Es wird mal wieder Zeit, dass ich hier im Blog eine unbedingte Kauf- und Konsumempfehlung ausspreche. Für ein brandneues Produkt, das es so in dieser Form bisher noch nicht gab – und vielleicht auch nie wieder geben wird: die Fluchtsaftgetränke. Erhältlich in den Geschmacksrichtungen Stachelbeere, Granatapfel und Blutorange dienen sie dem eilig und überstürzt Reisenden nicht nur Labsal und Vitamine, sondern dienen auch als Kopfkissen oder zum Festhalten in stürmischer See, falls die Flucht in ein sicheres Drittland doch ein wenig länger dauern sollte als geplant. Konzipiert wurde diese geschmackvolle Alternative zu schnöden Softdrinks vom Antipreneur-Shop, der das Warenweltende auf seiner Website seit einigen Jahren stilvoll zelebriert (allerdings nicht zwischen 12–14 Uhr, denn dann begeht der Onlineshop – wie es sich gehört – Mittagspause).
Die neuen Fluchtsaftgetränke von Antipreneur sind DIE unverzichtbaren Begleiter für alle Grenzgänger und Individualeinreisenden, die sich keinen Flüchtigkeitsfehler leisten können. Ob barfuß durch nordmexikanischen Wüstensand oder mit dem Motorboot übers Mittelmeer: Mit den fruchtigen Durstlöschern steckst Du voller Energie. Da wird jeder Weg zum Ziel!
Reklame macht ja nicht nur doof, sie ist auch doof. Je größer der dahinter stehende Konzern, desto Gehirnwäsche, behaupte ich mal so frei von der Leber weg. Ein „schönes“ Beispiel liefert dafür gerade McDonald’s mit ihrer neuen Kampagne, in der sie die Grandezza ihrer Fritten- und Buletten-Jobs anpreisen, und das in einer Art, die so peinlich und dumm ist, dass ich den Clip hier sogar zeige (ist nämlich eindeutige Anti-Werbung):
Bleib passiv! kommentiert das alles sehr zutreffend – „McJob“:
“Mit 65 WIEDER arbeiten und das bei MC Donald’s? Aber es macht mir sooo vieel Spaß…”
Die Botschaft der Kampagne, die ähnlich bereits 2006 in Großbritannien lief: Das ach so freundliche Familienunternehmen hat ein riesiges Herz für die ganze Familie und bietet derart gute Arbeitsbedingungen, dass auch erfahrene Arbeitnehmer zufrieden sind.
Die Wahrheit: Die zunehmende Altersarmut in Deutschland zwingt schon heute viele ältere Menschen dazu, sich neben der Rente etwas hinzuverdienen zu müssen. Schwarz-Gelb-Rot-Grün machen’s möglich – die Industrie freut sich öffentlich. Diese Werbung ist noch geschmackloser als der angebotene Fraß. Wer hätte gedacht, dass das überhaupt möglich ist…
Wollen wir mal hoffen, dass die Rechnung von McD nicht aufgeht – aber bei solch vertrackten Situationen hilft vielleicht der Milchmädchenrechner, das neueste Ultramegatiptopangebot des Antipreneurshops, beliebt sicher auch bei allen Politikern mit Schönrechenkünsten:
In Zeiten von Wirtschaftskrise und Milliardenkrediten darf einem der eigene Taschenrechner keinen Strich durch die Rechnung machen. Darum ist der Milchmädchenrechner ideal für alle, die große Summen zu verschleudern haben: Auf dem Maxi-Display haben Zahlen mit bis zu zwölf Stellen Platz. Da macht selbst das Schuldenmachen Spaß.
Mit seinem erweiterten Tastenfeld macht es der Milchmädchenrechner zum Kinderspiel, Fünfe gerade sein zu lassen. Zum Funktionsumfang gehören praktische Helferlein wie die „Devisenkreislauf“-Taste, „20 Prozent teurer“ und die ebenso neue und unverzichtbare Funktion „Pi mal Daumen“. (…)
Apropos Regierung und Schulden – die famosen Pläne von Schwarz-Gelb, den Atomausstieg voranzutreiben, erhalten neuen Gegenwind, diesmal sogar von dem von der FDP doch vermeintlich so liebkosten Mittelstand, wie die ZEIT berichtet (man beachte dazu auch die Leserkommentare!) „Die Stadtwerke bocken“:
(…) Große Stadtwerke haben am Dienstag in Berlin die Pläne der Bundesregierung zur Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken kritisiert. Sie fürchten, dass der Wettbewerb auf den Energiemärkten dadurch massiv behindert werde. “Wir sind gegen eine exklusive Technologie in exklusiven Händen”, sagte der Vorstandsvorsitzende der Stadtwerke Hannover, Michael Feist. “Es darf durch eine Laufzeitverlängerung keine wettbewerbsverzerrenden Folgen geben.” (…)
(…) Wie die Politik allerdings erfolgreich Anreize zu mehr Wettbewerb und zum Ausbau der erneuerbaren Energien setzen will, wenn sie zugleich eine Laufzeitverlängerung beschließt, sagte Brüderle nicht. Weiterhin ist offen, wie ernst er seine Wettbewerbsforderungen tatsächlich meint. Das geplante Entflechtungsgesetz, das die Marktmacht großer Konzerne brechen soll, spielte Brüderle herunter: Es werde kein “Lex Energiewirtschaft” sein, sagte er. (…)
Von der FDP gibt’s also nichts Neues zu hören, die leben immer noch in ihrer idealisierten Welt von vor 20–30 Jahren. Überraschend hingegen ist, was die Financial Times Deutschland unlängst schreibt – in „Das Kapital: Die Rendite der Entmenschlichung“ werden Töne angeschlagen, wie man sie von so wirtschaftsnaher Presse kaum erwarten würde:
In der Freizeit konsumieren wir, und während der Arbeitszeit steigern wir unsere Produktivität dermaßen, dass wir morgen noch mehr unnützes Zeugs kaufen können. Die Schwachen bleiben auf der Strecke: Aus der ökonomischen wird eine Sinnkrise: Und die Anleger schauen wie immer weg. (…)
(…) Gleichwohl verlangt unser ökonomisches System – und noch kennen wir kein besseres -, dass wir unablässig mehr konsumieren, damit Massenarbeitslosigkeit und Verelendung abgewendet werden können. So wird aus der ökonomischen eine Sinnkrise, von der Ausbeutung der Erde mal ganz zu schweigen. Was wir wohl eigentlich bräuchten, wäre eine ökonomische Theorie des Schrumpfens. Unter anderem müsste sie vermutlich daran ansetzen, dass wir in der Schule nicht mehr nur den Nachwuchs der Produzenten und Konsumenten großziehen, sondern Menschen das Menschsein lehren. (…)
Dass ich das noch erleben darf – die Financial Times Deutschland, quasi das Zentralorgan der kapitalistischen Weltanschauung, veröffentlichte gestern einen konsumkritischen Artikel! Und zwar ging es um eine Würdigung des Antipreneur-Shops, den ich ja neulich auch schon vorstellte. Im Artikel „Out of office: Ein unmoralisches Angebot“ von Georgia Hädicke erfahren die erstaunten Leser ein wenig mehr, worum es sich bei diesem Projekt dreht und weshalb man die ganzen tollen Produkte wie die extrem beliebte Waldbrandtapete oder die schmackhaften Unglückskekse gar nicht wirklich kaufen kann (in diesen Zeiten, in denen Kaufen erste Bürgerpflicht ist, eigentlich ein ungeheurer Affront!):
Die Antipreneur-Website von Journalist und Texter Chromy ist ein Kunstprojekt, das dem modernen Shopper seine Kauflust und -sucht vorführt – und nebenbei noch Gutes tun will.
Mit ihren Kunst- und Scherzartikeln wollen Chromy und sein Team von mittlerweile 21 Antipreneuren zum Nachdenken und Handeln anregen. Ihre Gesellschaftskritik versteckt sich im Zynismus: Die Diamanten an einer Uhr kommen aus Sierra Leone, und die Unglückskekse werden im Ein-Schicht-Betrieb rund um die Uhr in China gefertigt. Wer diese versteckten Seitenhiebe nicht bemerkt, muss sich eben spätestens nach dem Klick auf “Kaufen” fragen, warum er eines der unsinnigen Witzprodukte erwerben wollte – anstatt das Geld einem sinnvollen Hilfsprojekt von Einrichtungen wie Ärzte ohne Grenzen, den SOS-Kinderdörfern oder der Deutschen Aids-Stiftung zu geben.
Aber warum ist das Quartett so unmoralisch? Ganz einfach: Hier geht es nicht um Drehzahlen, Geschwindigkeiten oder Hubraum. Es geht um Leid, Schrecken und wer mehr davon auf der Hand hält gewinnt. So wird Krieg zum Spiel und ich kann es nicht besser formulieren, als die Macher selbst:
“Jetzt wird aufgemischt für die letzte Schlacht am Wohnzimmertisch. (…) Gefallen finden an Gefallenen: Das Kartenspiel “Kriege”. Vom ABC-Schützen bis zum Wehrmachts-Opa – eine Mordsgaudi für die militäraffine Familie.”
Okay, okay, eigentlich ist mein Blog ja grundsätzlich werbefrei und konsumabhold eingestellt, aber heute lasse ich mich doch einmal hinreißen, nicht nur einen Surftipp loszuwerden, sondern alle Leser zum intensiven Kaufen & Verkonsumieren der im nigelnagelneuen Antipreneur-Shop angepriesenen Waren aufzufordern. Schließlich ist Einkaufen seit Neuestem auch von der Regierung verordnete patriotische Pflicht, um das Abschmieren der Wirtschaft ein wenig zu bremsen – wie wäre es denn, wenn man statt irgendeinen Schmarrn wie einem neuen Auto lieber etwas wirklich Sinnvolles und Originelles erwirbt? Im Antipreneur-Shop findet man beides in Hülle und Fülle, selbst wenn das Angebot in Zukunft gerne noch etwas üppiger ausfallen dürfte.
Zu den Highlights zählt für mich zum einen das Kriegs-Quartett (liegt hier schon vor mir auf dem Tisch und ist wirklich nett gestaltet), das ganz im Geiste der neuen Zeit (Stichwort: Abwrackprämie) das langweilige und angestaubte Auto- oder Fregattenquartett auf den Schulhöfen ablösen dürfe. Statt mit PS oder Hubraum sticht man hier den Mitspieler mit Gefallenen und Todesquotienten aus, und nebenbei lernt man auch nützliche Dinge, die man geschickt in den Smalltalk auf der nächsten Party einfließen lassen kann – wusstet Ihr beispielsweise, dass der Italienisch-Türkische Krieg 1911 1 Jahr lang dauerte und insgesamt 14.000 Opfer forderte? (Eher ein Loser-Krieg, wenn man ihn z.B. mit dem Koreakrieg und seinen stattlichen 1.892.000 Toten vergleicht.)
Mehr für den praktisch veranlagten Kunden dürfte die Shopping-Bag „Kaufkraft“ sein – sie wird in fünf edlen Designs angeboten und besticht durch ihr unbegrenztes Fassungsvermögen, das durch den konsequenten Verzicht auf einen den eigenen Kaufwahn unnötig behindernden Boden erreicht wird. Künstlerisch Interessierte werden ihren Spaß an den Waldbrandtapeten haben, die zukünftig sicherlich die öden, noch von Oma & Opa bekannten Foto-/Baumtapeten ablösen dürften. Andere tolle Gimmicks wie Badges ohne Anstecknadeln (die sog. Beta-Buttons) oder Anthrax-Formulare für das bürokratisch korrekte Planen von Anschlägen (per Schreibmaschine; Bio!) runden das Sortiment geschmackssicher ab.
Das innovative Angebot spiegelt sich auch in der nicht minder innovativen „Konzern“struktur, denn jeder, der interessiert ist, kann (eventuell) mitmachen und z.B. seine eigenen Slogans für die Antipreneur-Website einsenden. Tolle Sache! Frei nach dem bei Antipreneur zu lesenden Amazon-Motto: „Kunden, die diesen Artikel nicht gekauft haben, haben auch diesen Artikel nicht gekauft“, habe ich mich dann soeben auch ordentlich mit den feilgebotenen Waren eingedeckt und für die nächsten Jahre alle Nicht-Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke für die Verwandtschaft beisammen.