Das Medienmagazin ZAPP! des NDR brachte in der letzten Sendung den Beitrag „Die Not der freien Journalisten“, der die zumindest mir bisher eher unbekannten Zustände und vor allem finanziellen Engpässe schildert, unter denen heutzutage die “freie” Presse arbeiten muss. Es wird deutlich, wie die profitmaximierende Kostenschraube der Zeitungen, Verlage, Sender etc. die Qualität des Journalismus und damit letztlich auch unabhängige und kritische Berichterstattung bedroht – Sensations-Enthüllungsstorys verkaufen sich halt in diesem Umfeld der um die kurzen Aufmerksamkeitsspannen der Zuschauer/Kunden buhlenden Medien besser, als gut recherchierte Hintergrundberichte, die Zusammenhänge aufzeigen und zum eigenen Nachdenken anregen oder dieses gar erforderlich machen. Auch im journalistischen Bereich greifen also die materiellen Zwänge um sich, die bereits in vielen anderen Branchen Menschen zum Arbeiten zu Hungerlöhnen bewegen.
Kategorie: Demokratie Seite 11 von 18
Diesen Aufruf des Vereins Lobby Control, der sich dafür einsetzt, die Umtriebe der Lobbyisten in Berlin und anderswo zu beschränken oder doch zumindest transparenter zu machen, leite ich gerne auch an Euch weiter:
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Die Bürgerinnen und Bürger haben gewählt, die Sitze im Bundestag sind neu verteilt. Jetzt verhandelt die Politik über das Programm für die nächsten Jahre. Doch wer mischt eigentlich hinter den Kulissen die Karten?
Für die etwa 5.000 Lobbyisten in Berlin ist Hochsaison. Der Koalitionsvertrag ist die erste große Chance, ihre Anliegen gleich nachhaltig im Arbeitsplan der neuen Regierung festzuschreiben. Besonders Großunternehmen und Wirtschaftsverbände witterten nach der Wahl Morgenluft. Tatsächlich haben CDU und FDP in der Vergangenheit kein großes Interesse daran gezeigt, mehr Transparenz und Schranken für Lobbyisten zu schaffen. Doch wir Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht zu wissen, wer für wen mit wie viel Geld die Politik beeinflusst, nachdem die Wahllokale geschlossen wurden!
LobbyControl fordert deshalb ein Lobbyregister, das alle Lobbyisten zu Transparenz verpflichtet. Fast 6.000 Menschen haben bereits unseren Appell unterzeichnet. Im November werden wir die Unterschriften dem neuen Bundestag überreichen. Sind Sie schon dabei? Unterzeichnen Sie bis zum 31.10. online unter www.lobbycontrol.de/register !
Bitte mobilisieren Sie auch Freund/innen und Bekannte:
• Leiten Sie ihnen den Link zur Aktion weiter: www.lobbycontrol.de/register
• Setzen Sie ein Mobilisierungs-Banner auf Ihre Homepage: www.lobbycontrol.de/blog/index.php/banner/
• Oder zeigen Sie ihnen unser Video, wie Lobbyisten sich in Phrasen flüchten, wenn es um Transparenz geht:
www.lobbycontrol.de/blog/index.php/2009/08/lobbyregister-statt-pr-ausfluchte/
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Heute möchte ich Euch mit ein paar kleinen Lesetipps in den Tag entlassen – jetzt, wo die Wirtschaftskrise ja quasi schon so gut wie vorbei ist, ist es nur logisch, dass alles wieder so toll und unbeschwert läuft wie zuvor (ich hoffe, man merkt den leicht sarkastischen Unterton). Und deshalb darf es auch nicht verwundern, dass bei Banken & Börsen das altbekannte Spielchen des Zockens eingekehrt ist. So sehr die Vorwürfe des „Casinos“ und der „gierigen Banker“ auch eine arg verkürzte Krisenanalyse bedeuten, so sehr sorgt es doch für Unverständnis und Staunen, mit welcher Unverfrorenheit die Finanzinstitute erneut zu Werke gehen, als wäre nie etwas geschehen. Ist ja auch fast nichts, wenn man mal davon absieht, dass die Banken nur mit Hilfe von Billionen Staatsgeldern am Leben erhalten werden konnten – Geld (UNSER Geld!), mit dem nun neuerlich gezockt werden darf… Der Spiegel berichtet jedenfalls über „Gier an den Märkten: Casino-Kapitalismus feiert Comeback“:
(…) Damit dürfen die kurzzeitig in Misskredit geratenen Investmentbanker am Ende des Jahres wieder mit satten Boni rechnen. Man müsse ja “fair sein” zu den Jungs, findet Goldman-Finanzchef David Viniar. “Sie haben einen guten Job gemacht.” Das “Wall Street Journal” rechnet deshalb mit einem neuen Rekordjahr für die Branche.
(…) Das Casino ist offensichtlich wieder eröffnet. Während die Welt nach den Beben auf den Finanzmärkten noch mit den Aufräumarbeiten beschäftigt ist, widmen sich die Protagonisten der Finanzwelt schon wieder ihren gefährlichen Geschäften. Ohne das eigene Handeln zu hinterfragen.
Einsicht, dass für den Zusammenbruch eines Systems viele Einzelne ihre Beiträge leisten? Fehlanzeige. Die Elite der Finanzwelt schiebt die Verantwortung von sich. Von persönlichen Fehlern wollen die Wenigsten sprechen. Wenn jemand Schuld trägt, dann immer die anderen. (…)
Beim Lesen des Artikels überkommt mich schon das Gruseln – noch mehr, wenn ich dann diese Meldung dagegen halte, die fast zeitgleich in vielen Zeitungen erschien und deren Message offenbar in großem Stile unters Volk geprügelt werden soll: „Experten mahnen Politik: Staat muss eisern sparen“ titelten die neoliberalen Kieler Nachrichten, und die Cellesche Zeitung führt aus: „Wirtschaft im Aufwind – Schwarz-gelb muss sparen“:
(…) Und dennoch sehen sie schwarz für Steuersenkungen im großen Stil, die wohl nur auf Pump zu haben sind. Die Regierung aus Union und FDP sei stattdessen gefordert, Milliarden bei Gesundheits- und Sozialausgaben einzusparen, heißt es im Herbstgutachten der Forschungsinstitute. (…)
Man muss schon sehr hartgesotten sein, um über die kausale Verbindung dieser beiden Meldungen nicht in Rage zu geraten – denn während die Banken ungeniert die nächste Blase produzieren, bereiten die sog. „Experten“ (zu denen auch das renommierte IfW (Institut für Weltwirtschaft) in Kiel zählt) die Menschen darauf vor, dass für sie von dem großen Kuchen, der da füllhornartig verteilt wurde, nur Brosamen (Abwrackprämie) übrig bleiben. Auf die Idee, an dem Finanz- und Geldsystem etwas zu ändern, um mit dem Geld ganz anders umgehen zu können, kommen die gelehrten Herren natürlich nicht.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch diese Pressemitteilung über pressetext.de: „Historiker: Grenzen des Konsums erreicht“, die zeigt, dass es auch Wissenschaftler und Experten gibt, die weiter als nur bis zum nächsten Quartalsende denken können:
Der Konsum als Lebensform der Moderne steht auf einem Scheideweg. Zu diesem Schluss kommt der Historiker Wolfgang König vom Fachgebiet Technikgeschichte der TU Berlin http://www.philosophie.tu-berlin.de im Buch “Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft”. Angesichts der häufigen Darstellung, dass der Konsument für Wohl oder Niedergang der Weltwirtschaft verantwortlich sei, müsse das Phänomen des Konsums besser untersucht werden. “Denn die Frage, ob sich das derzeitige Konsumverhalten noch beliebig verlängern lässt, muss mit ‘Nein’ beantwortet werden”, so der Geschichtsforscher im pressetext-Interview. (…)
Und noch ein absolut lesenswerter Artikel, diesmal in Der Freitag – in „Lust auf Frust“ geht der Politikwissenschaftler Serge Embacher den Ursachen für die stetig zunehmende Poltikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit auf den Grund, die durch obige beiden News natürlich weitere Nahrung erhalten:
(…) Doch was macht diese Demokratie heute aus? Während ihre Verfahren einwandfrei funktionieren, gerät ihr tieferer Sinn aus dem Blick. Für die Demokratie als egalitäres Projekt der Vernunft und der demokratischen Emphase gilt heute „Alarmstufe rot“. Zahlreiche Frustrierte und Enttäuschte wenden sich ab. Schuld daran sind gravierende Fehlentwicklungen im politischen Mainstream der letzten 20 Jahre: Der zunehmenden Anballung ökonomischer Macht durch die schiere Logik der Kapitalkonzentration ist man nicht länger mit einer korrigierenden und umverteilenden Politik der sozialen Gerechtigkeit, sondern mit einer permanenten und nachlaufenden Anpassung an vorgebliche Sachzwänge begegnet. Das „Märchen“ vom teuren Sozialstaat, den sich niemand mehr leisten könne, wurde parteiübergreifend als neue Meta-Erzählung akzeptiert. Die Folge ist der bekannte Umbau des Sozialstaats von einer marktkorrigierenden Instanz zu einem Marktprinzipien gehorchenden Mechanismus der Fürsorge in individuellen Notlagen. (…)
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Heute möchte ich Euch als Gastbeitrag einen interessanten Artikel von Jacob Chromy (dem Mann hinter Antipreneur) präsentieren, der ursprünglich im Stadtkulturmagazin P, Ausgabe September 2009, www.p-magazin.net erschienen ist.
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Gutes aus dem Netz
Kinderschänder, Terroristen, Raubkopierer – im Internet tummeln sich angeblich nur noch die Gesetzlosen. Das schreien in letzter Zeit immer wieder die Internetausdrucker (Politiker) und Mainstream-Medien. Höchste Zeit einmal die “guten” Seiten im WWW zu betrachten – denn davon gibt es jede Menge.
Wer Gutes tun will, aber von Spendenständen und “Schlechte Gewissen”-Briefen der Wohltätigkeitsorganisationen genervt ist, kann sich im Netz engagieren. Betterplace.de, helpedia.de und wikando.de sind Webseiten, die das Spendensammeln im Netz revolutionieren wollen.
Im hippen Web 2.0-Look können Nutzer eigene Hilfsprojekte eintragen, mit Hintergrundinformationen versehen und den nötigen Finanzierungsbedarf erklären. User und Spender sehen sofort, wie viel Geld schon gesammelt wurde, wer ihr Geld bekommt und was mit ihren Moneten erreicht wird. Die Nutzer der Spendenportale können sich ähnlich wie auf Social Network Seiten vernetzen und austauschen.
Auf betterplace.de sucht zum Beispiel der Darmstädter Verein “Zündholz – Hilfe zur Selbsthilfe e.V.” für sein Projekt “Kaufhaus der Gelegenheiten” Unterstützung. Der Verein “BBK Darmstadt e.V.” nutzt helpedia.de zum Spenden sammeln. Auf den beschriebenen Hilfsseiten kann man aber nicht nur sein Geld spenden, sondern auch seine Zeit. Denn nicht alle Organisationen oder Projekte suchen nach finanzieller Unterstützung, sondern manchmal auch nach Wissen, Erfahrung und helfenden Händen.
Wer nicht so der Spendertyp ist und eher die “Hilfe zur Selbsthilfe” propagiert, der kann einen Mikrokredit vergeben. Seit der Verleihung des Friedensnobelpreis im Jahr 2006 an Mohammed Yunus und seine Grameen Bank ist diese Form der Entwicklungshilfe weltbekannt. Dabei werden Kleinstkredite von wenigen Dollars an Unternehmer in Entwicklungsländern zur Verfügung gestellt, die bei keiner “normalen” Bank eine Finanzierung bekämen oder bei Kredithaien Wucherzinsen von 100 Prozent oder mehr berappen müssten.
Auf kiva.org können solche Mikrokredite jetzt auch von Jedermann vergeben werden. Angemeldete Nutzer können Kleinstunternehmern 25 Dollar oder mehr leihen. Die Kreditnehmer stellen sich und ihre Projekte auf der Plattform vor, wie z.B. eine peruanische Bierverkäuferin, die 100 Dollar für einen neuen Kühlschrank brauchte.
Wem die Kohle zum Spenden oder Mikrokredit vergeben fehlt, kann sich dennoch im Netz engagieren. Kampagnenplattformen wie campact.de und greenaction.de bieten Nutzern die Möglichkeit sich online politisch zu äußern oder Mitstreiter für aktiven Umweltschutz zu finden. Mit ein paar Klicks kann man zum Beispiel auf campact.de einen Appell gegen das AKW Krümmel unterzeichnen oder sich gegen Kohlekraftwerke auf greenaction.de aussprechen. Je mehr Unterstützer die Appelle finden, desto größer wird die mediale Aufmerksamkeit und der Druck auf die Politik.
Man kann aber auch direkt den Politikern seine Meinung geigen. Seit 2005 können Netzbürger auch im Web mittels einer öffentlichen Petition auf Missstände und Gesetzeslücken hinweisen oder eine E-Petition mit ihrem Namen unterstützen. Wer binnen drei Wochen 50.000 Bürger zum Mitzeichnen bewegt, darf sein Anliegen persönlich vor dem Petitionsausschuss des Bundestags vortragen und bekommt mediale Aufmerksamkeit für sein Vorhaben. Erfolgreiche E-Petitionen waren “Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten” mit mehr als 130.000 Unterstützern oder der “Antrag für ein bedingungsloses Grundeinkommen” mit mehr als 50.000 Mitzeichnern.
Wer von einem Fremden plötzlich in einer Bar einen Drink oder eine Capputchibo spendiert bekommt, sollte nicht gleich das Schlimmste oder Schönste denken. Der oder die Beschenkte könnte in diesem Moment teil eines Spieles werden. Und zwar des ersten “Social Reality Game” der Welt: Akoha. Das aus Kanada stammende Spiel versucht spielerisch Gutes zu tun und verknüpft dabei die Offline- mit der Onlinewelt. Doch wie funktioniert das?
Auf akoha.com kann für fünf Dollar ein Kartenspiel mit 20 so genannten “Missions” bestellt werden. Dieses Kartenset hat einen Code, der mit dem eigenen Akoha-Profil auf der Webseite verknüpft wird. Im Kartenset sind verschiedene Missionen enthalten wie z.B. “Give Someone a Book”, “Donate an Hour of Your Time” oder wie anfänglich erwähnt “Invite Someone for Drinks”. Für jede Mission gibt es “Karma Points”.
Auf jeder Missions-Karte ist ebenfalls ein Code aufgedruckt. Wird die Karte “Invite Someone for Drinks” gespielt und der Beschenkte gibt dann den Karten-Code auf der Akoha-Webseite an, werden dem Kartenbesitzer 175 Karma-Punkte gutgeschrieben. Weitere Details wie Foto, kurze Story oder Lokalisierung auf einer Landkarte geben Extrapunkte.
Der eigentliche Clou: die Karte wechselt nach der Registrierung den Besitzer und kann weiter gespielt werden. Auf der Webseite sieht man dann, wer alles die Karte gespielt und wo auf der Welt jemand auf einen “Drink” eingeladen wurde. Außerdem gibt es auf akoha.com eine Weltkarte mit allen bisherigen Missionen – in Darmstadt wurden schon zehn Karten der Nettigkeiten gespielt.
Wer die vorgegeben Akoha-Missionen nicht so prickelnd findet, der spielt einfach die “Wild Mission Card”. Mit dieser Karte kann mich sich selber eine Aufgabe stellen und sie ausspielen – z.B. den Flohmarkt auf dem Karolinenplatz retten oder einen Artikel für das P-Magazin schreiben. Auch dafür gibt es dann Karma-Punkte.
Auf einen Klick:
Spenden & helfen
http://betterplace.de
http://helpedia.de
http://wikando.de
Mikrokredit vergeben
http://kiva.org/
Appelle unterzeichnen
http://campact.de
http://greenaction.de
https://epetitionen.bundestag.de
Spielerisch Gutes tun
http://akoha.com/
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Der Selbstsucht gehört die Zukunft
Es ist der Triumph der Ellenbogen, der Gewinn der Egomanie. Auf jene, die sich optimistisch Liberale rufen, springen dieser Tage vornehmlich junge Menschen an. Junge Menschen, denen man den Ellenbogen schmackhaft machen kann, die ihn auch selbst schon probiert, eingesetzt oder erfahren haben. Menschen, die es als selbstverständlich anerkennen, dass gesunde soziale Kälte, Ignoranz am Nächsten, egoistisches Vorankommen und als Toleranz verkleidetes Desinteresse an der Not des Mitmenschen, zur gesellschaftlichen Norm taugen. Es findet eine Klientel zur geballten politischen Institution, die dem Konsumliberalismus vollkommen erlegen ist, materielle Güter zum obersten Gebot, finanziellen Reichtum zum Ideal, Überlegenheit zum Lebensprinzip erhoben hat. Was die Freien Liberalen ansprechen, das sind die niedersten Beweggründe des Menschen. Sie verklären jeden sozialen Gedanken, tun ihn als Schwärmerei ab, krönen ersatzweise die Gier, den zur Egomanie verkommenen Individualismus, den abgewinkelten Arm zum Sinn des Daseins. Junge Menschen, in eine Welt geworfen, die sich freigemacht hat von ideellen Werten, die nur Titel, Konten, Posten wertig sein läßt; junge Menschen, die in ein Leben geworfen wurden, durch das verelendete Massenmedien leiteten, das von mangelnder Nutzwert-Bildung flankiert wurde, in dem die voll entfaltete Oberflächlichkeit der Konsumgesellschaft regierte, sind gefundenes Fressen für die technokratischen Leistungsbotschaften jener Partei. Sie spricht Menschen dort an, wo der Verstand verstorben ist, erklärt ihnen, dass sie sicherlich zu denen gehören werden, die auf der Seite der Starken logieren, auf jener Seite, von der man auf das kleine elende Häufchen der Schwachen hinabspucken darf.
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Heute nur ein paar kurze Leseempfehlungen, passend zur Nachwahlzeit in der ZEIT – „Durchmarsch auf leisen Sohlen. Die Wirtschaft bestellt lautstark Reformen in Berlin. Und bei Atomkraft, Gesundheit und Steuern ist die künftige Koalition bereit zu liefern.“ Na herzlichen Glückwunsch an die Wirtschaft zum schwarz-gelben Lottogewinn und „danke“ an diejenigen, die meinten, CDU oder FDP wären eine gute Wahl gewesen… Wenn man sich den Artikel in der Zeit durchliest, kann einem ganz blümerant werden.
(…) Man spürt das bereits am Tag nach der Wahl, keine 17 Stunden nach Schließung der Wahllokale. Im Saal der Bundespressekonferenz in Berlin, dort, wo sonst die Kanzlerin und ihre Minister Rede und Antwort stehen, stellen zwei Wirtschaftslobbyisten ihr Regierungsprogramm vor. Koalitionsvertrag für den Aufschwung haben sie den Forderungskatalog überschrieben. Darunter machen sie es jetzt nicht mehr. Hans Heinrich Driftmann, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, liest laut vor. Sein Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben ergänzt. Die zwei bieten alles auf, was Wirtschaftsverbände sich so wünschen: Steuern runter. Bürokratie abbauen. Kündigungsschutz kippen.
(…) Die Deutschen mögen am Sonntag eine schwarz-gelbe Regierung gewählt haben. Wie schwarz-gelb die Republik tatsächlich wird, entscheidet sich aber erst jetzt. Bis Anfang November soll der Koalitionsvertrag stehen. Und bis dahin wird die neue Regierung jeden Tag mit neuen Forderungen der Industrie und des Handwerks, der Selbstständigen und der Banker konfrontiert werden. Deren Messlatte liegt hoch. Zu lange ist es her, dass Union und FDP gemeinsam im Bund am Drücker waren.
(…) Ganz nach dem Motto »Getrennt marschieren, vereint kämpfen« werden die Wirtschaftsverbände den Koalitionspartnern in den kommenden Wochen immer neue Argumente für den marktgerechten Umbau des Landes liefern. Mal donnert der Industrie- und Handelskammertag, mal wird der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ein Interview geben, mal ein Arbeitgeberverband ein Papier lancieren. (…)
Dazu passen auch die Artikel „Laufzeitverlängerung: Milliarden für die Atomkonzerne“ sowie „Lobbyisten: Wenn Möllemann das noch erlebt hätte“, beide ebenfalls in der ZEIT, die nach der Wahl plötzlich aufzudrehen beginnt – vielleicht hätten sie so etwas schon vorher berichten sollen, statt nur auf die Piratenpartei einzuprügeln…
Ein Festtag für Lobbyisten: Nach dem Regierungswechsel in Berlin wittern sie neue Business-Chancen und feierten schon mal ausgelassen.
Unterstrichen wird dies durch den absolut erschreckenden Artikel „Versicherungsvertreter im Bundestag – Finanzindustrie hat gut investiert” von Markus Kompa auf Telepolis – zu so etwas fällt einem auch nichts mehr ein:
Die DVAG und ihre Schwesterfirma “Allfinanz Deutsche Vermögensberatung” haben die FDP dieses Jahr sogar mit 150.000,- Euro bzw. 100.000,- Euro bedacht. Neben Vortragskünstlerin Angela Merkel glänzt die DVAG auch mit einem nun einflussreichen Politiker auf einer handfesten Unternehmensposition: Den Beirat der DVAG ziert niemand geringeres als Vizekanzler in spe Dr. Guido Westerwelle. (…)
(…) Guido Westerwelle übt neben seinem Pöstchen bei der DVAG auch bei der Rechtsschutzversicherung ARAG eine Funktion aus, sowie beim Versicherer Hamburg Mannheimer – dessen Strukturvertriebsgesellschaft Hamburg Mannheimer International (HMI) einen ähnlichen Ruf genießt wie die DVAG.
Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP, jobbt für die Versicherungsgruppe ERGO, zu der Hamburg-Mannheimer, Victoria Leben, DKV, Victoria Kranken, KarstadtQuelle Versicherungen, Hamburg-Mannheimer Rechtsschutz u.a. gehören. Wertvolle Anregungen für sein Metier kann Bahr sicherlich auch vom Dachverband der Unterstützungskassen für deutsche Krankenhäuser e.V. erhalten, mit dem er sich Gedanken um die betriebliche Altersvorsorge macht. (…)
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Jetzt nach der glorios absolvierten Wahl stellen sich sicher viele Schafe Bürger die Frage, wie denn die Zukunft nun wohl werden werde, zumindest in der kommenden Legislaturperiode (sofern man nach dem Ergebnis nicht eh besser auswandert). Tatsächlich gab es dazu in der letzten quer-Sendung im Bayerischen Fernsehen ein sehr spannendes Interview mit Prof. Harald Welzer: „Was bringt die Zukunft?“. Wenngleich man seine Ausführungen zur Klimaerwärmung so oder so sehen kann (denn dass jegliche Klimaerwärmung nur von Menschen gemacht wird, so als wenn die Erde ein konstantes System wäre, ist ja doch eher fraglich), so machen doch seine Aussagen zum Widerstand gegen die jetzige Parteienbräsigkeit wiederum Mut, sich einzumischen. Zeit zum Aktivwerden, Zeit zum Aufwachen.
Was bringt die Zukunft? Nichts Gutes, sagt der Sozialpsychologe Prof. Harald Welzer. Es sei denn, die Politik lernt endlich umzudenken und sich auf die Anforderungen unserer Zukunft einzustellen.
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EIGENTLICH hatte ich mir, als ich mit meinem Blog begann, geschworen, mich aus der Tagespolitik, der Parteienpolitik herauszuhalten. Leider ist dies nicht immer ganz möglich, da halt alle gesellschaftlichen Felder irgendwie miteinander verquickt sind, und Themen wie Kommerzialisierung, Marktmacht, Überwachung etc. immer auch von der „Realpolitik“ beeinflusst, wenn nicht manchmal gar bestimmt werden (wenngleich oft hinter diesen politischen Weichenstellungen mächtige Lobbys und Konzerne stecken). Dennoch möchte ich heute aus gegebenem Anlass noch einmal kurz (!) auf die Thematik Bundestagswahl usw. eingehen – zukünftig wird die Alltagspolitik dann aber wieder einen geringen Rang im Konsumpf einnehmen.
Also, wenn die Hochrechnungen stimmen, ergibt sich stichwortartig in meinen Augen folgendes Bild:
Negativ:
- Schwarz-geld gelb scheint tatsächlich Realität zu werden – ein Wunder angesichts der Wirtschaftskrise, die doch zeigte, für welche Interessen sich diese Parteien wirklich einsetzen; kein Wunder, wenn man gesehen hat, wie sehr die Mainstreammedien Meinungsmache betrieben haben.
- Wir dürfen uns also auf mehr Atomkraft, mehr Privatisierungen, mehr Konkurrenz, noch mehr Wirtschaftsdominanz „freuen“; Rente mit 75 und Steuerfreiheit für alle, deren Einkommen über 100.000€ im Jahr liegt. (*Polemikmodus aus* ;-)
Eher positiv oder doch zumindest interessant:
- Die Wahlbeteiligung auf Rekordminus – das ist schon Ausdruck deutlichen Protests
- SPD und CDU haben zusammen so wenig Prozente wie noch nie zuvor, sprich, die kleineren Parteien legen zu (als Folge der großen Koalition, aber auch im langfristigen Trend) => das Spektrum wird bunter. Wobei FDP & Grüne nun eigentlich nicht mehr als „klein“ bezeichnet werden können und zu befürchten ist, dass manche ehemaligen SPD- & CDU-Wähler ihre Stimme dort nur „geparkt“ haben.
- Die Piratenpartei immerhin bei ca. 2 % – und damit 0,5% mehr als die Grünen bei ihrer ersten Bundestagswahl, wie ich grad irgendwo las. Trotz einseitiger bzw. tendenziöser Medienkampagnen (Die Zeit…) und eines dürren Parteiprogramms sowie einiger (hochgepushter) Personal-Skandale. Mal sehen, wie die sich in der Zukunft entwickeln.
- NPD und die anderen Rechtsaußen-Parteien sind quasi bedeutungslos, haben sogar weniger Stimmen als die Piraten.
Generell frage ich mich, ob es nicht auch was Gutes hat, dass CDU/CSU & FDP gerade jetzt an die Macht kommen. Denn die Krise ist ja – allen medial vermittelten Jubelmeldungen zum Trotz – natürlich noch längst nicht zu Ende, fängt vielleicht sogar so richtig erst an. Die Suppe, die sich Politik & Wirtschaft in den letzten Jahren/Jahrzehnten da eingebrockt haben, müssen nun die Schwarzgelben auslöffeln. Das wird auf der einen Seite sicher mit vielen sozialen Härten einhergehen, aber (Schocktherapie!) eventuell dann endlich mal genug Menschen aufwecken und sie dazu bringen, sich (außerparlamentarisch) zu wehren. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt…
Das andere Positivum, das man in dieses Wahlergebnis hineindeuten könnte: Da die SPD in Sachen Bürgerrechte/Überwachung/Internetzensur ja brav mit der CDU mitgestimmt hat, die FDP aber sich als große Bürgerrechtspartei aufspielt(e), heißt das, dass der CDU entweder der Ausbau des Überwachungsstaat erschwert wird (falls die FDP prinzipientreu bleibt) – oder, wenn die FDP doch umfällt, hat diese damit für die Zukunft jegliche Glaubwürdigeit verspielt. Vielleicht sogar bei den Naivlingen/Egozentrikern, die diese Partei jetzt noch gewählt haben, in der Hoffnung, für sie persönlich würde dabei etwas herausspringen.
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Jaja, heute ist Bundestagswahl (und wir in Schleswig-Holstein dürfen gleichzeitig auch noch den Ministerpräsidenten abwählen). Wer noch nicht sein Kreuzchen gemacht hat, sollte dies im Laufe des Tages aber auf jeden Fall noch tun, egal, wie wenig er (berechtigterweise) von den etablierten Parteien und deren Umtrieben und dem aktuellen Zustand der parlamentarischen Demokratie hält. Nicht zur Wahl zu gehen ist auf jeden Fall keine Lösung, denn es zementiert nur die jetzige Machtverteilung und sorgt dafür, dass sich garantiert nichts ändert. Die großen Parteien freuen sich, wenn sie ihre Pöstchen auch in Zukunft behalten können – das gilt es zu verhindern, oder doch zumindest zu erschweren! Meine Meinung – und nicht nur meine:
Solche Dinge wie die folgenden bei seiner Wahlentscheidung im Hinterkopf zu behalten, ist sicher nicht verkehrt:
- „Pläne aus dem Bundesinnenministerium – Verfassungsschutz soll zur Polizei werden“ (Süddeutsche Zeitung, 25.9.2009)
„Das Bundesinnenministerium bereitet sich mit weitgehenden Forderungen zur inneren Sicherheit auf die Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl vor: Der Verfassungsschutz soll zahlreiche neue Kompetenzen erhalten und zur allgemeinen Sicherheitsbehörde ausgebaut werden. Dies ergibt sich aus einem Konzept, das in dem von Wolfgang Schäuble (CDU) geführten Bundesinnenministerium ausgearbeitet worden ist.“ - „Welche Konzerne den Parteien Geld zustecken“ (Financial Times Deutschland, 12.9.2009)
„Die FDP erhielt laut einem “Spiegel”-Bericht neben den 150.000 Euro vom bayerischen Metallindustrieverband in den vergangenen Monaten Großspenden von Banken und Finanzdienstleistern. Im Juni hätten die Liberalen 200.000 Euro von der Deutschen Bank, 150.000 von der Deutschen Vermögensberatung AG und 100.000 Euro von der Allfinanz Deutsche Vermögensberatung erhalten. Im April seien 250.000 Euro von der Düsseldorfer Finanzierungsgesellschaft Substantia an die FDP gegangen.”
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Und hier der zweite angekündigte Frontal 21-Beitrag zur Bundestagswahl, der sich mit dem „Phänomen“ Nichtwähler befasst – „Nichtwahl aus Protest“:
Immer mehr Wähler, sogar politisch Interessierte, Mittelständler oder Intellektuelle gehen aus Protest gegen den Politikbetrieb nicht zur Abstimmung. Stefan Grüll ist einer von ihnen. Er war früher selbst in der FDP aktiv, heute ist er verärgert über das Angebot der Parteien und einen Wahlkampf ohne erkennbare Inhalte. “Das muss ein Ventil finden, das muss irgendwie artikuliert werden, und die Nichtwahl, die politisch motivierte Nichtwahl, ist eine Möglichkeit – und davon machen immer mehr Menschen Gebrauch”, sagt Grüll.