Kategorie: Gesellschaft Seite 29 von 43

Gen-Milchkühe: Bauern fürchten schleichende Enteignung

Unglaublich, was sich Konzerne so alles einfallen lassen, um Geld zu verdienen… Das Polit-/Satire-Magazin quer im Bayerischen Fernsehen brachte letzten Donnerstag den Beitrag „Gen-Milchkühe: Bauern fürchten schleichende Enteignung“, bei desen Betrachtung es zumindest mir kalt den Rücken runter läuft:

Biotechnologen aus Belgien und Neuseeland haben eine Gensequenz entdeckt, die die Milchleistung von Kühen steigert. Die Forscher ließen sich das Gen vom Europäischen Patentamt patentieren. Damit können sie dann ganz viele Turbo-Kühe züchten. Das Gen wäre irgendwann in fast jedem Stall. Die Bauern fürchten in Zukunft für jede Kuh mit diesem Gen Lizenzen zahlen zu müssen. Dabei stammt das Gen aus der Natur. Und ethische Fragen bringen die Gemüter in Wallung: Werden Tiere zu technischen Erfindungen degradiert? Ist ein Patent auf ein Stück Natur überhaupt zulässig?

Bei der Gelegenheit empfehle ich Euch auch gleich, die Petition von Avaaz.org (quasi ein internationales Campact) zu unterzeichnen, die sich gegen die Zulassung von Genpflanzen in der EU wendet. >> HIER

Die Europäische Kommission hat soeben bewilligt, dass zum ersten Mal seit 12 Jahren genmanipulierte Pflanzen angebaut werden dürfen, und stellt damit den Profit der Gentech-Lobby über das Interesse der Öffentlichkeit. — 60% der Europäer sind der Meinung, dass mehr Forschung betrieben werden muss, bevor entschieden werden kann, ob wir Lebensmittel anbauen, die unsere Gesundheit und Umwelt schädigen können.
Eine neu ins Leben gerufene Initiative gibt einer Million EU-Bürgern die einmalige Chance, offizielle Anfragen direkt an die Europäische Kommission zu richten.

Lassen Sie uns zusammen 1 Million Unterschriften sammeln, um die Einführung von genmanipulierten Pflanzen und Produkten auf den Europäischen Markt zu stoppen. Wir fordern die Gründung von unabhängigen Wissenschaftseinrichtungen, die die Auswirkung von Genmanipulation untersuchen und wirksame Kontrollmechansimen etablieren.

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Privilegierte vs. Normalbürger – Kampf um Vorrechte im Bildungssystem

Heute mal wieder etwas ein wenig abseits von Konsumkritik & Co. – das Thema Bildung(spolitik) ist jedoch auch ein durchaus hierher passendes, zumal wenn es um die Sicherung von Privilegien durch gewisse Schichten geht, wie sie dieser Beitrag in 3sat klar (und abstoßend) zeigt. Besonders bei diesem Typ, der vom Rotary- und Lions-Club faselt, wird mir echt schlecht:

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L.A. Law – Wie Hollywood unser Rechtssystem formt, Teil 2/2

exekutDies ist die Fortsetzung meiner gestern begonnenen Übersetzung des Artikels „L.A. Law: How Hollywood is shaping our legal system“ von Julie Scelfo, der unter dem Titel „When law goes Pop“ im Stay Free Magazin #18 erschien. Es ist ein sehr interessantes und in Bezug auf den Einfluss, den das Fernsehen mittlerweile auch auf unsere Rechtssprechung hat, enthüllendes Interview mit dem Juraprofessor Richard Sherwin.

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Julie Scelfo (J.S.): Im amerikanischen Rechtssystem sollen Anwälte sich auf Rechts-Argumente stützen, nicht auf Gefühle. Was passiert mit Verhandlungen, die auf dieser Art von nicht greifbaren – und in manchen Fällen unterbewussten – Methoden basieren, im Gegensatz zu den traditionellen mündlichen Argumenten, die auf Fakten beruhen?

Richard Sherwin (R.S.): Die größte Angst, die mit visuellen Überzeugungsmethoden verbunden ist, ist die Vorstellung, dass das Ideal der rationalen Überzeugung kurzgeschlossen wird mit einer eher emotionalen Form der Beurteilung. Die Furcht ist, dass einige Formen von Vorurteilen, die bei einer mündlichen Präsentation nicht zum Tragen kommen, auf der visuellen Ebene funktionieren können, weil visuelle Bilder so überbestimmt sind. Irgendwo dort in den unbewussten Tiefen des Bildes schweben einige nützliche Assoziationen herum. Eine der Sachen, de ich mit meinem Buch erreichen möchte, ist, Richter über die Komplexität der visuellen Bilder aufzuklären, so dass sie mit diesen Gefahren der Vorurteile effektiver umgehen können.

J.S.: Lesen Richter das Buch?

R.S.: Ich stehe in Kontakt zu Richtern, und sie sind begierig darauf, solchen Input zu bekommen, weil sie mehr und mehr visuelle Medien im Gerichtssaal sehen, wie z.B. Überwachungsvideos, die bearbeitet wurden. Denken Sie an den Fall von Rodney King, wo Sie einen Staatsanwalt hatten, der absolut überzeugt davon war, dass es ein klarer Fall war, der auf dem George Holliday-Video fußte, das King zeigte, wie er von der Polizei verprügelt wurde. Er machte sich nicht bewusst, dass die Anwälte, die die L.A. Polizeibeamten verteidigten, durch Editierung der Bilder die ganze Geschichte geändert hatten.

J.S.: Wie haben sie das Video bearbeitet?

R.S.: Die Verteidiger verlangsamten es enorm, so dass man Bild-für-Bild-Sequenzen sah, die die Gewalt abmilderten. Aber noch viel schlimmer für die Anklage war eine Veränderung der Geschwindigkeit der Bilder im Zusammenhang mit der Verteidigungs-Theorie. Die Verteidigungs-Theorie war, das Rodney King alles unter Kontrolle hatte und dass er, wenn er die vorgeschriebene Bauchlage eingenommen hätte, nichts weiter passiert wäre. Der einzige Grund, weshalb er geschlagen wurde, so ging die Argumentation, war, dass er sich der Festnahme widersetzte. Und was die Bilder in der verlangsamten Form zeigten, war Rodney King, wie er sich nach oben bewegte, und ein Schlagstock, der niedersauste.

S.J.: In der Reihenfolge?

R.S.: In der Reihenfolge. Als Kings Gliedmaßen nach unten gingen, ging der Knüppel nach oben und ein anderes Körperteil ging nach oben und ein anderer Schlagstock sauste nieder. Und genau das haben die Geschworenen gesehen. Mit anderen Worten, sie lasen Kausalzusammenhänge in die Bilder. Die Verteidigung orchestrierte das Video so, dass die Geschworenen Kausalität ableiteten.

S.J.: Was gegen die Intuition ist. Man würde denken, dass das Videoband die Geschworenen zu dem Schluss bringen würde, dass die Beamten, die King schlugen, schuldig waren.

hallwR.S.: Der Staatsanwalt forderte die Geschworenen unablässig dazu auf, sich das Band anzuschauen, ohne mehr zu sagen. „Sehen Sie sich nur das Band an.“ Aber was ihm nicht klar war: die andere Seite hatte die Bedeutung der Bilder okkupiert, indem sie die Geschichte in einer anderen Weise erzählten, so dass, wenn die Leute das Videoband sahen, sie es durch die Augen der Verteigungs-Geschichte betrachteten. Der Staatsanwalt bot keine eigene Erzählung an, und deshalb war dies die einzige Geschichte, die die Geschworenen hatten. Sie benutzen sie, um die Informationen, die sie auf dem Video sahen, zu ordnen. Kognitive Psychologen haben gezeigt, dass die Art, wie Menschen zu Beurteilungen in Rechtsfällen gelangen, ist, indem sie eine Geschichte erzählen, wie alles geschah. Anwälte gewinnen Prozesse, indem sie die beste Geschichte erzählen – diejenige, die die meiste Glaubwürdigkeit versammelt, diejenige, die am meisten Sinn ergibt, diejenige, die am anziehendsten wirkt. Und wenn man selbst keine Geschichte erzählt, und die Gegenseite eine eigene Story bietet und man selbst nur Bruchstücke von Argumenten, wird man es bedeutend schwerer haben, die Geschworenen zu überzeugen.

J.S.: Ich weiß nicht, wie Sie in Bezug auf den King-Prozess fühlen, aber würden Sie den Einsatz visueller Technologie als Erfolg werten?

R.S.: Ich bin ein unbedingter Verteidiger des Systems der Prozessgegner, aber nur, wenn es wirklich funktioniert. Wenn ein Anwalt oder ein Richter nicht ausreichend in einem Medium geschult ist, wie z.B. in den visiuellen Medien, dann sollte dieses Medium nicht für das Kreuzverhör verwendet werden. Und wenn es nicht in dieser Weise angewendet wird, ist das System der Prozesgegner nicht wirklich funktionsfähig. Das Problem, das ich mit dem King-Fall habe, ist, dass es die Verteidigung zu einfach hatte. Wenn ein Staatsanwalt mit der selben Fähigkeit, Geschichten zu erzählen und der selben Medienkompetenz um das Urteil der Geschworenen gekämpft hätte, dann hätten wir meiner Ansicht nach einen anderen Prozessausgang erlebt.

J.S.: In anderen Ländern, vor allem in Kanada, ist Medienkompetenz bereits seit langer Zeit Teil der Ausbildung. Medienkritiker in diesem Lande haben sich längst dafür stark gemacht. Wann werden wir dies also auch in den USA sehen?

R.S.: Die USA hinkten der Welt in punkto Medienkompetenz schon immer hinterher. Leute mit paranoiden Fantasien mögen hier Erklärungen anbringen, wieso dies der Fall ist und wer hier die Kontrolle besitzt. Ich weiß es nicht. Für mich ist eine der Zielvorstellungen, dass, wenn man in einer Demokratie lebt, man einen sinnstiftenden Informationsfluss benötigt. Einen bedeutungsvollen Austausch. Dies war seit jeher einer der Grundsätze der Regierung seit der Staatsgründung. Sie können keine florierende Demokratie haben, wenn die Menschen nicht ausreichend informiert sind. Insbesondere wenn man den verzerrenden Einfluss des Fernsehens berücksichtigt, denke ich, dass Medienkompetenz grundlegend für eine informierte Wählerschaft ist, und informierte Geschworene. Und wenn Sie auf Bilder reagieren, weil sie Sie an einen Film erinnern oder sie eine gefühlsmäßige Reaktion hervorrufen, die auf einer Werbung basiert, die Ihnen gefällt, dann steht das nicht im Einklang mit dem Ideal eines abwägenden Diskurses, den wir anstreben sollten.

J.S.: Damit haben Sie einen weiteren Grund angeführt, wieso Medienkompetenz unterstützt werden sollte: sie befähigt Bürger, besser zur Rechtssprechung beizutragen.

R.S.: Das stimmt. Ich denke, dass der Konsum von Informationen der wichtigste Konsumakt ist, den es gibt. Und wenn wir ihn nicht in einer kritischen Art und Weise durchführen, ist unser politisches Schicksal völlig offen – und in Gefahr.

J.S.: Wir stehen am Beginn eines neuen Jahrtausends. Was müssen die Menschen jetzt tun, um zu verhindern, dass aus der Rechtssprechung Popkultur wird?

R.S.: Es hängt direkt mit dem zusammen, was wir gerade über die Kultivierung eines kritischeren Grundhaltung gesagt haben, also Fähigkeiten zu lernen, um das zu interpretieren, was wir sehen. Und natürlich muss der Wille da sein, hinter die bloße Oberfläche der Bilder zu schauen. Eine Sache, die an der postmodernen Ära stimmt, ist, dass es schwieriger wird, zwischen Fiktion und Realität, oder zwischen Fantasie und Realität zu unterscheiden. Bis zu dem Punkt, wo Menschen politische oder juristische Entscheidungen treffen, die keinen Bezug zum realen Leben haben, sondern deren Impuls sie aus dem Fernsehen oder von Filmen ziehen – das ist ein verstörender Gedanke. Einer der Gründe dafür, dass Matrix so ein erfolgreicher Film war, ist vielleicht, weil er diesen Nerv getroffen hat, das wir möglicherweise in einer Welt frei schwebender Bilder leben, und dass es vielleicht egal ist. Wenn es nur Bilder sind, die wir erzeugen und auf die wir reagieren, wenn es nichts weiter gibt, wo man ankommen kann, dann lasst uns einfach diese Reise tun. Es ist wie Quentin Tarantinos Welt in Pulp Fiction: Gewalt ist lustig. Das reale Leben schlussendlich von Unterhaltungswerten abhängig zu machen ist, für meinen Teil, eine erschreckende Sache, wenn es um Politik und Rechtssprechung geht. Im Kino vielleicht nicht, aber in der Politik und Justiz schon. (…)

J.S.: Sie sagen also, dass es irgendwo eine Art von Realität geben muss.

R.S.: Ich behaupte nicht, dass es eine Form von Realität im gewöhnlichen Sinne von beweisbaren objektiven Dingen geben muss. Aber es gibt Bedeutungen und Werte und Glaubenssätze, die wir unterstützen können, auch wenn wir wissen, dass sie konstruiert sind. Sie können einen Film sehen und ihn genießen, in eine Vorlesung gehen und ihn zerpflücken und ihn anschließend noch mehr genießen. Wenn Sie verstehen, wie er erstellt wurde und wie er funktioniert, können Sie ihn am nächsten Tag immer noch sehen und von seiner Kraft verzaubert werden. Irgendwann müssen Sie eine Art von Bedeutung bejahen. Irgendwann. Eine ständige Diät von Desillusionierung nährt einen nicht ausreichend, um ein gutes Leben zu führen. Wir müssen uns klar machen, was unsere Glaubenssätze und Überzeugungen und Werte sind und sie bekräftigen

J.S.: Was würden Sie Kritikern antworten, die sagen: „Nun, Sie sind halt ein Linker, Sie sagen, dass die Gesellschaft auseinanderfällt, dass Rechtssprechung und Medien und Unterhaltung und Realität alle durcheinandergewürfelt werden, aber eigentlich war es schon immer so. Menschen haben sich immer Fiktion und Fantasie zugewendet, um ihr eigenes Leben zu verstehen und zu interpretieren.“

R.S.: Ich denke, das ist richtig. Ich stimme zu. Aber wir müssen die verschiedenen Dinge, die wirken, kennen. Die Frage ist nicht: „Können wir die Fiktion aus unserem Leben tilgen?“. Die wichtigere Frage ist: Welche fiktionalen Interpretationen haben reale Konsequenzen in Politik und Rechtssprechung, wie beeinflussen sie das Leben um uns herum? Wir sollten uns nicht  der Selbsttäuschung hingeben, dass es „nur Fiktion“ ist, oder „nur ein Bild“, lasst uns die Reise antreten, weil es so eine tolle Erfahrung ist. Ich bin nicht gegen Stimulierung der Sinne, aber ich möchte nicht, dass das Leben eines Menschen in einem Mordprozess davon abhängt.

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Dazu passt auch der Artikel „The CSI Effect“ in U.S. News & World Report (2005), den ich dann Euren Englischkenntnissen anheim gebe. :-) Er verdeutlich auf jeden Fall noch mal, welch verheerende Wirkung die ganzen gescripteten und inszenierten Crime-Storys im Fernsehen auf die reale Rechtssprechung haben.

(…) Stoked by the technical wizardry they see on the tube, many Americans find themselves disappointed when they encounter the real world of law and order. Jurors increasingly expect forensic evidence in every case, and they expect it to be conclusive.

“Your CSI moment.” Real life and real death are never as clean as CSI’s lead investigator, Gil Grissom, would have us believe. And real forensics is seldom as fast, or as certain, as TV tells us. Too often, authorities say, the science is unproven, the analyses unsound, and the experts unreliable. At a time when the public is demanding CSI -style investigations of even common crimes, many of the nation’s crime labs–underfunded, undercertified, and under attack–simply can’t produce. When a case comes to court, “jurors expect it to be a lot more interesting and a lot more dynamic,” says Barbara LaWall, the county prosecutor in Tucson, Ariz. “It puzzles the heck out of them when it’s not.” (…)

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L.A. Law – Wie Hollywood unser Rechtssystem formt, Teil 1/2

business_lawDass Fernsehen mehr ist als nur bloße Unterhaltung und Zerstreuung, sondern massiven Einfluss auf das gesellschaftliche Leben ausübt, sollte inzwischen jedem klar sein. Nicht nur werden politische Meinungen und Diskurse beeinflusst, Themen aufgebauscht oder unter der Decke gehalten, auch sorgen Reklame oder unsägliche Shows wie Germany’s Next Top Model für das Verbreiten und Aufrechterhalten stupider Klischees und kranker Schönheitsideale im Zeitalter von zu Tode gephotoshoppten Models. Gewisse Lebens- und Konsumstile oder auch Lebensentwürfe werden als Vorbild und nachahmenswert dargestellt, andere wieder diffamiert und der Lächerlichkeit preisgegeben. Dass aber die Rechtssprechung durch Serien wie L.A. Law nicht unberührt bleibt, war mir bis zur Lektüre des Artikels „L.A. Law: How Hollywood is shaping our legal system“ von Julie Scelfo (erschienen in McLaren/Torchinsky: „Ad Nauseam: A Survivor’s Guide to American Consumer Culture“) auch nicht bewusst – das Ganze klingt teilweise ganz schön kränk und auch reichlich bedenklich. Ich möchte Euch den Text, der ursprünglich im Stay Free Magazine #18 (2001) unter dem Titel „When law goes Pop“ erschien, deshalb als Übersetzung präsentieren.

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L.A. Law: Wie Hollywood unser Rechtssystem formt

Interview mit Richard Sherwin

Auf seinem Bürosofa unter einem Poster von Andy Warhols Tomatensuppe sitzend, wirkt Richard Sherwin ganz ruhig. Trotz der Tatsache, dass sein aktuelles Buch When Law Goes Pop: The Vanishing Line Between Law and Popular Culture (The University of Chicago Press) die Auflösung des amerikanischen Rechtssystem beschreibt, ist Sherwin überzeugt, dass es eine Lösung gibt. An einem trüben Novemberabend traf ich den Jura-Professor in der New Yorker Law School, um mit ihm die Verbindung zwischen Wahrheit, Gerechtigkeit und dem Kino zu diskutieren.

Julie Scelfo (J.S.:): Gab es ein spezielles Ereignis, das Sie dazu inspirierte, das Buch zu schreiben?

Richard Sherwin (R.S.): Ich zeigte meinen Studenten Erroi Morris Film The Thin Blue Line, welcher als Dokumentation eingestuft ist. Er benutzt reale Parteien in einem realen schweren Mordfall. Sie sehen den Angeklagten Rendal Dale Adams, den realen Richter, die realen Anwälte und die realen Zeugen. Es sind direkte Einzelinterviews mit all diesen Personen.

Randal Dale Adams war ein Sündenbock, der in einem korrupten Rechtssystem von Dallas, welches der Film enttarnt, gefangen ist. Bevor ich ihn meinen Studenten zeigte, bat ich sie darum, all die Formfehler zu finden, die wir zusammen erarbeitet hatten. Sie liebten es und es ergab sich tatsächlich ein guter Überblick über verschiedene Fehler, die in dem Gerichtssaal stattfanden. Aber als ich den Film einige weitere Male betrachtete, begann ich all das fiktionale Material zu bemerken, das Morris benutzte: alle möglichen Formen von Wiederholungen, Überblendungen und nicht zuletzt der hypnotische Soundtrack von Philip Glass… Und das ist vor allem deshalb interessant, wenn man sich bewusst macht, dass Morris’ Film eine Revision des Falles bewirkte. Randal Dale Adams wurde am Ende aus dem Gefängnis entlassen.

J.S.: Der Film bewirkte seine Freilassung?

R.S.: Nun, der Film war der Impulsgeber dafür, den Fall wieder aufzurollen. Wenn Errol Morris diesen Film nicht gedreht  hätte, säße Randal Dale Adams vermutlich immer noch in einem Gefängnis in Dallas. Und vielleicht war es auch im Sinne der Justiz, dass dieser Film damit am Ende zu Adams Freilassung führte. Was ich auf jeden Fall spannend fand, war, dass in Morris’ Film jede Menge manipulativer Techniken, fiktionaler Kunstgriffe vorkommen, die dazu benutzt wurden, einen Rechtsspruch zu machen.

J.S.: Etwas, das mich in Ihren Buch erstaunt hat, war das Ausmaß, in dem Rechtssprechung in die Populär-Kultur eingesickert ist. Juristische Geschichten haben lange Zeit, nicht nur das Fernsehen sondern davor auch Film und Theater dominiert. Wie kommt das? Was macht Rechtssprechung so passend für populäre Kultur und fürs Geschichtenerzählen?

R.S.: Nun, zum einen ist es dramatisch. Die grundlgende Struktur zweier gegnerischer Parteien bewirkt eine natürliche Spannung, wie die Perry Mason-Formel, der große Höhepunkt der Entdeckung im Gerichtsstand – „Aha! DAS ist der Schuldige! Nicht mein Klient!“ Außerdem befasst sich Recht mit den brutalsten und extremsten Verhaltensweisen. Dies spricht natürlich unsere niederen Gelüste und unseren Voyeurismus an.

J.S.: Nicht jeden Tag gibt es einen O.J. Simpson-Prozess. Denken Sie, dass Richter in den Gerichtsaal gehen und dort das gleiche Niveau an Drama erwarten, das sie vom Fernsehen und den Medien geliefert bekommen?

R.S.: Ich habe keine wissenschaftliche Studie, aber was Menschen von der Rechtssprechung durch die ihnen zur Verfügung stehenden Informationswege erfahren, ist stark verzerrt. Wenn Sie beispielsweise Court TV einschalten, so behaupten sie, dies sei „Rechtssprechung ohne Drehbuch“. Sie stellen sich selbst als ein Fenster zur realen Rechtssprechung dar. Aber natürlich ist es das nicht, es ist Fernsehen. Wenn Sie die Art der Fälle, die in Court TV erscheinen, betrachten, folgen sie den selben dramatischen Mustern, die auch sonst im TV erfolgreich sind. Sie sind unverhältnismäßig gewalttätig, in der Regel handelt es sich um Mordfälle oder grausame Sexualverbrechen.

J.S.: Wie Law and Order: Special Victims Unit. Es beschleunigte den Kitzel der ursprünglichen Show.

R.S.: Ja. Sobald Sie auf der Basis dieses Strickmusters drehen, haben Sie keine andere Wahl als regelmäßig die Stärke des Reizes zu erhöhen. Sogar in Russland – ich las heute über Nachrichtensendungen, in denen die Interviewer nackt sind. Ich denke, Fernsehen neigt dazu, die Zuschauer davon abzubringen, sich großartig Gedanken über das zu machen, was sie sehen, oder überhaupt viel Inhalt aufzunehmen. Und die Gefahr, die ich sehe, liegt darin, dass Sie, wenn Sie die Ästhetik der Fernsehunterhaltung in den Gerichtssaal bringen,  die gleichen Muster an emotionaler Provokation und Gefühl und Belohnung nehmen, die man sonst auf dem Bildschirm sieht. Und das ist eine Form der Überzeugung die dazu neigt, Abwägungen einzuebnen.

Ich habe nichts gegen Unterhaltung und ich mag Popkultur, aber ich mache mir Sorgen, wenn die Rechtssprechung ein Synonym für Unterhaltung wird, so dass man nur überzeugen kann, wenn man gleichzeitig unterhält.

J.S.: Könnten Sie uns den Gedanken der Rechtssprechung, die Pop wird („The Law going Pop“), erläutern?

hammerscheR.S.: Der Titel funktioniert auf verschiedenen Ebenen. Auf der einen Seite spreche ich an, was es heißt, dass Rechtssprechung und Popkultur sich annähern. Popkultur hilft dabei, Rechtsvorstellungen zu erschaffen. Das führt zu etwas, was man vielleicht „Pop Law“ nennen könnte. Man sollte es sehr skeptisch sehen, was passiert, wenn das Recht zu sehr von der Popkultur angezogen wird, wenn es zu sehr wie Fernsehen und Reklame wirkt. Dann gibt es die Assoziation zur Pop Art. Andy Warhol und die Pop-Art-Bewegung waren ihrer Zeit weit voraus, wenn sie davon sprachen, wie die Kultur zu einer Ware geworden ist und was es heißt, Bilder über Massenmedien zu verbreiten, die sich dann komplett von der Lebensrealität abkoppeln. Und schließlich spiele ich auch auf das an, was passiert, wenn man mit einer Nadel in einen Ballon sticht – es macht „pop“. Die größte Bedrohung für die Rechtssprechung ist der Verlust ihrer Legitimation, öffentliche Enttäuschung.

J.S.: Denken Sie, dass die Rechtssprechung zu einer Handelsware geworden ist?

R.S.: Fraglos ist es so. Juristisches war immer schon im Fernsehen und in Filmen präsent, aber nun haben wir zusätzlich noch Sachen wie Court TV, Divorce Court und Power of Attorney, wo reale Anwälte zu Stars werden. Diese Schilderung des Rechtssystems durch das so genannte „Reality“-Fernsehen wird noch heimtückischer dadurch, dass diejenigen, die sich diese Sendungen anschauen, ein bestimmtes Gefühl dafür verinnerlichen, was Recht wirklich ist.

J.S.: Heißt dass, dass die Eindrücke, die Zuschauer durch das Fernsehen darüber bekommen, wie die Rechtspechung läuft, einen Einfluss auf die Urteile haben, die sie machen, wenn sie als Geschworene tätig werden?

R.S.: Absolut. Es ist wie eine Feedbackschleife: Menschen, die ihr juristisches Wissen durch die Medien erlangen, bilden gewisse Erwartungen, wie Recht funktioniert und bringen diese Erwartungen in den Gerichtssaal. Strafverteidiger müssen die Erwartungen der Leute erfüllen, und deshalb neigen sie dazu, die Form der Kommunikation, die die Menschen (aus dem TV) gewohnt sind, nachzuahmen.

J.S.: Haben Sie ein paar Beispiele dafür, wie Anwälte ihre Tätigkeit verändert haben, um sie an die Erwartungen der Geschworenen anzupassen?

R.S.: Eine der wichtigsten Änderungen ist die Einführung von visuellen Medien in den Gerichtssaal. Der typische Gerichtssaal ist heutzutage oft mit Fernsehmonitoren bestückt. Es ist ein normaler Teil unseres Lebens, Informationen vom Bildschirm zu bekommen. Avi Stachenfeld in Oakland, Kalifornien, war einer der frühesten Anwalts-Filmemacher, der visuelle Medien für Anwälte bereit stellte. Er sagte, er wusste, dass er etwas Großem auf der Spur war, als er bemerkte, dass die meisten Leute in einem Gerichtssaal, vor die Wahl gestellt, das Geschehen live zu verfolgen oder auf einem Monitor sich für den Monitor entschieden.

J.S.: Genauso wie einige Leute Fernseher zu einem Fußballspiel mitnehmen?

R.S.: Das stimmt. Und Geschworene haben in modernen Gerichtssälen mittlerweile oft ihre eigenen Bildschirme. Eidliche Aussagen werden auf dem Monitor verfolgt. Aussagen von Personen via Übertragung werden immer üblicher. Und wenn sie auf dem Bildschirm erscheinen, müssen sie den Verhaltensnormen gehorchen, an die wir uns alle gewöhnt haben.

J.S.: In Ihrem Buch nennen Sie dies „Medien-Logik“.

R.S.: Denken Sie an heutige Politik. Sie ist ein gutes Beispiel dafür, wohin unsere Rechtssprechung steuert. Was sehen wir? Sehr schnelle Bilder, die die gleichen Überzeugungstechniken benutzen wie wir dies von Werbetreibenden kennen. Das kurze Soundfragment. Die schnell geschnittenen Bilder. Denken Sie an Ronald Reagans Kampagnen-Video aus dem Jahre 1980. Seitdem hat sich jeder Präsidentschaftskandidat gezwungen gesehen, eine eigene Version zu erstellen.

J.S.: In einem Wall Street Journal-Artikel erklärt ein Anwalt, wie er seine Anwälte Stimmtraining durchlaufen lässt, so dass sie Aussagen im gleichen Tonfall wie ein Nachrichtensprecher vortragen können.

R.S.: Richtig. Mir haben Richter erzählt, dass zu der Zeit, als L.A. Law auf dem Popularitätshöhepunkt war, sie nicht nur erwarteten, dass sich Anwälte so kleideten, sondern sie erwarteten auch Zweieinhalbminuten-Zusammenfassungen. Sie wissen schon: „Lasst uns das peppig rüberbringen.“ Aber was geschieht, wenn Sie Sachen auf den Bildschirm bringen? Sie unterwerfen sich der Bildschirmästhetik, Sie müssen Dinge unter Zuhilfenahme visueller Produktionsverfahren darbieten, und das verändert alles. Es verändert die Politik, es verändert den Journalismus, es verändert die Rechtssprechung.

J.S.: Ein paar gute Beispiele?

R.S.: Es gab da einen wirklich großen Prozess in Texas, in dem es um den Vorwurf von Insiderhandel ging. Eine texanische Firma verklagte Kidder-Peabody, eine New Yorker Investmentbank, weil sie glaubte, dass jedes Mal, wenn ein Analyst die Firma in Texas besuchte, er mit Informationen zurückkehrte, die in einem plötzlichen Anstieg von Aktienkursen resultierten. Aus diesem Grund hatte das texanische Unternehmen den Eindruck, dass es erheblich mehr Geld für eine Übernahme zahlen musste als wenn sie diese Informationen nicht preisgegeben hätten.

Die Frage war: „Wie macht man solch einen detaillreichen Fall den Schöffen begreiflich?“ Avi Stachenfeld kam mit einigen sehr überzeugenden visuellen Gimmicks daher. Er benutze eine digitale Landkarte der USA, in der Texas überproportional groß dargestellt war. Es war mit einer texanischen Flagge geschmückt, welche in Texas, wo der Fall verhandelt wurde, über alle Maßen geliebt wird. Also haben Sie diese große Staatsflagge in der Mitte der Karte, und dann gibt es dort diesen kleinen Staat am nordöstlichen Ende: New York. Plötzlich kamen die Gesichter des Kidder-Peabody-Teams aus New York herausgeflogen, mit Mike Milken in der Mitte, so dass er wir der Anführer wirkte.

Anschließend sehen wir etwas, das aussieht wie die texanische Flagge, die um New York herumfegt, wie ein Lasso. Und wissen Sie was? Das war genau wie in dem populären Salsa-Werbespot, der damals überall im Fernsehen lief. Sie erinnern sich vielleicht – es ist der, wo diese Cowboys um ein Lagerfeuer sitzen und dieser Koch versucht, ihnen nicht authentische New York Salsa unterzujubeln, und als sie hören, dass es aus New York stammt, rufen die Cowboys „New York City?!? Holt das Seil!“ Und am Ende sieht man, wie der arme Koch am Lagerfeuer gefesselt sitzt.

Was Avi hier getan hatte, war eine Assoziation zu erzeugen – zu dem bekannten „wir/sie“-Gegensatz Texas gegen New York. Aber dieser wird nur indirekt angesprochen.

J.S.: Also benutze Avi diese Bilder, um eine emotionale Reaktion zu bewirken?

R.S.: Ja, das Video ruft unausweichlich eine emotionale Reaktion hervor, die auf der unterbewussten Ebene wirkt. Es gibt ein sehr berühmtes Video, das statt einer mündlichen Zusammenfassung in einem Prozess mit Price-Waterhouse (Anm. PM: eine große amerikanische Investmentbank) angeboten wurde. Das Video wurde vom Kläger eingesetzt, der Price-Waterhouse wegen Sorgfaltspflichverletzung verklagte. Das Video versuchte zu sagen: „Wir verloren viel Geld, weil Price-Waterhouse es versäumte, auf Warnsignale bei der Bank, die sie verfolgten, zu achten.“

In dem Video zeigten sie zunächst das Bild der Titanic, wie sie den Hafen verlässt, unter Rückgriff auf Originalmaterial. Die Titanic – das größte Schiff seiner Klasse, Sie kennen den Ruf des unsinkbaren, des größten, des besten Schiffs. Nun, es sank, nicht wahr? Es sank auf Grund von Sorgfaltspflichtverletzung. Während des gesamten Videos schnitten die Anwälte des Klägers zwischen den Bildern der Titanic und denen der Warnsignale, die die Price-Waterhouse-Buchprüfer übersahen, hin und her. Interessanter Weise begann diese Zusammenfassung mit dokumentarischem Material, dann schnitt sie zu einem englischen Film aus dem Jahre 1957 mit dem Titel A Night to Remember. Nun sehen Sie also den Kapitän Warnungen in den Wind schlagen, Sie sehen Wasser in die Unterdecks einbrechen und an einem Punkt sagt der ernste Erzähler „unerfahrene Wirtschaftsprüfer wurden eingesetzt, genau wie bei der Titanic“. Und sie zeigten Matrosen, die aus den Unterdecks hasteten. Dies geschah in Arizona. (also fernab jeder Küste)

J.S.: Und der Richter erlaubte den Einsatz dieses Bandes vor Gericht?

R.S.: Er tat es, obwohl sie dadurch bei der Revision in Schwierigkeiten gerieten. Aber während des Prozess sagte der Richter zu den Anwälten, dass, weil dieser Fall so viele Zahlen beinhaltete, er sie dazu einlade, etwas zu bieten, dass die Geschworenen wach halte. Deshalb konnte er das Video nicht so recht ablehnen, weil es genau das erreichte, was er wollte. Tatsächlich war die Summe, die per Urteil zugesprochen wurde, um die 350 Millionen $. Dies sind also sehr mächtige Werkzeuge.

>> Morgen geht es weiter mit dem zweiten Teil!

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São Paulo – die saubere Stadt

Ich hatte es an dieser Stelle ja schon des öfteren anklingen lassen, dass der Widerstand der Leue gegen die Zumutungen der Reklameindustrie weltweit wächst. Selten ist man dabei aber so konsequent und erfreulich radikal wie der Bürgermeister von São Paulo – seit September 2007 sind dort jegliche Formen von Außenwerbung verboten! Das ganze riesigen Neonreklame-Gedöns, alle Plakate und überdimensionalen Aufsteller, die einen ansonsten ins Sichtfeld springen und ungefragt zum Konsum auffordern, sind verschwunden. Tatsächlich spüre ich bereits beim Betrachten der Vorher-/Nachher-Bilder aus São Paulo eine Entspannung im Gehirn – das dreiste Anplärren durch den Kommerz verschwindet und das Auge hat wieder mehr Raum zum unbeschwerten Schauen. Das ist das wahre Adbusting!

Der Weburbanist-Blog schreibt in „‘Clean City’: São Paulo scrubbed of outdoor ads“:

Outdoor advertising is so ubiquitous in almost every urban setting around the world, it’s difficult to walk down a street, take an escalator or sit on a bench without getting slapped in the face with one product or another. But the city of São Paulo, Brazil is like an advertising ghost town: all of its billboards stand oddly blank and empty. (…)

und berichtet weiter, dass diese Maßnahmen vom Großteil der Bevölkerung begrüßt werden, trotz des verzweifelten Versuchs der Reklamewirtschaft, die Leute mit Kampagnen vom Gegenteil zu überzeugen.

While advertisers weren’t too happy about the law – $8 million in fines were levied against those who dawdled in taking ads down, and Clear Channel launched an unsuccessful campaign to raise support for putting them back up – the citizens clearly approve. Surveys found that at least 70% are happy with the change.

Erstaunlich, dass hier also zur Abwechslung mal die Interessen und Bedürfnisse der Bürger, der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht die der Wirtschaft. Ein Beispiel, dass Schule machen sollte.

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Der Rat für Nachhaltige Entwicklung

broschuere_konsum_und_nachhaltigkeit_texte_nr_31_maerz_2010-1Okay, ich gebe zu, dass ich bis zur Lektüre des Artikels „Der gutgemeinte Nachhaltige Konsum“ auf Telepolis noch nie vom Rat für Nachhaltige Entwicklung gehört habe. Bei diesem handelt es sich doch tatsächlich um ein offizielles Gremium, das die Bundesregierung in Sachen Nachhaltigkeit beraten soll und Mitglieder aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik (u.a. Klaus Töpfer!) hat. Das alles klingt erstmal eher unspektakulär, aber inzwischen liegt eine Empfehlung des Rates vor (>> hier Download als pdf), in der sogar vom Dogma des Wachstums um jedn Preis abgerückt wird:

(…) Statt mehr Konsum wird ein zukunftsfähiger Lebensstil nämlich auch “Nicht-Konsum” heißen müssen. Vertretbar sei nur ein CO2-Verbrauch von 2 Tonnen pro Kopf und Jahr, nicht jene knapp 11 Tonnen, die heute jeder Deutsche verursacht. Ins konkrete Leben umgesetzt bedeutet das, eine gut gedämmte Wohnung, nur mehr ab und zu, am besten aber gar nie alleine mit dem Auto fahren und vorwiegend pflanzliche biologische Produkte essen.

Nachhaltigkeit verlangt nach Auffassung des Nachhaltigkeitsrates auch eine andere Gesundheitspolitik, die die Gesundheitskosten senkt. “Gesundes Leben begünstigt Zufriedenheit und Lebensfreude.” Auf Raucher, Alkohol- und Zuckerlimonadentrinker, sowie Fleischesser haben offenbar mit Maluszahlungen zu rechnen: “Fahrlässige Selbstbeschädigung und Selbstvernachlässigung, die die Solidargemeinschaft belasten, sollen im Krankenversicherungssystem neu geregelt werden.” (…)

(…) Bei der Preisbildung der Unternehmen müssten in Hinkunft die externalisierten Kosten (Umweltbelastungen etwa) hineingenommen werden und Subventionen der öffentlichen Hände sollten Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen. So wurden nämlich im Jahr 2006 in Deutschland 40 Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen in die Bereiche Energie, Verkehr, Infrastruktur und Agrar gesteckt, hatte der Rat 2009 festgestellt. (…)

So erfreulich es ist, dass also tatsächlich ein paar Experten im Regierungsumfeld es wagen, die herrschende Ideologie in Frage zu stellen, so skeptisch bin ich allerdings, was die Übertragung der Empfehlungen in konkrete politische Aktion angeht, denn nichts deutet darauf hin, dass irgendein Umdenken stattfinden würde. Unter Schwarz-Gelb ist damit sowieso nicht zu rechnen, das haben die ersten Monate der neuen Koalition ja „eindrucksvoll“ bewiesen.

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Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft (BVW) statt Kapitalismus – Eine Kritik der Marktwirtschaft und die Umrisse einer Alternative

Es wird Zeit, den Blick mal wieder ein wenig über den Tellerrand zu heben – wer ein wenig Zeit und Muße hat (ist ja bald Wochenende), der kann selbige ja mit der Lektüre des sehr interessanten Artikels „Ihr sollt Euch ein Bild machen – die Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft“ des Social Innovation Networks verbringen. Autor Andreas Exner befasst sich mit dem vermeintlichen „Denkverbot“, sich eine Gesellschaft jenseits der jetzigen, durch alle Parteien in Beton gegossenen „freien Marktwirtschaft“ vorzustellen und stellt das Buch „Die Bedürfnisorientierte Versorgungswirtschaft“ von Alfred Fresnin vor.

(…) Gekonnt deshalb, weil der Autor in einer Detailliertheit, die man selten findet, auf die Frage antwortet: Ja, aber wie soll eine nicht-kapitalistische Gesellschaft denn aussehen? Ist sie überhaupt denkbar? Mit Gewinn tut Fresin das, weil sein Bild der nicht-kapitalistischen Gesellschaft die Fragestellung, wie eine solche Gesellschaft unserer Meinung nach gestaltet werden könnte, diskutierbar macht. Fresins Kritik des Kapitalismus ist dabei ebenso zutreffend, systematisch und nachvollziehbar argumentiert wie er vermeintliche Alternativen – allen voran den Sowjetsozialismus – mit Sachverstand analysiert, zugleich historische Erfahrungen nicht-kapitalistischer Produktionsweisen untersucht und daraus seine “Do’s and Dont’s” für ein Leben nach dem Kapitalismus gewinnt. (…)

Das komplette Werk in der Zweitauflage kann man auch online im Blog des Autoren nachlesen, was natürlich ein toller Service ist! Das Inhaltsverzeichnis klingt auf jeden Fall vielversprechend:

VORBEMERKUNGEN

Vorbemerkungen zur zweiten Auflage

EINFÜHRENDER LEITFADEN

Teil 1: Kritik der Marktwirtschaft
Teil 2: Das alternative Modell
Teil 3: Frühere alternative Modelle und realisierte Versuche
Ergänzende Bemerkungen

DIE NOTWENDIGKEITEN EINER UNNÖTIGEN ÖKONOMIE

1 Privateigentum und Geld
2 Geld und Profit
3 Konkurrenz um den Profit
4 Konkurrenz um den Arbeitsplatz
5 Geld als Kredit
6 Kredit als Spekulation
7 Resümee
Ergänzende Bemerkungen

DAS ELEND DER MARKTWIRTSCHAFT

1 Armut
2 Arbeit
2.1 Der schlechte Ruf der Arbeit in der Marktwirtschaft

2.2 Moderne Arbeit
3 Gesundheit
4 Umwelt
5 Krieg und Frieden
6 Resümee

DER STAATLICHE UMGANG MIT DER MARKTWIRTSCHAFT UND DEREN ELEND

1 Grundsätzliches zum bürgerlichen Staat
1.1 „Wer“ ist der bürgerliche Staat?

1.2 Charakteristika des bürgerlichen Staates
1.3 Der funktionale Umgang mit den Staatsbürgern
2 Menschenfreundliche (soziale) Marktwirtschaft?
2.1 Die Reduzierung der „Normalarbeitszeit“
2.2 Was ist von staatlicher Politik zu erwarten?
2.2.1 Armut / Wohlstand
2.2.2 Arbeit
2.2.3 Gesundheit
2.2.4 Umwelt
2.2.5 Krieg und Frieden
2.3 Das Verhältnis des Bürgers zu Staat und Marktwirtschaft
3 Resümee

GRUNDRISS DER BVW

1 Zwecke der BVW
2 Voraussetzungen der BVW
2.1 Vergesellschaftung der Produktionsmittel

2.2 Gemeinsamer Wille
2.3 Hohes Niveau der Technologie
2.4 Überregionale Durch- und Umsetzung der BVW
3 Ausgangspunkt: Erfassung der Bedürfnisse und des Bedarfs
4 Planung der Produktion und Leistungserstellung
4.1 Aufgaben der Planungskomitees
4.2 Mitarbeiter der Planungskomitees
4.3 Vielfältigkeit der Güter
5 Produktion von Gebrauchswerten
5.1 Vergesellschaftung (versus Privateigentum)

5.2 Gebrauchswert ( versus Tauschwert)
5.3 Planzahlen
5.4 Qualität
5.5 Produktivität
5.6 Einhaltung der Liefertermine
6 Arbeit (und Zuteilung) in der BVW
6.1 Zweck der Arbeit

6.2 Planung der Arbeit
6.3 Angenehme Arbeitsbedingungen
6.4 Arbeit und Zuteilung
6.4.1 Zuteilungsstufen (Dreistufenmodell)
6.4.1.1. Grundstufe (Grundanspruch)
6.4.1.2. Allgemeinstufe (Allgemeinversorgung)
6.4.1.3. Sonderstufe (Sonderversorgung)
6.4.2 Bewertung der Arbeit
6.4.2.1. Schwere der Arbeit
6.4.2.2. Zulauf zu bestimmten Arbeiten
6.4.2.3. Ausführung der Arbeit
6.4.3 Arbeitszeiterfassung
6.5. Mögliche Schwachpunkte des Arbeits- und Zuteilungsmodells?
6.6 Andere Güterzuteilungsmodelle
6.6.1 Geldzirkulationsmodell
6.6.2 Arbeitsgeldmodell
6.6.3 Fixkreditmodell
6.6.4 Mehrstufenmodell
6.6.5 „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“
6.6.6 Resümee Zuteilungsmodelle
7 Zuteilung
7.1 Zuteilungssystem
7.2 Information
7.3 Chipkarte
7.4 Nutzungsdauer
7.5 Spezielle Güter und Leistungen
7.5.1 Dienstleistungen
7.5.2 Wohnungen
7.5.3 Speisepavillons / Nachtarbeit
7.5.4 Haushaltsarbeit
7.5.5 Kunst und Sport
8 Ausbildung
9 Gesundheit
10 Umwelt
11 Politik
11.1 Die (politischen) Gremien
11.2 Verbindliche Regelungen
11.3 Sicherheit und Beurteilungsinstanzen
11.4 Informationen
12 Ethik
12.1 Erstes Beispiel: Anerkennung der Person
12.2 Zweites Beispiel: Gleichberechtigung
13 Außenhandel, Außenpolitik

DER ÜBERGANG

1 Überzeugungsarbeit
2 Stichworte zum Umbruch
3 Die Umgestaltung
3.1 Erste Phase
3.1.1 Politik
3.1.2 Ökonomie
3.1.3 Arbeit
3.1.4 Gesundheit
3.1.5 Ausbildung
3.2 Zweite Phase
3.3 Dritte Phase

DIE GEGNER DER BVW (UND IHRE ARGUMENTE)

1 Der (erfolgreiche) bürgerliche Staat
2 Nutznießer der Marktwirtschaft
3 Charakter des Menschen
3.1 Erziehung
3.2 Homo homini lupus
3.3 Die Vernunft des Menschen
3.4 Arbeitsmoral
3.5 Konkurrenz
4 Ökonomie
4.1 Planung
4.2 Knappheit
4.3 Geld und Preis
4.4 Sowjetökonomie – „Realer Sozialismus“
5 Demokratische Werte
5.1 Freiheit
5.2 Individualität
5.3 Freie Wahlen
6 Tugend

DIE ALTERNATIVE GESELLSCHAFT ALS UTOPIE

1 Thomas Morus – „Utopia“
1.1 Erstes Buch (Kritik)
1.2 Zweites Buch (Modell)
1.3 Resümee

2 Edward Bellamy – „Looking Backward“
2.1 Kritik der Marktwirtschaft
2.2 Die neue Gesellschaft
2.3 Resümee

DIE NICHT-UTOPIE: DER WISSENSCHAFTLICHE SOZIALISMUS

1 Kritik am Kapitalismus
2 Das Programm
3 Wissenschaft statt Utopie
4 Historischer Materialismus
5 Resümee

REALISIERTE VERSUCHE ALTERNATIVER ÖKONOMIEN

1 Vorspann: Die Reduktionen in Paraguay
1.1 Errichtung
1.2 Versorgungswirtschaft
1.3 Resümee

2 Der Kriegskommunismus und der Reale Sozialismus
2.1 Der Kriegskommunismus
2.1.1 Kritik an der Marktwirtschaft
2.1.2 Vorstellungen hinsichtlich einer neuen Gesellschaft
2.1.3 Die Voraussetzungen des Übergangs zum Kommunismus
2.1.4 Die Umgestaltung
2.1.4.1 Industrie

2.1.4.2 Landwirtschaft
2.1.4.3 Arbeit und Verteilung
2.14.4 Geld
2.1.5 Der Abbruch
2.1.6 Resümee
2.2 Der Reale Sozialismus
2.2.1 Die Etablierung des Sozialismus – Aufstieg zur Weltmacht
2.2.2 Kollektivierung, Verstaatlichung, Vergesellschaftung
2.2.3 Revidierte Vorstellungen hinsichtlich einer neuen Gesellschaft?
2.2.4 Vom Sozialismus zum Kommunismus
2.2.5 Ausnutzung der Ware – Geld – Beziehung
2.2.6 Die staatlich dirigierte Warenwirtschaft
2.2.7 Anmerkungen zum politischen System / Stalinismus
2.2.8 Resümee

3 Der Dritte Weg – Volksrepublik China
3.1 Maoistisch sozialistische Ära
3.1.1 Die Gründung des „roten“ China

3.1.2 Maoismus
3.1.3 Entwicklung bis Maos Tod
3.1.4 Resümee
3.2 Postmaoistische Ära
3.2.1 „Sozialistische Warenwirtschaft“ (ab 1978)
3.2.2 „Geplante Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“ (ab 1984)
3.2.3 „Sozialistische Marktwirtschaft“ (ab 1994)
3.2.4 Resümee

SCHLUSSBEMERKUNG

LITERATURANGABEN

ANHANG

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Buchbesprechung: Tanja Busse „Die Einkaufs-Revolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“

tanja-busse-die-einkaufs-revolutionEs gibt so Bücher, die liegen lange in meinem Regal herum, bevor ich mich endlich an sie heran wage. Tanja Busses „Die Einkaufs-Revolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“ gehört dazu – gekauft Anfang 2008 ließ ich es erst einmal ungelesen, da sich andere Werke in den Vordergrund schoben, Lasns „Culture Jamming“ oder auch “No Logo!“ beispielsweise. Meine anfängliche Ansicht, dass man mit Konsum wirklich etwas verändern könne (wie es Titel und Umschlagstext von Busses Buch auch nahelegen), wurde durch diese Lektüre deutlich untergraben. Zudem hatten mich einige Kolumnen, die Tanja Busse im Greenpeace Magazin schrieb (u.a. eine, in der sie über den Kauf ihrer 10.000 €-Küche berichtet), vermuten lassen, dass sie zu den Vertretern der LOHAS-Fraktion gehört und ihrem Buch darum eher wenig revolutionäres Potential innewohnt.

Soweit also meine Vorurteile. Nach der Lektüre des Buches muss ich nun doch ein wenig Abbitte leisten. Denn auch wenn es sich bei der „Einkaufs-Revolution“ sicher nicht um ein subversiv-umstürzlerisches Traktat handelt, legt die Autorin doch den Finger auf viele Wunden in unserem Einkaufs- und Produktionsverhalten. Vor allem auf diejenigen Leser, die bisher blind und ignorant durch den Supermarkt und die Shopping-Malls gegangen sind, dürfte so manch heilsamer Schock in den einzelnen Kapiteln warten. Auch Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker werden sich nach den gut 300 Seiten bestätigt fühlen, denn Tanja Busse wirft auch den einen oder anderen Blick auf Grundsätzliches, das in unserem System seit jeher und vor allem in den letzten Jahrzehnten komplett schief läuft.

So werden die sattsam bekannten schlimmen Zustände geschildert, die in den Sweatshops herrschen, die die teuren Markenklamotten herstellen, die Dank Reklame überteuert unters Konsumvolk gebracht werden. Genauso wie die gewaltigen Mengen an Gift, die bei der normalen industriellen Produktion von Kleidung Verwendung finden und am Ende auf unserer Haut landen – oder das Gift, das bei der Plastikherstellung als Weichmacher etc. zum Einsatz kommt, von den Behören aber sehr lax überprüft wird.

Den Hauptteil in Busses Buch nehmen ihre Ausführungen zur industrialisierten Landwirtschaft und dem Bioanbau ein. Sehr eindringlich und bedrückend wird hier geschildert, wie riesige Schweinemastfarmen das Land überziehen, um unter schlimmsten Bedingungen für die Tiere und fatalen Folgen für die Gesundheit der Nahrung möglichst billiges Fleisch für die Discounter und Sonderangebote der Supermärkte herzustellen. Auch wenn sich das Loblied der Autorin auf biologische Landwirtschaft zum Teil etwas zu naiv anhört, so wird doch deutlich gemacht, dass es keine andere Lösung gibt, um den Verfall der Nahrungsqualität und die Zerstörung der Natur zu stoppen, als eine Abkehr vom reinen auf Masse und Kostendrücken ausgelegten Anbau.

In den fünfziger Jahren hat der amerikanische Journalist Vance Packard beschrieben, wie die Werbefachleute mit tiefenpsychologischen Methoden das Bewusstsein der Konsumenten infiltrieren, und sein Buch Die geheimen Verführer verkaufte sich millionenfach. Inzwischen haben die Verführten aber verstanden, dass sie verführt werden, und die Botschaften der Werber gehen nicht länger ungefiltert in ihre Köpfe. Doch angesichts des gigantischen Etats der Werbung wäre es naiv, ihren Einfluss zu leugnen. 29 Milliarden Euro geben Unternehmen allein in Deutschland aus, damit wir vergessen, dass die Dinge, die wir kaufen, auch hergestellt werden. Damit wir denken, die Waren kämen aus der Werbung wie der Strom aus der Steckdose. Diese 29 Milliarden Euro lenken unsere Aufmerksamkeit auf das, was die Unternehmen uns zeigen möchten: dass Autos erotisch sind, Tütensuppen familienstiftend und französische Zigaretten Garanten immerwährender Freiheit. Darauf, dass wir weniger ein Produkt kaufen als eine Marke. Und dass uns der Geist dieser Marke ziert und schmückt und teilhaben lässt an ihrem globalen Erfolg. Just do it – und denk nicht drüber nach!

Diese 29 Milliarden Euro wirken, wie sie sollen: Sie machen, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, uns zu fragen, auf welche Weise die Waren hergestellt werden, von wem und unter welchen Umständen. Sie bewirken, dass wir nicht kapieren, dass diese Umstände etwas mit uns zu tun haben könnten, dass wir mit unseren Einkäufen diese Umstände bestimmen.

Nur bei Skandalen fällt das Scheinwerferlicht kurz auf diesen Zusammenhang. Während der BSE-Krise im Winter 2000 etwa, als man erfuhr, dass die Kühe, deren Milch wir trinken, mit geschroteten Schafsleichen gefüttert wurden, oder Ende 2005, als tonnenweise vergammeltes Fleisch in den Kühltheken entdeckt wurde: Da bemerkten Politiker und Kommentatoren plötzlich, dass die Nachfrage die Qualität bestimmt (»Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist gerade bei Lebensmitteln hoch gefährlich«, sagte Landwirtschaftsminister Horst Seehofer Anfang Dezember 2005 der Bild-Zeitung). Nur ihre Politik, die solche Zustände ermöglichte und erleichterte, änderte das nicht, im Gegenteil. Es gibt Hunderte von Büchern über Konsum und darüber, was Konsumieren aus den Konsumenten macht, aber die meisten – selbst viele der klassischen Einkaufsratgeber – ignorieren die Entstehung der Waren und betrachten den Konsum als Lifestyle oder spekulieren über das Verhältnis von Konsum und Konsument. (…)

Wenn man mag, kann man es Betrug nennen, wie sich die Waren uns präsentieren: Der Joghurtbecher zeigt Himbeeren, die im Himbeerjoghurt aber fehlen. Und der Nike-Spot zeigt den kleinen Jungen als Ballkünstler, nicht als Fabrikarbeiter, und eine Werbekampagne darf ungestraft behaupten, McDonalds lasse kleine Mädchen als Qualitäts-Scouts seine Pommes-frites-Produktion überwachen. Niemand aber empfindet das als Betrug, weil jeder weiß, dass Werbung Geschichten erzählt und keine Fakten. Was das angeht, ist der Konsument aufgeklärt. Doch wer etwas verkaufen will und dafür wirbt, weiß, dass er der Macht seiner Bilder vertrauen kann; dass sie wirken, wenn man sie wahrnimmt, auch ohne dass man sie für wahr nimmt. Und also hat der Joghurt ohne Himbeeren sein Image als Himbeerjoghurt, und der schöne neue Pullover sieht aus wie ein schöner neuer Pullover.

Ab und zu ahnt man beim Einkaufen, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht, etwa wenn man bei Ikea einen handgewebten Teppich (60 x 90 cm) für 1,89 Euro entdeckt. (»Liebe Mitarbeiter von Ikea, Sie haben kürzlich in Hamburg-Schnelsen einen handgeknüpften Teppich 60 mal 90 für 1,89 angeboten. Wie viel Lohn haben die Teppichknüpfer für das Knüpfen bekommen?

(…) Meistens erstickt man sein Unbehagen mit dem Ohnmachtsgefühl, es ohnehin nicht ändern zu können. Und es stimmt ja auch: Wir sind ohnmächtig.

Aber nur, solange alle an diese Ohnmacht glauben. (…)

Eine Botschaft des Buches ist klar – jeder, der einfach so die „normalen“ Waren in den Einkaufskorb legt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welches Geschäftsmodell, welche Ausbeutung usw. er damit direkt unterstützt, darf sich auch nicht beklagen, wenn er minderwertige Qualität in Händen hält und auch viele gesellschaftliche Entwicklungen in die falsche Richtung gehen. Natürlich wird mit dem bloßen Ändern des eigenen Kaufverhaltens noch nicht die Welt gerettet, aber es wird doch ein Signal gesetzt, weche Produktionsweisen unsere Zustimmung finden und welche nicht. S0 kann man „Die Einkaufs-Revolution“ mit gutem Gewissen vor allem denjenigen empfehlen (oder schenken / leihen ;-), die im Einkauf bisher keine politische Komponente sehen und nur nach Kategorien wie „die haben doch so lustige Werbung“ oder „ach, das schmeckt aber doch so gut“ entscheiden, ohne zu wissen, was sie damit anrichten. Denn locker lesbar und leicht verständlich, aber aufgrund der Thematik natürlich nicht immer leicht verdaulich, wird der Leser über viele schlimme und bedenkliche Hintergründe aufgeklärt, die sonst hinter der schillernden Fassade von bunter Reklame und geschwätzigen Green Washing versteckt werden.

Tanja Busse „Die Einkaufs-Revolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“, Heyne 2008, 320 S., 8.95 €

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Google – Big Brother im Internet?

Die WDR-Sendung markt brachte am Montag einen interessanten Beitrag über unser aller angegriffene Privatsphäre im Internet, die vor allem Datenkraken wie Google bedrohen, aber auch viele Benutzer selbst, indem sie auf sozialen Netzwerken bereitwillig private Informationen freigeben. „Google – Big Brother im Internet?“ fragt der Bericht und zeigt Erschreckendes, das mir in dem Umfang auch noch nicht komplett bekannt war.

(…) Das Internet bietet einen fast unbegrenzten Zugriff auf Informationen. Wer sie nutzt, verrät aber zunehmend auch Informationen über sich selbst. Vor allem der Suchmaschinenanbieter Google, der mittlerweile neben der reinen Suchfunktion verschiedenste Dienste anbietet, hat das Sammeln von Informationen über seine Nutzer zur Perfektion entwickelt. Wer seine Privatsphäre schützen und sich vor digitalen Nachstellungen schützen will, muss das Internet mit Bedacht nutzen. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Auch andere Onlinedienste und Suchmaschinenbetreiber speichern Daten. Google betreibt zwar die – soweit bekannt – größte Datensammlung, aber ganz sicher nicht die einzige. (…)

(…) Die Bilderkennung Googles – derzeit noch in der Pilotphase – funktioniert bislang nur mit Handys, in denen Googles Betriebssystem Android steckt. Der Nutzer fotografiert ein beliebiges Produkt und lädt es auf den Google-Server. Der erkennt es und liefert die entsprechenden Suchergebnisse. Wer etwa die Weinflasche fotografiert, die ein Gastgeber gerade serviert hat, kann so von Google erfahren, was diese Weinflasche kostet und wo sie gerade im Sonderangebot zu haben ist. Das klingt vergleichsweise harmlos. Doch diese Technik ist auch für die Gesichtserkennung fertig entwickelt. Wer die neueste Version von Googles Fotoverwaltungssoftware Picasa herunterlädt, kann die Gesichtserkennung schon testen. Sobald der Nutzer zu einem Gesicht einen Namen eingegeben hat, findet die Software jedes Foto, auf dem dieses Gesicht zu sehen ist. Diese Technologie lässt sich problemlos auch auf alle im Internet vorhandenen Fotos anwenden: Zu einer Person, deren Foto bei Google hochgeladen wurde, findet Google dann jedes andere im Internet vorhandene Foto, auf dem diese Person zu sehen ist – oder auch jede andere Information, die zu dieser Person im Internet zu finden ist. Dass dadurch Persönlichkeitsrechte verletzt werden können, ist auch Google aufgefallen. Deshalb wird dieser Dienst für Onlinebilder noch nicht angeboten. Doch auch wenn der führende Suchmaschinenbetreiber diese Technik dauerhaft in der Schublade hält, wird sie früher oder später sicher von einem anderen Anbieter genutzt werden. (…)

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Neue Zeitschrift: Oya – anders denken. anders leben.

oya_cover_2010-01Viel wird ja in der Verlagsbranche darüber gejammert, dass es Zeitungen und Zeitschriften heutzutage so schlecht geht. Ehrlich gesagt finde ich es auch nicht weiter schlimm, wenn das 1000. reklameverseuchte Lifestyle- oder „People“-Magazin den Bach runter geht – diese Art von vermeintlicher Vielfalt im Medienbereich braucht keiner, da diese Hefte eh nur dazu dienen, Werbung an den Mann bzw. die Frau zu bringen und den Konsum anzuheizen. Umso erfreulicher ist es, wenn sich dieser Tage eine neue Zeitschrift auf dem Markt präsentiert, die eine komplett andere Ausrichtung aufweist: „Oya – anders denken. anders leben“, das sich als neue „kulturkreative Zeitschrift“ versteht. Die Absichten der Köpfe hinter Oya klingen sehr vielversprechend:

Oya wird …

  • … ein Magazin über gemeinschaftliches Leben und Handeln, lebensfördernde Gesellschaftsmodelle, Sinnsuche und Lebensqualität jenseits der Konsumkultur, Freiheit und Partizipation, eine Gesundheitskultur im Sinne der Salutogenese, Permakultur und Tiefenökologie, Bildungsfreiheit, regionale Wirtschaftskreisläufe, Soziales Unternehmertum sowie viele weitere Themen aus dem kulturkreativen Spektrum.
  • … vielfältig und lebensnah über die vielen Initiativen, Projekte, Netzwerke, Bürgerforen und individuellen Lebenswege der kulturkreativen Bewegung berichten und diese über eine kommunikative Internetplattform vernetzen.
  • … in einem frischen, lebendigen Layout mit starken Fotos auf einem selbstverständlich ökologischen Papier im Magazin-Format erscheinen.
  • … sorgfältig ausgewählte Veranstaltungshinweise, Buch- und Kulturtipps aus dem kulturkreativen Spektrum enthalten.
  • … über wechselnde Schwerpunktthemen berichten und viele Reportagen, Interviews und Gespräche enthalten.

Das erste Heft, das übrigens unverbindlich als kostenloses Probeheft bestellt werden kann, befasst sich dann passenderweise gleich hiermit:

Der Titel unserer ersten Ausgabe lautet „Wovon wir alle leben. Allmende, Gemeingüter, Commons“. Gemeingüter sind einerseits unsere Lebensgrundlagen, wie die Erde, die Luft und das Wasser, und andererseits gemeinschaftlich geschaffene Kulturgüter, wie Volkslieder, freie Software oder freie Enzyklopädien. Gemeingüter entstehen, wenn Menschen sie gemeinschaftlich pflegen und dazu beitragen, dass sie sich vermehren. Diese Logik der Gemeingüter hilft uns, eine wirklich nachhaltige Kultur denken und leben zu lernen.

Reklame für etwas so Unterstützenswertes wie dieses Magazin darf auch im Konsumpf erlaubt sein. :-) [via Sisyphos Periodical]

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