In jeder Krise suchen die Menschen gerne nach Schuldigen für die Misere. Während hierzulande noch alles auf die Banker schimpft und einprügelt, ist man in den USA offenbar schon einen Schritt weiter und nimmt nun die nächsten Berufsgruppen ins Visier. Marketing- und Reklamefuzzis dürfen sich also schon mal etwas wärmer anziehen und auf verstärkten Gegenwind einstellen, wenn man dieser neuen Studie von The Harris Poll Glauben schenken darf: „Majorities of Americans Lay at Least Some Blame for Economic Crisis on Media and Advertising Agencies for Causing People to Buy What They Couldn’t Afford“, die ich für Euch mal eben übersetzt habe:
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Mehrheit der Amerikaner macht Medien und Werbeagenturen für die Krise mitverantwortlich, indem sie Menschen dazu verführen, Dinge zu kaufen, die sie sich nicht leisten können
Die Mehrheit glaubt hingegen, Freunde und Familie trifft keine Schuld
Viele Gruppen standen schon im Fokus des „blame game“ (Anschuldigungs-Spiels), in dem es darum geht, wer die Verantwortung für die aktuelle Wirtschaftskrise trägt. Könnten die Medien, Werbeagenturen und/oder Freunde und Familien zumindest einen Teil der Verantwortung tragen, dass Leute sich Dinge kaufen, die sie sich nicht leisten können? Wenn es nach der amerikanischen Öffentlichkeit geht, lautet die Antwort: ja.
Dies sind einige der Ergebnisse von The Harris Poll® einer landesweiten Umfrage unter 2.200 US-Bürgern, die online zwischen dem 31. März und 1. April durchgeführt wurde.
Im Einzelnen:
- Zwei Drittel der Amerikaner (66%) glauben, dass Werbeagenturen zumindest einen Teil der Verantwortung dafür tragen, dass Menschen sich zu viele Sachen kaufen. Tatsächlich glauben 33% sogar, dass die Agenturen die komplette Schuld oder zumindest die Hauptverantwortung dafür tragen.
- Printmedien wie Zeitungen und Zeitschriften wird von annähernd 3 von 5 Amerikanern (59%) zumindest eine gewisse Verantwortung zugeschrieben, während 56% der Amerikaner sagen, dass Nachrichten und Informationswebsites mitverantwortlich zeichnen.
- Etwas mehr als die Hälfte der Befragten sagt, dass Shows im Fernsehen oder Radio (55%), Nachrichten im Kabelprogramm (54%) und lokale Nachrichtensender (53%) allesamt eine gewisse Verantwortung für die Krise tragen, weil sie Menschen dazu animierten, Dinge zu kaufen, die sie sich nicht leisten konnten.
- Freunde und Familie kommen etwas besser weg – knapp über die Hälfte (54%) sagt, dass sie wenig oder keine Verantwortung für den übermäßigen Konsum haben.
Es gibt auch eine Differenzierung der Altersgruppen, wenn es um die Schuldzuweisung für die Wirtschaftskrise geht. Menschen, die 55 Jahre oder älter sind, schieben die Schuld eher den fünf Medienkategorien und Werbeagenturen in die Schuhe. Im Gegenzug halten die 18–34jährigen diese 6 Gruppen für weniger verantwortlich. (…)
Also?
Die Amerikaner sind wütend und aufgebracht über den Zustand der Wirtschaft und benötigen einen Schuldigen oder eine Gruppe von Schuldigen. Die Medien sind immer ein leichter Sündenbock, wenn es um das „blame game“ geht, sei es nun mit politischen Slogans wie im Jahre 1992 „Ärgert die Medien, wählt Präsident Bush wieder“, oder als Ursache für die aktuelle Wirtschaftskrise. Werbeagenturen hingegen konnte bisher „unerkannt entkommen“/waren für den Radar der Menschen unsichtbar. Nun jedoch, dank Fernsehshows wie „Mad Men“ und „Trust Me“ werden sie etwas sichtbarer und stellen ebenfalls einen leichten Sündenbock dar.
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Dazu drängen sich mir noch einige Anmerkungen auf – abgesehen davon, wie angebracht es wohl sein mag, bei einer Umfrage unter gerade einmal 2.200 Menschen anschließend von „die Amerikaner“ etc. zu sprechen (eine absurde Vorstellung, oder?), ist es zumindest interessant, dass offenbar einiges von dem, was z.B. Culture Jammer wie Kalle Lasn schon seit langem nicht müde werden, zu betonen und wie es auch in „The Story of Stuff“ visualisiert wurde, nämlich, dass die Werbeindustrie kräftig mit an dem zerstörerischen Hamsterrad aus Arbeiten & Konsumieren dreht, mittlerweile auch vermehrt bei den Bürgern ankommt. Auf der anderen Seite habe ich immer große Probleme damit, wenn sich Menschen hinstellen und irgend jemand anderen für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich machen wollen – hier sollten sich die Konsumenten vielleicht zuallererst auch an die eigene Nase fassen! Schließlich zwingt einen ja niemand, Dinge zu kaufen, die man nicht braucht und sich nicht leisten kann. Dass Reklame & Co. natürlich den Boden für sinnlosen Konsum bereiten und Menschen in ihren Unsicherheiten bestärken, ist unstrittig und wird von mir hier im Blog auch mit schöner Regelmäßigkeit kritisch beäugt.
arne
Also ich hab grade den ersten Satz gelesen und das, was mir dazu einfällt ist direkt, dass eine Umfrage die nur online durchgeführt wurde und an der nur 2200 Menschen teilgenommen haben, wohl nicht sehr repräsentativ ist.
Ansonsten sind die Medien und PR-Agenturen auch nur die Instrumente von den Mächtigen, die dahinter sitzen.
arne
Ah, sorry, du hast dazu ja auch etwas geschrieben…
schwarm
“wenn sich Menschen hinstellen und irgend jemand anderen für ihre eigenen Entscheidungen verantwortlich machen wollen – hier sollten sich die Konsumenten vielleicht zuallererst auch an die eigene Nase fassen.”
Danke für diesen Satz, er setzt die gesamte Info ins richtige Verhältnis.
Dennis
Interessante Ansichten, die die Amis da mal wieder vertreten.
Ganz klar, dass auch die Werber Ihren Teil dazu beitragen, dass es um die Wirtschaft zur Zeit vielleicht nicht so gut bestellt ist.
Würde man allerdings behaupten, dass Werbeagenturen und Zeitungen den an und für sich schwachen Menschen ohne eigenen Willen dazu zwingen, dass sie Geld ausgeben, welches sie eigentlich gar nicht besitzen, dann sollte man sich doch bitte auch mal genauer mit der Bildung und Erziehung dieser Personen auseinandersetzen.
Demnach gebe ich nicht zuletzt auch den Kindergärten und Schulen die Schuld, die es damals versäumt haben, den jetzigen Erwachsenen den Umgang mit Geld zu erläutern.
Peter M.
“Ganz klar, dass auch die Werber Ihren Teil dazu beitragen, dass es um die Wirtschaft zur Zeit vielleicht nicht so gut bestellt ist.”
Ich denke eher, dass Werber ihren Teil dazu beitragen, dass es der GESELLSCHAFT (nicht der Wirtschaft) schlecht geht… :-O Indem sie eben mit an dem großen Kommerzrad drehen, das uns alle überrollt.
Abgesehen davon stimmt es natürlich (und das schrieb ich auch in dem Beitrag) dass es lächerlich ist, nun NUR Werbung etc. dafür verantwortlich zu machen, dass man sich zu viel gekauft hat, über seine Verhältnisse lebt. Da hast Du schon Recht, dafür sind auch/v.a. Bildung und Erziehung von Bedeutung. Dennoch, wie gesagt, fördert die Werbeindustrie natürlich Unzufriedenheiten und propagiert Konsum as Allheilmittel gegen ein nichtzfriedenstellendes Leben. In dem Punkt sidn Marketingleute dann auch mitverantwortlich für das, was ind er WIrtschaft/dem Konsum geschieht. Trotzdem sollte natürlich jeder Manns/Fraus genug sein, sein Einkaufsverhalten zu kontrollieren…