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Update von der Discounterfront: Neuer Skandal um Lidl, und Aldi- & Lidl-Umsätze „brechen ein“

Lidl versucht ja nun seit den letztjährigen Bespitzelungsskandalen mit millionenschweren TV-Reklamespots das ramponierte Image wieder etwas aufzupolieren (die typische Vorgehensweise ertappter Konzerne – es wird dabei vermutlich mehr Geld ins Image als in die tatsächliche Verbesserung gesteckt). Dies könnte sich nun erst recht als herausgeworfenes Geld erweisen, denn Spiegel Online berichtet aktuell von einem neuen Skandal rund um den Billigheimer: „Mitarbeiterkontrolle: Lidl führte geheime Krankenakten“:

Der Fall wurde durch einen Zufallsfund in einer Mülltonne bekannt: Der Discounter Lidl hat die Krankheiten von Mitarbeitern laut SPIEGEL-ONLINE-Informationen in firmeninternen Unterlagen festgehalten – obwohl das arbeitsrechtlich bedenklich ist. Datenschützer reagieren empört. (…)

Am spektakulärsten aber sind die Namenslisten aus einzelnen Filialen, in denen die Krankheiten der Mitarbeiter säuberlich notiert sind. Von Grippe, Rückenleiden und Bluthochdruck bis zu Klinikaufenthalten, künstlichen Befruchtungen und privaten Problemen. All diese Einträge stammen aus der Zeit nach der Entdeckung der Spitzelmethoden. Der Fund passt deshalb so gar nicht zu den Beteuerungen von Lidl, nach Aufdeckung des Spitzelskandals im vergangenen Jahr seine Lektion gelernt zu haben. (…)

So wundert sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, über derartige Notizen. „Dass jemand sich einer Operation unterzogen hat oder beim Psychologen war, das sind alles hochsensible Daten. Solche Daten dürfen nur erfasst werden, wenn es dafür einen Grund gibt.” Schaar ist der Ansicht, dass dies erneut ein Fall für die zuständige Aufsichtsbehörde ist. “Die müssen das prüfen. Dass man dabei zu dem Ergebnis kommt, das ist unzulässig, halte ich für ziemlich wahrscheinlich“, sagt Deutschlands oberster Datenschützer.

Es gibt jedoch auch Erfreuliches von der Discounterfront zu vermelden – der Spiegel schreibt in einem anderen Artikel nämlich: „Discounter: Umsätze von Aldi und Lidl brechen ein“:

Obwohl die Discounter in diesem Jahr bereits vier Mal – begleitet von großem Werbegetöse – die Preise für zahlreiche Produkte gesenkt hätten, seien nicht mehr Kunden in die Märkte gekommen. Im Februar hätten die Umsätze von Aldi um 7,4 Prozent und von Lidl laut GfK um 6,2 Prozent unter dem Vorjahreswert gelegen, berichtet das Blatt.

Sehr gut, ein Anfang ist gemacht! :-)

Verwandte Beiträge:

Lidl/Aldi/Discounter – Profite auf Kosten der Allgemeinheit, oder: Die Spirale abwärts. Teil 2/2

(Dies ist Teil 2 meines Discount-Diskurses – Teil 1 findet Ihr hier.)

Nach alledem ist es nur logisch, dass dieses gnadenlose Drehen an der Kostenschraube bis in den Schmerzbereich hinein nicht an den Unternehmensgrenzen der Discountketten Halt macht, sondern sich nahtlos auf die inländischen Zulieferbetriebe und deren Produzenten etc. ausdehnt. Da Aldi/Lidl usw. gewaltige Warenmengen abnehmen, aber um jeden Cent knausern, werden auch die Zulieferer unter den Druck gesetzt, zu sparen, Kosten zu senken, so billig wie nur irgend möglich zu produzieren/produzieren zu lassen, damit der Betrieb noch profitabel bleibt. Das bedeutet, dass die Probleme, die sich schon bei den Discountern zeigen, also Lohndumping, Ausbeutung der Mitarbeiter, unbezahlte Überstunden, direkt auch bei den nachgelagerten Firmen auftreten. Und dann wiederum bei den Produzenten oder bei den Landwirten, die die Industrialisierung der Landwirtschaft mit all den schädlichen Folgen für Böden & Umwelt (und der Gesundheit der Menschen) immer weiter voranpeitschen müssen. Mehr Chemikalien, um die Erträge zu erhöhen, der Einsatz von Leiharbeitern, von Wanderarbeitern aus Osteuropa, Schwarzarbeit, Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte usw. usf. Der letztes Jahr von Günther Wallraff aufgedeckte Skandal um eine Brötchenfabrik, die unter schlimmsten Bedingungen für Lidl poduziert machte Schlagzeilen, wenngleich sich der gemeine Discountkunde offenbar selbst durch solche Meldungen nicht in seinem Kaufverhalten erschüttern lässt…

u1_sw_aldi-2_282x398Selbstverständlich haben die Discounter auch längst die Vorteile der Globalisierung für sich entdeckt und produzieren zuhauf in Billiglohnländern, um noch mehr Kram unter die Leute bringen zu können. Demzufolge herrschen in den Zulieferbetrieben außerhalb Deutschlands noch erbärmlichere Zustände, da hier Menschen unter fast unmenschlichen Bedingungen für den westlichen Billigwahn schuften müssen. Zeitlich sehr gut mit den ARD-Sendungen abgestimmt veröffentliche das Südwind-Institut für Ökonomie und Ökologie in Siegburg Anfang der Woche eine aufrüttelnde Studie über Arbeiterinnen in China, die für Aldi produzieren und bei denen kaum nennenswerte Arbeitsschutzregeln eingehalten werden. Wie auch, wenn das deutsche Unternehmen so wenig wie nur irgend möglich zahlen möchte und diesen Druck, wie eben schon geschrieben, direkt weiterreicht? Man lese dazu den Bericht aus der ZEIT („Aktionsware: Geizen auf Kosten chinesischer Arbeiter“) oder der taz („Aldi verstößt gegen die Arbeitsrechte“), genauso wie auch meine älteren Beiträge (hier, hier) und die ausführliche Studie der Kampagne Saubere Kleidung über die unfeinen Methoden von Lidl & kik bei der Herstellung der chemiedurchtränkten Billigtextilien, die bei uns im Lande ebenfalls reißenden Absatz finden.

Die Freude über diese „Schnäppchenhits“ wird getrübt durch die Umstände, unter denen sie produziert werden. Die meisten dieser importierten Waren stammen aus Zulieferfirmen, in denen “unmenschliche Arbeitsbedingungen” herrschen. ein.

Die Schnäppchen in Deutschland werden „erkauft durch systematische Verletzungen von Arbeits- und Frauenrechten“ in China, sagt die Autorin der Studie, Ingeborg Wick. In der chinesischen Textil- und IT-Industrie seien oft minderjährige Arbeiterinnen beschäftigt. Viele von ihnen müssten einen Teil ihres Lohns als Vermittlungsgebühr an ihre Schulen zahlen. Wochenlange Lohnzurückhaltung, Repressionen gegen Gewerkschaften – all das sei keine Seltenheit, nichts davon entspreche unseren Sozialstandards.

„Die meist weiblichen Beschäftigten arbeiten bis zu 91 Stunden pro Woche und können dennoch von ihren kargen Löhnen kaum leben“, sagt Wick. Der Arbeitsdruck sei enorm, Fehler würden mit Geldbußen bestraft.

Thomas Pany kommentiert dies auf Telepolis durchaus treffend:

„In Discountläden würden verstärkt Markenwaren und eine größere Sortimentsbreite für eine zahlungskräftige Mittelschicht angeboten”, heißt es dort und: “die größte Einzelgruppe der Kunden von Aldi [ist] die der Besserverdienenden“. Das ist für viele wahrscheinlich keine neue Erkenntnis und für die Informierten dürfte auch das Kernergebnis der Studie von Ingeborg Wick keine Überraschung sein: die bei Aldi angebotenen billigen Aktionsprodukte werden von den Zulieferbetrieben in China unter “massiver Verletzung von Arbeitsrechten” hergestellt.

Nimmt man aber die beiden Aussagen zusammen, dann ist es ein wenig verwunderlich, wie leicht sich der Mittelstand, der sich als Papa und Mama in Erziehungsgesprächen gerne als sehr informiert und moralisch orientiert zeigt, über solches Wissen in der Realität hinwegsetzt und fleißig beim Discounter einkauft. Oder ist es letztlich die Endorphinausschüttung beim Schnäppchenmachen, die klassenübergreifend ist? Der gelungene Aldi/Lidl-Großeinkauf – Anlass für kleine, wöchentliche Victory-Zeichen von Haushaltsackermännern und -frauen? Es scheint manchmal so.

Dies waren die Auswirkungen, die vor allem diejenigen treffen, die direkt oder indirekt im Umfeld der Discounter arbeiten (müssen) – wem das Wohlergehen anderer Menschen egal ist und wer auf Ethik und Moral pfeift, solange sie nicht ihn selbst betrifft, kann diesen Bereich vermutlich noch ausblenden und einfach weiter seinen Billigmist kaufen und sich freuen, dass er ja scheinbar so viel spart. Aber spart er wirklich? Führt das Pfennigfuchsen nicht vielmehr dazu, dass wir alle – und der Billigkäufer mit – drauflegen müssen und den günstigen Preis mit erodierenden Sozialsystemen, Umweltzerstörung, gesundheitlichen Risiken, der Verschandelung des Stadtbildes etc. am Ende doppelt und dreifach bezahlen? Ich denke schon – selbst, wer nur an die Maximierung des eigenen Nutzens (aber nicht ausschließlich ultrakurzfristig) denkt, ist besser beraten, den Discountern sein Geld nicht in den Rachen zu schmeißen.

einkaufswagen-aldiklBeispielsweise wird durch den niedrigen Preis, den die Aktionswaren haben, die Wegwerfmentalität gefördert – es wird viel Schund produziert, der dann vorschnell zu Müll wird. „Ach, das ist ja so günstig, da macht es ja nichts, wenn ich das Besteck nach einem Jahr wegschmeißen muss. Kauf ich mir halt wieder neues!“ (O-Ton einer Bekannten von mir!) Die daraus resultierende Ressourcenverschwendung zahlen wir alle, genauso wie die Umweltausbeutung und -zerstörung, die uns alle von Jahr zu Jahr teurer zu stehen kommt. Zumal dann, wenn Menschen in der sog. Dritten Welt die Existenzgrundlage entzogen wird, indem ihr Land, ihre Flüsse und Wälder, vergiftet werden, nur um billig und ohne lästige Umweltauflagen irgendeinen Ramsch herzustellen, der dann hier in der Ecke verstaubt oder alsbald auf der Müllkippe landet. Das perverse und selbstzerstörerische System, das unserem Wirtschaften zugrunde liegt (siehe The Story of Stuff), wird durch die Billigläden noch einmal extra angetrieben und verschärft die weltweiten Krisen immens!

Genauso fatal und teuer: die aus der voranschreitenden krebsgeschwürartigen Verbreitung der Discounter bei gleichzeitiger Zurückdrängung anderer, gewachsener Einzelhandelsstrukturen (=> bedrohliche Marktmachkonzentration) resultierende Arbeitsplatzvernichtung. Studien aus den USA haben ergeben, dass für jeden Arbeitsplatz, den WalMart schafft, 1.5 besser bezahlte Arbeitsplätze im Einzelhandel vernichtet werden (siehe z.B. das Buch von Franz Kotteder, Kapitel „Das vermeintliche Jobwunder“). Und WalMart ist im Vergleich zu Schlecker oder Aldi noch üppig mit Personal ausgestattet, so dass man sich die Folgen für den hiesigen Arbeitsmarkt entsprechend ausmalen kann. Die Folge davon ist natürlich ein allgemeines Absinken der Kaufkraft („Die Discounter erschaffen sich ihre eigene Kundschaft“), geringere Staatseinnahmen (durch niedrigeres Steueraufkommen) sowie höhere Staatsausgaben für Arbeitsmarktmaßnahmen (Hartz IV etc.) Diese Tendenz forcieren vor allem Aldi und Lidl noch dadurch, dass sie ihre Unternehmen in ganz besonders undurchsichtigen Stiftungsstrukturen angelegt haben, die dazu führen, dass die „armen“ Multimilliardäre noch zusätzlich Steuern sparen. Oder, anders formuliert: sie bereichern sich auf Kosten der Gemeinschaft. Wer in solchen Läden kauft, unterstützt dieses Sozialschmarotzer-Gebaren der Herren Albrecht und Schwarz aktiv mit seinem eigenen Geld und nimmt sich das, was er beim Einkauf angeblich spart, quasi mit der anderen Hand wieder aus dem Portemonnaie!

Also, kurz und gar nicht gut, mein leicht polemisches Fazit: Der Einkauf bei Discountern ist ignorant, unsozial und zerstörerisch (von dieser Einschätzung nehme ich diejenigen, die auf Grund ihrer persönlichen finanziellen Lage quasi dazu gezwungen sind, so billig wie nur irgend möglich einzukaufen, natürlich aus). Und, nein, Biowaren bei Aldi & Co. zu kaufen, ist KEIN „politischer Konsum“, sondern unterstützt ebenfalls nur dieses ausbeuterische und kranke System, statt nachhaltigere Alternativen zu fördern (auf dieses Thema werde ich noch mal in einem gesonderten Beitrag eingehen). Deswegen sollte sich auch bloß niemand von der neuen scheinheiligen Lidl-TV-Reklame einlullen lassen – das Discount-Prinzip ist und bleibt eine Abwärtsspirale, für uns alle.

Ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung zur neuen Südwind-Studie soll meine Ausführungen beschließen – „Discounter in der Kritik – Wer auf Aldi zeigt…“:

Wer dies alles empörend findet, mag sich nun über Aldi aufregen – aber eines nicht vergessen: Wer mit dem Finger auf andere zeigt, zeigt immer auch mit drei Fingern auf sich. Ein Computer, der bloß 499 Euro kostet? Winterstiefel für 19,99 Euro? Lattenrost für 39,99 Euro? Dass an diesen Preisen irgend etwas nicht stimmen kann, konnte sich im Grunde jeder schon immer denken.

Und wer es jetzt nicht weiß, der will nicht wissen, sondern haben.

[Eins muss ich natürlich der Gerechtigkeit halber anmerken – diverse der oben aufgeführten Kritikpunkte betreffen nicht exklusiv nur die Discounter, sondern mittlerweile (wenn auch i.d.R. in abgeschwächter Form) ebenso generell große Handelsketten. Denn auch Markenware kann unter ausbeuterischen Bedingungen hergestellt werden (siehe Nike, H&M), so dass man dort den höheren Preis nicht für höhere Qualität, sondern fürs Image und die aufgemotzten Reklamekampagnen bezahlt. Deswegen sollte man sehr gut schauen, wo man kauft – Produkte, die NICHT von den weltweiten operierenden Megakonzernen stammen, sind schon mal eine gute Idee…]

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Wer nach alledem Discounter immer noch für tolle Einkaufsmärkte hält, dem habe ich noch eine Reihe weiterer Informationen anzubieten. So hatte Attac München 2005 eine Aktion gestartet, um auf die Missstände speziell bei Lidl hinzuweisen und dafür ein sehr gut gelungenes Adbusting eines Lidl-Werbezettels erstellt. Diesen Flyer könnt Ihr Euch hier herunterladen. Ideal zum Ausdrucken, Weiterverteilen und Aufklären ist auch dieses darauf basierende, im Internet kursierende doppelseitige Flugblatt.

Noch mehr Hintergrundwissen:

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lidlattacWer diesen Blog (und auch meinen musikbezogenen Coast Is Clear) seit einer Weile verfolgt, wird wissen, dass der Kampf gegen die Discounterschwemme und den Billigwahn von Anfang an ein wichtiges Thema für mich war. Schon seit längerem wollte ich an dieser Stelle eine ausführlichere Analyse der fatalen Folgen dieses Geschäftsmodells für Umwelt, Menschen und Gesellschaft schreiben – seit einigen Tagen ist ja auch in den Mainstreammedien das Interesse an Aldi, Lidl & Co. neu aufgeflammt. Ausgelöst nicht zuletzt durch den TatortKassensturz“ am letzten Sonntag, in dem es um die schlimmen Arbeitsbedingungen beim fiktiven Discounter „billy“ ging, und die anschließende Diskussionsrunde bei Anne Will mit dem Thema „Harte Bandagen beim Discounter” und Schilderungen von Betroffenen, die unter den Schikanen bei Lidl etc. zu leiden hatten und haben.

Dies nehme ich nun mal zum Anlass, genauer darzulegen, wieso Discounter ein Verarmungsmodell für uns alle (abgesehen von den Discountmilliardären selbst) und grundsätzlich nicht zu akzeptieren sind. So mancher Kritikpunkt an den Billigheimern ist natürlich schon länger bekannt, nur werden entsprechende Diskussionen meines Erachtens oft zu verengt geführt, d.h. sie berücksichtigen in der Regel nur einzelne Aspekte des leider sehr vielschichtigen und auch mit anderen Entwicklungen in der Wirtschaft & Gesellschaft verzahnten Problemfeldes. In meiner Buchrezension von Franz Kotteders Buch „Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter“ hatte ich vor einer Weile einige der Angriffspunkte ja bereits angerissen und dort auch erwähnt, dass die Mehrzahl der Discount-Kunden keineswegs zu den Einkommensschichten gehören, die quasi gezwungen sind, zu sparen, wo es nur geht, sondern es sich sehr wohl leisten könnte, andere Geschäfte zu besuchen.

Also, was ist so schlimm an der Aldisierung der Welt? Geld zu sparen und Lebensmittel und sonstige Waren für niedrigere Preise als im „normalen“ Einzelhandel zu kaufen, ist doch eigentlich eine tolle Sache? Ist Geiz nicht geil? Und tauchen Discounter-Produkte nicht bei Waren- und Geschmackstests immer mal wieder auf erstaunlich oberen Plätzen auf, trotz ihres billigen Preises? Wieso also mehr zahlen für eine (vermeintlich) mehr oder weniger vergleichbare Leistung?

Diese Fragen und Entgegnungen sind wohl die häufigsten, die man in entsprechenden Diskussionen zu hören bekommt. Es sind Äußerungen, die ausschließlich die (vermutete) kurzfristige Eigennutzenmaximierung ins Zentrum der Argumentation stellen und die demnach dem in unserem neoliberalen Wirtschaftssystem weithin propagierten Credo des schnellen Profits, der Quartalszahlenfixierung, kurz, dem „Nach mir die Sintflut / Hauptsache, mir geht’s gut“ perfekt entsprechen. Doch wie meistens bei extrem kurzsichtigen Betrachtungsweisen komplexer Abläufe werden die Mittel- bis Spätfolgen, die nicht nur zukünftige Generationen, sondern auch schon die Geizkäufer und Knauser selbst betreffen dürften, sowie die oft skandalösen Bedingungen, unter denen die Billigware aus dem Boden gestampft und vertrieben wird, von solchen Leuten komplett übersehen und unter den Teppich gekehrt.

Beginnen wir mit dem Punkt, den auch der Tatort und Anne Will besonders hervorhoben – den miesen Arbeitsbedingungen bei den Discountern selbst. Jedem, der sein Gehirn mal kurz einschaltet, sollte klar sein, dass die Discounter ihre billigen Preise primär auf Grund extremer Einsparungen erreichen können (und nicht etwa wegen großer Abnahmemengen oder spartanischer Architektur). Und da Mitarbeiter einen wesentlichen „Kostenfaktor“ für jede Bilanz darstellen, wird hier „natürlich“ (der Logik des Marktes folgend) als erstes gespart. Dies wirkt sich derart aus, dass in Discountläden weniger Menschen arbeiten als sonst im Einzelhandel üblich (=> höhere Belastung für den Einzelnen sowie generell steigende Arbeitslosigkeit im Sektor) und diese zudem noch schlechter bezahlt werden und generell unterhalb der üblichen Sozialstandards, wie man sie in reichen Ländern erwarten dürfte, schuften müssen.

aldi_250Beispielsweise verfügen gerade einmal 7 der ca. 3000 Lidl-Filialen in Deutschland über einen Betriebsrat, und auch die anderen Ketten wie Aldi und Schlecker unternehmen alles, um Betriebsräte zu verhindern und diejenigen, die sich gewerkschaftlich engagieren, psychisch unter Druck zu setzen und gar aus der Firma zu mobben (u.a. nachzulesen bei Kotteder). Der als-ob-leben-Blog präsentierte vor einigen Tagen eine kleine Auswahl aus tausenden von Beiträgen, die Betroffene im Discount-, aber auch dem sonstigen Handelsbereich nach der Anne Will-Sendung in den dortigen Blog schrieben und die einen erschreckenden Einblick in die Arbeitssituation heutzutage geben:

Hier mal einen kleinen Einblick in den Arbeitstag von mir und meinen Kollegen im Discounter.2 Frauen haben freiwillig gekündigt, weil sie den Druck nicht mehr aushalten konnten, ein Kollege hat sich runterstufen lassen vom Filialleiter zum stellv. Filialleiter (weniger Stunden) und ein Kollege ist so nervlich kaputt, dass er jetzt beim Arzt war und am Montag zum Nervenarzt überwiesen wurde, ganz zu schweigen von den Kolleginnen, die sich einen neuen Job gesucht haben – und das alles in eineinhalb Jahren.

Oder:

Folgendes hat sich bei mir zugetragen.
Eine Angestellte im 7 Berufsjahr wurde zu teuer.
Ich bekam vom Bezirksleiter die Anweisung “die muss weg ist zu teuer“
Ich habe nichts unternommen (Diebstahl unterschieben u.a)
Dann wurde ich aus meinem Urlaub zu Feierabend in die Filiale bestellt.
Der Bezirksleiter setzte mich und die Angestellte in den Aufenthaltsraum.
Der BZ-Leiter plusterte sich in seiner Manneskraft auf und warf der Angestellten Diebstahl vor. Sie stritt ab. Er wurde lauter und drohte!! Der BZ-Leiter erhöhte die Drohungen bis die Angestellte endlich nach gab und unter Tränen ihre Eigenkündigung schrieb.
Dann gingen alle nach Hause. Ich wusste nicht wie mir geschah.
Die Angestellte ging vor Gericht.
Ich musste aussagen.
Vor meiner Aussage wurde mir nahe gelegt, dass ich Alleinverdiener bin 3 Kinder und gebaut habe. Ich würde doch wissen, wer mein Arbeitgeber ist.
Ich der Zwangslage und unter Angst meine Existenz zu verlieren habe ich doch die Wahrheit gesagt.
Danach wurde ich so lange gemobbt bis ich selbst gekündigt habe.
Ein ex Aldi Marktleiter

aldi-chefs_250Ähnliche Schilderungen finden sich schon seit längerem auch auf der Seite Chefduzen – es lohnt sich, den dortigen Beitrag bzw. den Thread „Ob Lidl, Schlecker oder Aldi“, durchzulesen (hier als pdf, falls nicht mehr online). Er beginnt mit dem Zitat des Artikels „Fiese Arbeit – Alle unter Kontrolle“ aus der ZEIT vom 17.11.2005:

Ob Lidl, Schlecker oder Aldi – bei den Discountern regieren die Patriarchen. Und die Mitarbeiter dürfen nur eines: Funktionieren

(…) In einigen Filialen von Lidl kontrolliert bereits der Kassencomputer die Kassiererinnen. Pro Minute müssen sie mindestens 40 Artikel über den Scanner ziehen; Neulinge haben vier Monate Zeit, um die hohe Schlagzahl zu erreichen. Erzeugt wird eine Atmosphäre der Angst: Eine Verkäuferin aus Bremen berichtet, aus Furcht vor Kündigung mit hohem Fieber so lange im Laden gestanden zu haben, bis sie zusammenbrach. Lidl will sich zu einzelnen Vorwürfen nicht äußern.

(…) Der US-Handelsgigant Wal-Mart wollte seinen hiesigen Angestellten sogar ins Liebesleben hineinregieren und verbot ihnen Anfang des Jahres »private Beziehungen/Liebesbeziehungen« untereinander. Am Montag erklärte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf diesen Teil der »Unternehmensethik«-Richtlinie für rechtswidrig. Wal-Mart betonte, man habe nur Abhängigkeitsverhältnisse verhindern wollen.

Von den Überwachungsskandalen speziell bei Lidl (für die das Unternehmen auch gerichtlich verurteilt wurde) hatte ich an dieser Stelle ja schon mal berichtet – und dass diese Art des „Mitarbeiterhandlings“ sich leider bei den anderen Ketten in ähnlicher Weise wiederfindet, zeigt z.B. dieser Bericht über Bespitzelungen bei Plus (die Staatsanwaltschaft ermittelt auch in diesem Fall).

Dieses war der erste Streich – morgen folgt Teil 2 meines Discount-Diskurses, in dem es um all die anderen üblen Auswirkungen der Billigheimer-Schwemme geht.

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