Weise Worte (27)

(…) Konsequenzen: Aufhören aller Individualität bis ins Äußer­liche. Nicht ungestraft gehen alle Menschen gleich angezogen, gehen alle Frauen gleich gekleidet, gleich geschminkt: die Monotonie muß notwendig nach innen dringen. Gesichter werden einander ähnlicher durch gleiche Leidenschaft, Körper einander ähnlicher durch gleichen Sport, die Geister ähnlicher durch gleiche Interessen. Unbewußt entsteht eine Gleichartigkeit der Seelen, eine Massenseele durch den gesteigerten Uniformierungstrieb, eine Verkümmerung der Nerven zugunsten der Muskeln, ein Absterben des Individuellen zugunsten des Typus. Konversation, die Kunst der Rede, wird zertanzt und zersportet, das Theater brutalisiert im Sinne des Kinos, in die Literatur wird die Praxis der raschen Mode, des „Saisonerfolges“ eingetrieben. Schon gibt es, wie in England, nicht mehr Bücher für die Menschen, sondern immer nur mehr das „Buch der Saison“, schon breitet sich gleich dem Radio die blitzhafte Form des Erfolges aus, der an allen europäischen Stationen gleichzeitig gemeldet und in der nächsten Sekunde abgekurbelt wird. Und da alles auf das Kurzfristige eingestellt ist, steigert sich der Verbrauch: so wird Bildung, die durch ein Leben hin waltende, geduldig sinnvolle Zusammenfassung, ein ganz seltenes Phänomen in unserer Zeit, so wie alles, das sich nur durch individuelle Anstrengung erzwingt.

(…) die amerikanische Langeweile aber ist fahrig, nervös und aggressiv, überrennt sich mit eiligen Hitzigkeiten, will sich betäuben in Sport und Sensationen. Sie hat nichts Spielhaftes mehr, sondern rennt mit einer tollwütigen Besessenheit, in ewiger Flucht vor der Zeit: sie erfindet sich immer neue Kunstmittel, wie Kino und Radio, um die hungrigen Sinne mit einer Massennahrung zu füttern, und verwandelt die Interessengemeinschaft des Vergnügens zu riesenhaften Konzernen wie ihre Banken und Trusts. Von Amerika kommt jene furchtbare Welle der Einförmigkeit, die jedem Menschen dasselbe gibt, denselben Overallanzug auf die Haut, dasselbe Buch in die Hand, dieselbe Füllfeder zwischen die Finger, dasselbe Gespräch auf die Lippe und dasselbe Automobil statt der Füße.

Stefan Zweig, „Die Monotonisierung der Welt“, 1925 (!!)

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9 Kommentare

  1. Besucher01

    Immer wieder erstaunlich wie früh Konsumkritiker schon aktiv waren. Und wie präzise und treffend sie damit einhergehende Fehlentwicklungen umschrieben.

  2. Dirk

    Ich muss mal wieder Widerworte geben ;)

    Der Artikel ist eindeutung nationalistisch geprägt und will im Prinzip eine stärkere nationale Identität erreichen, zumindest aber prangert er das Verwischen nationaler Identititäten an. Das aber finde ich eine der guten Seiten der Globalisierung und ihrer Folgen: Die Kulturen der Welt werden sich ähnlicher und Unterschiede verschwimmen. Jetzt mag die erste Reaktion sein, dass man den Verlust von regionaler Eigenart bedauern mag. Aber erstens ist dieser Schluss nicht zulässig und zweitens selbst wenn er es wäre, wäre es durch die wesentlich größere Bedeutung der Gleichheit ein annehmbarer Preis.
    Die Ursache in vielen, vielen Kriegen liegt in kulturellen Identitäten. Ländern, welche für sich eine gemeinsame kulturelle Basis beanspruchen, bekämpfen sich nicht. Dies ist wunderbar zu sehen an dem europäischen Einigungsprozess und der Freundschaft zu Frankreich. Früher herrschte ein ausgeprägter Hass zwischen beiden Ländern, da man sich auf seine Eigenarten berief. Heute – wo kaum noch Unterschiede zwischen beiden Ländern spürbar sind – wäre ein krieg beider Länder gegeneinander doch wohl völlig undenkbar. Das Beste was uns passieren kann, ist wenn die Menschen mehr und mehr die anderen Kulturen respektieren und somit auch zu einem großen Stück aufnehmen. Dann würde z.B. die momentane Hetze gegen die “faulen Griechen” u.a. aufhören, wenn man die Griechen nicht als “die anderen” wahrnehmen würde. Und wie wunderbar wäre es, wenn so etwas weltweit möglich wäre – Auch wenn das natürlich momentan eine Utopie ist.
    Auch ist es nicht richtig, dass dadurch alle Eigenheiten weggewischt werden und Kultur verkümmert. Im Gegenteil ist es wie bei den Medien, dass man sich ergänzt, aber niemals ersetzt. Die Menschen haben auch den Untergang des Radios vorhergesagt nach der Einführung des Fernsehens und stattdessen gibt es heute einfach viele Medienarten nebeneinander, welche sich ergänzen aber nicht substituieren.

    Auf der anderen Seite ermöglich dieser weltweite Austausch doch eine viel stärkere Individualisierung des Einzelnen. Schauen wir uns doch einfach mal das Internet an, das Globalisierungsmedium Nummer Eins. Ein solcher Blog wie hier wäre ohne dem doch gar nicht denkbar. Viele Randgruppen – welche lokal einfach nie genügend Gleichgesinnte finden würden – haben jetzt die Möglichkeit sich zusammenzufinden. Oder schauen wir doch mal auf die Essenskultur: Nur weil ich an fast jedem Punkt der Welt sowohl amerikanisch, indisch, chinesisch oder französisch essen kann, hat das mein Leben doch keineswegs beschnitten. Im gegenteil, früher gab es halt nur die eine Möglichkeit (deutsches Lokal), jetzt habe ich die Auswahl zwischen vielen, vielen verschiedenen Möglichkeiten. Natürlich gibt es diese Weltweit, aber ist es wirklich so erstrebenswert, extra nach Indien fliegen zu müssen, um indisch essen zu gehen?!
    Auch sonst ist der Trend zur Individualisierung – im Gegensatz zu der im Artikel erwähnten Gleichmacherei – doch allgegenwärtig. Ich kann im Internet sogar mein eigenes, individuelles Müsli bestellen!

    Letztendlich steht über alle dem aber, das ein dauerhafter Friede in der Welt nur über eine gemeinsame Kultur funktionieren kann. Auf Abgrenzung und Abschottung folgte in der geschichte bislang stets Ungemach. Daher: Eine gemeinsame, sehr ähnliche Kultur, welche aber dem Individuum eine große Entfaltungsmöglichkeit gibt!

    PS: Damit einhergehend soll aber niemand denken, ich wäre ein Freund des Raubtierkapitalismus o.ä. Es muss natürlich Regeln und Grenzen geben und ein Überstülpen aus rein finanziellen Interessen ist entschieden abzulehnen.

    • “Im Gegenteil ist es wie bei den Medien, dass man sich ergänzt, aber niemals ersetzt. ”

      Naja, gerade bei den Medien sieht man ja nun eine extreme Gleichschaltung der Inhalte und Programmformate. “Gleichschaltung” nicht im Sinne eines von oben aufoktroyierten Zwangs natürlich, aber im Zuge einer Einebnung der Vielfalt und der “Auf-den-Podest-Hebung” eines gewissen Ideals (in dem Fall Hollywood-“Schönheiten” usw.), so dass man das Primat der Einschaltquote und der Verkaufbarkeit von Werbeblöcken über das Niveau des Programms setzt (was dann aber wieder ein anderes Thema ist). Siehe dazu auch die neueste Folge von Fernsehkritik.tv über das österreichische Fernsehen:
      http://fernsehkritik.tv/folge-74/Start/#jump:1-577

      “Daher: Eine gemeinsame, sehr ähnliche Kultur, welche aber dem Individuum eine große Entfaltungsmöglichkeit gibt!”

      Tja, das würde aber auch heißen, dass alle Menschen auf der ganzen Welt, egal wo sie leben, letztlich gleich “ticken” müssen, denn ansonsten wäre die von Dir angestrebte Einheitskultur etwas Übergstülptes…

      Ansonsten hast Du schon Recht, dass es zu begrüßen ist, wenn man nicht nationalistisch auf irgendwelche Unterschiede pocht und sich damit über andere erhebt. Dennoch finde ich eine Einheitssoßen-Kultur (egal welcher Prägung) auch nicht so erstrebenswert… wobei, wenn es überall gleich ist, dann muss man auch nicht mehr dauernd irgendwohin reisen, das ist natürlich ein Vorteil ;-)

  3. Besucher01

    “Auf der anderen Seite ermöglich dieser weltweite Austausch doch eine viel stärkere Individualisierung des Einzelnen.”

    In der Anfangszeit des Netzes war es so. Wen man sich allerdings mal die sozialen Netzwerke anschaut sehe ich dort nichts von Individualisierung. Die Menschen uniformieren dort eher…

  4. Dirk

    Also mit “ergänzen, aber nicht ersetzen” meinte ich Medien an sich, als z.B. TV, Fernsehen, Internet (quasi vertikal). Was du beschreibst ist ja eher ein horizontaler Effekt, dass Medien sich angleichen.
    Du hast schon recht, dass die breite Masse leider immer mehr den selben Unsinn guckt und alles irgendwie abgekupfert wird. Dabei mache ich aber ganz klar auch den Menschen selbst einen großen Vorwurf, den schließlich entscheiden sie sich aktiv dafür. Und das es auch anders geht und heutzutage auch eine große Gegenöffentlichkeit gibt, beweise ja die unzähligen Blogs wie dieser. Auch kann man im Fernsehen halt etwas anderes schauen als den immer gleichen RTL-Müll und es gibt auch niveauvolle Radiosender (mein Favorit: DLF). Die Frage ist ein wenig, warum die breite Masse sich mit trivialem abgibt, obwohl sie sinnvolles bekommen könnte. Das finde ich psychologisch schon äußerst bemerkenswert.

    Ja, und im Grunde wäre es schon meine Vision, dass alle Menschen gleich ticken; das ist natürlich eine Utopie. Aber je näher wir an dieser sind, umso näher sind wir am Weltfrieden. Und in den letzten 15 Jahren, wo die Globalisierung ja stetig zunahm, die Zahl der Kriege stetig abgenommen (ich will damit aber nicht implizieren, dass diese Tatsachen indirekt protportional sich verhalten; das Ganze ist natürlich wesentlich komplexer und hängt von vielen Faktoren ab).

    Zum Stichwort Individualisierung in den sozialen Netzwerken: Da finde ich den Artikel (und die Verlinkungen) unter http://www.zeit.de/2011/26/Internet-Surfverhalten-Filter sehr hilfreich. Im Prinzip sehen wir halt im Internet auch nur das, was wir eh schon mögen. Und wenn man sich anschaut, wie viele soziale Netzwerke es gibt (neben Facebook und Google+ gibt es halt auch z.B. viele deutsche Plattformen wie kwick, lokalisten, wkw, studivz, …), kann man da momentan nicht von einer Gleichmacherei sprechen.

    • “Ja, und im Grunde wäre es schon meine Vision, dass alle Menschen gleich ticken; das ist natürlich eine Utopie.”

      Allerdings. Dazu sind einfach auch die Lebensbedingungen (sozial wie vom Klima etc. her) der Menschen auf der ganzen Welt zu unterschiedlich, als dass alle den selben Lebensstil pflegen könnten. Es würde implizieren, dass es eine “richtige” prinzipielle Entwicklungsrichtung der Kultur gibt und den Raum für grundlegend andere Kulturen dementsprechend auslöschen (selbst wenn man in der von Dir angestrebten universellen Einheits-Kultur viel Platz für Individualität ließe). Klingt für mich nicht so erstrebenswert, ehrlich gesagt… Dass sich Kulturen gegenseitig befruchten und man Elemente aus anderen Kulturen auch in die eigene übernimmt, verändert, anpasst, das ist für mein Empfinden definitiv etwas Positives, klar.

  5. Habnix

    Der Verlust nationaler Eigenheiten kann auch bedeuten ein Verlust an Nationaler Information.Hoffentlich wissen die Inuit noch wie ein Kajak zu bauen geht und wie man ein Iglu baut,wie man Robben ohne Gewehre erlegt.Die Abgeschiedenheit der Menschen die in Häuser wohnen und dadurch nicht bewusst erfahrbare Gegebenheit ihrer Geographie.Der Unbedarfte Wanderer in den Bergen oder im Wattenmeer.

    Ja ja die Globalisierung hat ihre Vorteile und ihre Nachteile man sollte aber nicht Vergessen wo man lebt.

    Ein heftiger Sturm kann ganz schnell die globalisierte Kommunikation beenden,man denke auch an den Finanzmarkt.
    sehr schlimm würde es um uns stehen,wenn Heut auf Morgen nichts mehr wie gewohnt gehen würde.Dann muss man sich plötzlich so mancher Gegebenheit anpassen.

    In Frankreich lebte es sich anders als in Deutschland.
    Die Landschaft in der ein Mensch lebt prägt ihn.

  6. kannix

    Aus dem Artikel: “denselben Overallanzug auf die Haut, dasselbe Buch in die Hand, dieselbe Füllfeder zwischen die Finger, […] und dasselbe Automobil statt der Füße.”

    Das klingt weniger nach Konsumkritik, als nach Kritik an der Industrialisierug, die eine billige Massenproduktion erst ermöglichte. Aber hier greift der Autor mitnichten die Entfremdung im Produktionsprozeß auf.
    Vielmehr scheint es ihm um die Bewahrung des status quo ante zu gehen, als er als Bildungsbürger noch was zu sagen hatte und Ansehen genoß. Ich lese da vor allem eine Verachtung gegenüber den heutzutage so genannten bildungsfernen Schichten raus.

    “Der neue Tanz ist von dem plumpsten Dienstmädchen in drei Stunden zu erlernen, das Kino ergötzt Analphabeten und erfordert von ihnen nicht einen Gran Bildung (…)”

    Oh Schreck, das einfache Volk hat im Zuge einer frühen Globalisierung und der Industralisierung Spaß abseits schwülstiger, teilweise unverständlich geschriebener (Hoch-)Literatur oder der “Hochkultur” der herrschenden Klasse. Wie überaus verwerflich…

  7. Markus

    Also eigentlich merke ich nicht wirklich viel von Individualisierung. Klar, jeder hat mehr Wahlmöglichkeiten, aber das heißt nicht unbedingt, dass die Person, die wählt, auch wählt, weil sie will. Das müsste sie aber, wenn sie wirklich eine Individualisierung anstrebt. Wir haben alle durch die Globalisierung eine größere Auswahl, aber das heißt nicht, dass hinter jeder Entscheidung ein anderes Motiv steckt. Ich seh eher eine grundsätzliche Verwirrung bei soviel Wahlmöglichkeiten und die zunehmende Unfähigkeit auch Dinge im Leben zu “verpassen” oder darauf zu verzichten.

    Eine einheitliche Kultur möchte ich nicht. Viel eher möchte ich eine einheitliche Vorgehensweise, wenn es darum geht andere Kulturen zu respektieren und auch zu akzeptieren – z.B. wenn sie sich nicht mit anderen mischen möchte, sondern Traditionen pflegt. Nicht alle Kulturen wollen Demokratie und wer das Vermischen von Kulturen befürwortet, muss gleichzeitig auch befürworten, dass große Unternehmen weltweit ihre Fühler noch weiter ausstrecken können. Schließlich steckt hinter jeder Emigration auch ein wirtschaftlicher Faktor und ob jeder sein Land so einfach verlassen möchte, weil zunehmend die ganze Welt als einziger Jobmarkt angesehen wird, wage ich zu bezweifeln.

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