Diese Beobachtung des u.a. vom Greenpeace Magazin betriebenen Klima-Lügendetektors (dessen Lektüre ich nur empfehlen kann, werden dort doch regelmäßig aktuelle Werbelügen der großen Konzerne aufgedeckt) passt hervorragend zu meiner kleinen Aufklärungsserie über die Schädlichkeit von Werbung – im zweiten Teil ging es bei mir ja um die unheilvolle und von außen kaum noch zu erkennende Vermischung von Reklame und redaktioneller Arbeit. Früher nannte man so etwas ganz offen „Schleichwerbung“, heute hat diese Industrie – u.a. auch Dank fleißiger PR-Agenturen (den Totengräbern der freien demokratischen Zivilgesellschaft) – sehr viel umfassendere Dimensionen und subtilere Methoden entwickelt, um Lesern und Zuschauern objektive Information vorzugaukeln, wo doch eigentlich nur plumpe Produktanpreisung herrscht. Die Autolobbyzeitschrift auto, motor und sport besticht ja seit jeher durch ihre Nähre zur Autoindustrie, so dass man alle „Informationen“, die man dort liest, generell besser mit Vorsicht genießen sollte.
Der Klima-Lügendetektor hat nun jüngst eine neue und sehr offensichtliche Reklameplatzierung mitten im redaktionellen Teil ausgemacht – „Werbung für die Werbung“:
Die aktuelle Ausgabe des Vorzeigeblatts der Dienstwagenfahrer, auto, motor und sport, bestätigt dies Vorurteil auf erschreckende Weise: Die Autohersteller hätten längst verstanden, schreibt Chefredakteur Bernd Ostmann da in seinem Editorial, dass Umweltfreundlichkeit ein Wettbewerbsargument sei. Sein Beleg dafür: schlicht zwei Anzeigen von BMW und Audi. Und deren Inhalt wird in der redaktionellen Bildzeile kritiklos übernommen.
(…) Leider erklärt Ostmann in seinem ganzen Editorial nicht, warum der Flottenverbrauch (nicht nur von BMW) heute trotz dieser Wundertechniken noch weiter über der einstigen Selbstverpflichtung liegt. Dabei beweisen Autojournalisten seit Jahren, dass sie durchaus kritisch sein können: Die Fortschritte bei der passiven und aktiven Fahrsicherheit sowie die immer komfortableren, schnelleren und dickeren Autos gehen wesentlich auf ihr Drängen zurück.
Angesichts der Tatsache, dass ich in meinem Konsumpf-Blog schon des Öfteren von Culture Jamming und Adbusting geschrieben, diese Begriffe aber noch gar nicht explizit gewürdigt habe, möchte ich mich an einer kleinen persönlichen Definition dieser beiden Begriffe/Konzepte versuchen.
Der Ausdruck „Culture Jamming“ stammt ursprünglich aus den 80er Jahren und wurde erstmalig von der (sozialkritischen) amerikanischen Band Negativland verwendet. Einen größeren Bekanntheitsgrad erreichte CJ, als Kalle Lasn in Kanada das Adbusters Magazine als „Culturejammer’s Headquarters“ gründete und das Buch „Culture Jamming“ veröffentlichte, in welchem er die neue Bewegung in Bezug zu den französischen Situationisten um Guy Debord („Die Gesellschaft des Spektakels“) setzt. Einige Jahr vor diesem Buch 1993 brachte Mark Dery in seinem Artikel „Culture Jamming: Hacking, slashing and sniping in the empire of signs” den Begriff einem größeren Publikum dar.
Culture Jamming, das bedeutet direkt übersetzt das Blockieren, Stören, Verkleben der Kultur. Wobei unter Kultur hier insbesondere die Zustände verstanden werden, die unser Leben der Durchökonomisierung und Kommerzialisierung zuführen, d.h. alles rund um das Hamsterrad aus permanenten Produzieren und Konsumieren. Culture Jamming ist somit natürlich immer auch Konsumkritik. Aber Culture Jamming geht darüber und über bloßen „nachhaltigen“ oder „politischen“ Konsum hinaus und beinhaltet, was nur folgerichtig ist, auch einen sehr kritischen Blick darauf, welche Inhalte und Weltbilder uns in den Medien rund um die Uhr vermittelt werden. Das Augenmerk ist zudem auf die demokratische Entwicklung gerichtet, die durch Marktmachtkonzentration (u.a. im Mediensektor) bedrängt und gefährdet wird. Das heißt, Fernsehkritik ist ebenfalls elementarer Bestandteil des CJ, da die Berieselung mit den bunten Bildern die Menschen sediert und zu passiven Empfangssubjekten von inszenierten Spektakeln degradiert. Und Culture Jamming ist nicht zuletzt ganz klar Werbekritik. Sowohl an einzelnen Kampagnen, die ein krankes Menschenbild vermitteln oder schädliche Produkte schönfärben, sprich: den Betrachter hinters Licht führen und zum Konsum animieren wollen. Wie auch an der grundsätzlichen Beeinflussung der Bürger=Konsumenten durch die Reklameindustrie, Stichwort „Mindfuck“.
Culture Jammer wollen mit ihrem Tun also letzten Endes erreichen, dass aus stumpfen, willigen Konsumenten wieder (oder erstmalig) wache Bürger werden, dass Menschen beginnen, das zu hinterfragen, womit sie tagein, tagaus bombardiert werden, dass sie ihr eigenes Hirn einschalten und sich auch gegen die stetig voranschreitende Usurpierung des gesamten (öffentlichen) Lebens durch den Kommerz zur Wehr setzen. Gleichzeitig soll die Macht der Konzerne, die in immer mehr Lebensbereiche hereinragt, gestoppt und gebrochen werden. Runter von der passiven Fernsehcouch, Schluss mit dem resignierten Schulterzucken und statt dessen selbst aktiv werden, so lautet das Motto.
Eine Methode, dies zu erreichen, ist das sog. Adbusting. Hier werden Produktanzeigen kreativ verändert, entstellt und die Werbebotschaften teils in ihr Gegenteil verkehrt, um das, was hinter der schillernden bunten Werbefassade steckt, zum Vorschein zu bringen. Mit den Mitteln der Parodie und Ironie wird der stete Strom der systemformenden und -bestätigenden Symbole und Aussagen unterbrochen und mit neuen Inhalten gefüllt, die in der Regel näher dran an den tatsächlichen Hintergründen der materiellen Gesellschaft sind (sog. „SpoofAds“). Ziel ist es also, den Betrachter zu verwirren, aus den gewohnten Bahnen zu schubsen, sein Sehen zu deautomatisieren und dazu zu bringen, kritischer an das heranzugehen, was ihm die Dödel aus den Marketingabteilungen weismachen wollen. Hierin steckt ein gewaltiges subversives Potential, u.a. da den Rezipienten solcher Adbustingaktionen oft nicht bekannt ist, von wem diese stammen und worin die genaue Absicht der Verwirrung besteht. Wie bei einer Guerilla-Bewegung wird gerne aus dem Hintergrund agiert und agitiert.
Sehr gut beschriebene, nachvollziehbare Einführungen in das Phänomen Culture Jamming/Adbusting bieten auch diese beiden Artikel, die ich Euch besonders ans Herz legen möchte:
Marc Alexander Holtz. „Mindfuck nach Till Eulenspiegel“ (einmal in der Version auf seinem persönlichen Blog, und dann in einer überarbeiteten Fassung auf Info-Parkour). Als vernünftig gesetztes, fehlerbereinigtes pdf könnt Ihr Euch den Artikel HIER herunterladen. Und als mp3-Podcast (gesprochen von Henriette Carla Schrader & Marc Alexander Holtz) HIER.
Werbegegner nehmen sich das Recht auf Werbung zu antworten. Die Idee ist es, Konsumenten zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass er wenig bis gar nichts darüber weiß, was „wirklich“ ist. Es geht um die generelle Sensibilisierung des eigenen Geistes, um richtige von falschen, wichtige von unwichtigen Informationen unterscheiden zu können.
Christoph Behnke. „Culture Jamming und Reklametechnik“ (europäisches institut für progressive kulturpolitik). Eine eher mit gewissem wissenschaftlichen Anspruch geschriebene Abhandlung, in der es auch um Erfolgsaussichten und eventuelle Widersprüche im CJ geht.
Wir wollen im folgenden zwei Praktiken des Culture Jamming analytisch unterscheiden: eine interne Strategie, die ihre Praktiken insbesondere an den vorhandenen Formen der Reklametechnik ausrichtet und dort eine ganze Bandbreite von Themen ‘alternativ’ kommuniziert wie Alkoholmissbrauch, Tabakmissbrauch bis hin zu politischen Fragestellungen im Kontext der Globalisierung, Stichwort ‘No Logo’. Dem steht gegenüber ein externer Gebrauch des Culture Jamming, wo die Technik der Kommunikation, die Aufmerksamkeitsökonomie selbst zum Gegenstand der Auseinandersetzung wird, wo also eher der „Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwanghafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren“ unterlaufen werden soll, indem z.B. die Zerstreuung als dominante Rezeptionsform ausgeschlossen wird. Diese Praktiken entstehen naturgemäß im Kunstfeld.
„Wenn Unternehmen vom Gewinnzwang befreit wären, würde auch der Dauerterror der (manipulativen) Werbung gelindert. Das allgegenwärtige Drängen und Auffordern zum Kaufen und Konsumieren würde nachlassen. Mit einem beachtlichen Nebeneffekt: Nicht wenige Preise würden sinken. Denn manche Branchen geben bis zu einem Drittel ihres Umsatzes für Werbung und Marketing aus, zum Beispiel die Pharmabranche. (…) In einer gemeinwohlorientierten Wirtschaft würden alle relevanten Informationen auf den Produkten aufscheinen oder wären auf andere Weise leicht zugänglich, weil es das innerste Anliegen der Unternehmen wäre, die KonsumentInnen möglichst gut zu behandeln, dazu gehört auch: möglichst sachgerecht über Produkte zu informieren. Fällt das Gewinnstreben weg, sinkt der Anreiz, die KonsumentInnen zu belügen, und die Motivation, sie zu informieren, steigt.“
Nachdem ich im ersten Teil meiner „Aufklärungsserie“ über die Schädlichkeit von Werbung über die Auswirkungen auf die Sprache und im zweiten Teil über die unselige Verquickung von Reklame und Redaktionellem berichtet habe, möchte ich heute – passend zu den grünen Suchmaschinen gestern – kurz auf die negativen Konsequenzen des Werbetreibens für die Umwelt und den Gesamtplaneten eingehen.
Bereits ein einfacher Blick in den eigenen Briefkasten macht uns jeden Tag den Wahnsinn des Reklameterrors deutlich: bei den meisten von uns dürfte dort mehr Werbung als eigentliche Post zu finden sein. Womit der erste, sichtbarste Teil der Ressourcenvergeudung direkt vor uns liegt: die Papier- und Plastikverschwendung. Dazu der Einsatz der ganzen Chemikalien, damit die Flyer und Prospekte so schön bunt sind, sowie die für den Prospektdruck notwendigen Energie. Zudem muss die Post deutlich mehr Kapazitäten bereit stellen (also mehr Volumen transportieren, woraus wiederum ein gesteigerter Treibstoffeinsatz resultiert) als in einer Welt ohne diese Wurfsendungen. (Übrigens, ein Eintrag der eigenen Adresse in sog. Robinsonlisten reduziert unerwünschte Post signifikant und schont somit auch die Umwelt.)
Die Initiative „Mach’s grün“ hat einmal durchgerechnet, was allein der deutsche Prospektmist alles so verschling5: 33 kg an Postwurfsendungen erhält jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr, das ergibt 2.7 Mio gefällte Bäume, um das Werbematerial für ganz Deutschland zu produzieren – was wiederum 1.157 Millionen kWh Strom verbraucht, 455.400 Tonnen CO2 freisetzt und die Verschmutzung von 4,62 Milliarden Litern Wasser mit sich bringt. Unglaubliche Zahlen.
Dazu kommt beispielsweise auch die Energieverschleuderung für Werbetafeln und sonstige Leuchtreklame – dagegen treten inzwischen sogar regelrechte Aktivistengruppen ein, wie die französischen Clan du Néon, die nachts durch die Städte ziehen und Neonwerbung einfach ausschalten (siehe auch den Schreibmaschine-Blog). Genauso nutzlos sind auch die von vielen Firmen verteilten kleinen „Werbegeschenke“ (die z.B. Bestellungen bei Versandhäusern beiliegen) – meist billiger Plunder, der entweder sofort weggeschmissen wird, unbenutzt herum liegt oder nach wenigen Anwendungen kaputt geht. Was sich allein hier an Rohstoffen etc. einsparen ließe! Natürlich wird auch im Entstehungsprozess eines Flyers o.ä. so einiges an Ressourcen vergeudet – mindestens schon mal die kreative Energie und die Lebenszeit einer ganzen Reihe von Menschen. Denn statt etwas Sinnvolles zu produzieren, das den Menschen nützt oder sie wenigstens erfreut, werden nur Kampagnen und Anzeigen erdacht, die die meisten von uns in der Regel nerven und die dazu dienen sollen, dass wir noch mehr kaufen und konsumieren. Somit ist Reklame das Schmieröl in dieser wahnwitzigen Maschine des stetig zu steigernden Gewinns und der immer weiter anwachsenden Produktion, die irgendwann zur Katastrophe führen muss – ergo trägt Werbung ganz direkt zur schleichenden Zerstörung der Umwelt und der Gesellschaft bei.
Eine weitere wichtige Ressource, die in rauen Mengen in diesen Apparat gepumpt wird, darf ebenfalls nicht vergessen werden: das Geld! Schätzungen gehen davon aus, dass inzwischen weltweit jedes Jahr die unfassbare Summe von über 400 Milliarden US$ für Reklame ausgegeben wird – bereits ein kleiner Teil davon würde genügen, um viele wirklich wichtige Probleme auf der Erde zu bekämpfen, wie Hunger, Seuchen, Bildungsnotstand etc. Ist es nicht pervers, dass die Verbraucher diese immensen Kosten dann wiederum durch höhere Produktpreise selbst bezahlen, und das, obwohl die meisten Menschen gar nicht mit den perfiden, verlogenen Reklamebotschaften beschallt und bedrängt werden wollen? Somit finanzieren wir – überspitzt formuliert – also unseren eigenen Henker.
Die Werbewirtschaft hat 2001 einen Umsatz von 32 Mrd. Euro und kostet jeden Einwohner Deutschlands einen auf die Produkte aufgeschlagenen Betrag von 400 Euro. Tendenz steigend. [Quelle]
Nachdem ich mich im ersten Teil meiner kleinen, sachlich-polemischen Aufklärungsserie über die Schädlichkeit von Werbung mit den Auswirkungen auf die Sprache befasst habe, geht es diesmal schon eher ans Eingemachte. Mein heutiges Thema ist nämlich die immer weiter zunehmende Verschmelzung von Werbung mit redaktionellen, „journalistischen“ Inhalten in den Medien, die – so hoffen die Verantwortlichen – vom Leser bzw. Zuschauer gar nicht weiter als unheilige Interessensvermengung erkannt wird.
Betrachten wir zur Veranschaulichung der Problematik doch mal eine x-beliebige deutsche Fernsehzeitschrift – richtig, eines jener bunten Heftchen, von denen gefühlt ca. 20 konkurrierende (?) Magazine ausliegen, jeweils erkennbar an einer mit Photoshop bis zur Unkenntlichkeit retuschierten halbnackten Frau auf dem Titelbild, in der Regel ein sog. „Star“ oder „Promi“. Meiner Erfahrung nach ist mindestens ein Drittel, wenn nicht gar die Hälfte so eines Hefts mit offen als solcher zu erkennenden Werbung zugepflastert. Aber wie sieht es auf den verbleibenden „redaktionellen“ Seiten aus? Im vorderen Teil wird über diverse Stars und ihre neuen Filme, CDs, Bücher etc. berichtet, was in der Regel eigentlich auch nur ein Anpreisen von diesen Projekten darstellt – kritische Töne sind hier meist fehl am Platz. Dazu gibt es dann „Nachrichten“ aus den Bereichen Unterhaltungselektronik, Autos, Reisen – auch alles reine Konsumaufforderungen, und man darf davon ausgehen, dass für so manchen Bericht, der hier erscheint, der eine oder andere Euro aus den Taschen der Unternehmen geflossen ist. Den Vogel ab schießen aber manche Zeitschriften, die auch noch auf mindestens einer Doppelseite die Leser über die beliebtesten Werbespots/Anzeigen abstimmen lassen und Making ofs von neuen TV-Clips mit „Stars“ bringen – auch wieder ganz im Stile von echten Nachrichten oder Ereignissen, über die man neutral zu berichten vorgibt. Somit durchzieht eine bunte, grelle, unreflektierte und dumme Konsum- und Kommerzaura das komplette Heft, die einem nach einer Weile das Hirn verkleistert.
Von kostenlosen Werbeblättchen & sog. „Stadtteilzeitungen“ erwartet man sowieso nichts anderes – es ist ja bekannt, dass man für das Buchen einer größeren Anzeige gleichzeitig noch einen von der Redaktion geschriebenen, nicht als Reklame kenntlich gemachten, also den Anschein eines unabhängig recherchierten journalistischen Textes erwecken sollenden Artikels über die eigene Firma erhält. Diese Heftchen versuchen, irgendwie noch wie eine „richtige“ Zeitung auszusehen, sind oft im Format etc. den normalen Tageszeitungen ähnlich, und sollen den Leser so dazu animieren, sich die ganzen gekauften Artikel durchzulesen. Im Lumières dans la nuit-Blog wird solch ein Vorgehen am Beispiel der „Linden-Limmer Zeitung“ schön süffisant aufs Korn genommen:
Der Niedergang der traditionellen Printmedien ist der Aufstieg der offenen und verdeckten Reklame in diesen Medien. Ich kenne in meinem Umfeld keinen einzigen Zeitungsleser mehr. Jeder wache Mensch hat inzwischen mitbekommen, dass der so genannte »redaktionelle« Teil einer typischen Zeitung fast ausschließlich aus wörtlich übernommenen Agenturmeldungen besteht, und dass dieser direkt aus dem NITF-Feed abgeschriebene Content mit so viel Reklame aller Art daher kommt, dass die Werbung über fünfzig Prozent des gesamten Umfanges der Zeitung ausmacht. Was in den Zeitungen als scheinbares journalistisches Produkt verbleibt, entpuppt sich durch bloßes Hinschauen zu einem großen Teil als abgeschriebenes PR-Geschwafel derjenigen Werbekunden, die mit ihren geschalteten Anzeigen viel Geld in diesen sinnlosen Betrieb simulierten Journalis-Muses pumpen.
(…) die, wie der Name schon sagt, in den hannöverschen Stadtteilen Linden und Limmer in die wehrlosen Briefkästen gestopft wird, um Reklame aller Art zu transportieren. Dieses Produkt des Zehn Verlages kommt gar nicht zeitungstypisch auf schwerem, glänzendem Papier daher und verrät schon in dieser Dareichungsform seinen vorwiegend auf dem Blendglanz der Reklame beruhenden Charakter. Leider reicht das bloße Wort »Zeitung« in seinem historisch gewachsenen Ansehen für viele Menschen immer noch hin, so dass sie dieses Elaborat nicht zusammen mit dem anderen Postwurfmüll dem Altpapier überantworten und sogar darin zu lesen beginnen, als enthielte es irgend etwas Substanzielles.
Dummerweise ist dieses Prinzip, also eine den Anzeigenkunden genehme Berichterstattung, mehr oder weniger ausgeprägt bei allen reklamefinanzierten Medien Gang und Gäbe. So wurde neulich in dem Frontal 21-Special über die Pharmalobby auch aufgedeckt, wie die Hochglanzzeitschriften Vanity Fair, Glamour, Vogue oder auch Ausgaben des Bauer-Verlags wie Tina, Neue Post, TV Movie oder Fernsehwoche einer fiktiven (von den Autoren des Beitrags erfundenen) Pharmafirma einen von der jeweiligen Reaktion verfassten und natürlich positiven Beitrag zum neuen Antidepressivum xy in Aussicht stellten (und das, obwohl man in der EU für rezeptpflichtige Medikamente nicht werben darf). Vogue schlägt der Scheinfirma beispielsweise vor:
Durch O-Töne von Experten (Mediziner, Forscher) und zusätzliche Tipps wird die Leserin optimal mit der Thematik vertraut. Die Seiten werden im Vogue-typischen Redaktionsstil getextet und sind damit perfekt auf die Vogue-Leserschaft zugeschnitten.
Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber mir wird bei sowas schon ziemlich schlecht – bedeutet das doch nichts anderes, als dass sich durch die kommerziellen Interessen Informationen, PR und Werbung soweit vermischen, dass man keinem Bericht, der in solchen Magazinen erscheint, mehr glauben kann/sollte, denn man weiß ja nie, wer sich diese im Heft dargelegte Meinung wie viel hat kosten lassen. In dem Frontal 21-Beitrag wird so ein Vorgehen auch ganz klar als „Verbrauchertäuschung“ bezeichnet, weil suggeriert würde, der Leser bekäme ein recherchiertes Produkt, obwohl es in Wahrheit doch nur Werbung sei.
Genauso unverfroren geht es auch bei der BILD-„Zeitung“ zu, die für ihr Klientel bzw. die ihr nahestehenden Konzerne und Interessengruppen ja gerne mal Stimmung macht, ohne den Leser darüber aufzuklären, worum es wirklich geht. Besonders beliebt ist die völlig unkritisch betriebene Zusammenarbeit mit dem Discount-Ekel Lidl – schon seit jeher arbeiten Lidl und BILD Hand in Hand zusammen und die „Zeitung“ befleißigt sich eines sehr Lidl-freundlichen Redaktionsstils (über die Überwachungsskandale bei Lidl wurde z.B. nur ganz klein in einer Ecke berichtet, während dies in den meisten anderen Medien deutlich intensiver geschildert wurde). Darüber gab es auf N3 mal einen hervorragenden Beitrag, den ich gar nicht oft genug empfehlen kann:
So könnte man den Bogen immer weiter spannen – auch im Fernsehen, gerade bei den privaten Sendern, sind Kommerz und „Inhalt“ so weit zusammengewachsen, dass man kaum noch weiß, ob eine SKL-Show nun reine Werbung ist oder vielleicht doch auch noch eine redaktionelle Bearbeitung erfuhr. Formate wie Deutschland sucht den Superstar dienen nur dazu, Plattenverkäufe zu generieren und für ein paar Monate hochgejubelte Sternchen nach oben zu spülen, damit man die Werbepausen zwischen den Shows möglichst teuer verkaufen kann. Die Cannes-Rolle, die regelmäßig in die Kinos gewuchtet wird und „die besten Werbespots der Welt“ (ein Widerspruch in sich) enthält, wird tatsächlich wie ein normaler Kinofilm gezeigt, obwohl es in den preisgekrönten Reklamefilmchen ausschließlich ums Formen eines Unternehmensimages und das Verkaufen von Produkten geht (immerhin wird hier mit offenem Visier gearbeitet, also nicht behauptet, dass es sich um journalistisch recherchierte Inhalte handele). Und so weiter, und so fort, die Liste ließe sich noch endlos fortsetzen.
Oft bestehe dieser Mehrwert im Vermischen von werblichem und redaktionellem Inhalt – eigentlich unvereinbar mit unabhängigem Journalismus. Sogenannte Advertorials ahmen gestalterisch die Anmutung des journalistischen Angebots nach, sind aber in Wirklichkeit bezahlte Werbung, die sich mittlerweile selbst in seriösen Tageszeitungen findet. Meistens steht etwas verschämt „Sonderthema“ oder „Verlagsbeilage“ darüber, manchmal auch „Extra“. Aber was sagt das dem Leser schon? Es könnte bedeuten, dass sich die Redaktion extra viel Mühe gibt. In Wahrheit hat sich der Verlag extra etwas einfallen lassen, um verkappte Werbung zu drucken. Dabei sieht das Presserecht ausdrücklich vor, dass Werbung und Redaktion nicht verquickt werden dürfen und Anzeigen als solche gekennzeichnet werden müssen.
Advertorials ermöglichen Werbekunden die Präsentation ihrer Inhalte im Look&Feel von FAZ.NET. So können unseren Nutzern auch umfangreichere Produktfunktionen in der vertrauten Welt von FAZ.NET erläutert werden.
Man beachte die schönfärberische Umschreibung dieser Schleichwerbung… Reklame & Kommerz haben es also geschafft, die gesamten Medien endgültig zu Desinformationsschleudern zu machen.
Meinen heutigen Surftipp hätte ich auch unter das Motto „Werbung gegen Realität“ stellen können, denn das neue Projekt des Foodwatch-Teams hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vollmundigen Werbeversprechen der Konzerne auf den Verpackungen ihrer Produkte einmal genau zu durchleuchten und zu hinterfragen. Abgespeist heißt die Website, auf der eine ganze Reihe von bekannten Produkten namhafter Hersteller seziert werden – ein Klick auf einen „Hotspot“ auf der Packung offenbart die Realität hinter dem Reklameaufdruck. Gerne wird ja mit „gesund“-Versprechen gearbeitet, die sich bei näherem Hinsehen als pure Augenwischerei entpuppen. Mit bei den hier untersuchten Täuschern sind (natürlich) Nestlé, sowie Danone, Schwartau oder Unilever. Über viele der Etikettenbehauptungen macht man sich als Kunde vermutlich gar keine Gedanken (mehr), man nimmt sie einfach so hin. Dabei sollte eigentlich jedem klar sein, dass beispielsweise zuckriges Industriemüsli wie Nestlé Fitness Fruits nicht wirklich gesund sein kann, aller „Vollkorn-Garantie“ (dieses Müsli enthält nur ca. 30% Vollkorn) zum Trotz.
(Edit: Die WDR-Sendung markt berichtete in Februar 2009 unter dem Titel „Geduldige Etiketten“ übrigens auch über den Etikettenschwindel.)
In meiner neuen (unregelmäßigen), subjektiv gefärbten, differenziert-polemischen Artikel-Serie möchte ich die verschiedenen schädlichen Facetten von Reklame streiflichtartig beleuchten, um zu verdeutlichen, dass der Kampf gegen die Überflutung mit Marken und Werbung nicht nur eine Sache der persönlichen Antipathie ist, sondern ein Gebot der Stunde. Auch will ich den forschen Behauptungen entgegentreten, Werbung wäre informativ oder gar ein wichtiger Teil unserer Kultur – vor allem von denjenigen, die in dieser Industrie tätig sind (und die sich gerne als Kulturschaffende sehen würden), wird natürlich versucht, dem Reklamegetue irgendeinen höheren Anspruch zu verleihen, und manche Medien mischen munter mit – was kein Wunder ist, prostituieren finanzieren sich doch die meisten Erzeugnisse auf dem Markt durch Anzeigen.
Die Wirklichkeit sieht natürlich anders aus, als sich das die Herren & Damen in den Werbeagenturen so vorstellen. Reklame wird doch von der Mehrzahl der Menschen als sehr störend, als Belästigung empfunden. Dies erkennt man z.B. daran, dass neue Festplattenrecorder gleich mit einer Funktion zum automatischen Wegschneiden von Werbeblöcken versehen sind. Dass Fernsehreklamespots lauter sind als der eigentliche Film, weil die Werbetreibenden wissen, dass die meisten Zuschauer auf Toilette oder in die Küche gehen, wenn der Konsumterror beginnt. Und von meinen Streifzügen mit Flugzettelverteilen weiß ich, dass viele Bürger sich den Einwurf von Reklamegedöns mit mehr oder minder deutlichen Aufklebern an ihren Briefkästen verbitten (nicht alle so direkt wie ein Anwohner in Hamburg: „Keine Scheiß Reklame!”). Natürlich kann Werbung auch nützlich sein, vor allem im kleineren Rahmen, doch auf die großen Image- & Markenkampagnen in Funk & Fernsehen trifft dies sicherlich nicht zu.
Im ersten Teil meiner kleinen „Aufklärungsserie“ soll es um das gehen, was die Werbeindustrie der Sprache, dem Sprachempfinden der Menschen antut. Tatsächlich begann meine eigene kritische Auseinandersetzung mit Reklame und meine schrittweise Loslösung aus der Umklammerung der Werbebotschaften (Anfang/Mitte der 90er) genau mit diesem Phänomen: es machte mich wahnsinnig, die unglaublich dummen, plumpen und nervigen Sprüche zu hören, dieses mit englischen Füllworten durchsetze Marketingsprech, das soooo gerne cool und trendy wäre, aber doch nur erbärmlich hohl und leer wirkt. Das führt zu so grausigen Phrasen wie „Die neue web ‘n’ walk Card“ oder „Office in your Pocket-Lösung“ (beides T-Mobile – die Telekom mit ihren ganzen Unterspielarten tut sich ja seit jeher besonders bei der Vergewaltigung des allgemeinen Sprachgefühls hervor), oder zu blödsinnigen Binnenmajuskeln wie beim InterCityExpress – ich habe schon damals nicht verstanden, was daran modern oder schick sein solle. U.a. Bastian Sick lässt sich in seinen Sprachkritik-Büchern auch des öfteren über solche Unarten aus. (Zu Recht.)
Genauso hirnrissig war und ist der Trend, unbedingt jede Marke mit einem sog. „Claim“ zu versehen, also einem Spruch, der das Unternehmen charakterisieren soll. „Come in and find out“ von Douglas ist ja ein klassischer Fall von Eigentor, weil das kaum jemand verstanden hat. „Good food, good life“ von Nestlé fand ich auch so erbärmlich dürftig, dass ich mich fragte, wieso das den Pappnasen in der Werbeabteilung nicht selbst aufgefallen ist (für diesen Spruch hat das Unternehmen vermutlich auch noch viel Geld bezahlt!). Aber wie ich oben schon schrieb, merkt man in diesen Kreisen offenbar gar nicht mehr, wie übel die Ergebnisse der eigenen Hirnstürme so sind. Klar entstehen dabei manchmal auch ein paar gelungene kreative Wortschöpfungen wie „unkaputtbar“, aber schon bei den in den allgemeinen Sprachschatz übergegangenen Parolen „Geiz ist geil“ oder „Da werden Sie geholfen“ zeigt sich, dass Reklame zwar wirksam sein kann, jedoch keinen besonders positiven Einfluss auf den Menschen hat – schließlich ist es eben nicht „cool“, Geiz (im Sinne von: möglichst wenig Geld für irgendeinen Schund auszugeben, ohne Rücksicht darauf, wie diese Preise zustande gekommen sind) als Tugend zu proklamieren, und genauso wenig geil erscheint es mir, falsche Grammatik zu verbreiten.
Davon, dass viele Werbesprüche eine unzulässige Verkürzung der Realität darstellen und oft genug eben NICHT den wahren Unternehmensabsichten entsprechen, sondern eher kaschieren, will ich hier gar nicht reden. Sondern nur noch kurz darauf hinweisen, dass die Reklamesprache eine schleichende Entwertung von so manchem Begriff vorantreibt (siehe die Gedanken von Lumières dans la nuit zum Thema „Treue“, welche früher eine tiefgehende menschliche Tugend war und heute oft nur noch bedeutet, dass man 3 Mal die gleiche Klopapiermarke kauft), gleichzeitig aber auch durch Vorspiegelung falschen Glanzes sich selbst der Lächerlichkeit preisgibt, aber damit auch zeigt, dass man den Kunden für sehr naiv und beeinflussbar hält. So wird auch mit viel Aufgeblasenheit und falschem Pathos gearbeitet. Was soll ich von einem profanen Pizzabringdienst halten, der sich „Mundfein – Pizzawerkstatt“ nennt? Ich sehe da richtig vor mir, wie der Besitzer, im verzweifelten Versuch, seinen Laden wie einen originellen, selbstironischen Dienstleister dastehen zu lassen, zu einer geschniegelten Werbeagentur gelaufen ist und sich da ein paar überbezahlte Hoschis dachten, dass man hier schön Augenwischerei betreiben kann. Die Absicht einer jeden Reklame ist ja, dass der Betrachter das, was er sieht, die positiven Bilder & Emotionen, die ihm dargebracht werden, 1:1 auf das Unternehmen oder das Produkt überträgt. Schade, dass das bei mir schon lange nicht mehr klappt…
Trotz ihrer Bemühung, spontan und der Alltagssprache nah zu bleiben, ist die Werbesprache künstlich, sie besitzt keine Sprechwirklichkeit, sondern ist stets auf eine bestimmte Wirkung hin gestaltet.
Dies ist ein bemerkenswertes Buch. Der Verlag preist es launig mit „Ein freches Experiment, das die Konsumgesellschaft radikal in Frage stellt“ an – die Grundidee ist schnell skizziert und klingt eher nach etwas freakiger Unterhaltung als nach einer wirklichen Auseinandersetzung mit unserer Kaufkultur: der britische Lifestyle-Journalist Neil Boorman versucht, ein ganzes Jahr lang konsequent auf alle Luxus- und Markenprodukte zu verzichten und schildert seine Erfahrungen in einem persönlichen Tagebuch.
Der erste Teil von „Good bye Logo“ bestätigt diese Vermutung zunächst – Neil Boorman beschreibt sein Leben ausführlich als das eines wirklich Konsumsüchtigen. Er definiert sich und seine Außenwirkung vor allem über die von ihm gekauften und zur Schau getragenen Marken und geht dabei so weit, auch alle anderen Menschen um ihn herum danach einzuteilen, ob sie die richtigen (Adidas, Apple) oder falschen, da uncoolen Marken (Puma) besitzen. Er arbeitet extrem viel, um sich dann in der knapp bemessenen Freizeit vor allem dem Konsum hinzugeben – die Samstage verbringt er traditionell mit seiner Freundin in den Shoppingcentern Londons. Bis zu diesem Moment klingen die Ausführungen des Autors zumindest für mich doch etwas arg übertrieben, wenn nicht sogar klischeeüberladen, da zumindest ich solche Extremkäufer nicht kenne.
Als Boorman jedoch nach der Lektüre des ihm die Augen öffnenden Werkes „Ways of Seeing“ von John Berger langsam an seinem Lebensstil zu zweifeln beginnt und tatsächlich eine waschechte Kaufsucht diagnostiziert, wird das Buch plötzlich interessant. Um sich von seiner Sucht zu heilen, beschließt der Autor eine kathartische und aufsehenerregende Aktion: das öffentliche Verbrennen ALLER seiner Markenprodukte und das darauf folgende Leben ohne all diese Dinge. Er gibt sich 180 Tage Zeit, um sich auf den großen Moment vorzubereiten und begleitet diese Phase der Bestandsaufnahme und Analyse per Internettagebuch. Je näher der Termin rückt, desto öfter wird er von Mitbürgern für diese Aktion angefeindet, bei vielen ist das Kaufen und Besitzen von Sachen offenbar so tief verwurzelt, dass ihnen Boormans Plan als geradezu ketzerisch erscheint.
Es ist faszinierend mitzuerleben, wie sich Boorman im Laufe des Buches tatsächlich weiterentwickelt, wie er beginnt, den Fundamenten unserer Konsumgesellschaft auf den Grund zu gehen – er vertieft sich intensiv in Literatur zu diesem Thema und lässt den Leser an seinen Gedankengängen und Erkenntnissen teilhaben. Die eigentliche Verbrennung seiner Markenhabe wird als großes Ereignis inszeniert, auf das er lange hinfiebert und das von den Medien entsprechend begleitet wird. Fortan findet ein radialer Lebensstilwandel statt – keine fetischisierten Adidasturnschuhe mehr, sondern preiswerte Treter aus dem Armyshop oder Second-Hand-Laden, kein Fernsehen, statt dessen Lesen, Spaziergänge u.ä. Hier wird ihm und uns schnell klar, wie schwierig es mittlerweile geworden ist, der Allgegenwart der großen Konzerne zu entkommen, die sich in allen Lebensbereichen breit gemacht haben. So wird seine Suche nach markenfreien Produkten teilweise zu einer echten Odyssee, selbst im großen London.
Auch über sein Verhältnis zur Werbeindustrie reflektiert Boorman im Laufe der Wochen verstärkt und erkennt, mit welch perfiden Methoden die Reklame arbeitet, um bei den Menschen eine latente Unzufriedenheit zu erzeugen und den Kauf von profanen Gegenständen als Lösung dieser Unterbefriedigung, als persönlichkeitsbildend anzubieten. Vor allem seine Überlegungen zu diesem wichtigen Themenkreis gehören zu den besonders starken Momenten von „Good bye Logo“, die durch mannigfaltige Zitate und Literaturverweise gestützt werden.
Erschreckend ist auch seine Erkenntnis, dass viele Leute, die beispielsweise Nike-Schuhe kaufen, sehr wohl über die schlechten Arbeitsbedingungen, den niedrigen Lohn der Arbeiter(innen) und die extreme Spanne zwischen Endverbraucherpreis und Produktionskosten Bescheid wissen, dennoch aber unvermindert dieser Marke die Treue halten. Nicht nur Boorman beschleichen hier ungute Gefühle darüber, wie tief der Marken- und Konsumfetisch bereits ins allgemeine Bewusstsein eingesickert ist, wie sehr für den modernen Konsumenschen Marken zur Persönlichkeit gehören.
Schwachpunkt des Ansatzes des Autors ist sicherlich, dass er sich bei seinem Konsumverhalten nur auf das Vermeiden von Marken konzentriert und dabei nicht unbedingt auf Nachhaltigkeit etc. achtet – Biomarken sind bei ihm ebenfalls tabu. Dennoch führt sein neuer Lebensstil dazu, dass er sich gesünder ernährt, weniger Zeit für Kauf und Pflege irgendwelcher Dinge verschwendet und sein Denken von der Beschäftigung mit Coolness und Trendgerechtheit befreit. Der lockere, leicht zu lesende Stil und die von mir geschilderte zunehmende Dichte der Informationen machen das Buch somit zu einem echten Lesegenuss, machen Mut und regen den eigenen Geist an, über unser Verhältnis zum Warenfetisch und der verheerenden Wirkung von Werbung nachzudenken. Eine ganz klare Kaufempfehlung! (Interessante Frage: Ist eine Kaufempfehlung für ein Buch über Konsumkritik ein Widerspruch in sich? ;-)
Nicht nur dem Autoren des ZEIT-Artikels „Du kannst uns nicht entkommen”, den ich hier neulich vorstellte, geht die zunehende Zuplakatierung und das Ausbreiten von Reklame im öffentlichen Raum zu weit – sehr genervt sind offenbar auch einige Bürger von Zürich. Denn dort existiert seit einiger Zeit der Verein „Plakat | Raum | Gesellschaft”, das sich dafür einsetzt, die Stadt zumindest teilweise wieder von der Werbedomianz und den überlebensgroßen Plakaten zu befreien (eine Verringerung der Werbeflächen um die Hälfte wird angestrebt).
Der Gewinn?
– mehr Selbstbestimmung, welchen Werbebotschaften man sich aussetzt
– ein öffentlicher Raum, der diesen Namen verdient
– ein schöneres Orts- und Landschaftsbild
Gewisse Plakate muss man Hunderte von Male betrachten und hat keine Möglichkeit, sein Nichtinteresse zum Ausdruck zu bringen. Dies steht in auffallendem Gegensatz zur Möglichkeit, in anderen Lebensbereichen per Knopfdruck oder Weiterblättern ungefragter Werbung auszuweichen. Aussenwerbung widerspricht auch dem Kredo der International Advertising Association, welche sich dem Prinzip der «Wahlfreiheit für alle Bürger» verschrieben hat.
Plakatwerbung führt zu einer visuellen Abwertung des Ortsbildes.
Die standardisierten Werbeträger sind nicht dazu gemacht, sich in die Umgebung zu integrieren. Vor dem Hintergrund einer natürlich gewachsenen Umgebung wirken rechteckige Plakate wie eine Faust aufs Auge. Dies ist auch der Grund, weshalb sich in prestigeträchtigen Zonen wie der Zürcher Bahnhofstrasse kein einziges Werbeplakat findet (mit Ausnahme einiger Telefonkabinen).
Wenn es darum geht, die Sprache zu vergewaltigen, sind Werbetreibende ja seit jeher ganz vorn mit dabei. Das hier habe ich gerade auf einer Website gesehen:
Eine sehr kreative Trennweise. Und auch zum Nachdenken anregend – geht es vielleicht wirklich um SMS-Verse? Aber ist es so gut, wenn man frisch geschmiedete Verse „ndet”?