Schlagwort: Franz Kotteder

Lidl/Aldi/Discounter – Profite auf Kosten der Allgemeinheit, oder: Die Spirale abwärts. Teil 1/2

lidlattacWer diesen Blog (und auch meinen musikbezogenen Coast Is Clear) seit einer Weile verfolgt, wird wissen, dass der Kampf gegen die Discounterschwemme und den Billigwahn von Anfang an ein wichtiges Thema für mich war. Schon seit längerem wollte ich an dieser Stelle eine ausführlichere Analyse der fatalen Folgen dieses Geschäftsmodells für Umwelt, Menschen und Gesellschaft schreiben – seit einigen Tagen ist ja auch in den Mainstreammedien das Interesse an Aldi, Lidl & Co. neu aufgeflammt. Ausgelöst nicht zuletzt durch den TatortKassensturz“ am letzten Sonntag, in dem es um die schlimmen Arbeitsbedingungen beim fiktiven Discounter „billy“ ging, und die anschließende Diskussionsrunde bei Anne Will mit dem Thema „Harte Bandagen beim Discounter” und Schilderungen von Betroffenen, die unter den Schikanen bei Lidl etc. zu leiden hatten und haben.

Dies nehme ich nun mal zum Anlass, genauer darzulegen, wieso Discounter ein Verarmungsmodell für uns alle (abgesehen von den Discountmilliardären selbst) und grundsätzlich nicht zu akzeptieren sind. So mancher Kritikpunkt an den Billigheimern ist natürlich schon länger bekannt, nur werden entsprechende Diskussionen meines Erachtens oft zu verengt geführt, d.h. sie berücksichtigen in der Regel nur einzelne Aspekte des leider sehr vielschichtigen und auch mit anderen Entwicklungen in der Wirtschaft & Gesellschaft verzahnten Problemfeldes. In meiner Buchrezension von Franz Kotteders Buch „Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter“ hatte ich vor einer Weile einige der Angriffspunkte ja bereits angerissen und dort auch erwähnt, dass die Mehrzahl der Discount-Kunden keineswegs zu den Einkommensschichten gehören, die quasi gezwungen sind, zu sparen, wo es nur geht, sondern es sich sehr wohl leisten könnte, andere Geschäfte zu besuchen.

Also, was ist so schlimm an der Aldisierung der Welt? Geld zu sparen und Lebensmittel und sonstige Waren für niedrigere Preise als im „normalen“ Einzelhandel zu kaufen, ist doch eigentlich eine tolle Sache? Ist Geiz nicht geil? Und tauchen Discounter-Produkte nicht bei Waren- und Geschmackstests immer mal wieder auf erstaunlich oberen Plätzen auf, trotz ihres billigen Preises? Wieso also mehr zahlen für eine (vermeintlich) mehr oder weniger vergleichbare Leistung?

Diese Fragen und Entgegnungen sind wohl die häufigsten, die man in entsprechenden Diskussionen zu hören bekommt. Es sind Äußerungen, die ausschließlich die (vermutete) kurzfristige Eigennutzenmaximierung ins Zentrum der Argumentation stellen und die demnach dem in unserem neoliberalen Wirtschaftssystem weithin propagierten Credo des schnellen Profits, der Quartalszahlenfixierung, kurz, dem „Nach mir die Sintflut / Hauptsache, mir geht’s gut“ perfekt entsprechen. Doch wie meistens bei extrem kurzsichtigen Betrachtungsweisen komplexer Abläufe werden die Mittel- bis Spätfolgen, die nicht nur zukünftige Generationen, sondern auch schon die Geizkäufer und Knauser selbst betreffen dürften, sowie die oft skandalösen Bedingungen, unter denen die Billigware aus dem Boden gestampft und vertrieben wird, von solchen Leuten komplett übersehen und unter den Teppich gekehrt.

Beginnen wir mit dem Punkt, den auch der Tatort und Anne Will besonders hervorhoben – den miesen Arbeitsbedingungen bei den Discountern selbst. Jedem, der sein Gehirn mal kurz einschaltet, sollte klar sein, dass die Discounter ihre billigen Preise primär auf Grund extremer Einsparungen erreichen können (und nicht etwa wegen großer Abnahmemengen oder spartanischer Architektur). Und da Mitarbeiter einen wesentlichen „Kostenfaktor“ für jede Bilanz darstellen, wird hier „natürlich“ (der Logik des Marktes folgend) als erstes gespart. Dies wirkt sich derart aus, dass in Discountläden weniger Menschen arbeiten als sonst im Einzelhandel üblich (=> höhere Belastung für den Einzelnen sowie generell steigende Arbeitslosigkeit im Sektor) und diese zudem noch schlechter bezahlt werden und generell unterhalb der üblichen Sozialstandards, wie man sie in reichen Ländern erwarten dürfte, schuften müssen.

aldi_250Beispielsweise verfügen gerade einmal 7 der ca. 3000 Lidl-Filialen in Deutschland über einen Betriebsrat, und auch die anderen Ketten wie Aldi und Schlecker unternehmen alles, um Betriebsräte zu verhindern und diejenigen, die sich gewerkschaftlich engagieren, psychisch unter Druck zu setzen und gar aus der Firma zu mobben (u.a. nachzulesen bei Kotteder). Der als-ob-leben-Blog präsentierte vor einigen Tagen eine kleine Auswahl aus tausenden von Beiträgen, die Betroffene im Discount-, aber auch dem sonstigen Handelsbereich nach der Anne Will-Sendung in den dortigen Blog schrieben und die einen erschreckenden Einblick in die Arbeitssituation heutzutage geben:

Hier mal einen kleinen Einblick in den Arbeitstag von mir und meinen Kollegen im Discounter.2 Frauen haben freiwillig gekündigt, weil sie den Druck nicht mehr aushalten konnten, ein Kollege hat sich runterstufen lassen vom Filialleiter zum stellv. Filialleiter (weniger Stunden) und ein Kollege ist so nervlich kaputt, dass er jetzt beim Arzt war und am Montag zum Nervenarzt überwiesen wurde, ganz zu schweigen von den Kolleginnen, die sich einen neuen Job gesucht haben – und das alles in eineinhalb Jahren.

Oder:

Folgendes hat sich bei mir zugetragen.
Eine Angestellte im 7 Berufsjahr wurde zu teuer.
Ich bekam vom Bezirksleiter die Anweisung “die muss weg ist zu teuer“
Ich habe nichts unternommen (Diebstahl unterschieben u.a)
Dann wurde ich aus meinem Urlaub zu Feierabend in die Filiale bestellt.
Der Bezirksleiter setzte mich und die Angestellte in den Aufenthaltsraum.
Der BZ-Leiter plusterte sich in seiner Manneskraft auf und warf der Angestellten Diebstahl vor. Sie stritt ab. Er wurde lauter und drohte!! Der BZ-Leiter erhöhte die Drohungen bis die Angestellte endlich nach gab und unter Tränen ihre Eigenkündigung schrieb.
Dann gingen alle nach Hause. Ich wusste nicht wie mir geschah.
Die Angestellte ging vor Gericht.
Ich musste aussagen.
Vor meiner Aussage wurde mir nahe gelegt, dass ich Alleinverdiener bin 3 Kinder und gebaut habe. Ich würde doch wissen, wer mein Arbeitgeber ist.
Ich der Zwangslage und unter Angst meine Existenz zu verlieren habe ich doch die Wahrheit gesagt.
Danach wurde ich so lange gemobbt bis ich selbst gekündigt habe.
Ein ex Aldi Marktleiter

aldi-chefs_250Ähnliche Schilderungen finden sich schon seit längerem auch auf der Seite Chefduzen – es lohnt sich, den dortigen Beitrag bzw. den Thread „Ob Lidl, Schlecker oder Aldi“, durchzulesen (hier als pdf, falls nicht mehr online). Er beginnt mit dem Zitat des Artikels „Fiese Arbeit – Alle unter Kontrolle“ aus der ZEIT vom 17.11.2005:

Ob Lidl, Schlecker oder Aldi – bei den Discountern regieren die Patriarchen. Und die Mitarbeiter dürfen nur eines: Funktionieren

(…) In einigen Filialen von Lidl kontrolliert bereits der Kassencomputer die Kassiererinnen. Pro Minute müssen sie mindestens 40 Artikel über den Scanner ziehen; Neulinge haben vier Monate Zeit, um die hohe Schlagzahl zu erreichen. Erzeugt wird eine Atmosphäre der Angst: Eine Verkäuferin aus Bremen berichtet, aus Furcht vor Kündigung mit hohem Fieber so lange im Laden gestanden zu haben, bis sie zusammenbrach. Lidl will sich zu einzelnen Vorwürfen nicht äußern.

(…) Der US-Handelsgigant Wal-Mart wollte seinen hiesigen Angestellten sogar ins Liebesleben hineinregieren und verbot ihnen Anfang des Jahres »private Beziehungen/Liebesbeziehungen« untereinander. Am Montag erklärte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf diesen Teil der »Unternehmensethik«-Richtlinie für rechtswidrig. Wal-Mart betonte, man habe nur Abhängigkeitsverhältnisse verhindern wollen.

Von den Überwachungsskandalen speziell bei Lidl (für die das Unternehmen auch gerichtlich verurteilt wurde) hatte ich an dieser Stelle ja schon mal berichtet – und dass diese Art des „Mitarbeiterhandlings“ sich leider bei den anderen Ketten in ähnlicher Weise wiederfindet, zeigt z.B. dieser Bericht über Bespitzelungen bei Plus (die Staatsanwaltschaft ermittelt auch in diesem Fall).

Dieses war der erste Streich – morgen folgt Teil 2 meines Discount-Diskurses, in dem es um all die anderen üblen Auswirkungen der Billigheimer-Schwemme geht.

Verwandte Beiträge:

Buchbesprechung: Franz Kotteder „Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter”

Seit vielen Jahren sprießen Discounter wie (faulige) Pilze aus dem Boden und verdrängen den etablierten Einzelhandel. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Lebensmittelgiganten wie Aldi oder Lidl, sondern auch um Kleidung (kik), Drogeriewaren (Schlecker) oder Elektronik (MediaMarkt) – und die Besitzer der Discounterketten zählen mittlerweile zu den reichsten Männern Deutschlands. Dass dieser betriebswirtschaftliche Erfolg nur zum Teil auf das zurückzuführen ist, was Aldi an seinen Kassen auf Plakaten so gerne als „Das Aldi-Prinzip” propagiert, also auf niedrige Preise durch große Abnahmemengen und überschaubares Sortiment, und auch nicht bloß auf die spartanische Ausstattung der einzelnen Läden, dämmert inzwischen so manchem, wenn er die vielen negativen Meldungen über z.B. Lidl mit ihren Überwachungsskandalen in den Zeitungen verfolgt.

Auch Franz Kotteder, seines Zeichens Wirtschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, hat sich aufgemacht, um in seinem Buch „Die Billig-Lüge” (Droemer Verlag, 2005) hinter die Kulissen der Discountmilliardäre zu schauen und (vielleicht etwas plakativ formuliert) die „Tricks und Machenschaften” dieser Konzerne zu durchleuchten. Auf dem Klappentext fragt er:

Aber ist denn nicht alles in schönster Ordnung, solange der Preis stimmt? Aldi, Lidl, Penny, Schlecker, Metro, Wal-Mart, Media Markt und Co. beschwichtigen unser unbehagliches Gefühl, dass es so wenig nicht kosten kann und dass irgendjemand dafür bezahlen muss. Könnte dieser Jemand vielleicht wir selbst sein?

Auf insgesamt 270 Seiten zeigt Kotteder sich als sehr engagierter Beobachter, dem die Thematik ganz offensichtlich am Herzen liegt und der mit seinem Buch Überzeugungs- oder zumindest Aufklärungsarbeit leisten will. Er beginnt seine Reise ins Reich des Discounts damit, die derzeitig Entwicklung auf dem deutschen Markt zu schildern, und zeigt schnell auf, welche Dimensionen die Billigwelle erreicht hat und welche Folgen sie zeitigt: monoforme Innenstädte, immer weniger Auswahl durch immer größere Marktmacht, aber auch sinkende Arbeits- und Sozialbedingungen im Einzelhandel. Ausführlich wird die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte von Deutschlands dienstältestem Discounter – Aldi – und seiner Besitzer, den Albrecht-Brüdern (Europas reichster Familie!) nachgezeichnet, von den bescheidenen Anfängen als kleiner Einzelhandelsmarkt bis zu den heutigen Ausmaßen. Das Aufholen von neuen Konkurrenten wie dem besonders rücksichtslos vorgehenden Lidl-Konzern wird ebenfalls ausführlich geschildert.

Auch auf die Folgen des Billigdrucks auf die Zulieferbetriebe in Deutschland und die Hersteller vor allem in den ärmeren Ländern geht Franz Kotteder explizit ein. Wer die Kapitel darüber gelesen hat, unter welchen Bedingungen Kakao oder Orangen geerntet werden, damit sie hierzulande möglichst billig im Einkaufswagen landen, oder welch verheerende Auswirkungen das Züchten und Fischen von Garnelen für den europäischen Markt auf die Natur in den asiatischen Lieferländern hat, sieht die Angebote in unseren Regalen wohl mit anderen Augen. Nach den Ausführungen über die Zustände bei der Produktion von Fleisch und Eiern kauft wohl nur noch der Hartgesottenste diese Dinge aus industrieller Produktion…

Die für mich mit erschreckendsten Kapitel sind „Ausnehmer und Arbeitnehmer – wie die Discounter mit ihrem Personal umspringen”/„Mobbing als Führungsaufgabe”, die ganz klar machen, wo Aldi & Co. das Haupteinsparpotential ihres Geschäftsmodells sehen, nämlich beim „Mitarbeiter”. Und der Abschnitt, in dem der Autor die Konzernstruktur von Aldi, aber auch Lidl, genauer unter die Lupe nimmt – diese Konzerne sind nämlich in ein undurchdringliches Dickicht aus Stiftungen aufgesplittet, alles mit dem Ziel, so wenig von dem Gewinn wie nur möglich steuerlich abführen zu müssen, was nichts anderes bedeutet, dass unsere freundlichen Discountmilliardäre ihr Vermögen mit sozialschädlichem Verhalten, also auf dem Rücken der Allgemeinheit, machen.

Leider weist „Die Billig-Lüge” auch eine Anzahl merklicher Schwächen auf, die mich beim Lesen gestört haben – so will Franz Kotteder offensichtlich dem Vorbild Michael Moores nacheifern und schreibt teilweise in eher unangemessen schnoddrigem Stil, was die Seriosität seiner Ausführungen an manchen Stellen beeinträchtigt. Noch gravierender ist jedoch die didaktische Unausgewogenheit seines Textes – gerade bei den durch Umsatzzahlen oder sonstige Statistiken erhärteten Fakten hält sich der Autor sehr lange auf, um dann an anderer Stelle extrem schwammig und kurz zu bleiben. Ja, zuweilen beginnt Kotteder, wirklich interessante Fragen zu stellen (die sicherlich auch im Rahmen einer Diskussion aufkämen, die man selbst mit Freunden dazu führen würde), nur um dann quasi mitten im Gedankengang innezuhalten und den Leser wieder mit einem Zahlenwust von der eigentlichen Fährte abzubringen. Zudem wiederholt er manche Fakten mehrfach (dass China mittlerweile der größte Aufkäufer von Baumwolle ist z.B.), ohne die Implikationen für den Leser herauszustellen, und so mancher seiner Kritikpunkte trifft nicht nur speziell auf Discounter, sondern auch auf andere Supermarktketten zu.

Besonders schwach ist das Abschlusskapitel „Wege aus der Geizfalle”, in dem er sich auf recht wenigen Seiten darüber auslässt, was denn nun eigentlich zu tun ist. Zudem widerspricht er sich selbst, indem er damit schließt, dass ein Boykott der Discounter keine Lösung wäre, dann aber doch dafür plädiert, dass die Verbraucher wieder lernen müssen, Dingen einen gewissen Wert beizumessen, sich seiner Macht bewusst zu werden und z.B. ökologisch fair einzukaufen. Letztlich spricht der Autor dem Discountsystem damit eine Art „ewige Daseinsberechtigung” aus, bei dem es nur noch darum geht, die Discounter durch Nachfragen und Fordern fairerer Bedingungen zu reformieren, nicht aber, das System prinzipiell in Frage zu stellen. Das ist m.E. viel zu kurzsichtig, was Kotteder auch selbst kurz darauf feststellt, wenn er davon spricht, dass die Probleme viel grundsätzlicher angegangen werden müssten. In diesen Momenten wirkt das Buch so, als wären die Kapitel im Abstand von mehreren Monaten, jedes für sich, entstanden und später nicht noch einmal komplett gegengelesen worden.

Obwohl das zu kurz und zu diffus geratene Schlusskapitel mich etwas unbefriedigt zurückgelassen hat, spricht Kotteder dort doch auch einige sehr wichtige Punkte an, beispielsweise den, dass das Discount-System keine perfide Idee einiger böser Menschen ist, sondern im Rahmen unserer Marktwirtschaft eine Reaktion auf die Wünsche der Käufer darstellt. (Auch wenn man schon sagen muss, dass damit vieles von dem Fehlverhalten der Konzerne dennoch nicht zu entschuldigen oder zu relativieren ist.)

Sind wir also selber schuld an den ganzen negativen Auswüchsen der Billigmasche, die unser Land und nicht nur unseres so flächendeckend überzieht? Ja, das sind wir. Zugleich kann uns niemand die Aufgabe abnehmen, eine Richtungsänderung herbeizuführen.

Genau hier müssen wir ansetzen – ein Bewusstsein für die negative Spirale zu entwickeln, die das Billigsystem auslöst und in deren Strudel wir alle hineingerissen werden, ob wir es wollen oder nicht. Franz Kotteders Buch ist dabei ein, wenn auch nicht vollständig gelungener, Schritt, sich über die Hintergründe der Discounter zu informieren und sein persönliches Einkaufsverhalten zu überdenken.

Weitere Meinungen über das Buch und seine Inhalte findet Ihr übrigens bei Echowelle, PolitiKritik (mit sehr lesenswerten zusätzlichen Ausführungen über Discounter!), Wortgestöber und STB Web („Vom latenten zum ganz konkreren Unbehagen an der Geiz-ist-geil-Mentalität”).

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