Kategorie: Konsumkritik Seite 26 von 29

Adbusters erringt juristischen Sieg in Kanada

bild-4Bei ihrem Kampf für Mediendemokratie und ein Aufbrechen der verkrusteten Strukturen (Quasi-Monopole) auf dem Mediensektor hat das kanadische Adbusters-Magazin einen wichtigen juristischen Teilerfolg für sich verbuchen können. Hintergrund ist die Absicht von Adbusters, konsumkritische bzw. auf soziale Anliegen aufmerksam machende Werbespots auf verschiedenen großen Fernsehsendern platzieren zu können, die jedoch bislang von den Medienkonglomeraten abgelehnt wurden, wogegen Adbusters vor Gericht zu ziehen versucht. Die Vorstellung von einem Fernsehprogramm, in dem tatsächlich auch alternative Stimmen mit Meinungen & Ansichten außerhalb des telemedialen Mainstreams zu sehen sind, erscheint einem derzeit fürwahr recht utopisch… Hier der von mir übersetzte Wortlaut der aktuellen Pressemitteilung zu diesem Fall:

Adbusters erringt juristischen Sieg gegen Kanadas Mediengiganten – juristische Schritte in den USA können die nächste Stufe sein

Nach 15 Jahren rechtlicher Rangeleien im Versuch, Demokratie in die öffentlichen Sendeanstalten zu bringen, hat Adbusters endlich einen großen Sieg errungen. Der oberste Gerichtshof von British Columbia hat uns einen Einspruch gewährt in unserem Meilensteinfall gegen Kanadas CBS und Canwest Global und uns damit das Okay gegeben, einen Präzedenzfall zu setzen und einige öffentliche Rechte an den Sendefrequenzen zu verlangen (hier kann das Urteil des Gerichts nachgelesen werden).

Menschen verbringen heutzutage beispiellose 8.5 Stunden pro Tag vor Bildschirmen, und trotz des Einflusses neuer Bildschirmformate – Handys, Computer, Kindle (ein ebook-Lesegerät) – dominiert Fernsehen nach wie vor. Es ist das mächtigste Kommunikationsmedium unserer Tage. Und es ist ein Ort, an dem vor allem kommerzielle Gesetze herrschen und abweichende Stimmen zensiert/ausgeblendet werden. Adbusters Versuche, Sendezeit für ihre auf soziale Anliegen abzielenden Clips bei den großen kommerziellen Stationen zu kaufen, wurden all die Jahre immer wieder abgeschmettert.

Der Äther ist öffentliches Eigentum – genauso wie Bürgersteige oder Parks. Sie sind öffentlicher Raum, in dem die Redefreiheit bewahrt werden muss. Dies ist eine inspirierende Vorstellung für Medienaktivisten und könnte den Weg für weitere juristische Siege ebnen – nicht nur für Fernsehfrequenzen, sondern auch im Cyberspace.

Wenig überraschender Weise hat keine von Canwests 13 Zeitungen oder 23 Fernsehkanälen über den Spruch des Obersten Gerichtshofs berichtet. Die Stille war ohrenbetäubend. Kanadier sollten sich immer bewusst darüber sein, dass das größte Medienkonglomerat unseres Landes die Nachrichten nach eigenem Gusto zensiert.

Diese Sender brachten hingegen Beiträge zu dieser Geschichte: CBC Radio, the Globe and Mail, the Georgia Straight und the Tyee.

CBS, NBC, ABC, FOX, MTV und the Food Channel haben es in den vergangenen 15 Jahren ebenfalls immer wieder abgelehnt, uns Sendezeit zu verkaufen, und deshalb möchten wir einen Prozess für Redefreit in den USA führen. Wenn Sie amerikanische Anwälte kennen, die uns in diesem Fall unterstützen würden, schicken Sie mir eine E-Mail an kono@adbusters.org.

Am Ende wird eine ganze Reihe von Prozessen auf der ganzen Welt stehen, die das halbe Dutzend an Medien-Megakonzernen, die den Großteil der Nachrichten und Unterhaltung, die um den Planeten schwirrt, kontrollieren, dazu zwingen werden, einen Teil dieser Kontrolle wieder an die Bürger zurückzugeben.

Dies ist einer der Adbusters-Spots, um die es speziell ging – gedreht für den Buy Nothing Day 2007:

Verwandte Beiträge:

The Culture of Commercialism, Nachtrag

Dem gestern von mir übersetzten Artikel „The culture of commercialism“ hat das Media Awareness Network eine unglaublich geschönte und unterschwellig manipulative Einleitung „spendiert“, die ich nicht unkommentiert stehen lassen möchte – man lese sich nur mal diesen Absatz hier durch:

Of course, no one would advocate a ban on marketing. Ads provide information that can be helpful to us as consumers. Ads increase our understanding of the product choices available to us. And in an economy based on free enterprise, ads play a vital role for the business community. Ads are a valid part of modern life.

japan_1

© rcsmith, stock.xchng

Kleines Suchspiel: wieviele Halb- und Unwahrheiten sowie Verzerrungen und Verharmlosungen hat der Autor dieser Zeilen in dem kurzen Absatz untergebracht? Schon der erste Satz – „no one…“ – ist schlicht falsch, und das vorangestellte „of course“ eine Frechheit. Es gibt glücklicherweise viele Menschen, die Reklame in größerem Umfange aus den öffentlichen Räumen etc. verbannen wollen. Das fängt mit den Adbusters an, geht aber auch über eine Reihe von Initiativen wie Ban Billboard Blight und der IG Plakat | Raum | Gesellschaft bis hin zu der von mir neulich erwähnten schwedischen Partei, die sich für ein Werbeverbot in Radio & Fernsehen ausspricht. Vermutlich will wirklich kaum jemand JEDE Form der Werbung abschaffen, denn ein gewisses Anpreisen von Waren & Dienstleistungen gehört selbstredend auch dazu, um auf sich/seine Firma aufmerksam zu machen, nur in der Form, wie es heutzutage betrieben wird, überwiegen die Nachteile „of course“ bei weitem.

Dass Werbung tatsächliche Informationen zur Verfügung stellt, wie der Autor behauptet, ist auch eine sehr naive Sichtweise. Klar enthalten die meisten Anzeigen etc. AUCH Informationen, nur sind diese natürlich durch die jeweilige Konzernbrille gefiltert, es wird viel weggelassen und oft ja auch einfach die Unwahrheit erzählt. Diese paar Produktinformationen kann sich also jeder auch aus anderen (objektiveren) Quellen holen.

Reklame verdeutlicht uns die Wahlmöglichkeiten der verfügbaren Produkte? Soso. Vor allem in den teuren Medien (TV, Radio, überregionale Zeitungen) können auf Grund der hohen Preise nur die großen Unternehmen werben, so dass nur die immergleichen Marken angepriesen werden und uns eine Wahlmöglichkeit vorgegaukelt wird, die de facto gar nicht existiert. Man denke da nur an die vielen Marken, die Nestlé oder Coca Cola oder Unilever vertreiben – man unterstützt also oft den gleichen Konzern, egal welchen beworbenen Schokoriegel man nun kauft. Echte Alternativen finden kaum statt. Und, nein, die Wahl zwischen Coca Cola und Pepsi Cola ist KEINE wirkliche Alternative. ;-)

„Ads play a vital role for the business community“ – das ist die m.E. einzig zutreffende Aussage. Für die Wirtschaft, vor allem natürlich die Reklameindustrie selbst, ist Werbung wichtig. Jedoch nur in einer Wirtschaft, in der immer mehr Kram unter die Leute gebracht werden muss und ein großer Verdrängungswettkampf den sog. „freien Markt“ ad absurdum führt. Und dass Wirtschaftswachstum nichts ist, was man noch weiter anstacheln sollte durch Reklame, hat ja auch schon „The Story of Stuff“ klar gemacht. Von daher ist Reklame in der heutigen Form also nur „vital“ für ein System, das den Planeten schrittweise zugrunde richtet.

„Ads are a valid part of modern life.“ Das ist so einfach nur eine schlichte Behauptung ohne Substanz. Die Art, wie Reklame bzw. die Kommerzialisierung sich durch alle Bereiche des Lebens gefressen hat, ist kein „valid part“ mehr, wie ich finde. Und der Artikel „The Culture of Commercialism“ belegt dies ja dann auch dementsprechend. Man muss dem Media Awareness Network, das obige Einleitung geschrieben hat, immerhin zugute halten, dass es den kritischen Artikel über die Kommerzkultur überhaupt anbietet.

Verwandte Beiträge:

The Culture of Commercialism

hund-shopping__

© clix, stock.xchng

Bei meinen Recherchen stieß ich in der letzten Zeit auch auf einige interessante amerikanische Quellen, die sich mit Konsum- und Werbekritik auseinandersetzen. So entstand in den 90er Jahren in Washington das Center for the Study of Commercialism, das sich intensiv mit dem Themenfeld befasst(e) und auch einige Studien herausgab. Leider existiert keine Website dieser Initiative und das letzte Lebenszeichen einiger der Initiatoren habe ich in einem Buch von 2005 gefunden. Deshalb muss ich auf eine Sekundärquelle ausweichen – das Media Awareness Network (offenbar ein Lernmaterialpool für Eltern und Lehrer) hat immerhin eine Zusammenfassung des Artikels „The Culture of Commercialism: A Critique” des CfoSoC online gestellt, als Diskussionspapier für Schüler und Studenten. Diesen komprimierten Text, den man vielleicht auch als eine Art Ultrakurzfassung meiner Serie „Werbung schadet“ betrachten kann, möchte ich Euch heute übersetzt vorstellen.

———————-

Was sind die Auswirkungen von Werbung und Kommerzialismus?

  1. Kommerzialismus verzerrt unsere Kultur, indem jedes Ereignis in einen Anlass zum Konsumieren verwandelt wird. Anthropologen sagen, dass Ferien die Werte einer Kultur widerspiegeln. In Amerika ist jeder Urlaub ein Verkaufsereignis.
  2. Werbung projiziert falsche Bilder/Images. Zum Beispiel suggerieren Anzeigen, dass du nicht cool bist, wenn du kein teures Auto fährst, dass Rauchen bedeutet, dass du ein Freigeist bist oder dass Reife heißt, Alkohol zu trinken.
  3. Kommerzialismus trägt zu Umweltproblemen bei, indem es zu verschwenderischem Umgang mit natürlichen Ressourcen ermutigt. Ein Übermaß an Verpackung, Wegwerfgüter und Dinge zu kaufen, die wir gar nicht wirklich brauchen, trägt zum unnötigen Verbrauch von begrenzten Ressourcen bei. Die Produktion und Entsorgung der Dinge, die wir kaufen, führt zu weiteren Umweltproblemen, zu denen der Verlust von Lebensraum und erhöhte Luft- und Wasserverschmutzung gehören. Plakatwände erzeugen visuelle Verschmutzung.
  4. Werbung erhält Stereotype/Klischees aufrecht. Zu den Beispielen zählen Stereotypen im Zusammenhang mit der Rasse (Afro-Amerikaner als Musiker und Sportler), des Geschlechts (Frauen als Sexobjekt, Männer als Geschäftsleute) und der Klasse (der Mittelklasse-Weiße als soziale Norm).
  5. Werbetreibende beeinflussen den Inhalt von Zeitschriften und Sendungen. Die Zensur der Medien durch die Regierung ist illegal. Dennoch gibt es eine Fülle von dokumentierten Fällen, dass Zeitungen und andere Medien durch Werbetreibende zensiert werden. Beispielsweise kann ein Bierproduzent Druck auf ein Magazin, in dem es Werbefläche kauft, ausüben, damit keine Artikel über die Gefahren des Trinkens erscheinen.
  6. Das Sponsoring von gesellschaftlichen, Umwelt- oder anderen Non-Profit-Gruppen durch Konzerne kann diese Gruppen beeinflussen. Zum Beispiel kann die Unterstützung durch die Tabakindustrie eine Organisation davon abhalten, Anti-Raucher-Kampagnen zu unterstützen.
  7. Kommerzialismus hat unsere Politik beeinflusst. Viele Politiker versuchen Stimmen zu gewinnen mit Hilfe eines Images, das durch Werbung und Medienberichte erzeugt wurde. In der Vergangenheit versuchten Kandidaten Stimmen durch ihre politischen Standpunkte zu erlangen.
  8. Die öffentliche Wahrnehmung der Aktivitäten und Prioritäten eines Unternehmens kann durch Werbung verzerrt werden. Beispielsweise können Anzeigenkampagnen große Umweltverschmutzer als ökologisch bewusste Firmen darstellen, die für eine gute Sache spenden.
  9. Werbung kostet uns Geld. Die Wirtschaft wälzt den Großteil ihrer Werbekosten auf uns ab. Außerdem steigt der Preis eines Produkts, wenn es der Reklame gelingt, die Idee zu etablieren, dass ein bestimmtes Produkt uns Status oder ein cooles Image verschafft.
  10. Werbung kostet uns auch vieles an Steuern. Werbung stellt voll absetzbare Geschäftskosten dar. Aus diesem Grund erhalten kommunale und nationale Kassen Jahr für Jahr Milliarden von Dollar weniger an Steuern. Die Steuerquoten der Bürger müssen dies ausgleichen, so dass der einzelne Steuerzahler indirekt Werbung bezuschusst.
  11. Werbung kann irreführend sein. Sie fokussiert auf die Vorteile eines Produkts oder einer Dienstleistung und ignoriert die Nachteile.
  12. Werbung ermuntert zu einer Markenmentalität oder dazu, weniger auf der Basis der Qualität oder des Preises zu entscheiden, sondern mehr aufgrund des Namens/Herstellers.
  13. Werbung fördert Unzufriedenheit, Neid und Unsicherheit. Sie kann uns unattraktiv, uncool und unglücklich mit dem, was wir haben oder nicht haben, fühlen lassen.
  14. Unsere kommerzialisierte Gesellschaft legt hohen Wert auf die Erscheinung und ermutigt uns somit, mehr Wert auf unser Aussehen und das von anderen zu legen als auf den Charakter, Talente oder die Persönlichkeit.
  15. Konstantes Werbungs-Ausgesetztsein kann Materialismus und Egoismus fördern. Dies kann dazu führen, dass Menschen weniger dazu geneigt sind, anderen zu helfen. Statistiken zeigen, dass die Spendenbereitschaft in den letzten Jahren zurückgegangen ist. Gleichzeitig gab es einen Rückgang in der öffentlichen Unterstützung von Regierungsprogrammen, die denjenigen helfen sollen, die vom Leben benachteiligt sind.
  16. Das Sponsoring von Wissenschaftsausstellungen und Kunstmuseen durch Unternehmen kann deren Inhalt beeinflussen und die Objektivität untergraben. Ist es zum Beispiel wahrscheinlich, dass eine von einer Firma, die Insektizide herstellt, gesponsorte Ausstellung die Beziehung von Menschen und Insekten in einer fairen und ausgewogenen Art und Weise behandelt?
  17. Werbung kostet viel Zeit. Der durchschnittliche Mensch verbringt fast eine Stunde am Tag damit, Werbung zu lesen, zu sehen der zu hören, im Fernsehen, Radio, Theater, auf Video, in Zeitungen und Zeitschriften, Mails, Briefen oder am Telefon. Wenn der durchschnittliche Amerikaner 75 Jahre alt ist, wird Werbung ihn 4 Jahre seines Lebens gekostet haben.
  18. Bezahltes Product Placement beeinflusst den Inhalt von Filmen, Fernsehshows, Büchern und Spielen. Das gefährdet künstlerische Integrität.
  19. Werbung preist Alkohol- und Tabakkonsum an, welcher jedes Jahr eine halbe Million Amerikaner das Leben kostet. Probleme, die mit Alkohol in Zusammenhang stehen, verletzen das Leben von mehr Menschen und kosten die Gesellschaft mehr Geld als alle illegalen Drogen zusammen genommen.
  20. Marketingleute stellen detaillierte elektronische Käuferprofile zusammen. Firmen verkaufen Mailinglisten für alles mögliche, vom Besitz ausländischer Autos bis hin zu sexuellen Vorlieben. Diese Computerdatenbanken stellen ein gefährliches Missbrauchspotential dar.
  21. Kommerzialismus hat sich in nahezu jeden Winkel unseres Lebens ausgebreitet. Viele Menschen stört es, diesem nicht entfliehen zu können.
  22. Werbung, die auf junge Kinder abzielt, dringt in die Eltern-Kind-Beziehung ein, kann die Autorität der Eltern untergraben und zu Spannungen führen.
  23. Kommerzialismus kann Werte wie Teilen, Zusammenarbeit und Genügsamkeit aushöhlen, die durch Familien, religiöse Institutionen und Schulen gefördert werden.
  24. Industrienahrung und die Reklame für diese neigen dazu, zu ungesunden Ernährungsgewohnheiten zu ermutigen.
  25. Die Kommerzialisierung von Schulmaterial und -ausrüstung kann unabhängige, ungestörte Ausbildung torpedieren.
  26. Das intensive Anpreisen von Shoppen und Kaufen hält uns von anderen Aktivitäten wie Lesen, Denken und Spielen ab. All die Werbung, der wir ausgesetzt sind, macht es leicht zu vergessen, wie viele (andere) Arten von Aktivitäten wir genießen können.
  27. Unsere kommerzialisierte Kultur ermuntert Menschen, Geld auszugeben, das sie gar nicht haben. Die Zahl der Amerikaner mit finanziellen Problemen hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. (Anm. PM: Spätestens seit Ausbruch der „Finanzkrise“ wissen wir, dass dies in den vergangenen Jahren erst recht der Fall ist.)
  28. Werbung suggeriert, dass es eine einfache Lösung für alles gibt, vom Gesundsein bis hin dazu, Freunde zu haben.
  29. Viele Anzeigen implizieren, selbst wenn sie es nicht offen aussprechen, dass Glück etwas ist, das wir kaufen können. Wenn wir uns so verhalten, als wenn dies wahr wäre, begrenzen wir unseren persönlichen Horizont und unsere Fähigkeit, Erfüllung im Leben zu finden.
  30. Kommerzialismus preist nicht nur einzelne Produkte an. Er predigt Konsum als Lebensstil.

Was ist der kumulierte Effekt von all dieser Kommerzialisierung?

money_matters

© sufinawaz, stock.xchng

Kommerzialismus hat klare Parallelen zur industriellen Verschmutzung. So wie eine gemäßigte Menge an Müll von der natürlichen Umgebung absorbiert werden kann, können auch moderate Mengen an Kommerzialisierung von unserer kulturellen Umgebung verarbeitet werden. Große Mengen können jedoch beide Umgebungen überfordern, und dies ist heutzutage der Fall.

Jahrzehnte lang haben wir den Schaden, den industrielle Praktiken erzeugen, nicht erkannt, geschweige denn kontrolliert. In einigen Fällen wie der Luftverschmutzung durch kohleverbrennende Hochöfen, waren die Probleme offensichtlich, aber wir ignorierten sie oder rechtfertigten sie auf der Basis kurzfristiger wirtschaftlicher Gewinne. In anderen Fällen, so wie giftigen Chemikalien, die Luft und Wasser verschmutzen, wurden die Gefahren nicht einmal erkannt. So sieht es auch beim Kommerzialismus aus: wir entschuldigen seine offensichtlichen Defekte im Namen des wirtschaftlichen Fortschritts; wir versuchen nicht einmal, die subtileren Auswirkungen zu identifizieren.

Genauso wie mit der Verschmutzung vor mehreren Jahrzehnten bleiben die Folgen exzessiven Kommerzialismus schwach untersucht und unbewiesen. Unser Verstehen beruht auf einer Handvoll oft vorläufiger oder nicht beweiskräftiger akademischer Studien. Tatsache ist, dass Soziologen/Wissenschaftler trotz der Dominanz des Kommerzialismus in unserer Kultur kaum damit begonnen haben, die Konsequenzen und das Wesen des Kommerz zu erforschen. Zudem sind politische Regulierungen nicht angemessen ausgestattet, um Kommerzialismus zu bearbeiten. Agenturen, die sich mit den Täuschungen durch Werbung beschäftigen, haben nur sehr kleine Budgets – insgesamt nur ein Tausendstel von dem, was für Werbung ausgegeben wird –, so dass nur die aller offensichtlichsten Lügen in der Werbung gestoppt werden können. Andere Formen des Kommerzialismus bleiben komplett unerforscht.

Was sind also die Auswirkungen auf unsere Gesellschaft, wenn, wie Advertising Age (eine Fachzeitschrift für Leute, die in der Werbeindustrie arbeiten) schrieb, „Werbung in Massenmedien wie aus einer Schrotflinte kommt und jeden in ihrem Weg, auch Kinder, trifft“? Und was sind, jenseits der Werbung, die Folgen, in einer Kultur zu leben, wo selbst Schulen, Museen, Sport und nicht-kommerzielle Sender kommerzialisiert wurden? Verwandelt Kommerzialismus engagierte Bürger in bloße Konsumenten?

Verwandte Beiträge:

Zwei weitere Beispiele für die scheinbar unersättliche Verbreitung von Reklame

Die USA tun mir manchmal schon ziemlich leid – ist das Bombardement mit Werbung auch in Deutschland schon nervig genug und breitet sich vor allem in Großstädten stetig auf immer mehr öffentliche Plätze etc. aus, so sind die entsprechenden Zustände in Amerika offensichtlich noch eine Stufe unerträglicher.

flughafenkaestenZwei „schöne“ neue Beispiele für „kreative“ Reklameplatzierung fand ich gerade im Blog The Anti-Advertising Agency. Zum einen gibt es nun an Flughäfen am Boden der Behältnisse, in die man vorm Gefilztwerden seine Sachen packen muss (u.a. inzwischen auch die Schuhe!) eine knallige, aufdringliche Werbebotschaft zu sehen, die einem die Prozedur sicher gleich noch mal zusätzlich vergällt – in „Can we make the airport any more degrading“, resümiert der Autor:

Not that the security check point was a particularly sacred or peaceful place anyway, but man, seeing those really bright ads at that moment is not the kind of branding they want. I’m thinking: “damnit, I hate shoes right now.” And then I have to stare into a box that is telling me “you love shoes. you need shoes. buy more shoes.”

Die zweite Idee, „Corporate sponsored pothole repair“ ist nicht minder kränk – Kentucky Fried Chicken bietet Gemeinden an, Löcher in den Straßen zuzuteeren, und will als Gegenleistung einen in den Teer gebrannten Logoschriftzug auf jedes der Löcher. Man muss sich echt an den Kopf fassen – womit soll der Bürger, der für die Firmen & Reklametreibenden natürlich nur als Konsument interessant ist, noch malträtiert werden?

In Louisville, KY and potentially in a town near you, what was once a city service paid for by tax payers might become another avenue for advertising. (…) I know it’s a recession and all, and municipalities are feeling the pinch when it comes to typical city services like snow plowing and pothole patching, but come on; do we really need a fried chicken restaurant filling potholes for us?

KFC POTHOLE REPAIR

Verwandte Beiträge:

Lesetipp: Krisenblues

Gestern bin ich wieder einmal auf einen interessanten Artikel gestoßen, der sehr gut zum Thema meines Blogs passt und den ich Euch deshalb auch ans Herz legen möchte. Schon aus dem Dezember 2008 stammt der Beitrag „Krisenblues” auf der die.hor.de-Site, aber seine Aussagen bleiben (leider) zeitlos aktuell. Sehr treffend und plastisch wird hier meiner Ansicht nach die Problematik, in der unsere Konsumgesellschaft steckt, dargelegt und mit der Malaise des Zwangs zum permanenten Wirtschaftswachstum verknüpft:

Es wird schlimmer. Jedes Jahr taugt das Zeug, das unsere Fabriken ausspucken, weniger. Mit Hunderten Millionen werden Sportschuhe beworben, deren Herstellungskosten Spezialisten in mühevoller Kleinarbeit Cent für Cent senken. Für einen halben Monatslohn kann man schließlich ein fast wertloses Produkt erwerben. Reines Image. Der Nahrung werden gesundheitsfördernde Stoffe zugesetzt. Gleicht das jeden Qualitätsverlust aus?

(…) Wir werden betrogen. Nicht nur um unser Geld, um unsere Lebenszeit, auch um unseren Stolz. Was ist das für ein Gefühl, das Arbeitsleben der Produktion von Müll zu widmen? Was kann der Chemieingenieur, der die Haltbarkeit von Leder senkt, seinen Enkeln erzählen? Wie kann der Verkäufer verderblicher Finanzprodukte morgens in den Spiegel sehen? Ich weiß es nicht. Aber mir fällt auf, dass kaum noch einer Sinn in seiner Arbeit sieht. Karriere ist wichtig – was man tut: egal.

(…) Zudem gefährdet die Rettung der Wirtschaft die Demokratie. Wenn Staaten sich für Generationen verschulden, sinkt ihr Handlungsspielraum. Nach der Rettung kommt der Ausverkauf. Jetzt am Leben erhalten, was gescheitert ist, bietet keine lohnende Perspektive, nur einen Aufschub. Vergleicht man den europäischen Alltag mit dem der Menschen im Kongo, einem an Rohstoffen sehr reichen Land, weiß man, was man beschützen will: einen der Mehrheit der Menschen unfassbaren Wohlstand. Niemand sagt, womit wir den verdient haben. Niemand denkt darüber nach, ob es einer ist. Schon der Gedanke daran, wie man im Westen altert und stirbt, müsste zur Panik führen. Manche mahnen vielleicht – unter den Millionen Stimmen hört man es nicht.

Verwandte Beiträge:

„Ein unmoralisches Angebot“ – der Antipreneur-Shop in der Presse

antipreneur-okDass ich das noch erleben darf – die Financial Times Deutschland, quasi das Zentralorgan der kapitalistischen Weltanschauung, veröffentlichte gestern einen konsumkritischen Artikel! Und zwar ging es um eine Würdigung des Antipreneur-Shops, den ich ja neulich auch schon vorstellte. Im Artikel „Out of office: Ein unmoralisches Angebot“ von Georgia Hädicke erfahren die erstaunten Leser ein wenig mehr, worum es sich bei diesem Projekt dreht und weshalb man die ganzen tollen Produkte wie die extrem beliebte Waldbrandtapete oder die schmackhaften Unglückskekse gar nicht wirklich kaufen kann (in diesen Zeiten, in denen Kaufen erste Bürgerpflicht ist, eigentlich ein ungeheurer Affront!):

Die Antipreneur-Website von Journalist und Texter Chromy ist ein Kunstprojekt, das dem modernen Shopper seine Kauflust und -sucht vorführt – und nebenbei noch Gutes tun will.

Mit ihren Kunst- und Scherzartikeln wollen Chromy und sein Team von mittlerweile 21 Antipreneuren zum Nachdenken und Handeln anregen. Ihre Gesellschaftskritik versteckt sich im Zynismus: Die Diamanten an einer Uhr kommen aus Sierra Leone, und die Unglückskekse werden im Ein-Schicht-Betrieb rund um die Uhr in China gefertigt. Wer diese versteckten Seitenhiebe nicht bemerkt, muss sich eben spätestens nach dem Klick auf “Kaufen” fragen, warum er eines der unsinnigen Witzprodukte erwerben wollte – anstatt das Geld einem sinnvollen Hilfsprojekt von Einrichtungen wie Ärzte ohne Grenzen, den SOS-Kinderdörfern oder der Deutschen Aids-Stiftung zu geben.

Und auch der Shoppingblog von T-Online (!) hat sich des Themas angenommen und weiß in „Antipreneur-Quartett-Kartenspiel: 2. Weltrkieg sticht“ nur Gutes über die Produktpalette der Antipreneure zu berichten:

Aber warum ist das Quartett so unmoralisch? Ganz einfach: Hier geht es nicht um Drehzahlen, Geschwindigkeiten oder Hubraum. Es geht um Leid, Schrecken und wer mehr davon auf der Hand hält gewinnt. So wird Krieg zum Spiel und ich kann es nicht besser formulieren, als die Macher selbst:

“Jetzt wird aufgemischt für die letzte Schlacht am Wohnzimmertisch. (…) Gefallen finden an Gefallenen: Das Kartenspiel “Kriege”. Vom ABC-Schützen bis zum Wehrmachts-Opa – eine Mordsgaudi für die militäraffine Familie.”

Verwandte Beiträge:

Weise Worte (3)

„Wenn jemand die Bürger als unmündig einschätzt und aktiv zu ihrer Entmündigung beiträgt, dann sind es zunächst diejenigen, die sie mit suggestiver Werbung zum Objekt der Ökonomie zu machen versuchen oder ihnen die kritische Auseinandersetzung mit der Wachstumsgesellschaft austreiben mit der Drohung: ‚Zurück in die Steinzeit!‘” (Klaus Traube)

[via Abfallgut]

Verwandte Beiträge:

Weise Worte (2)

„Der moderne Kapitalismus braucht Menschen, die in großer Zahl reibungslos funktionieren, die immer mehr konsumieren wollen, deren Geschmack standardisiert ist und leicht vorausgesehen und beeinflußt werden kann. Er braucht Menschen, die sich frei und unabhängig vorkommen und meinen, für sie gebe es keine Autorität, keine Prinzipien und kein Gewissen – und die trotzdem bereit sind, sich kommandieren zu lassen, zu tun, was man von ihnen erwartet, und sich reibungslos in die Gesellschaftsmaschinerie einzufügen; Menschen, die sich führen lassen, ohne daß man Gewalt anwenden müßte, die sich ohne Führer führen lassen und die kein eigentliches Ziel haben außer dem, den Erwartungen zu entsprechen, in Bewegung zu bleiben, zu funktionieren und voranzukommen. […] Jeder glaubt sich dann in Sicherheit, wenn er möglichst dicht bei der Herde bleibt und sich in seinem Denken, Fühlen und Handeln nicht von den anderen unterscheidet.“

(Erich Fromm, Die Kunst des Liebens, 8. Auflage, S. 100f.)

Verwandte Beiträge:

Drei Artikel über unsere Konsumgesellschaft

einkaufswagen-alleineIn den letzten Tagen bin ich beim Herumstöbern im Netz auf drei sehr lesenswerte konsumkritische Artikel gestoßen, deren grundsätzlichen Aussagen der Bundesregierung und ihren Kaufappellen sicher nicht gefallen dürften, die jedoch, jeder auf seine Art, die (oft negativen) Facetten unserer Konsumgesellschaft beleuchten. Sicherlich ist es kein Zufall, dass gerade vor Weihnachten der eine oder andere mal innehält und sich so seine Gedanken über das Treiben, das sich in den Innenstädten und Shoppingcentern der Welt macht, denn zu keiner anderen Jahreszeit steht der Konsum so dermaßen offen im Mittelpunkt des allgemeinen Treibens. Aus einem spontanen, freudigen Schenkakt ist über die Jahre ein echter Krampf geworden – als ich selbst noch an diesem Ritual teilnahm (seit Jahren verschenke ich nichts mehr zu Weihnachten) waren die Tage vor dem Fest von echtem Stress begleitet, da ich ja noch auf Teufel komm raus irgendetwas für den einen oder anderen finden musste. Und so wurde viel Unnützes ausgetauscht und womöglich direkt nach den Feiertagen nie wieder benutzt. (Wobei schenken und beschenkt werden durchaus auch Spaß machen kann, das ist klar.)

Unter anderem darum dreht sich auch der Artikel von Wolfgang Neef „Glück vom Konsum abkoppeln aus der taz – für den Autoren hat „die Verschleißwirtschaft keine Zukunft”:

Dass just dieses Wachstum das Problem sein könnte, wird immer noch verdrängt, obgleich schon das EU-Weißbuch 1993 auf unser falsches Entwicklungsmodell aufmerksam machte: Wir rationalisieren seit 200 Jahren in ungebremstem Tempo, ersetzen menschliche Arbeitskraft durch Energie- und Rohstoffaufwand und handeln uns damit Arbeitslosigkeit und Umweltkrise gleichzeitig ein. Zudem pflegen wir einen Innovationswahn: Statt die Technik auf die wesentlichen Lebensbedürfnisse zu beziehen, erfinden wir laufend neue Spielzeuge. Um diese dann zu vermarkten, werden bis dahin nicht existierende Bedürfnisse durch die Werbung neu erzeugt.

(…) Wo liegt der Ausweg? Abgesehen von der nötigen intellektuellen Dekonstruktion des Neoliberalismus geht es darum, echte Alternativen in Ökonomie und Technik zu finden – und zwar jenseits der Gebetsmühle, sie müssten sich “rechnen”. Kenneth Boulding hat dafür eine schöne Metapher geprägt: Wir brauchen eine “Raumfahrer-Ökonomie”, die mit begrenzten Ressourcen arbeitet. “Fortschritt” ist damit jene soziale und technische Innovation, die die Vorräte weitgehend unangetastet lässt und den Verwertbarkeit erhöht. Also: Weniger Produktion und weniger Verbrauch – bei gleichzeitig besserer Erfüllung der menschlichen Bedürfnisse.

Auf die widersinnige und das ganze System letztlich als hohles Gerüst entlarvende, mantraartig von den Regierungschefs vorgebetete Konsumaufforderung an uns Bürger geht der Feldpolitik-Blog in „Kauft um Euer Leben!” weiter ein und wirft auch die Frage auf, ob dieses „Hamsterrad” aus mehr arbeiten, um mehr zu konsumieren usw. uns wirklich etwas bringt:

Werden weniger Autos gekauft, fahren die Autoproduzenten ihre Produktion zurück. Sie entlassen Leute und stornieren Aufträge bei Zulieferern, was letztlich entlang der Wertschöpfungskette zu Entlassungen und Einsparungen führt. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite sieht so aus, daß ja eigentlich nur das WENIGER gekauft wird, was offenbar gar nicht so dringend GEBRAUCHT wird. Aus gesellschaftlicher Sicht heißt das, daß wir mit derselben Menge an Autos klarkommen. Wir haben also erstmal denselben Wohlstand wie zuvor. Aber: Wir sparen Zeit! Muss bei selbem Wohlstandsniveau weniger Arbeitszeit investiert werden, so bleibt mehr Freizeit! Das mag zynisch gegenüber jenen klingen, die grade von Entlassungen bedroht sind, soll aber folgendes verdeutlichen:

Wir jammern darüber, daß wir selbst und unsere Mitmenschen weniger einkaufen. Warum nutzen wir diese Situation nicht einmal, um darüber nachzudenken, warum wir Wirtschaft bislang so organisiert haben, dass möglichst VIEL zu tun ist? Was ist so gut daran, möglichst viele Autos zu herzustellen und möglichst jedes Jahr noch ein Stück Wachstum obendraufzulegen? Steigern die überfüllten Strassen unser Wohlbefinden? Macht Arbeit so viel Spaß, daß wir immer mehr davon haben müssen?

In die gleiche Richtung zielt auch „Ihr Kinderlein, kaufet, so kaufet doch ein” auf Spiegel Online:

Shoppen für das Vaterland wird sich bei uns nicht machen lassen. Das klingt wie “Ficken für den Frieden”, das ist ein Witz, das ist Satire. In einer düsteren Prognose auf 2009 beklagt ein Wirtschaftsexperte das “Fehlen sportlicher Großereignisse” im kommenden Jahr. So ist der Mensch: rührend. Frauen brauchen Einladungen, um Geld für ein neues Kleid locker zu machen, Männer Fußballweltmeisterschaften, um einen großen neuen Flachbildfernseher als absolut notwendig zu empfinden. Auch das ein Witz. Zumindest dem Fernsehgerätemarkt und den Fähnchenherstellern wäre mit einer eingeschobenen Sonderweltmeisterschaft geholfen.

Werbung wird längst als Schmieröl der Wirtschaft empfunden. Nichts geht ohne Anzeigengeschäfte. Vorbei die Zeiten, da man der Werbung vorwarf, Konsumterror auszuüben. Exzessives Shoppen war ein Sport der Spaßgesellschaft. Es ist aber auch neurotisch. Etwas zu kaufen, was man nicht unbedingt braucht, ist eine Ersatzhandlung. Dass die Regierungen ihre Bürger nun dazu bewegen wollen, dem Wachstum der Wirtschaft zuliebe ein bisschen unsolide und verschwenderisch zu sein, ist nicht ohne Komik.

Verwandte Beiträge:

Seite 26 von 29

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén