung, sondern massiven Einfluss auf das gesellschaftliche Leben ausübt, sollte inzwischen jedem klar sein. Nicht nur werden politische Meinungen und Diskurse beeinflusst, Themen aufgebauscht oder unter der Decke gehalten, auch sorgen Reklame oder unsägliche Shows wie Germany’s Next Top Model für das Verbreiten und Aufrechterhalten stupider Klischees und kranker Schönheitsideale im Zeitalter von zu Tode gephotoshoppten Models. Gewisse Lebens- und Konsumstile oder auch Lebensentwürfe werden als Vorbild und nachahmenswert dargestellt, andere wieder diffamiert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Dass aber die Rechtssprechung durch Serien wie L.A. Law nicht unberührt bleibt, war mir bis zur Lektüre des Artikels „L.A. Law: How Hollywood is shaping our legal system“ von Julie Scelfo (erschienen in McLaren/Torchinsky: „Ad Nauseam: A Survivor’s Guide to American Consumer Culture“) auch nicht bewusst – das Ganze klingt teilweise ganz schön kränk und auch reichlich bedenklich. Ich möchte Euch den Text, der ursprünglich im Stay Free Magazine #18 (2001) unter dem Titel „When law goes Pop“ erschien, deshalb als Übersetzung präsentieren.

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L.A. Law: Wie Hollywood unser Rechtssystem formt

Interview mit Richard Sherwin

Auf seinem Bürosofa unter einem Poster von Andy Warhols Tomatensuppe sitzend, wirkt Richard Sherwin ganz ruhig. Trotz der Tatsache, dass sein aktuelles Buch When Law Goes Pop: The Vanishing Line Between Law and Popular Culture (The University of Chicago Press) die Auflösung des amerikanischen Rechtssystem beschreibt, ist Sherwin überzeugt, dass es eine Lösung gibt. An einem trüben Novemberabend traf ich den Jura-Professor in der New Yorker Law School, um mit ihm die Verbindung zwischen Wahrheit, Gerechtigkeit und dem Kino zu diskutieren.

Julie Scelfo (J.S.:): Gab es ein spezielles Ereignis, das Sie dazu inspirierte, das Buch zu schreiben?

Richard Sherwin (R.S.): Ich zeigte meinen Studenten Erroi Morris Film The Thin Blue Line, welcher als Dokumentation eingestuft ist. Er benutzt reale Parteien in einem realen schweren Mordfall. Sie sehen den Angeklagten Rendal Dale Adams, den realen Richter, die realen Anwälte und die realen Zeugen. Es sind direkte Einzelinterviews mit all diesen Personen.

Randal Dale Adams war ein Sündenbock, der in einem korrupten Rechtssystem von Dallas, welches der Film enttarnt, gefangen ist. Bevor ich ihn meinen Studenten zeigte, bat ich sie darum, all die Formfehler zu finden, die wir zusammen erarbeitet hatten. Sie liebten es und es ergab sich tatsächlich ein guter Überblick über verschiedene Fehler, die in dem Gerichtssaal stattfanden. Aber als ich den Film einige weitere Male betrachtete, begann ich all das fiktionale Material zu bemerken, das Morris benutzte: alle möglichen Formen von Wiederholungen, Überblendungen und nicht zuletzt der hypnotische Soundtrack von Philip Glass… Und das ist vor allem deshalb interessant, wenn man sich bewusst macht, dass Morris’ Film eine Revision des Falles bewirkte. Randal Dale Adams wurde am Ende aus dem Gefängnis entlassen.

J.S.: Der Film bewirkte seine Freilassung?

R.S.: Nun, der Film war der Impulsgeber dafür, den Fall wieder aufzurollen. Wenn Errol Morris diesen Film nicht gedreht  hätte, säße Randal Dale Adams vermutlich immer noch in einem Gefängnis in Dallas. Und vielleicht war es auch im Sinne der Justiz, dass dieser Film damit am Ende zu Adams Freilassung führte. Was ich auf jeden Fall spannend fand, war, dass in Morris’ Film jede Menge manipulativer Techniken, fiktionaler Kunstgriffe vorkommen, die dazu benutzt wurden, einen Rechtsspruch zu machen.

J.S.: Etwas, das mich in Ihren Buch erstaunt hat, war das Ausmaß, in dem Rechtssprechung in die Populär-Kultur eingesickert ist. Juristische Geschichten haben lange Zeit, nicht nur das Fernsehen sondern davor auch Film und Theater dominiert. Wie kommt das? Was macht Rechtssprechung so passend für populäre Kultur und fürs Geschichtenerzählen?

R.S.: Nun, zum einen ist es dramatisch. Die grundlgende Struktur zweier gegnerischer Parteien bewirkt eine natürliche Spannung, wie die Perry Mason-Formel, der große Höhepunkt der Entdeckung im Gerichtsstand – „Aha! DAS ist der Schuldige! Nicht mein Klient!“ Außerdem befasst sich Recht mit den brutalsten und extremsten Verhaltensweisen. Dies spricht natürlich unsere niederen Gelüste und unseren Voyeurismus an.

J.S.: Nicht jeden Tag gibt es einen O.J. Simpson-Prozess. Denken Sie, dass Richter in den Gerichtsaal gehen und dort das gleiche Niveau an Drama erwarten, das sie vom Fernsehen und den Medien geliefert bekommen?

R.S.: Ich habe keine wissenschaftliche Studie, aber was Menschen von der Rechtssprechung durch die ihnen zur Verfügung stehenden Informationswege erfahren, ist stark verzerrt. Wenn Sie beispielsweise Court TV einschalten, so behaupten sie, dies sei „Rechtssprechung ohne Drehbuch“. Sie stellen sich selbst als ein Fenster zur realen Rechtssprechung dar. Aber natürlich ist es das nicht, es ist Fernsehen. Wenn Sie die Art der Fälle, die in Court TV erscheinen, betrachten, folgen sie den selben dramatischen Mustern, die auch sonst im TV erfolgreich sind. Sie sind unverhältnismäßig gewalttätig, in der Regel handelt es sich um Mordfälle oder grausame Sexualverbrechen.

J.S.: Wie Law and Order: Special Victims Unit. Es beschleunigte den Kitzel der ursprünglichen Show.

R.S.: Ja. Sobald Sie auf der Basis dieses Strickmusters drehen, haben Sie keine andere Wahl als regelmäßig die Stärke des Reizes zu erhöhen. Sogar in Russland – ich las heute über Nachrichtensendungen, in denen die Interviewer nackt sind. Ich denke, Fernsehen neigt dazu, die Zuschauer davon abzubringen, sich großartig Gedanken über das zu machen, was sie sehen, oder überhaupt viel Inhalt aufzunehmen. Und die Gefahr, die ich sehe, liegt darin, dass Sie, wenn Sie die Ästhetik der Fernsehunterhaltung in den Gerichtssaal bringen,  die gleichen Muster an emotionaler Provokation und Gefühl und Belohnung nehmen, die man sonst auf dem Bildschirm sieht. Und das ist eine Form der Überzeugung die dazu neigt, Abwägungen einzuebnen.

Ich habe nichts gegen Unterhaltung und ich mag Popkultur, aber ich mache mir Sorgen, wenn die Rechtssprechung ein Synonym für Unterhaltung wird, so dass man nur überzeugen kann, wenn man gleichzeitig unterhält.

J.S.: Könnten Sie uns den Gedanken der Rechtssprechung, die Pop wird („The Law going Pop“), erläutern?

hammerscheR.S.: Der Titel funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen Seite spreche ich an, was es heißt, dass Rechtssprechung und Popkultur sich annähern. Popkultur hilft dabei, Rechtsvorstellungen zu erschaffen. Das führt zu etwas, was man vielleicht „Pop Law“ nennen könnte. Man sollte es sehr skeptisch sehen, was passiert, wenn das Recht zu sehr von der Popkultur angezogen wird, wenn es zu sehr wie Fernsehen und Reklame wirkt. Dann gibt es die Assoziation zur Pop Art. Andy Warhol und die Pop-Art-Bewegung waren ihrer Zeit weit voraus, wenn sie davon sprachen, wie die Kultur zu einer Ware geworden ist und was es heißt, Bilder über Massenmedien zu verbreiten, die sich dann komplett von der Lebensrealität abkoppeln. Und schließlich spiele ich auch auf das an, was passiert, wenn man mit einer Nadel in einen Ballon sticht – es macht „pop“. Die größte Bedrohung für die Rechtssprechung ist der Verlust ihrer Legitimation, öffentliche Enttäuschung.

J.S.: Denken Sie, dass die Rechtssprechung zu einer Handelsware geworden ist?

R.S.: Fraglos ist es so. Juristisches war immer schon im Fernsehen und in Filmen präsent, aber nun haben wir zusätzlich noch Sachen wie Court TV, Divorce Court und Power of Attorney, wo reale Anwälte zu Stars werden. Diese Schilderung des Rechtssystems durch das so genannte „Reality“-Fernsehen wird noch heimtückischer dadurch, dass diejenigen, die sich diese Sendungen anschauen, ein bestimmtes Gefühl dafür verinnerlichen, was Recht wirklich ist.

J.S.: Heißt dass, dass die Eindrücke, die Zuschauer durch das Fernsehen darüber bekommen, wie die Rechtspechung läuft, einen Einfluss auf die Urteile haben, die sie machen, wenn sie als Geschworene tätig werden?

R.S.: Absolut. Es ist wie eine Feedbackschleife: Menschen, die ihr juristisches Wissen durch die Medien erlangen, bilden gewisse Erwartungen, wie Recht funktioniert und bringen diese Erwartungen in den Gerichtssaal. Strafverteidiger müssen die Erwartungen der Leute erfüllen, und deshalb neigen sie dazu, die Form der Kommunikation, die die Menschen (aus dem TV) gewohnt sind, nachzuahmen.

J.S.: Haben Sie ein paar Beispiele dafür, wie Anwälte ihre Tätigkeit verändert haben, um sie an die Erwartungen der Geschworenen anzupassen?

R.S.: Eine der wichtigsten Änderungen ist die Einführung von visuellen Medien in den Gerichtssaal. Der typische Gerichtssaal ist heutzutage oft mit Fernsehmonitoren bestückt. Es ist ein normaler Teil unseres Lebens, Informationen vom Bildschirm zu bekommen. Avi Stachenfeld in Oakland, Kalifornien, war einer der frühesten Anwalts-Filmemacher, der visuelle Medien für Anwälte bereit stellte. Er sagte, er wusste, dass er etwas Großem auf der Spur war, als er bemerkte, dass die meisten Leute in einem Gerichtssaal, vor die Wahl gestellt, das Geschehen live zu verfolgen oder auf einem Monitor sich für den Monitor entschieden.

J.S.: Genauso wie einige Leute Fernseher zu einem Fußballspiel mitnehmen?

R.S.: Das stimmt. Und Geschworene haben in modernen Gerichtssälen mittlerweile oft ihre eigenen Bildschirme. Eidliche Aussagen werden auf dem Monitor verfolgt. Aussagen von Personen via Übertragung werden immer üblicher. Und wenn sie auf dem Bildschirm erscheinen, müssen sie den Verhaltensnormen gehorchen, an die wir uns alle gewöhnt haben.

J.S.: In Ihrem Buch nennen Sie dies „Medien-Logik“.

R.S.: Denken Sie an heutige Politik. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wohin unsere Rechtssprechung steuert. Was sehen wir? Sehr schnelle Bilder, die die gleichen Überzeugungstechniken benutzen wie wir dies von Werbetreibenden kennen. Das kurze Soundfragment. Die schnell geschnittenen Bilder. Denken Sie an Ronald Reagans Kampagnen-Video aus dem Jahre 1980. Seitdem hat sich jeder Präsidentschaftskandidat gezwungen gesehen, eine eigene Version zu erstellen.

J.S.: In einem Wall Street Journal-Artikel erklärt ein Anwalt, wie er seine Anwälte Stimmtraining durchlaufen lässt, so dass sie Aussagen im gleichen Tonfall wie ein Nachrichtensprecher vortragen können.

R.S.: Richtig. Mir haben Richter erzählt, dass zu der Zeit, als L.A. Law auf dem Popularitätshöhepunkt war, sie nicht nur erwarteten, dass sich Anwälte so kleideten, sondern sie erwarteten auch Zweieinhalbminuten-Zusammenfassungen. Sie wissen schon: „Lasst uns das peppig rüberbringen.“ Aber was geschieht, wenn Sie Sachen auf den Bildschirm bringen? Sie unterwerfen sich der Bildschirmästhetik, Sie müssen Dinge unter Zuhilfenahme visueller Produktionsverfahren darbieten, und das verändert alles. Es verändert die Politik, es verändert den Journalismus, es verändert die Rechtssprechung.

J.S.: Ein paar gute Beispiele?

R.S.: Es gab da einen wirklich großen Prozess in Texas, in dem es um den Vorwurf von Insiderhandel ging. Eine texanische Firma verklagte Kidder-Peabody, eine New Yorker Investmentbank, weil sie glaubte, dass jedes Mal, wenn ein Analyst die Firma in Texas besuchte, er mit Informationen zurückkehrte, die in einem plötzlichen Anstieg von Aktienkursen resultierten. Aus diesem Grund hatte das texanische Unternehmen den Eindruck, dass es erheblich mehr Geld für eine Übernahme zahlen musste als wenn sie diese Informationen nicht preisgegeben hätten.

Die Frage war: „Wie macht man solch einen detaillreichen Fall den Schöffen begreiflich?“ Avi Stachenfeld kam mit einigen sehr überzeugenden visuellen Gimmicks daher. Er benutze eine digitale Landkarte der USA, in der Texas überproportional groß dargestellt war. Es war mit einer texanischen Flagge geschmückt, welche in Texas, wo der Fall verhandelt wurde, über alle Maßen geliebt wird. Also haben Sie diese große Staatsflagge in der Mitte der Karte, und dann gibt es dort diesen kleinen Staat am nordöstlichen Ende: New York. Plötzlich kamen die Gesichter des Kidder-Peabody-Teams aus New York herausgeflogen, mit Mike Milken in der Mitte, so dass er wir der Anführer wirkte.

Anschließend sehen wir etwas, das aussieht wie die texanische Flagge, die um New York herumfegt, wie ein Lasso. Und wissen Sie was? Das war genau wie in dem populären Salsa-Werbespot, der damals überall im Fernsehen lief. Sie erinnern sich vielleicht – es ist der, wo diese Cowboys um ein Lagerfeuer sitzen und dieser Koch versucht, ihnen nicht authentische New York Salsa unterzujubeln, und als sie hören, dass es aus New York stammt, rufen die Cowboys „New York City?!? Holt das Seil!“ Und am Ende sieht man, wie der arme Koch am Lagerfeuer gefesselt sitzt.

Was Avi hier getan hatte, war eine Assoziation zu erzeugen – zu dem bekannten „wir/sie“-Gegensatz Texas gegen New York. Aber dieser wird nur indirekt angesprochen.

J.S.: Also benutze Avi diese Bilder, um eine emotionale Reaktion zu bewirken?

R.S.: Ja, das Video ruft unausweichlich eine emotionale Reaktion hervor, die auf der unterbewussten Ebene wirkt. Es gibt ein sehr berühmtes Video, das statt einer mündlichen Zusammenfassung in einem Prozess mit Price-Waterhouse (Anm. PM: eine große amerikanische Investmentbank) angeboten wurde. Das Video wurde vom Kläger eingesetzt, der Price-Waterhouse wegen Sorgfaltspflichverletzung verklagte. Das Video versuchte zu sagen: „Wir verloren viel Geld, weil Price-Waterhouse es versäumte, auf Warnsignale bei der Bank, die sie verfolgten, zu achten.“

In dem Video zeigten sie zunächst das Bild der Titanic, wie sie den Hafen verlässt, unter Rückgriff auf Originalmaterial. Die Titanic – das größte Schiff seiner Klasse, Sie kennen den Ruf des unsinkbaren, des größten, des besten Schiffs. Nun, es sank, nicht wahr? Es sank auf Grund von Sorgfaltspflichtverletzung. Während des gesamten Videos schnitten die Anwälte des Klägers zwischen den Bildern der Titanic und denen der Warnsignale, die die Price-Waterhouse-Buchprüfer übersahen, hin und her. Interessanter Weise begann diese Zusammenfassung mit dokumentarischem Material, dann schnitt sie zu einem englischen Film aus dem Jahre 1957 mit dem Titel A Night to Remember. Nun sehen Sie also den Kapitän Warnungen in den Wind schlagen, Sie sehen Wasser in die Unterdecks einbrechen und an einem Punkt sagt der ernste Erzähler „unerfahrene Wirtschaftsprüfer wurden eingesetzt, genau wie bei der Titanic“. Und sie zeigten Matrosen, die aus den Unterdecks hasteten. Dies geschah in Arizona. (also fernab jeder Küste)

J.S.: Und der Richter erlaubte den Einsatz dieses Bandes vor Gericht?

R.S.: Er tat es, obwohl sie dadurch bei der Revision in Schwierigkeiten gerieten. Aber während des Prozess sagte der Richter zu den Anwälten, dass, weil dieser Fall so viele Zahlen beinhaltete, er sie dazu einlade, etwas zu bieten, dass die Geschworenen wach halte. Deshalb konnte er das Video nicht so recht ablehnen, weil es genau das erreichte, was er wollte. Tatsächlich war die Summe, die per Urteil zugesprochen wurde, um die 350 Millionen $. Dies sind also sehr mächtige Werkzeuge.

>> Morgen geht es weiter mit dem zweiten Teil!

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São Paulo – die saubere Stadt

Ich hatte es an dieser Stelle ja schon des öfteren anklingen lassen, dass der Widerstand der Leue gegen die Zumutungen der Reklameindustrie weltweit wächst. Selten ist man dabei aber so konsequent und erfreulich radikal wie der Bürgermeister von São Paulo – seit September 2007 sind dort jegliche Formen von Außenwerbung verboten! Das ganze riesigen Neonreklame-Gedöns, alle Plakate und überdimensionalen Aufsteller, die einen ansonsten ins Sichtfeld springen und ungefragt zum Konsum auffordern, sind verschwunden. Tatsächlich spüre ich bereits beim Betrachten der Vorher-/Nachher-Bilder aus São Paulo eine Entspannung im Gehirn – das dreiste Anplärren durch den Kommerz verschwindet und das Auge hat wieder mehr Raum zum unbeschwerten Schauen. Das ist das wahre Adbusting!

Der Weburbanist-Blog schreibt in „‘Clean City’: São Paulo scrubbed of outdoor ads“:

Outdoor advertising is so ubiquitous in almost every urban setting around the world, it’s difficult to walk down a street, take an escalator or sit on a bench without getting slapped in the face with one product or another. But the city of São Paulo, Brazil is like an advertising ghost town: all of its billboards stand oddly blank and empty. (…)

und berichtet weiter, dass diese Maßnahmen vom Großteil der Bevölkerung begrüßt werden, trotz des verzweifelten Versuchs der Reklamewirtschaft, die Leute mit Kampagnen vom Gegenteil zu überzeugen.

While advertisers weren’t too happy about the law – $8 million in fines were levied against those who dawdled in taking ads down, and Clear Channel launched an unsuccessful campaign to raise support for putting them back up – the citizens clearly approve. Surveys found that at least 70% are happy with the change.

Erstaunlich, dass hier also zur Abwechslung mal die Interessen und Bedürfnisse der Bürger, der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die der Wirtschaft. Ein Beispiel, dass Schule machen sollte.

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Der Rat für Nachhaltige Entwicklung

broschuere_konsum_und_nachhaltigkeit_texte_nr_31_maerz_2010-1Okay, ich gebe zu, dass ich bis zur Lektüre des Artikels „Der gutgemeinte Nachhaltige Konsum“ auf Telepolis noch nie vom Rat für Nachhaltige Entwicklung gehört habe. Bei diesem handelt es sich doch tatsächlich um ein offizielles Gremium, das die Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit beraten soll und Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik (u.a. Klaus Töpfer!) hat. Das alles klingt erstmal eher unspektakulär, aber inzwischen liegt eine Empfehlung des Rates vor (>> hier Download als pdf), in der sogar vom Dogma des Wachstums um jedn Preis abgerückt wird:

(…) Statt mehr Konsum wird ein zukunftsfähiger Lebensstil nämlich auch “Nicht-Konsum” heißen müssen. Vertretbar sei nur ein CO2-Verbrauch von 2 Tonnen pro Kopf und Jahr, nicht jene knapp 11 Tonnen, die heute jeder Deutsche verursacht. Ins konkrete Leben umgesetzt bedeutet das, eine gut gedämmte Wohnung, nur mehr ab und zu, am besten aber gar nie alleine mit dem Auto fahren und vorwiegend pflanzliche biologische Produkte essen.

Nachhaltigkeit verlangt nach Auffassung des Nachhaltigkeitsrates auch eine andere Gesundheitspolitik, die die Gesundheitskosten senkt. “Gesundes Leben begünstigt Zufriedenheit und Lebensfreude.” Auf Raucher, Alkohol- und Zuckerlimonadentrinker, sowie Fleischesser haben offenbar mit Maluszahlungen zu rechnen: “Fahrlässige Selbstbeschädigung und Selbstvernachlässigung, die die Solidargemeinschaft belasten, sollen im Krankenversicherungssystem neu geregelt werden.” (…)

(…) Bei der Preisbildung der Unternehmen müssten in Hinkunft die externalisierten Kosten (Umweltbelastungen etwa) hineingenommen werden und Subventionen der öffentlichen Hände sollten Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. So wurden nämlich im Jahr 2006 in Deutschland 40 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen in die Bereiche Energie, Verkehr, Infrastruktur und Agrar gesteckt, hatte der Rat 2009 festgestellt. (…)

So erfreulich es ist, dass also tatsächlich ein paar Experten im Regierungsumfeld es wagen, die herrschende Ideologie in Frage zu stellen, so skeptisch bin ich allerdings, was die Übertragung der Empfehlungen in konkrete politische Aktion angeht, denn nichts deutet darauf hin, dass irgendein Umdenken stattfinden würde. Unter Schwarz-Gelb ist damit sowieso nicht zu rechnen, das haben die ersten Monate der neuen Koalition ja „eindrucksvoll“ bewiesen.

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Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft (BVW) statt Kapitalismus – Eine Kritik der Marktwirtschaft und die Umrisse einer Alternative

Es wird Zeit, den Blick mal wieder ein wenig über den Tellerrand zu heben – wer ein wenig Zeit und Muße hat (ist ja bald Wochenende), der kann selbige ja mit der Lektüre des sehr interessanten Artikels „Ihr sollt Euch ein Bild machen – die Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft“ des Social Innovation Networks verbringen. Autor Andreas Exner befasst sich mit dem vermeintlichen „Denkverbot“, sich eine Gesellschaft jenseits der jetzigen, durch alle Parteien in Beton gegossenen „freien Marktwirtschaft“ vorzustellen und stellt das Buch „Die Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft“ von Alfred Fresnin vor.

(…) Gekonnt deshalb, weil der Autor in einer Detailliertheit, die man selten findet, auf die Frage antwortet: Ja, aber wie soll eine nicht-kapitalistische Gesellschaft denn aussehen? Ist sie überhaupt denkbar? Mit Gewinn tut Fresin das, weil sein Bild der nicht-kapitalistischen Gesellschaft die Fragestellung, wie eine solche Gesellschaft unserer Meinung nach gestaltet werden könnte, diskutierbar macht. Fresins Kritik des Kapitalismus ist dabei ebenso zutreffend, systematisch und nachvollziehbar argumentiert wie er vermeintliche Alternativen – allen voran den Sowjetsozialismus – mit Sachverstand analysiert, zugleich historische Erfahrungen nicht-kapitalistischer Produktionsweisen untersucht und daraus seine “Do’s and Dont’s” für ein Leben nach dem Kapitalismus gewinnt. (…)

Das komplette Werk in der Zweitauflage kann man auch online im Blog des Autoren nachlesen, was natürlich ein toller Service ist! Das Inhaltsverzeichnis klingt auf jeden Fall vielversprechend:

VORBEMERKUNGEN

Vorbemerkungen zur zweiten Auflage

EINFÜHRENDER LEITFADEN

Teil 1: Kritik der Marktwirtschaft
Teil 2: Das alternative Modell
Teil 3: Frühere alternative Modelle und realisierte Versuche
Ergänzende Bemerkungen

DIE NOTWENDIGKEITEN EINER UNNÖTIGEN ÖKONOMIE

1 Privateigentum und Geld
2 Geld und Profit
3 Konkurrenz um den Profit
4 Konkurrenz um den Arbeitsplatz
5 Geld als Kredit
6 Kredit als Spekulation
7 Resümee
Ergänzende Bemerkungen

DAS ELEND DER MARKTWIRTSCHAFT

1 Armut
2 Arbeit
2.1 Der schlechte Ruf der Arbeit in der Marktwirtschaft

2.2 Moderne Arbeit
3 Gesundheit
4 Umwelt
5 Krieg und Frieden
6 Resümee

DER STAATLICHE UMGANG MIT DER MARKTWIRTSCHAFT UND DEREN ELEND

1 Grundsätzliches zum bürgerlichen Staat
1.1 „Wer“ ist der bürgerliche Staat?

1.2 Charakteristika des bürgerlichen Staates
1.3 Der funktionale Umgang mit den Staatsbürgern
2 Menschenfreundliche (soziale) Marktwirtschaft?
2.1 Die Reduzierung der „Normalarbeitszeit“
2.2 Was ist von staatlicher Politik zu erwarten?
2.2.1 Armut / Wohlstand
2.2.2 Arbeit
2.2.3 Gesundheit
2.2.4 Umwelt
2.2.5 Krieg und Frieden
2.3 Das Verhältnis des Bürgers zu Staat und Marktwirtschaft
3 Resümee

GRUNDRISS DER BVW

1 Zwecke der BVW
2 Voraussetzungen der BVW
2.1 Vergesellschaftung der Produktionsmittel

2.2 Gemeinsamer Wille
2.3 Hohes Niveau der Technologie
2.4 Überregionale Durch- und Umsetzung der BVW
3 Ausgangspunkt: Erfassung der Bedürfnisse und des Bedarfs
4 Planung der Produktion und Leistungserstellung
4.1 Aufgaben der Planungskomitees
4.2 Mitarbeiter der Planungskomitees
4.3 Vielfältigkeit der Güter
5 Produktion von Gebrauchswerten
5.1 Vergesellschaftung (versus Privateigentum)

5.2 Gebrauchswert ( versus Tauschwert)
5.3 Planzahlen
5.4 Qualität
5.5 Produktivität
5.6 Einhaltung der Liefertermine
6 Arbeit (und Zuteilung) in der BVW
6.1 Zweck der Arbeit

6.2 Planung der Arbeit
6.3 Angenehme Arbeitsbedingungen
6.4 Arbeit und Zuteilung
6.4.1 Zuteilungsstufen (Dreistufenmodell)
6.4.1.1. Grundstufe (Grundanspruch)
6.4.1.2. Allgemeinstufe (Allgemeinversorgung)
6.4.1.3. Sonderstufe (Sonderversorgung)
6.4.2 Bewertung der Arbeit
6.4.2.1. Schwere der Arbeit
6.4.2.2. Zulauf zu bestimmten Arbeiten
6.4.2.3. Ausführung der Arbeit
6.4.3 Arbeitszeiterfassung
6.5. Mögliche Schwachpunkte des Arbeits- und Zuteilungsmodells?
6.6 Andere Güterzuteilungsmodelle
6.6.1 Geldzirkulationsmodell
6.6.2 Arbeitsgeldmodell
6.6.3 Fixkreditmodell
6.6.4 Mehrstufenmodell
6.6.5 „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“
6.6.6 Resümee Zuteilungsmodelle
7 Zuteilung
7.1 Zuteilungssystem
7.2 Information
7.3 Chipkarte
7.4 Nutzungsdauer
7.5 Spezielle Güter und Leistungen
7.5.1 Dienstleistungen
7.5.2 Wohnungen
7.5.3 Speisepavillons / Nachtarbeit
7.5.4 Haushaltsarbeit
7.5.5 Kunst und Sport
8 Ausbildung
9 Gesundheit
10 Umwelt
11 Politik
11.1 Die (politischen) Gremien
11.2 Verbindliche Regelungen
11.3 Sicherheit und Beurteilungsinstanzen
11.4 Informationen
12 Ethik
12.1 Erstes Beispiel: Anerkennung der Person
12.2 Zweites Beispiel: Gleichberechtigung
13 Außenhandel, Außenpolitik

DER ÜBERGANG

1 Überzeugungsarbeit
2 Stichworte zum Umbruch
3 Die Umgestaltung
3.1 Erste Phase
3.1.1 Politik
3.1.2 Ökonomie
3.1.3 Arbeit
3.1.4 Gesundheit
3.1.5 Ausbildung
3.2 Zweite Phase
3.3 Dritte Phase

DIE GEGNER DER BVW (UND IHRE ARGUMENTE)

1 Der (erfolgreiche) bürgerliche Staat
2 Nutznießer der Marktwirtschaft
3 Charakter des Menschen
3.1 Erziehung
3.2 Homo homini lupus
3.3 Die Vernunft des Menschen
3.4 Arbeitsmoral
3.5 Konkurrenz
4 Ökonomie
4.1 Planung
4.2 Knappheit
4.3 Geld und Preis
4.4 Sowjetökonomie – „Realer Sozialismus“
5 Demokratische Werte
5.1 Freiheit
5.2 Individualität
5.3 Freie Wahlen
6 Tugend

DIE ALTERNATIVE GESELLSCHAFT ALS UTOPIE

1 Thomas Morus – „Utopia“
1.1 Erstes Buch (Kritik)
1.2 Zweites Buch (Modell)
1.3 Resümee

2 Edward Bellamy – „Looking Backward“
2.1 Kritik der Marktwirtschaft
2.2 Die neue Gesellschaft
2.3 Resümee

DIE NICHT-UTOPIE: DER WISSENSCHAFTLICHE SOZIALISMUS

1 Kritik am Kapitalismus
2 Das Programm
3 Wissenschaft statt Utopie
4 Historischer Materialismus
5 Resümee

REALISIERTE VERSUCHE ALTERNATIVER ÖKONOMIEN

1 Vorspann: Die Reduktionen in Paraguay
1.1 Errichtung
1.2 Versorgungswirtschaft
1.3 Resümee

2 Der Kriegskommunismus und der Reale Sozialismus
2.1 Der Kriegskommunismus
2.1.1 Kritik an der Marktwirtschaft
2.1.2 Vorstellungen hinsichtlich einer neuen Gesellschaft
2.1.3 Die Voraussetzungen des Übergangs zum Kommunismus
2.1.4 Die Umgestaltung
2.1.4.1 Industrie

2.1.4.2 Landwirtschaft
2.1.4.3 Arbeit und Verteilung
2.14.4 Geld
2.1.5 Der Abbruch
2.1.6 Resümee
2.2 Der Reale Sozialismus
2.2.1 Die Etablierung des Sozialismus – Aufstieg zur Weltmacht
2.2.2 Kollektivierung, Verstaatlichung, Vergesellschaftung
2.2.3 Revidierte Vorstellungen hinsichtlich einer neuen Gesellschaft?
2.2.4 Vom Sozialismus zum Kommunismus
2.2.5 Ausnutzung der Ware – Geld – Beziehung
2.2.6 Die staatlich dirigierte Warenwirtschaft
2.2.7 Anmerkungen zum politischen System / Stalinismus
2.2.8 Resümee

3 Der Dritte Weg – Volksrepublik China
3.1 Maoistisch sozialistische Ära
3.1.1 Die Gründung des „roten“ China

3.1.2 Maoismus
3.1.3 Entwicklung bis Maos Tod
3.1.4 Resümee
3.2 Postmaoistische Ära
3.2.1 „Sozialistische Warenwirtschaft“ (ab 1978)
3.2.2 „Geplante Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ (ab 1984)
3.2.3 „Sozialistische Marktwirtschaft“ (ab 1994)
3.2.4 Resümee

SCHLUSSBEMERKUNG

LITERATURANGABEN

ANHANG

Verwandte Beiträge:

Bionahrung

Weil es so gut zu meinen gestrigen Ausführungen zur Industrieschokolade passt, hier noch ein etwas älterer Beitrag über Bionahrung, der tatsächlich in der n-tv/RTL2 (!)-Sendung Welt der Wunder gelaufen ist! Selten, dass dort mal solch kritische Töne angeschlagen werden, deucht mir, auch wenn die Aufmachung & Machart halt schon eindeutig das typische Privatfernseh-„Niveau“ aufweist. Und über die eine oder andere Facette der Sendung kann man sicherlich vortrefflich streiten – aber wenigstens werden solche Thematiken überhaupt mal auf diesen Sendern behandelt und damit auch denjenigen näher gebracht, die sich sonst vielleicht herzlich wenig um Ernährung und die mit der konventionellen Landwirtschaft verbundenen Folgen und Schäden befassen.

(Hinweis: Bis Minute 16 vorspulen, da geht es dann los.)

Verwandte Beiträge:

Industrieschokolade und Schokoguerilla


chocHeute möchte ich mich mal einem meiner Lieblings-Nahrungsmittel zuwenden – der Schokolade. Wer von Euch kauft und isst noch die handelsübliche Industrieschokolade, womöglich noch von den mit Reklame penetrant beworbenen Großmarken wie Milka, Nestlé, Alpia usw.? Dies ist für jeden kritischen Konsumenten keine gute Idee – mal ganz abgesehen davon, dass man die globalisierten Konzerne sowieso nicht mit seinem Geld mästen sollte, muss einem einfach klar sein, welche Art von Anbau und Produktion man damit unterstützt. Denn gerade bei konventionellen Industriewaren – anders, als es einem die Werbung mit Handarbeit unter Verwendung bester Zutaten suggerieren soll – bedeutet dies, dass alles, was in so einer Schokolade steckt, unter maximalen Kostensenkungskriterien hergestellt werden. Sprich: die Milch kommt von Kühen, die in Massentierhaltung aufwachsen und durch entsprechendes Kraftfutter zur maximalen Leistung angetrieben werden (weshalb diese schon sehr früh zugrunde gehen) – Hauptsache billig! Gleiches gilt für die restlichen Ingredenzien, die, sofern sie vom Feld und nicht aus dem Chemiebaukasten stammen, mit viel Pestiziden etc. angebaut werden. Kurz: wer keine Bioschokolade kauft, muss sich mit solch einem Zeug begnügen, das zudem ja meist auch deutlich schlechter (weil viel zu süß) schmeckt als die Biovariante.

Und wie sieht es mit dem Kakao aus? Angeregt durch einen Artikel in Klaus Werner-Lobos Uns die Welt-Blog empfehle ich z.B. diesen Beitrag in der Zeit – „Kakaoanbau – so süß, und doch so bitter“, der klar macht, dass Kakao, der nicht Fair-Trade gehandelt wird, zu einem Großteil unter ausbeuterischen und menschenunwürdigen Bedingungen aus den Anbauländern ins reiche Europa kommt (dies gilt übrigens auch für die meisten anderen Nicht-Fairtrade-Sachen!):

(…) Allerdings hat der Genuss auch einen bitteren Beigeschmack, von dem viele Verbraucher gar nichts ahnen. Noch immer werden Kakaobohnen häufig von Kindern angebaut, unter menschenunwürdigen Bedingungen.

An der Elfenbeinküste – von dort stammen 40 Prozent des weltweit gehandelten Rohkakaos – arbeiten laut Schätzungen der Organisation Anti-Slavery International rund 200.000 Kinder im Kakaoanbau. Und obwohl sich die Schokoladenindustrie vor rund zehn Jahren verpflichtet hat, derlei Missstände zu beseitigen, kommen jüngste Berichte zu einem anderen Schluss: Eine im September erschienene Studie des kirchennahen Instituts Südwind belegt, dass sich die Lage in den betroffenen Staaten, wenn überhaupt, nur unwesentlich gewandelt hat. Zur Verbesserung der Situation gebe es »bislang nur ein paar Pilotprojekte«, so Friedel Hütz-Adams, Autor der Studie.

Auch die Umweltorganisation Greenpeace stieß auf alarmierende Zustände. Sie berichtet von Zehnjährigen, die im Kakaogürtel der Elfenbeinküste durch die harte Arbeit wie müde Alte aussehen und unter Hautkrankheiten sowie schweren Verletzungen leiden, teils zugefügt von Arbeitgebern. Sie müssten ohne Schutzkleidung mit Macheten und Pestiziden hantieren, stundenlang unter sengender Hitze für Hungerlöhne arbeiten, würden teils aus Mali und Burkina Faso verschleppt und auf Plantagen eingesperrt, nur mit einem Minimum an Essen und Trinken. (…)

Deshalb ruft Kalus Werner-Lobo in „Schokoguerilla wieder unterwegs – und Kraft Foods ist sauer“ auch dazu auf, die Augen beim Einkauf aufzumachen und Verbraucher aufzuklären:

Eine meiner Lieblingsaktionen fand statt, nachdem ich mit einer Gruppe Jugendlicher im Saarland einen Workshop gehalten hatte. Ich hatte ihnen von den westafrikanischen Kindersklaven in der Kakaoernte für Firmen wie Kraft, Nestlé und andere erzählt. Die Kids waren stinksauer. Und sie wollten etwas tun. So entstand die Idee, KonsumentInnen über die Zustände in Afrika zu informieren. Wir kauften Klebeetiketten, auf die wir folgenden Text druckten: „Verbraucherinformation der Schokoguerrilla: Der Kakao für dieses Produkt wurde von Kindersklaven geerntet. Weitere Infos: www.markenfirmen.com“. Auf diese Homepage stellten wir kurzfristig detailliertere Hintergrundinfos. Dann schwärmten die Jugendlichen in Fünfergruppen aus, um die Aufkleber in allen örtlichen Supermärkten auf jedes Kakao- und Schokoladeprodukt zu kleben. In einem Geschäft wurde die selbsternannte „Schokoguerrilla“ vom Kaufhausdetektiv erwischt. Doch sie waren gut vorbereitet: Wir hatten diesen Fall bereits vorher in Rollenspielen geprobt. Die Jugendlichen hielten dem erstaunten Wachmann einen Kurzvortrag über die Produktionsbedingungen an der Elfenbeinküste, worauf dieser sagte: „Eigentlich habt ihr recht“. Am nächsten Tag klebte die „Verbraucherinformation“ noch immer auf allen Milka- und KitKat-Riegeln.

Die geschilderte Aktion, solch aufklärerische Aufkleber in Supermärkten auf die Schokoladen der entsprechenden Hersteller (das sind quasi alle; Ritter Sport kann man hier allerdings ausklammern) zu kleben, kann ich auch nur voll und ganz unterstützen.

schokiguerilla

Weitere Informationen findet Ihr beispielsweise auch im Themenheft „Kinderschokolade“ des Greenpeace Magazins (online) sowie auf der Website der Erklärung von Bern, die sich schon seit Langem für faire Bedingungen beim Kakaoanbau und -handel einsetzt.

Dem typischen Einwand „ja, aber Bio & Fairtrade, das ist doch sooo teuer“ kann ich nur entgegnen, dass man sich eben darüber im Klaren sein muss, was der Griff zu einer 50-Cent-Schokolade bedeutet – besser ist es, dann lieber auf Ethik, Geschmack und Qualität zu setzen (z.B. mit den GEPA-Produkten) und halt mal eine Tafel weniger zu konsumieren. Davon haben alle was, nicht zuletzt die eigenen Geschmacksknospen! (Und für alle Veganer unter den Lesern: ja, sicherlich ist es noch besser in Bezug auf Tierausbeutung, ganz auf Schokolade aus Milch zu verzichten – aber das wäre ein Thema für einen eigenen Blogbeitrag.)

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Weise Worte (18)

Es gibt Tausende, die im Prinzip gegen Krieg und Sklaverei sind und die doch praktisch nichts unternehmen, um sie zu beseitigen … Sie zögern, bedauern, und manchmal unterschreiben sie auch Bittschriften, aber sie tun nichts ernsthaft und wirkungsvoll. Sie warten – wohlsituiert –, dass andere den Missstand abstellen, damit sie nicht mehr daran Anstoß nehmen müssen. Höchstens geben sie ihre Stimme zur Wahl, das kostet nicht viel, und der Gerechtigkeit geben sie ein schwaches Kopfnicken mit auf den Weg, während sie an ihnen vorübergeht.

– Henry David Thoreau („Über die Pflicht zum Umgehorsam gegen den Staat“)

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Genkartoffel Amflora: Die schwarz-gelbe BASF-Genkartoffel

Es gibt mal wieder Neues aus dem Bereich des „Frankenfood“, wie die Amerikaner genmanipulierte Nahrungsmittel so treffend nennen – nun sind also auch die europäischen Kartoffeln an der Reihe… Anbei eine Pressemitteilung des BUND:

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schwarzgelbe-genkartoffeln1Die umstrittene Genkartoffelsorte Amflora darf ab sofort in der Europäischen Union angebaut werden. Die EU-Kommission hat am 2.3.2010 wieder einmal industriefreundlich und verbraucherfeindlich entschieden. Zum Einsatz kommen dürfte die Knolle eigentlich nur für industrielle Zwecke, doch Nebenprodukte sind auch als Tierfutter zulässig.

CDU und FDP für Gentechnik und die Genkartoffel Amflora
Schon vor dieser Entscheidung gab es die die Ankündigung der schwarz-gelben Bundesregierung, den Anbau der Genkartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung zu unterstützen. “Der Anbau der gentechnisch veränderten Stärkekartoffel Amflora für eine kommerzielle, industrielle Verwertung wird unterstützt”, hieß es im Koalitionsvertrag von Union und FDP. In der Landwirtschaftspolitik ist trotz des Bekenntnisses von CDU und FDP zum ökologischen Landbau keine nachhaltige Linie zu entdecken. Die EU-Genkartoffel, das CDU-FDP Ja zur Gentechnik in der Landwirtschaft und der Ausstieg aus dem Atomausstieg sind die Spitze des Eisbergs einer nicht nachhaltigen und verbraucherfeindlichen Politik, die alleine den Interessen der großen Konzerne dient. Wie so häufig hätte es auch eine ökologische Alternative zur Genkartoffel gegeben. Es gibt inzwischen zwei ohne Gentechnik gezüchtete Kartoffelsorten, die ähnliche Eigenschaft wie Amflora besitzen: Die Stärke dieser Kartoffeln enthält ausschließlich Amylopektin, das in der Industrie für zahlreiche Zwecke verwendet wird. Die ökologische Alternative kommt ohne das problematische Markergen aus. Es ist unverständlich, warum die EU-Kommission auf die Risikotechnologie setzt, wenn es unproblematische Alternativen gibt. Die Macht der Konzerne auf der europäischen Ebene ist ungebrochen.

Axel Mayer, BUND Geschäftsführer

mehr Infos:
http://www.bund.net/
http://vorort.bund.net/suedlicher-oberrhein/genkartoffel-amflora-basf.html

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Neue Zeitschrift: Oya – anders denken. anders leben.

oya_cover_2010-01Viel wird ja in der Verlagsbranche darüber gejammert, dass es Zeitungen und Zeitschriften heutzutage so schlecht geht. Ehrlich gesagt finde ich es auch nicht weiter schlimm, wenn das 1000. reklameverseuchte Lifestyle- oder „People“-Magazin den Bach runter geht – diese Art von vermeintlicher Vielfalt im Medienbereich braucht keiner, da diese Hefte eh nur dazu dienen, Werbung an den Mann bzw. die Frau zu bringen und den Konsum anzuheizen. Umso erfreulicher ist es, wenn sich dieser Tage eine neue Zeitschrift auf dem Markt präsentiert, die eine komplett andere Ausrichtung aufweist: „Oya – anders denken. anders leben“, das sich als neue „kulturkreative Zeitschrift“ versteht. Die Absichten der Köpfe hinter Oya klingen sehr vielversprechend:

Oya wird …

  • … ein Magazin über gemeinschaftliches Leben und Handeln, lebensfördernde Gesellschaftsmodelle, Sinnsuche und Lebensqualität jenseits der Konsumkultur, Freiheit und Partizipation, eine Gesundheitskultur im Sinne der Salutogenese, Permakultur und Tiefenökologie, Bildungsfreiheit, regionale Wirtschaftskreisläufe, Soziales Unternehmertum sowie viele weitere Themen aus dem kulturkreativen Spektrum.
  • … vielfältig und lebensnah über die vielen Initiativen, Projekte, Netzwerke, Bürgerforen und individuellen Lebenswege der kulturkreativen Bewegung berichten und diese über eine kommunikative Internetplattform vernetzen.
  • … in einem frischen, lebendigen Layout mit starken Fotos auf einem selbstverständlich ökologischen Papier im Magazin-Format erscheinen.
  • … sorgfältig ausgewählte Veranstaltungshinweise, Buch- und Kulturtipps aus dem kulturkreativen Spektrum enthalten.
  • … über wechselnde Schwerpunktthemen berichten und viele Reportagen, Interviews und Gespräche enthalten.

Das erste Heft, das übrigens unverbindlich als kostenloses Probeheft bestellt werden kann, befasst sich dann passenderweise gleich hiermit:

Der Titel unserer ersten Ausgabe lautet „Wovon wir alle leben. Allmende, Gemeingüter, Commons“. Gemeingüter sind einerseits unsere Lebensgrundlagen, wie die Erde, die Luft und das Wasser, und andererseits gemeinschaftlich geschaffene Kulturgüter, wie Volkslieder, freie Software oder freie Enzyklopädien. Gemeingüter entstehen, wenn Menschen sie gemeinschaftlich pflegen und dazu beitragen, dass sie sich vermehren. Diese Logik der Gemeingüter hilft uns, eine wirklich nachhaltige Kultur denken und leben zu lernen.

Reklame für etwas so Unterstützenswertes wie dieses Magazin darf auch im Konsumpf erlaubt sein. :-) [via Sisyphos Periodical]

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Die Zukunft der Zivilgesellschaft

Zum Wochenende möchte ich Euch heute die Dokumentation „Beherzte Bürger – die Zukunft unserer Zivilgesellschaft“ empfehlen, die 2007 auf 3sat im Rahmen der Reihe „Z wie Zukunft“ lief. Das Thema klingt vielleicht im ersten Moment vielleicht nicht sooo prickelnd, aber tatsächlich spart der Bericht nicht mit intensiver Kritik an der Konsumgesellschaft und den durch unser kapitalistisches Wirtschaftssystem ausgelösten Erodierungen des sozialen Miteinanders. Sehr spannend, wie ich finde, und ein Beispiel dafür, dass Gebührengelder auch sinnvoll, nämlich in aufklärerische Sendungen, investiert werden können.

Welche Funktionen übernimmt künftig bürgerliches Engagement und wie können sich neue funktionierende Gemeinschaften eigenverantwortlich innerhalb der Gesellschaft bilden. Wie können demokratische Entscheidungswege in 10 bis 15 Jahren funktionieren; wie ist soziale Kohärenz und innere Sicherheit in 10 bis 15 Jahren zu garantieren, in – überspitzt formuliert – einer Gesellschaft mit 2/3 Alten und 2/3 Erwerbslosen? Zivilgesellschaftliches Handeln findet immer weniger in Parteien, Gewerkschaften und Kirchen statt als in zweckorientierten Selbsthilfegruppen, Netzwerken und Bürgerstiftungen. Wie sehen in Zukunft die Voraussetzungen für eine Bürgergesellschaft aus? Und wem nützt dieses Engagement?

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