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Frankfurter Bulle in Grün

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Diese Meldung erreichte mich gestern – passend zum gerade stattfindenden Karmakonsum Greencamp & Business-Konferenz (Strategien für neues Wirtschaften und LOHAS)

Bulle an der Börse Frankfurt grün eingekleidet …

Am frühen Morgen (5:22h) des 18. Juni 2009 haben Wirtschaftsaktivisten im Vorfeld der KarmaKonsum Konferenz 2009 den Bullen vor dem Frankfurter Börsenpakett grün eingekleidet und mit einem Schriftzug < Grünes Wirtschaftswunder > markiert.

Ziel dieser Aktion ist es, die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft auf die Potenziale neuen Wirtschaftens hinzuweisen. In den nächsten zwei Tagen kommen rund 600 Teilnehmer aus ganz Deutschland zur dritten KarmaKonsum Konferenz nach Frankfurt.

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Surftipp / Lesetipp: Zeitschrift Humane Wirtschaft

zeitschrift-humanwirtschaftWirtschafts- und Finanzzeitschriften gibt es wie Sand am Meer. Die überwiegende Zahl schwimmt aber letztlich auch nur mit dem Strom, predigt die Heilslehren unseres derzeitigen Wirtschaftssystems und dient doch oft genug der Optimierung der Rendite der Leserportfolios. Wie gerade in den letzten Monaten immer deutlicher geworden sein sollte, wird es mit dem „Immer nur weiter so!“, das uns auch die Regierung mit ihrer Aufforderung zum Konsum und dem Hauptaugenmerk auf Ankurbelung des Wachstums und der „Vorfahrt für Arbeit“ permanent einzubläuen versucht, eben nicht immer weitergehen (können); das habe ich an dieser Stelle ja auch schon das eine oder andere Mal zu vermitteln versucht.

Sinnvoller als die Lektüre vom Manager Magazin, Focus Money oder der Wirtschaftswoche erscheint mir in diesen Zeiten, sich mit Alternativen zum Mainstream zu beschäftigen. Denn Ansätze für ein neues Denken und für ein Aufweichen der Dogmen der „Marktwirtschaft“ in ihrer momentanen Ausprägung gibt es durchaus, sie finden nur noch zu selten Gehör. Diesem Missstand will seit einigen Jahren die Zeitschrift Humane Wirtschaft (früher: Humanwirtschaft, davor: humanökonomie) abhelfen – das zweimonatlich erscheinende Magazin befasst sich vorrangig mit Möglichkeiten, das Geldsystem anders zu gestalten, als wir es kennen (Stichwort Regiogeld, regionale Währungen), mit den Problematiken des Zinseszinses, mit den Auswirkungen unseres Wachstumswahns auf Umwelt und Gesellschaft und generell mit der Art und Weise, wie Arbeit und Soziales in unseren Breitengraden organisiert und exerziert werden. Dabei bemühen sich Redaktion und Autoren – darunter u.a. die Buchautoren Helmut Creutz und Günther Moewes –, nicht nur den Ist-Zustand kritisch zu beleuchten und aufzuzeigen, wo es eklatante Fehlentwicklungen zu vermelden gibt, sondern es werden auch Denkanstöße und konkrete Alternativen dargelegt. Sicher ist nicht jeder Artikel eine Offenbarung und so manches auch diskussionswürdig, aber gute Anregungen gibt es dennoch zuhauf.

Sehr erfreulich und leider längst nicht bei allen Publikationen anzutreffen: es gibt ein komplettes Archiv aller Ausgaben mit allen Artikeln zum kostenlosen pdf-Download. Und ein Probeexemplar der neuesten Ausgabe kann man sich auf der Website ebenfalls gratis und unverbindlich bestellen.

Ein paar Artikel, die zu lesen sich meiner Meinung nach lohnt:

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Wissensbasis: Weltgesellschaft ohne Geld

bacher_old_red___Der eine oder andere hat es vielleicht schon bemerkt: seit heute gibt es eine neue Rubrik = Seite beim Konsumpf, nämlich die Wissensbasis. Hinter diesem etwas hochtrabenden Begriff verbirgt sich mein Versuch, vieles von dem, was in den täglichen Beiträgen meines Blogs an grundlegender Information verstreut auftaucht, zu bündeln und quasi als Ausgangspunkt für weitere Recherchen zu diversen Themengebieten, aber auch einzelnen Konzernen, zur Verfügung zu stellen. Dabei werde ich insbesondere auch interessante zielführende (längere) Artikel/Studien/Filme, denen ich im Internet begegne, aufführen und verlinken, selbst wenn ich auf diese im aktuellen Teil des Blogs nicht näher eingehe. Aber viele Texte sind einfach zu gut und beleuchten manche Aspekte, um die es mir beim Konsumpf geht, so treffend, dass ich sie allen zur Lektüre ans Herz legen möchte.

Die Wissensbasis soll natürlich nicht zu einer ausufernden reinen Linkliste verkommen, sondern schon ein gewisses, zum Teil von mir kommentiertes Konzentrat darstellen, d.h. ich werde eine handverlesene Vorauswahl vornehmen und sie in regelmäßigen Abständen auf den neusten Stand bringen und ergänzen. Gerade jetzt zu Beginn sind die meisten Rubriken natürlich noch leer, aber das wird sich im Laufe der nächsten Wochen & Monate ändern. Derzeit gibt es dort weiterführende, komprimierte Infos zu Culture Jamming/Werbekritik sowie zum Wirtschaftssystem. Auf einige besonders gelungene Artikel weise ich dann immer auch im Blog hin, so wie auch heute.

Auf der Krisis-Website (einem etablierten Magazin mit „Beiträgen zur Kritik der Warengesellschaft“) finden sich immer wieder hochlesenswerte Ausführungen – neulich empfahl ich ja schon den „Crashkurs – Flugblatt zur aktuellen Krise”. Schon etwas älter, aus dem Jahre 1996, um genau zu sein, aber immer noch bzw. jetzt gerade wieder aktuell ist auch „Weltgesellschaft ohne Geld – Überlegungen zu einer Perspektive jenseits der Warenform“ von Norbert Trenkle. In diesem sehr ausführlichen Artikel legt der Autor eine Analyse unseres derzeitigen Wirtschaftssystems vor, deren Rückgrat die Erzielung von Gewinnen und eben Geld darstellt, und auf insgesamt 19 Seiten versucht Trenkle, der Vorstellung eines anderen Wirtschaftens (eines lokaleren, auf tatsächliche Bedürfnisse abgestimmten und untereinander vernetzten) den Geschmack der vollkommenen Utopie zu nehmen. Auch wenn kein vollkommen schlüssiges oder gar einfach umzusetzendes Handlungsmodell entwickelt wird (dazu sind wir in unseren Vorstellungen vermutlich viel zu stark von dem bisherigen Wirtschaftssystem und seinen Prämissen, seinem Menschen- und Weltbild geprägt), so enthält „Weltgesellschaft ohne Geld“ doch viele gute Denkanstöße. Hier ein paar Auszüge aus dem ersten, Ist-analysierenden Teil des Textes – es lohnt sich, auch den Rest zu lesen!

Im Zeitalter postmoderner Desillusionierung mag es geradezu anstößig erscheinen, Gedanken zu einer gesellschaftlichen Perspektive jenseits der Warenform vorzulegen. Handelt es sich dabei nicht um die längst schon »dekonstruierten« Allmachtsphantasien des weißen Mannes? Sind es die letzten Fiebertraume des abendländischen Subjekts, das noch im röchelnden Todeskampf die Welt unter seine universalistischen Großkonzepte zu subsumieren geneigt ist? Es wäre zu einfach, solche Verdächtigungen als bloße Abwehrhaltungen derjenigen abzutun, die sich längst schon mit dem Bestehenden arrangiert haben. Die Skepsis gegenüber Zukunftsentwürfen, die den Anspruch auf Verallgemeinerungsfähigkeit erheben, ist grundsätzlich ernst zu nehmen, auch wenn sie permanent dafür instrumentalisiert wird, jeden Gedanken an eine gesellschaftliche Transformation, die diesen Namen verdient, schon im Vorfeld abzublocken.

(…) Nun kann es natürlich nicht darum gehen, eine dieser »Utopien« herauszugreifen und in sektiererischer Manier zum Dogma zu erheben. Der Anspruch, eine grundsätzlich verallgemeinerungsfähige gesellschaftliche Perspektive jenseits von Markt und Staat zu entwickeln, muß seine Legitimation vielmehr in der dezidierten und präzisen Kritik des warenförmigen Fetischismus finden.

(…) Nichts ist in der totalen Welt der Ware wohl selbstverständlicher als die Existenz des Geldes. Die Erfahrung, dass nur wer über Geld verfügt, auch als Subjekt anerkannt wird und Zugang zum gesellschaftlichen Reichtum erhält, hat sich tief ins Bewusstsein der Menschen eingegraben; und daher rührt schon der einfache Gedanke an die Aufhebung der Warenform an eine fundamentale Angst. Es ist geradeso, als würde jemand vorschlagen, die Atemluft abzustellen. Längst schon erscheint den modernen Geldsubjekten der Zwang, sich immer und überall zu verkaufen, als tiefste Naturnotwendigkeit. Die Idee, gesellschaftlicher Reichtum könnte auch anders als in der Warenform existieren, kommt diesem verrückten Bewusstsein völlig verrückt vor. Selbst kritisch denkende Menschen wehren einen solchen Gedanken im allgemeinen als geradezu hirnverbrannt ab und erheben fast schon reflexhaft den Vorwurf (meist unter Verweis auf Stalin und Pol Pot), hier wolle jemand entweder zur bäuerlich-kargen Dorfwirtschaft zurück oder strebe gar eine totalitaristische »Diktatur über die Bedürfnisse« an.

(…) Zugleich bekommen die atomisierten Individuen aber auch immer direkter die Irrationalitäten der kapitalistischen Moderne buchstäblich am eigenen Leibe zu spüren, und müssen versuchen, diese in irgendeiner Weise individuell zu kompensieren: angefangen mit der täglichen Bewältigung des mörderischen Straßenverkehrs über die Sorge um die von Stress und allgegenwärtigen Giften bedrohte körperliche und psychische Gesundheit bis hin zur Kinderbetreuung inmitten einer strukturell kinderfeindlichen Welt, um nur ein paar Beispiele zu nennen.

(…) Anders ausgedrückt: Es geht nicht einfach um »Komplexitätsreduktion«, sondern vielmehr um die Entwicklung von neuen Formen gesellschaftlicher Komplexität, die wirkliche qualitative Vielfalt zulassen und zugleich nicht die blinde Herrschaft des sozialen Zusammenhangs über die Individuen implizieren.

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Gastkommentar: „Die Zeit der Experten ist vorbei”

Dieser längere Artikel von Volker Viehoff erschien dieser Woche im wirsinddasgeld-Blog, und da ich ihn für sehr gelungen und auch erhellend für die derzeitige Verwirrung in Wirtschaft und Politik halte (und für eine gute Ergänzung zu meinen eigenen Überlegungen neulich), möchte ich ihn hier (mit freundlicher Erlaubnis) auch noch einmal in Gänze bringen.

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Die Zeit der Experten ist vorbei

Es sei „erschreckend“ gewesen, sagte Frau Maischberger, dass die Experten in Ihren Talkrunden ihr nichts wirklich  Erklärendes zu den Geschehnissen diese „Weltfinanzherbstes“ hätten mitteilen können.

Eine aufschlussreiche Mitteilung.

Es waren Experten, die dieses System kreiert haben. Und sie haben jeder ihren Teil dazu beigetragen, ohne ein Ganzes oder die Wirkungszusammenhänge des Ganzen noch zu überschauen. Die Laiendarsteller in diesem Drama hatten sich derweil in die trügerische und bequeme Sicherheit gewiegt, dass die Sache so kompliziert sei, das sie sowieso nur von Experten zu verstehen wäre.

Bezeichnend ist die vielgehörte Aussage von „Geldanlegern“, die im nachherein bekannten, gar nicht verstanden zu haben, in was sie denn da überhaupt ihr Geld angelegt hätten.

Wie kann so etwas passieren? Und wie kann dies offensichtlich weltweit geschehen? Welche Haltung kommt da langsam zutage und was ist das für einen seltsame  „Täter – Opfergemeinschaft“? Finanzkonstrukteure, die nicht mehr wissen, wie sich das auswirkt, was sie erschaffen, Anleger, die nicht mehr wissen, was sie kaufen und Vermittler, die nicht mehr wissen, was sie da durchgehandelt haben?

Dies scheint allen drei Akteuren (man müsste fast sagen: „Passeure“) gemein zu sein: Das Nichtwissen, vielleicht auch das Nichtwissenwollen dessen, was sie tun. Stattdessen sich leiten, besser: antreiben zu lassen von etwas, was man wohl so beschreiben könnte: Gewinnstreben ohne wirklichen Einsatz.
Was geht hier vor? Auf welchen Haltungen beruhen solche Handlungen?

Es wird bald offensichtlich, was sich hier zeigt: Ein eklatante Vermeidung, ein systematisches Aus-dem-Weg-Gehen dessen, was für wahrhaft menschliches Existieren doch unvermeidlich ist: Verantwortung zu übernehmen für die eigenen Handlungen oder Unterlassungen.

Die ganze Geschichte der Neuzeit als Vorläuferin der Moderne und dessen, worin wir uns gerade befinden, scheint sich in der Konsequenz unserer Tage unter einer Leitmaxime zusammen fassen zu lassen. Diese lautet in etwa: „Handle stets so, dass sich ein ( vermeintlicher ) Vorteil aus Deiner Handlung für Dich ergibt und vermiede alles, was Dich an die möglichen oder erahnten tatsächlichen Folgen Deines Handelns oder Unterlassens erinnern könnte.“ Ein kantiger Imperativ – mit verheerenden Auswirkungen.

Folgen einzelne Individuen dieser Spur ist das für sie selber in. der Regel bedauerlich; sind diese  „Neurotiker des Geistes“ dann in herrschender Stellung ist es für die davon  Betroffenen fatal. Handelt hiernach ein ganzes Zeitalter, ereignet sich, was gerade geschieht: Eine Katastrophe. Global.
Wie kommt so etwas zustande? Wie hat es sich entwickeln können, dass so eine „seelische Fehlhaltung“ zum öffentlich-unrechtlichen Allgemeingut wurde?

Es würde zu kurz greifen, zöge man nur die Geschichte des deutschen Scheiterns der Zwangskollektivierung 1933- 1989 hier zurate. Es stimmt zwar, dass die dort verordnete absolute Priorität des „Gemeinwohls“ – so wie es die Machthaber es verstanden wissen wollten – zu einer heftigen Reaktion nach Abschaffung der Tyrannei geführt haben. Die 5 Reichsmark Scheidemünze des 3ten Reiches zierte nicht nur Hakenkreuz und Hindenburgkopf, sondern am Rande stand der Satz zu lesen: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz“.

Das derzeitige Geldgebaren ist wohl eher so zu umschreiben: Aus maximalem Eigennutz entsteht Gemeinwohl irgendwie von alleine. Was es dazu braucht, um so einer „Logik“ folgen zu können ist eine unheilvolle Vermengung von wissenschaftlicher Theorien, geschichtlichem Vergessen, diskursbestimmender  Pressebeherrschung, indoktrinierender Lobbyarbeit, und vor allem jede Menge individueller Bereitschaft  sein Leben mit einem Höchstmaß an  Unbewusstheit „zu führen“. Man müsste eher sagen: Führen zu lassen. Vom Sich-Führen-lassen dieser Art ist es nicht weit bis zum Verführt werden.

Die Frage ist: Wer verführt hier wen?

Dazu müssen wir näher an das Epizentrum dieses „Bewusstseinsbebens“ heran kommen. Vielleicht müssen wir uns  von einer  Vorstellung verabschieden, ohne die modernes Menschenbewusstsein scheinbar gar nicht auszukommen vermag: Es gibt Schuldige, das sind die anderen und hinter fast allem steckt eine verborgene Absicht von Unterdrückung und Beherrschung.

Die Sache liegt wohl tiefer, als wir bislang bereit waren anzuerkennen. Und das wohl aus – nicht gutem, aber – nachvollziehbarem Grunde.

Die Neuzeit hat dem Menschen glauben machen wollen, er könne sein Existenz selbstbestimmt, selbstherrlich und von daher willkürlich führen. Dazu müsse er „den Mut haben sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“. Was anfangs nicht verraten wurde: Dafür braucht einige Generationen später der Einzelne Experten, die ihm erklären müssen, wie die Systeme, die sein Verstand sich ausgedacht hat und von dessen funktionieren er mittlerweile fast total abhängig geworden ist, denn überhaupt noch funktionieren.
Der derzeitige Medienstar der Genforscherszene beispielweise, Craig Vester, hat angemerkt dass „ die Bevölkerung  es sich deshalb auch nicht mehr leisten (kann), die Wissenschaften nicht zu verstehen: Wenn du kein wissenschaftliches Verständnis hast, während unsere Zukunft gleichzeitig komplett auf wissenschaftlichen Erfolgen aufbaut, dann überlässt du anderen die Gestaltung deiner eigenen individuellen Zukunft. Das sind beängstigende Aussichten.“

Wenn das schon ein „ausgewiesener Experte“ von sich gibt – was heißt das aber für die Verlässlichkeit von Expertentum überhaupt? Galten Experten zwar lange schon als ein wenig seltsam, mitunter  auch als krude Fachidioten, so hat man ihnen dennoch nicht abgesprochen „etwas zu verstehen“, was letztlich von Belang oder sogar von existentieller Bedeutung ist. Was sich aber jetzt zeigt ist, dass die Experten von dem, was wir meinten, dass sie es verstünden ( und beherrschen!) selber keine Ahnung mehr zu haben scheinen.

Das ist allerdings eine beängstigende Vorstellung, mehr – eine erschütternde Tatsache. Die „Finanzkrise“ ist nur Symptom. Sie steht, als wirksam gewordener Ausdruck für unsrem Umgang mit dem „Lebensmittel Geld“ stellvertretend für eine tiefwurzelnde Fehlhaltung, eine grundlegendes Missverstehen unsrer Existenz als Mensch.

Da tut sich der wahre Abgrund auf.

Wenn davon gesprochen wird, dass  weltweit „das Vertrauen“ der Marktteilnehmer ineinander  verloren gegangen sei, ist das doch also nicht nur ein Manko, ein Problem, dass es schnell zu lösen gelte. Es ist – fast möchte man sagen – eine erste Reaktion der Reste des gesunden Menschenverstandes. Eine Art „Vollbremsung“ vor dem Abgrund, in den die massenweise Abgabe der Verantwortung für die eigenen Handlungen an die Kaste der Experten, die mit „hohepriesterlichem“ Nimbus die Prozession der Wissenschaftsgläubigen zielsicher an den Rand desselben geführt haben. Offensichtich ohne wirklich zu wissen, was sie da tun! Und ohne „Unrechtsbewusstsein“. „Wer plant, wer forscht, wer treibt voran und wer will? Das wissen nicht einmal die Forscher. Frag einen Forscher und die Dürftigkeit einer Antwort wird an die eines Feldmarschalls grenzen, der Millionen Tode befiehlt und niemals über den Tod nachdachte“. So urteile der 1975 verstorbene Philologe und Byzantinist Erhart Kästner über die Unsäglichkeit des modernen Wissenschaftsbetriebes. Dieser Spezies verdanken wir die verantwortungslosen Weltwirtschaftsmodelle, die dann diese „Subspezies“ der Finanzexperten erst hervorbrachte, denen heute vor Ratlosigkeit bei Maischberger auf dem Sofa nichts Vernünftiges mehr einfällt. Es wird Zeit aus dem Tiefschlaf der Aufklärung aufzuwachen. Halten wir den Film an. Schluss mit „Eyes wide shut….“!

Der Mensch wird nur Mensch in der Entscheidung. Er kommt nicht umhin alle seine Handlungen und Unterlassungen als Frucht immer wieder zu treffender, zu erringender Entscheidungen zu begreifen. Entscheidungen sind, wie das Wort sagt, die Beendigung einer Scheidung. Etwas Geschiedenes wird Entschieden. Dadurch entsteht ein Weg, der Richtung gibt und zu dem man stehen kann, wodurch allein Verantwortung entsteht. Warum wird den Managern, bei aller Übertreibung, denn zurecht verantwortungsloses Handeln vorgeworfen? Ein Vorwurf, der seltsam verhallt? Weil diese, stellvertretend für alle „Marktteilnehmer“, vom Kleinanleger bis zum Politiker im Verwaltungsrat der Landesbank, ihre eigenen Handlungen letztlich nicht als eigene Handlungen erleben!

Ein unheimliches Phänomen wird hier sichtbar. Angedeutet und vorbereitet hat sich diese verhängnisreiche Entwicklung schon lange.

Es ist  bei der Suche nach hilfreichen Gegenwartsanalysen m.E. immer von größtem Aufschluss (und auch bestürzender Bewahrheitung), in den Archiven einige Jahrzehnte zurück zu blättern. Was dort mitunter über die damals anbrechende Zukunft ausgesagt wurde, ist heute oftmals zu deutende Gegenwart.

So auch die Aussagen, die der Theologe Romano Guardini um 1950 in seinem Werk „ Die Macht“ über das Wesen der anbrechenden Zeit systematisch organisierter Verantwortungslosigkeit auszusagen hatte.
„Es gibt keine nicht-verantwortete Macht.(..) Deren Wirkung ist immer Tat – oder wenigstens Zulassung – und steht als solche in der Verantwortung einer menschlichen Instanz, einer Person. Das ist auch dann so, wenn der Mensch, der sie ausübt, diese Verantwortung nicht will. (..) Sobald auf die Frage: wer hat das getan? weder ein „Ich“ noch ein“ Wir“; weder eine Person noch eine Personengemeinschaft mehr antwortet, scheint Machtausübung zur Naturwirkung zu werden.“

Er führt weiter aus, dass Macht immer dann zur Gefahr werde, wenn hinter ihr überhaupt kein ansprechbarer Wille mehr stehe, sondern nur einen anonyme Organisation, in welcher „ jeder durch benachbarte Instanzen geleitet, überwacht und dadurch – scheinbar- der Verantwortung enthoben“ sei.

Diese dann nicht mehr vom Bewusstsein einer Person getragene Handlung lasse dann  im Handelnden einen eigentümlichen leeren Raum entstehen. Da er sich nur als ein „Element in einem Zusammenhang“ erlebe, scheine er selber als „Subjekt der Handlung“ auszufallen.

Was aber als Folge dann geschieht, weist  in aller Dramatik auf die eigentliche Dimension dieses Missverstehens menschlichen Existierens hin. Es zeigt unweigerlich das, wovor das moderne Bewusstsein immer noch beharrlich die Augen verschließt, obwohl seine Wirkungen sich allenthalben explosionsartig ausbreiten: Diese Leere, die dort entstehe, wo die Person übersehen, verleugnet und vergewaltigt werde, bleibe nun nicht.  Was sich in diese hineinzwänge, ergieße, sei nichts anderes als das Böse – als Theologe wird er deutlicher: Der Böse.

Es gehört zu den fürchterlichsten Folgen neuzeitlicher Irrtümer über die Wirklichkeit, dass sie, wie Kästner es formulierte, das Böse nicht kenne. „Soviel Hilfe hatte es nie.“

Wer einigermaßen seine eigenen Seelenabgründe erkundet hat, weiß wovon hier die Rede ist. Und er sieht schmerzerfüllt, dass, solange hier nicht mutiger gedacht, gesprochen und beschrieben wird, alle wirtschaftlichen „Rettungsmaßnahmen“ oberflächlicher Art so viel Nutzen wie Löcher ins Wasser zu graben. Es wird die letzten Kräfte  sinnlos verbrauchen.

Sie hätten in einen „bodenlosen Abgrund“ geschaut, bekannte ein Wall Street Banker in den frühen Oktobertagen. Peer Steinbrück und Angela Merkel seien „erbleicht“, als Ihnen geschildert, welches unbeherrschbare Chaos unmittelbar bevorstehe, wenn die HRE Bank nicht gerettet werde. Hier waren wir nahe dran am wirklichen Geschehen. Was noch fehlte? Der Mut wirklich zu sehen, was man sieht.

Nun versuchen alle wieder die Experten ihren „Job“ machen zu lassen, nachdem sich die Lust an Managerschelte erschöpft hat. Wir versuchen noch einmal den Bannzauber der Wissenschaft über das Desaster zu werfen, um ohne radikaler Infragestellung unserer inneren Daseinshaltung doch noch irgendwie durchzukommen.

Das wird nicht gut gehen.

Und am Ende wird uns dabei kein Experte mehr zu Seite stehen. Die notwendende Hilfe kommt auch nicht „von oben“. Sie wartet innen. In jedem Einzelnen. Und hier ist jeder Experte – wenn er sich nur traut.

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NewScientist: Wie unser Wirtschaftssystem die Erde tötet

Vor zwei Wochen erschien im renommierten Wissenschaftsmagazin NewScientist ein „Special Report” unter dem Thema „How our economy is killing the earth”, der einige beklemmende Erkenntnisse zu Tage fördert. Im einleitenden Artikel wird beispielsweise diese Grafik hier präsentiert (anklicken, um sie in groß zu sehen):

Tiefergegehende Analysen zu dieser Grafik findet Ihr hier: „The facts about overconsumption”.

Sie verdeutlicht, welch exponentielle Entwicklungen viele Dinge in der Wirtschaft und der menschlichen Gesellschaft mittlerweile genommen haben – und eigentlich kann sich jeder mit Hilfe seines gesunden Menschenverstandes ausmalen, dass dies nicht ewig so weitergehen kann (Text wurde von mir mit freundlicher Genehmigung des Verlags übersetzt):

Die Grafiken auf dieser Seite sind eine deutliche Erinnerung an die Krise, der unser Planet gegenüber steht. Der Ressourcenverbrauch steigt schnell an, die Biodiversität stürzt ab und praktisch jede Messung zeigt, wie Menschen die Erde im großen Maßstab beeinflussen. Die meisten von uns akzeptieren die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Lebensstils, indem wir den CO2-Ausstoß verringern, erneuerbare Technologien entwickeln und Energieeffizienz erhöhen.

Aber sind diese Anstrengungen, den Planeten zu retten, zum Scheitern verurteilt? Eine steigende Anzahl von Experten berücksichtigt Grafiken & Statistiken wie die oben und argumentiert, dass persönliches Spritsparen und kollektives Ökologiebewusstsein unerheblich/nutzlos sind, so lange unser Wirtschaftssystem auf der Wachstumsprämisse beruht. Die Wissenschaft sagt uns, dass wir die Erde nur retten können, wenn wir unser Wirtschaftssystem verändern.

Dies ist natürlich ökonomische Gotteslästerung. Wachstum ist für die meisten Ökonomen so selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen: es ist, wie sie behaupten, die einzige Kraft, die in der Lage ist, die Armen dieser Welt aus ihrer Armut zu befreien, die zunehmende Weltbevölkerung zu ernähren, die Kosten für die zunehmenden öffentlichen Ausgaben zu bezahlen und technischen Fortschritt anzufachen – vom Bezahlen eines immer ausschweifenderen Lebensstils ganz zu schweigen. Sie sehen keine Wachstumsgrenzen, niemals.

In den letzten Wochen ist es klar geworden, wieviel Angst die Regierungen vor allem haben, dass dieses Wachstum bedroht, indem sie Milliarden von Steuergeldern in ein Finanzsystem kippen, das versagt hat. In all dieser Verwirrung muss jede Herausforderung des Wachstumsdogmas genau untersucht werden.

[weiterlesen des Artikels, auf Englisch]

Ein weiterer Artikel des NewScientist-Specials stammt von Prof. Tim Jackson von der Universität Surrey (UK) – „Warum Politiker sich nicht trauen, wirtschaftliches Wachstum zu begrenzen”. Die ersten paar Absätze darf ich Euch wieder als Übersetzung präsentieren, den Rest dann bitte auf der Originalsite nachlesen.

Wenn Sie an der Oberfläche des Kapitalismus des freien Marktes kratzen, entdecken Sie etwas, das an tiefsitzende Urängste erinnert. Die jüngsten Ereignisse liefern ein gutes Beispiel dafür: Das außergewöhnliche 800 Milliarden $ US-Rettungspaket war eine gigantische „Wohlfühldecke”, um das Vertrauen in den schwächelnden Finanzmarkt wiederherzustellen. Indem die Steuerzahler gezwungen werden, die „giftigen Schulden” aufzusammeln, die das System in die Krise geführt haben, zielt es darauf ab, unsere Fähigkeit zu erhalten, so weiter zu machen wie bisher. Das ist eine sehr kurzsichtige und regressive/rückschrittliche Lösung, aber das Wirtschaftswachstum muss nun mal um jeden Preis geschützt werden.

Als Wirtschaftsbeauftragter der UK Sustainable Development Solution kommt mir dieses Vorgehen auf deprimierende Weise bekannt vor. Bei der letztjährigen Vorstellung des Redefining Prosperty-Projekts (das versucht, ein wenig ökologische und soziale Rücksichtnahme in die atemlose Hatz nach wirtschaftlichem Wachstum einzubringen) stand ein Vertreter des Finanzministeriums auf und beschuldigte mich und meine Kollegen, „zurück zum Leben in Höhlen” gehen zu wollen. Nach einem aktuellen Treffen, das herausfinden sollte, wie die englische Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltiger gestaltet werden könnte, konnte man einen Offiziellen murren hören: „Nun, das ist alles ganz interessant, aber vielleicht können wir ja jetzt zur wirklichen Aufgabe zurückkehren: das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.”

Die Aussage ist klar: jede Alternative zum Wachstum bleibt undenkbar, selbst 40 Jahre, nachdem die amerikanischen Ökologen Paul Ehrlich und John Holdren einige verblüffend offensichtliche Beobachtungen zur Arithmetik des permanenten Konsums machten.

(…) [den Rest des Artikels bitte auf Englisch nachlesen]

Dies ist die Logik des kapitalistischen freien Marktes: die Wirtschaft muss immer weiter wachsen, oder es kommt zu einem schrecklichen Kollaps. Da die ökologische Entwicklung jedoch kritische Punkte zu erreichen beginnt, müssen wir aufhören, zu glauben, dass die sinnlose Jagd nach Wirtschaftswachstum mit Nachhaltigkeit vereinbar ist. Wir brauchen etwas robusteres als nur eine „Wohlfühldecke” um uns vor dem Schaden zu schützen, den wir auf dem Planeten anrichten. Eine Alternative zu diesem zum Untergang verdammten Modell/System muss höchste Priorität genießen, bevor eine weltweite Rezession, ein instabiles Klima oder eine Kombination dieser  beiden Kräfte uns heimsucht.

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Neoliberalismus – Was bleibt von der Ideologie?

Einen sehr schönen Artikel fand man letzte Woche in der Zeit, in dem Susanne Gaschke über „Neoliberalismus: Die Neunmalklugen” sinnierte und sich fragte, was von dieser Ideologie nun, nach den aktuellen Turbulenzen (die ja noch lange nicht ausgestanden sind; der Dax lag heute teilweise mit >10% im Minus…) noch übrig bleibe.

Was haben sie uns nicht alles erzählt über den überlegenen Markt und die Wertlosigkeit des Staates – und was hört man nun? Dröhnendes Schweigen.

Von ihrer Unübersichtlichkeit her ist die gegenwärtige Situation, ist das großartige Scheitern aller neoliberalen Verheißung über die Weisheit der Märkte und die Überflüssigkeit des Staates, mit dem Untergang des Sozialismus verglichen worden. Im Gegensatz zu 1989 fällt allerdings ein Unterschied auf: Damals kam es schnell zu breiten Aufarbeitungsdebatten unter Historikern, politischen Akteuren (…) Diese selbstkritische Betrachtung der eigenen Rolle, dieses kleine bisschen Scham ist in der aktuellen Krise aufseiten der ökonomischen Elite bisher nicht zu entdecken: wahrscheinlich, weil sich ihre Mitglieder tatsächlich nicht als Anhänger einer Weltanschauung unter mehreren, sondern als Inhaber einer unbestreitbaren Wahrheit betrachtet haben.

(…) Von all diesen Menschen könnten auch die Marktradikalen etwas lernen: dass eine Gesellschaft andere Kraftquellen hat und andere Kraftquellen braucht als nur den Profit. Wenn sie es lernen würden, ließe sich einfacher darüber diskutieren, wie der Kapitalismus aussieht, den wir haben wollen.

[gefunden via Pickings]

Erstaunliches hört man auch vom ehemaligen US-Notenbankchef Alan Greenspan, der mit seiner Finanzpolitik nicht gerade unschuldig am aktuellen Desaster ist und nun von einem „Kredit-Tsunami” spricht:

“Ich habe falsch gelegen mit der Annahme, dass Organisationen – speziell Banken – aufgrund von Eigeninteresse ihre Aktionäre und ihr Firmenkapital am besten schützen können”, sagte Greenspan. Er räumte ein, dass die Krise “Mängel” in dem von ihm favorisierten Modell des freien Marktes offenbart habe. [via n-tv]

Eine nette bebilderte Hintergrundgeschichte über die Krise und ihre Hintergründe findet sich ebenfalls jetzt in der Zeit: „Wo ist das ganze Geld geblieben?”.

(Sorry, dass ich derzeit so oft die Finanzkrise hier erwähne(n muss), aber diese Thematik ist nun mal gerade ganz besonders prekär und aktuell.)

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