Aug
10
2009
4

Deutsche Universitäten beginnen, sich gegen den Einfluss von Bertelsmann zu wehren

uni-siDas ist doch mal eine erfreuliche Meldung – der Fachbereich Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften der Uni Siegen gab vor einigen Tagen bekannt, sich nicht mehr am CHE-Hochschul-Ranking zu beteiligen. Damit setzt sich der Trend fort, dass immer mehr Universitäten, u.a. auch in der Schweiz und in Österreich, an diesem federführend von der Bertelsmann Stiftung getragenen Ranking, nicht mehr teilnehmen. Bemerkenswert ist dabei die Stellungnahme des Fachbereichs, in der explizit auch auf Bertelsmann eingegangen wird (Hervorhebung von mir):

Am 1. Juli 2009 hat der Fachbereichsrat des Fachbereichs 3 (Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften) der Universität Siegen beschlossen, sich mit seinen Fächern künftig nicht mehr am Ranking des von der Firma Bertelsmann gegründeten CHE (Centrum für Hochschulentwicklung gGmbH) zu beteiligen.

Die Gründe für diese Entscheidung sind:

  • Die Leistungen eines Faches in Forschung und Lehre lassen sich nicht à la Aktienkurse oder Bundesligatabellen darstellen. Das Profil und damit die Qualität einzelner Fächer differenziert sich nämlich horizontal statt vertikal: mit den in Forschung und Lehre jeweils gewählten inhaltlichen Akzenten. Die besondere Attraktivität der Siegener Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften liegt genau darin.
  • Die geforderten Daten durch Fächer, Fachbereich und Verwaltung – für das CHE kostenlos – bereitzustellen, bedeutet einen erheblichen Aufwand. Das bindet Ressourcen, die anderweitig, nämlich für die tatsächliche Verbesserung von Forschung und Lehre dringend benötigt werden.
  • Da es viele Zweifel an den Methoden und Kriterien des CHE-Ranking und an der willkürlichen Auswahl von Vergleichsparametern gibt, macht es wenig Sinn, hier weiter zu investieren.
  • Ständiges Messen, Testen, Ranken im Bildungswesen führt dazu, dass ›gute Messergebnisse‹ als Handlungsziel von Bildungsinstitutionen überbewertet werden. Das ist alles andere als funktional. Es gibt aber dem rankenden Privatunternehmen die Möglichkeit, das öffentliche Bildungswesen faktisch zu steuern und es demokratischer Kontrolle zu entziehen.
  • Das Ranking erzeugt, was es zu messen vorgibt: Ungleichheit zwischen den Hochschulen. Das Ranking fördert die Entkopplung von Forschung und Lehre und trägt damit zur Demontage der traditionellen Stärken des deutschen Hochschulsystems bei.

Aus diesen und weiteren Gründen haben sich nicht nur Österreich und die Schweiz bereits im letzten Jahr aus dem CHE-Ranking verabschiedet. Auch in den USA, dem Ursprungsland des Ranking von Bildungsinstitutionen, verweigern sich gerade gute Hochschulen dem Ranking durch finanziell interessierte Akteure und wirtschaftsnahe Organisationen. Auch in Deutschland nimmt die Bereitschaft zur Teilnahme am CHE-Ranking ab, zuletzt hat sich die mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Kiel daraus verabschiedet (vgl. Forschung und Lehre 7/2009). An der Universität Siegen haben die Fachbereiche 2 und 8 entsprechend entschieden.

Dass wir den Vergleich mit anderen Hochschulen nicht scheuen, versteht sich. Wir entscheiden uns in keiner Weise gegen den Wettbewerb, vielmehr gegen den wachsenden Einfluss der Firma Bertelsmann und anderer Wirtschaftsverbände auf die Bewertung von Forschung und Lehre.

Wie gut wir sind, davon kann sich jede(r) ein eigenes Bild machen: in unseren Lehrveranstaltungen, auf unserer Homepage, auf den Homepages unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, an unseren Forschungsergebnissen, in unseren Publikationen.

Bravo, kann man da nur sagen! Hoffentlich folgen noch viele andere Hochschulen diesem Beispiel.

bild-7„Bertelsmann, was soll an denen denn so schlimm sein, sind das nicht die netten Onkel mit dem Buchclub?“, fragt sich nun vielleicht der eine oder andere, der mit der Matiere bisher noch nicht so vertraut ist. Nun, dazu empfehle ich neben meinen älteren Beiträgen „Das Bertelsmann-Imperium“ und „Bertelsmann und die Bertelsmann-Stifung – die schleichende Untergrabung der Demokratie“ auch diese aktuelle Sendung der Initiative Freie-Radios.net: „Medienmacht & Arbeitsweise der Bertelsmann-Stiftung“ (mp3) [via]

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Feb
28
2009
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Medienmanipulation durch Werbeentzug (Werbung schadet, Teil 2b)

Vor einiger Zeit hatte ich in meiner kleinen Serie Werbung schadet (die bald weiter fortgesetzt wird, versprochen) über die negativen Auswirkungen der Reklameabhängigkeit unserer vermeintlich so freien Medien geschrieben. So führt die Tatsache, dass die Budgets der meisten Sender, Zeitschriften etc. von den Werbeeinnahmen abhängen, logischer Weise zu einer verringerten Kritikfähigkeit gegenüber den Firmen, die „ihre“ Zeitschriften so großzügig mit Anzeigenaufträgen bedenken. Das, was dem werbefreien Greenpeace Magazin regelmäßig z.B. in seinem Lügendetektor gelingt, nämlich Reklamekampagnen der großen Konzerne kritisch zu hinterfragen und die dahinter liegenden Tatsachenverdrehungen und Lügen offenzulegen oder zu persiflieren, würde man sich im Prinzip generell von allen Medien wünschen – und könnte man in einer wirklich freien, demokratischen Medienlandschaft auch erwarten. Die traurige Realität sieht jedoch leider anders aus – Umweltverschmutzer wie Vattenfall schalten ganzseitige Imagekampagnen, in denen sie das Blaue vom Himmel herunterlügen, und den Redaktionen der Zeitungen oder Sender ist es in der Regel nicht der Mühe wert bzw. trauen sie sich nicht, diese Desinformationen beispielsweise in der nächsten Ausgabe klipp und klar richtig zu stellen. So muss man sich über die „Qualität“ der kommerziellen Medien auch nicht weiter wundern.

Zu dieser Problematik brachte die 3sat-Sendung Zapp! vor einiger Zeit einen sehenswerten Beitrag, der einem vor Augen führt, wie weit der vorauseilende Gehorsam mancher Redaktionen im Hinblick auf die Interessen der Werbekundschaft inzwischen geht. „Selbstzensur“ heißt das Zauberwort. [via]

>> Teil 1: Werbung schadet (1): Die Versaubeutelung der Sprache
>> Teil 2: Werbung schadet (2): Die untrennbare Vermischung von Reklame und Redaktionellem
>> Teil 3: Werbung schadet (3): Ressourcenverschwendung
>> Teil 4: Die Verschandelung des öffentlichen Raums und die Durchkommerzialisierung des Alltags

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