Vor zwei Wochen erschien im renommierten Wissenschaftsmagazin NewScientist ein „Special Report” unter dem Thema „How our economy is killing the earth”, der einige beklemmende Erkenntnisse zu Tage fördert. Im einleitenden Artikel wird beispielsweise diese Grafik hier präsentiert (anklicken, um sie in groß zu sehen):
Tiefergegehende Analysen zu dieser Grafik findet Ihr hier: „The facts about overconsumption”.
Sie verdeutlicht, welch exponentielle Entwicklungen viele Dinge in der Wirtschaft und der menschlichen Gesellschaft mittlerweile genommen haben – und eigentlich kann sich jeder mit Hilfe seines gesunden Menschenverstandes ausmalen, dass dies nicht ewig so weitergehen kann (Text wurde von mir mit freundlicher Genehmigung des Verlags übersetzt):
Die Grafiken auf dieser Seite sind eine deutliche Erinnerung an die Krise, der unser Planet gegenüber steht. Der Ressourcenverbrauch steigt schnell an, die Biodiversität stürzt ab und praktisch jede Messung zeigt, wie Menschen die Erde im großen Maßstab beeinflussen. Die meisten von uns akzeptieren die Notwendigkeit eines nachhaltigeren Lebensstils, indem wir den CO2-Ausstoß verringern, erneuerbare Technologien entwickeln und Energieeffizienz erhöhen.
Aber sind diese Anstrengungen, den Planeten zu retten, zum Scheitern verurteilt? Eine steigende Anzahl von Experten berücksichtigt Grafiken & Statistiken wie die oben und argumentiert, dass persönliches Spritsparen und kollektives Ökologiebewusstsein unerheblich/nutzlos sind, so lange unser Wirtschaftssystem auf der Wachstumsprämisse beruht. Die Wissenschaft sagt uns, dass wir die Erde nur retten können, wenn wir unser Wirtschaftssystem verändern.
Dies ist natürlich ökonomische Gotteslästerung. Wachstum ist für die meisten Ökonomen so selbstverständlich wie die Luft, die wir atmen: es ist, wie sie behaupten, die einzige Kraft, die in der Lage ist, die Armen dieser Welt aus ihrer Armut zu befreien, die zunehmende Weltbevölkerung zu ernähren, die Kosten für die zunehmenden öffentlichen Ausgaben zu bezahlen und technischen Fortschritt anzufachen – vom Bezahlen eines immer ausschweifenderen Lebensstils ganz zu schweigen. Sie sehen keine Wachstumsgrenzen, niemals.
In den letzten Wochen ist es klar geworden, wieviel Angst die Regierungen vor allem haben, dass dieses Wachstum bedroht, indem sie Milliarden von Steuergeldern in ein Finanzsystem kippen, das versagt hat. In all dieser Verwirrung muss jede Herausforderung des Wachstumsdogmas genau untersucht werden.
Ein weiterer Artikel des NewScientist-Specials stammt von Prof. Tim Jackson von der Universität Surrey (UK) – „Warum Politiker sich nicht trauen, wirtschaftliches Wachstum zu begrenzen”. Die ersten paar Absätze darf ich Euch wieder als Übersetzung präsentieren, den Rest dann bitte auf der Originalsite nachlesen.
Wenn Sie an der Oberfläche des Kapitalismus des freien Marktes kratzen, entdecken Sie etwas, das an tiefsitzende Urängste erinnert. Die jüngsten Ereignisse liefern ein gutes Beispiel dafür: Das außergewöhnliche 800 Milliarden $ US-Rettungspaket war eine gigantische „Wohlfühldecke”, um das Vertrauen in den schwächelnden Finanzmarkt wiederherzustellen. Indem die Steuerzahler gezwungen werden, die „giftigen Schulden” aufzusammeln, die das System in die Krise geführt haben, zielt es darauf ab, unsere Fähigkeit zu erhalten, so weiter zu machen wie bisher. Das ist eine sehr kurzsichtige und regressive/rückschrittliche Lösung, aber das Wirtschaftswachstum muss nun mal um jeden Preis geschützt werden.
Als Wirtschaftsbeauftragter der UK Sustainable Development Solution kommt mir dieses Vorgehen auf deprimierende Weise bekannt vor. Bei der letztjährigen Vorstellung des Redefining Prosperty-Projekts (das versucht, ein wenig ökologische und soziale Rücksichtnahme in die atemlose Hatz nach wirtschaftlichem Wachstum einzubringen) stand ein Vertreter des Finanzministeriums auf und beschuldigte mich und meine Kollegen, „zurück zum Leben in Höhlen” gehen zu wollen. Nach einem aktuellen Treffen, das herausfinden sollte, wie die englische Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltiger gestaltet werden könnte, konnte man einen Offiziellen murren hören: „Nun, das ist alles ganz interessant, aber vielleicht können wir ja jetzt zur wirklichen Aufgabe zurückkehren: das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.”
Die Aussage ist klar: jede Alternative zum Wachstum bleibt undenkbar, selbst 40 Jahre, nachdem die amerikanischen Ökologen Paul Ehrlich und John Holdren einige verblüffend offensichtliche Beobachtungen zur Arithmetik des permanenten Konsums machten.
(…) [den Rest des Artikels bitte auf Englisch nachlesen]
Dies ist die Logik des kapitalistischen freien Marktes: die Wirtschaft muss immer weiter wachsen, oder es kommt zu einem schrecklichen Kollaps. Da die ökologische Entwicklung jedoch kritische Punkte zu erreichen beginnt, müssen wir aufhören, zu glauben, dass die sinnlose Jagd nach Wirtschaftswachstum mit Nachhaltigkeit vereinbar ist. Wir brauchen etwas robusteres als nur eine „Wohlfühldecke” um uns vor dem Schaden zu schützen, den wir auf dem Planeten anrichten. Eine Alternative zu diesem zum Untergang verdammten Modell/System muss höchste Priorität genießen, bevor eine weltweite Rezession, ein instabiles Klima oder eine Kombination dieser beiden Kräfte uns heimsucht.
Matthias
Nicht zu vergessen ist auch, dass das ewige Gesetz vom Wachsen leider eben nicht ewig ist.
Ein System, das auf unendliches Wachstum ausgelegt ist, kann auf Dauer einfach nicht funktionieren, sondern bricht zeitweise nunmal in sich zusammen.
Man denke an die Kondratieff-Zyklen, in die auch die große Depression fiel.
Folgt man der Marx’schen These- und Antithese-Theorie (praktisch das sozialwissenschaftliche Gegenstück zu Aufschwung-Abschwung ;) ), so sollte sich das Problem mehr oder weniger durch eine Revolution von selber lösen lassen.
Wie könnte das geschehen? Eine Art äußerer-Feind-Effekt ausgelöst durch eine heftige Finanzkrise, inkl. Verlust des eigenen Vermögens?
Nun ja, ganz abgesehen davon ist das Ziel der volkswirtschaftlichen Lehre ja eh verfehlt. Die Allokation der knappen Güter (also allen) soll ein höchstmögliches Maß an Wohlstand bringen. Dies geschieht durch Spezialisierung, also einem gering halten der Opportunitätskosten und Handel.
Dooferweise verteilt sich der Wohlstand aber nicht so recht wie er soll (zumindest sieht das in Großteilen von drei Kontinenten so aus).
Es kommt hinzu, dass ein hoher Lebensstandard offensichtlich auch nicht zu “Glück” verhilft, wie allgemein angenommen wird.
Das Ende vom Lied: Die einen haben nichts zu beißen, die anderen schwimmen im Wohlstand und sind trotzdem nicht glücklich.
Das Problem des Umweltschutzes dürfte sich hingegen noch relativ einfach lösen lassen, da ich denke, dass im Gegensatz zu den o.g. Punkten Umweltverschmutzung nicht unbedingt eine systemimmanente Angelegenheit ist.
Transparenz der Produkte, Aufklärung der Verbraucher sowie ein gesundes Umweltbewusstsein sollten erste Punkte dafür sein.
Wenn man bedenkt, welche Machtmechanismen (vor allem) die großen Industriestaaten sich geschaffen haben (Biomacht – und das hat nichts mit Öko zu tun, sondern mit Foucault), dann sollte es auch kein Problem sein, dieses Problem in den Griff zu kriegen.
Ich sehe auch nicht, wie Umweltschutz den Lehren der Volkswirtschaft entgegen stehen sollte.
Florian
Dabi stehen ferig entwickelte völlig neuartige Wirtschaftsmodelle bereit übernommen zu werden, wie z.B. die “Natürliche Ökonomie” auf http://www.joytopia.net, die Wohlstand für alle Menschen im Einklang mit der Natur bringt.
Peter M.
Danke für den Tipp, das Projekt kannte ich bisher noch nicht. Werde ich mir mal in Ruhe anschauen/durchlesen.