Angeblich sind die großen Konzerne ja unheimlich wichtig für das Wohlergehen des Landes, für die Arbeitsplätze, den Exportweltmeistertitel usw. usf. Leider versuchen sich die meisten größeren Unternehmen aber aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu stehlen und greifen zu allen Tricks und Kniffen, um möglichst wenig Steuern zahlen zu müssen und somit möglichst wenig des erwirtschafteten Gewinns an die Allgemeinheit zurückzugeben. Der bemerkenswerte Fall von IKEA war ja neulich erst in der Fernsehsendung Monitor Thema (siehe HIER), aber selbstredend gibt es genug andere Firmen, die genauso funktionieren – die Discounter wie Aldi und Lidl beispielsweise sind durch ein undurchdringliches Geflecht von Stiftungen so konstruiert, dass die Profite ungebremst am Fiskus vorbei in die Taschen der Gesellschafter/Besitzer fließen. Aber auch solch vermeintlich honorige Unternehmen wie Bayer mischen fröhlich mit, wie der Verein Coordination gegen Bayer-Gefahren unlängst berichtete – „Bayer zahlt erneut weniger Steuern“:
Die BAYER AG rechnet sich vor dem Fiskus arm und kann dadurch erneut die Höhe der gezahlten Ertragssteuern reduzieren. Die Zeche wird von der arbeitenden Bevölkerung beglichen, deren Abgaben- und Steuerlast weiter steigt. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren fordert eine angemessene Beteiligung großer Konzerne an der Finanzierung des Gemeinwesens.
Der Leverkusener BAYER-Konzern hat am Montag die Bilanz für das vergangene Geschäftsjahr vorgelegt. Darin ist unter anderem ein Verlust in Höhe von 405 Millionen Euro wegen des Wegfalls der Marke „Schering“ ausgewiesen. BAYER-Chef Marijn Dekkers hatte Anfang Februar angekündigt, weltweit nur noch unter dem Markennamen „BAYER“ aufzutreten und den Namen der 2006 übernommenen Schering AG aufzugeben.
Die Presse kommentiert dementsprechend: „Schering verdirbt Bayer die Bilanz“ (Berliner Morgenpost) und „Aus für Name Schering belastet Bayer-Bilanz“ (Die Welt). Tatsächlich handelt es sich bei dem Vorgang aber um eine Abschreibung – der angenommene Wert der Marke wird aus der Bilanz genommen -, nicht jedoch um reale Zahlungen.
Trotz ihres virtuellen Charakters führt die Abschreibung dazu, dass der Konzern für 2010 einen niedrigeren Profit ausweisen kann und daher weniger Steuern zahlt – obwohl Umsatz und Gewinn deutlich stiegen. Die von BAYER gezahlten Abgaben befinden sich bereits seit Jahren auf Talfahrt: Lagen die Ertragssteuern zwischen 1997 und 2000 noch bei rund einer Milliarde Euro, so fielen sie 2009 auf 511 Millionen Euro und nun auf 411 Millionen Euro.
Jan Pehrke vom Vorstand der Coordination gegen BAYER-Gefahren kritisiert: „Die Konzerne entziehen sich immer weiter ihrer Verantwortung für die Allgemeinheit – zu Lasten der arbeitenden Bevölkerung, die über steigende Steuern und Abgaben die Zeche zahlen muss. Es ist nicht hinzunehmen, dass BAYER und Co. immer weniger zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen.“ Pehrke bezeichnet die von den Konzernen vorgelegten Bilanzen als „Verschiebe-Bahnhöfe ohne wirkliche Aussagekraft“ und kritisiert zudem die von BAYER angekündigten Entlassungen. (…)
Wenig überraschend, aber doch Wert, hier kurz Erwähnung zu finden – eine aktuelle Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat ergeben, dass „Langes Arbeiten Gesundheit und Sozialleben schadet“. Umso erstaunlicher, dass der Erhalt des Arbeitsmarktes („Vollbeschäftigung“, „Rente mit 67“), so wie er derzeit organisiert ist, oberste Priorität für alle Parteien hat – Arbeit ist der zentrale Punkt im Leben eines jeden Menschen, und der Erwerbsarbeit hat sich alles andere unterzuordnen, so die Botschaft, die von der Politik unablässig ausgesendet wird. Zum Schaden der Menschen…:
Der Anteil von Beschäftigten, die über gesundheitliche Beschwerden klagen, nimmt mit der Dauer der geleisteten Arbeitszeit zu. Auch die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Freizeit wird durch steigendes Arbeitspensum eingeschränkt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Bei der Auswertung von vier unabhängigen Befragungen ließ sich ein direkter Zusammenhang zwischen der Dauer der wöchentlich geleisteten Arbeitszeit und dem Auftreten gesundheitlicher Beschwerden wie Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Herzbeschwerden nachweisen. Faktoren wie Schichtarbeit, variable Arbeitszeiten und Arbeitsschwere wirken sich verstärkend aus.
Die Arbeitszeiten in Deutschland werden immer flexibler, immer häufiger wird im Schichtbetrieb, abends und nachts gearbeitet. Seit längerem vermuten Arbeitswissenschaftler einen Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und gesundheitlichen Beschwerden. Die BAuA führte deshalb eine systematische Untersuchung durch, die sich auf eine Stichprobe von über 50.000 Befragten stützt. Die jetzt veröffentlichte Studie zeigt beispielhaft den Zusammenhang zwischen der wöchentlichen Arbeitsdauer und drei gesundheitlichen Symptomen – Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Herzbeschwerden – auf. Zusammengefasst heißt das: Je länger die Arbeitszeit, desto häufiger treten gesundheitliche Beschwerden auf. (…)
Und zum letzten Mal möchte ich damit auch auf DAS Thema zurückkommen, das On- und Offlinemedien seit einigen Wochen in Atem hält – die Affäre rund um K.T. zu Guttenberg, der ja nun endlich auch zurückgetreten ist. Interessanterweise hat sich eine Art Fankult um ihn gebildet, den man eigentlich eher aus der Verehrung von Popstars kennt, so dass die emotionalen Reaktionen auch eher an das Ende von Take That erinnern als an den überfälligen Rücktritt eines Politikers, der die Leute im Land belogen und genarrt hat. Das Festhalten an einem Idol erinnert eben auch an unselige Zeiten aus der deutschen Vergangenheit, wie auch auf Telepolis festgestellt wird – „Wir wollen ihn wieder – Die Treue der Guttenberg-Fans zu ihrem Kultpolitiker verrät einen irritierenden Wunsch nach einer Führerfigur“.
Auf Facebook wurde eine Gruppe „Wir wollen Guttenberg zurück“ ins Leben gerufen, die binnen weniger Tage >500.000 Mitglieder zählt (und deren Echtheit mancherorts bezweifelt wird – siehe z.B. die Frankfurter Rundschau „Guttenberg? Gefällt mir“) und die für letzten Samstag zu bundesweiten Pro-Gutti-Demos aufgerufen hat. Ein grandioser Flop, da sich nur wenige hundert Menschen zu diesen Versammlungen verirrten, wo sie oft auch von Guttenberg-Gegnern satirisch empfangen wurden. Die Facebook-Seite strotzte in den letzten Tagen vor grausligen Beiträgen, in denen die immer gleichen „Argumente“ wiederholt und gegen linke Hetzjagd gewettert wurde, und die oft genug ins Absurde drifteten, was in solchen Aussagen gipfelte:
“An alle Hater:
Wenn Guttenberg mal ein paar Gänsefüsschen vergessen hat, weil er in Afghanistan gegen die Taliban und Al Kaida kämpfen musste, dann ist das ja wohl okay!! Damit schützt er alle Deutschen, sogar euch!! Während er da war, ist uns nichts passiert, und kaum ist er weg, gibt es Anschläge (Frankfurt)!!! Denkt mal drüber nach!!!!”
Folgerichtig bildeten sich flugs auch viele „Contra-KT“-Gruppen (die bekannteste „Wir wollen Guttenberg nicht zurück“), die meist sehr ironisch daherkommen, wie „Wir wollen Gutenberg zurück“. Das intellektuelle Niveau, das viele Guttenberg-Fans in den Diskussionen an den Tag legen, zeigt sich in dem folgenden Radiobeitrag (ein Ausschnitt aus einer Sendung von Radio Fritz) überdeutlich – es steht zu befürchten, dass viele Leute hierzulande so denken:
Der User „Häkelschwein“ hat dazu im Netzpolitik-Blog einen bemerkenswerten Kommentar zum Artikel „Spaß mit Rücktritt – Wir wollen Guttenberg zurück“ verfasst:
(…) Wer nur Boulevardmedien konsumiert, aber kaum seriöse Zeitungen oder Bücher liest, für den ist alles unterhalb von Superstars, Sensationen und Riesenwirbeln jenseits der Wahrnehmungsschwelle, für den gibt es nur total toll oder total scheiße.
Guttenberg war seit langem der erste Politiker, der es über die Wahrnehmungsschwelle dieser Bevölkerungsgruppe geschafft hat, alle übrigen verschwimmen in ihren Augen in derselben grauen Masse.
Dass er Politiker war, erschien aber nur als Anlass, über ihn zu berichten, nicht jedoch als Inhalt der Boulevardberichte. Deren Konsumenten interessieren sich auch nicht für Politik, sondern für schillernde Prominente.
Guttenbergs Beliebtheit bei dieser Schicht leidet deshalb auch nicht unter seinen Fehlern als Politiker, weil seine Fans gar nicht genau sagen könnten, worin dessen Politik eigentlich besteht, sondern sie sind sich lediglich sicher, dass ein Mensch, der ihnen derart sympathisch ist, auch auf diesem obskuren Feld namens Politik etwas Großes leistet.
Alle Gegenargumente, die Guttenbergs politische Versäumnisse aufzählen, verfangen deshalb nicht. Genauso wenig wie man einer verliebten Teenagerin den nichtsnutzigen Freund ausreden könnte, denn sie liebt ihn ja nicht wegen seines beruflichen Erfolgs. Im Gegenteil verstärkt man in beiden Fällen nur die Anziehung, weil man Trotz erzeugt und ein Bedürfnis, das Objekt seiner Liebe zu verteidigen. (…)
Und noch zwei Artikel und dann soll es auch mal gut(t) sein mit dem Freiherrn! Auf jeden Fall in meinem Blog, die Staatsanwälte werden sicherlich noch eine Weile mit KT zu tun haben.
- Jonas Schaible in Carta: „zu Guttenberg: Ein Talent verselbständigt sich“
- Georg Seeßlen in Der Freitag: „Berlusconismus: Der Freiherr als Staubsaugervertreter“
- Thomas Mayer in der Frankfurter Rundschau: „Auf dem Weg nach Berlusconistan?“ (unbedingt lesen!)
(…) Es ist der Triumph der politischen Inszenierung über die Demokratie.
Das „Charisma“, das dabei entsteht, ist ähnlich wie bei den Pop-Stars keine Charaktereigenschaft der natürlichen Person, sondern ein Als Ob, ein synthetisches Produkt aus Inszenierungskunst, Publikumssehnsucht, Medienkooperation. Gewiss, dieser Gnadenstand ist beim ersten Anlauf Guttenberg und seiner Truppe in Politik und Boulevard noch nicht ganz gelungen, trotz der 80 Prozent Zustimmung, die von dort täglich gemeldet wurden. Die Nerven des Helden waren denn doch noch zu empfindlich, zumal angesichts des ausstehenden Urteils der ordentlichen Gerichte, sonst hätte es eventuell schon gereicht. (…)
- Volker Zastrow in der FAZ: „Wie Ken den Kopf verlor: Guttenbergs verschleppter Rücktritt“:
(…) Als Guttenberg vor einigen Monaten wieder als „Mann des Jahres“ gehuldigt wurde, wollten wir als F.A.S. nicht mitmachen. Wir haben uns für einen Unbekannten entschieden, einen ehemaligen Odenwaldschüler, ein tapferes und zähes, missbrauchtes Kind. Beim Ehepaar Guttenberg interessierte uns etwas anderes: der ganze Zirkus um dieses Traumpaar der Politik hatte, unablässig angestachelt vom Boulevard, inzwischen schon Züge der Lady-Di-Hysterie angenommen – und ehrlich gesagt war Lady Di es ja nun auch nicht wert. Königin der Herzen? Eigentlich war sie doch eher ein armes Ding und ziemlich bösartig dazu.
Wie viele Popstars. Das Öffentliche zieht Durchgeknallte nun einmal an, wo sonst kann man sich auf derart einfache Weise Geltung verschaffen? Und wer nicht von Anfang an verschroben ist, braucht schon eine ausgesprochen gefestigte Persönlichkeit, damit ihm das Feedback des Erfolgs, zweifellos eine der stärksten Drogen, nicht die letzten Sicherungen wegschmort. (…)
- Helmut Däuble im Spiegel: „Legendenbildung: Ein Gespenst namens Guttenberg“ über die „Dolchstoßlegende 2.0“ des Ex-Ministers
NannyOgg07
Nun, sehr gut gefällt mir der Beitrag zum Thema ERwerbsarbeit. Aber Gedanken, die eine andere Richtung andeuten grenzen hierzulande ja schon an Blasphemie. Da wird man (also ich) regelmäßig als Kommunist bezeichnet (:-)), was aber in dem Fall wohl nicht freundlich gemeint ist.