Dass große Konzerne nur mit wenig feinen Mitteln so mächtig werden konnten, wie sie es sind, weiß man ja eigentlich, zumindest ahnt man es, aller Reklamebombardierung zum Trotz. Auch in meinem Blog ist dies ja schon oft thematisiert worden, beispielsweise wenn ich wieder einmal schillerndes Werbeimage mit der Realität dahinter konfrontiere. In den neuesten Wikileaks-Veröffentlichungen (mehr zum anarchistischen Weltbild der Wikileaks-Leute siehe weiter unten) schälen sich nun auch immer öfter pikante Details zu einzelnen Unternehmen heraus, die zeigen, wie skrupellos diese vorgehen, um ihre Pfründe zu sichern und Märkte zu erobern (im wahrsten Sinne des Wortes). Die Pharmabranche ist seit jeher in so manch dubioses Geschäft verwickelt, wie u.a. auch im Schwarzbuch Markenfirmen (und dem Buch „Korrupte Medizin“) auf vielen Seiten dargelegt wird. Pfizer ist da nur ein Medizinriese unter vielen, die sich mehr um ihren Aktienkurs als um das Wohlergehen von Menschen kümmern. Die Süddeutsche Zeitung greift nun in „Pfizers schmutzige Tricks” einige Wikileaks-Enthüllungen auf, die einen die Haare zu Berge stehen lassen, wenn man liest, was diese Firma in Nigeria trieb:
(…) Kritiker behaupten hingegen schon seit Jahren, das US-Unternehmen habe die Welle an Hirnhautentzündungen, die schließlich 12.000 Menschen das Leben kostete, genutzt, um einen illegalen Freilandversuch an Kindern mit einem seiner Medikamente zu unternehmen. Dabei soll das Unternehmen in Kauf genommen haben, dass Kinder starben – und zum Teil schwere Behinderungen erlitten.
Die Folge? Pfizer musste sich mit peinlichen Gerichtsverfahren und milliardenschweren Entschädigungsforderungen herumplagen. Im vergangenen Jahr einigte der Pharmahersteller sich mit der Regierung des nordnigerianischen Bundesstaats Kano überraschend darauf, die Klagen gegen eine Zahlung von 75 Millionen Dollar beizulegen. Nun gibt eine von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte Diplomatendepesche Einblick in die Hintergründe dieses Deals. Dem als geheim eingestuften Dokument zufolge engagierte Pfizer Privatdetektive, um an belastende Informationen über den für das Verfahren zuständigen Staatsanwalt Michael Aondoakaa zu gelangen.
US-Diplomaten berichten in dem Dokument über ein Treffen mit Pfizers Nigeria-Chef Enrico Liggeri: “Er sagte, Pfizers Detektive würden diese Informationen an die lokale Presse weiterreichen.” Im Februar und März 2009 tauchten tatsächlich Korruptionsvorwürfe gegen Aondoakaa in den örtlichen Medien auf. “Damit sollte Druck auf ihn ausgeübt werden dahingehend, dass er die Anklage fallen lässt”, heißt es in der Nachricht aus der nigerianischen US-Botschaft nach Washington. Liggeri ließ in dem Treffen erkennen, dass sein Unternehmen über weiteres Material verfüge, um Aondoakaa gefügig zu machen. (…)
Das Weiterlesen des Artikels bei der SZ lohnt sich!
Zum Thema Wikileaks gab es auch einen sehr interessanten Beitrag auf der Website des Magazins Oya, in dem Jochen Schilk ein wenig näher darauf eingeht, wovon Wikileaks-Gründer Assange in seinem Tun eigentlich getrieben wird (und was die meisten Medien eher unter den Tisch fallen lassen) – „Was will Wikileaks wirklich?“:
(…) Über die eigentlichen Hintergründe und Motive der Geheimnis-Enthüller scheint jedoch allgemein kaum etwas bekannt – dabei kann man Julian Assanges Beweggründe und sein Weltbild leicht aus dessen Texten herauslesen, die im Archiv der Mailingliste »Cypherpunks«, in seinem Blog iq.org, im Buch »Underground« (einer Co-Produktion mit der Autorin Suelette Dreyfus) und im WikiLeaks-Manifest »Conspiracy as Governance« öffentlich zugänglich sind. Wer Assange lebensnah begegnen möchte, sollte das große Porträt lesen, das am 7. Juni im New Yorker erschienen ist. Kürzer und auf Deutsch stellt Niklas Hofmann den »Whistle-Blower« in der Süddeutschen Zeitung am 2. Dezember heraus.
Aus seinen Schriften werde deutlich, dass Assange keineswegs von einem zerstörerischen Nihilismus getrieben wird, wie ihm manche unterstellen, und auch nicht von der Sucht nach Ruhm. Der gebürtige Australier versteht sich Hofmanns Recherche zufolge vielmehr als Teil der Bewegung der Krypto-Anarchisten, die sich dem Widerstand gegen autoritäre Strukturen verschrieben haben. Die von Hackern entwickelte krypto-anarchistische Philosophie unterstellt Staaten neben einer systemimmanenten Geheimniskrämerei zugleich die Absicht, die Kommunikation ihrer Bürger möglichst vollständig überwachen zu wollen – was die gegenwärtig wieder aufgeflammte Debatte um die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland eindrucksvoll belegt. In seinem Manifest kehrt Assange die Verhältnisse um: Nicht die Bürger sind zu Transparenz verpflichtet, sondern die Regierungen stehen dem Bürger gegenüber in der Verantwortung. Tatsächlich aber verhalten sich die Regierungen wie Verschwörer, die mit allen Mitteln der Geheimhaltung Machtstrukturen etablieren, um absolute Kontrolle über die Bürger zu gewinnen. Die krypto-anarchistische Strategie gegen den Machtmissbrauch derartiger staatlicher »Verschwörungen« besteht darin, das Netz der kommunikativen Kanäle zwischen den einzelnen Verschwörern so zu schwächen, dass die Funktion des Gesamtsystems nicht mehr gewährleistet ist. Etwa durch die Enthüllung von Regierungsgeheimnissen sollen die staatlichen »Verschwörer« derart verunsichert werden, dass sie ihre interne Kommunikation minimieren oder sogar ganz einstellen müssen. (…)
(…) Widerstand ist wichtig – aber er ist nichts, wenn nicht gleichzeitig am Komplettumbau der überkommenen Herrschaftskultur gearbeitet wird. Insofern wäre es wünschenswert, dass die weltweit vielen Millionen WikiLeaks-Sympathisanten auch das zugrundeliegende – ganze! – Weltbild kennen und verstehen würden, um dann den Aufbau der »wirklichen Gemeinschaft und Gesellschaft der Menschen« beginnen würden. Denn WikiLeaks will nicht Korrektiv eines unheilbaren Systems sein. WikiLeaks will die Revolution.