Habt Ihr eigentlich auch „nie Zeit“? Zerrinnt Euch der Tag so zwischen den Fingern und es ist schon wieder Schlafenszeit, wo Ihr doch gefühlt eigentlich gerade erst aufgestanden seid? Unsere heutige Industriegesellschaft sorgt für eine stetige Beschleunigung unseres Zeitempfindens, für immer mehr Gehetze, alles im Dienste eines sich genauso wild steigernden Wirtschaftswachstums, auf der Suche nach immer mehr Dingen, immer mehr Geld, immer mehr mehr mehr… In ihrer Reihe „Z wie Zukunft“ brachte der Fernsehsender 3sat letztes Jahr die interessanten Kurzfilm „Die Zeitraffer – von der Entschleunigung unserer Zukunft“ von Sabrina Dittus und Nico Weber. Da ich in meinem Blog auch immer wieder einen Blick über den Rand der Konsumgesellschaft hinzu Utopien oder anderen Gesellschaftsentwürfen hin wage, passt dieser Beitrag perfekt hierher. [Quelle]
Tempowahn, Tempovirus, Temporausch. Tempo, Profitstreben und die sozialen Folgen, allzeitige Verfügbarkeit, Zeitgewinn durch Zeitverlust – das sind nur einige Stichworte, die die Debatte um Entschleunigung und Zeitnot bestimmen. Konsens ist: Zeit ist ein Gut. Und heute ist Zeit zu einem knappen Gut geworden. Nicht Geld, nicht Macht, sondern Beschleunigung regiert die Welt. Die Schwierigkeit liegt keineswegs darin, dass die Zeit knapp ist, sondern dass wir schlecht mit dieser Zeit umgehen.
Die Dokumentation “Die Zeitraffer” macht sich auf die Suche nach der gesparten, verlorenen Zeit und nach Perspektiven, Visionen. Mit Apokalyptikern wie dem Jenaer Soziologieprofessor Hartmut Rosa, Beschleunigungstheoretiker, für den es nur Ausstieg oder Kollaps gibt, und der Empirikerin Nadine Schöneck, die wider besseres Wissen mit dem Tempowahn Schritt zu halten versucht.(…)
(…) Dabei geht es nicht um eine Verlangsamung des Tempos. So einfach ist es nicht: manches könnte sogar schneller gehen, anderes eben langsamer. Es geht um eine differenzierte Befürwortung von mehr “Zeitsouveränität”.
Wird der Mensch in Zukunft nicht mehr in ein abstraktes Konzept der Zeit gezäunt werden? Wird es eine neue Kultur der Zeit geben? Eines ist sicher: Der Takt der Gesellschaft muss sich ändern. Aber wie?
Matze
Mein Motto dazu lautet: “Sit down. Relax. Start breathing!”
schattenzwerg
vielen dank für diesen beitrag und die bereitstellung des filmchens :)
absolut lohnenswerte zeit diese 29 minuten und 31 sekunden!!!
chapultepec
“…Ein asiatischer Schriftsteller hat unser Dilemma in offenen Worten so geschildert:
“Ihr nennt eure tausend materiellen Geräte ‘arbeitssparende Maschinen’; trotzdem seid ihr dauernd ‘beschäftigt’. Mit der Vermehrung eurer Maschinen werdet ihr immer müder, gieriger, nervöser, unbefriedigter. Wieviel ihr auch habt, ihr wollt mehr haben, und wo ihr auch seid, ihr wollt woanders hin … eure Geräte sind weder zeitsparende noch seelenrettende Maschinen. Sie sind scharfe Sporen, die euch anspornen, mehr Maschinen zu erfinden und mehr Geschäfte zu machen.”…”
“…Wenn die wissenschaftliche Macht die moralische Macht überholt, haben wir schließlich ferngelenkte Raketen und irregeleitete Menschen…”
Martin Luther King: Das Haus der Welt
http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/002212.html
Maschinen verhalten sich wie Menschen und Menschen wie Maschinen
mo
“momo” neu (ge)lesen – oder besser gesagt, anders verstehen.
Olaf
Heute erst auf diese Seite bei David Foster Wallace gestoßen:
“Tagaus, tagein bin ich gehalten, alle möglichen Entscheidungen zu treffen über das, was wichtig und richtig ist und was mir womöglich sogar etwas (Spaß) bringt. Genauer gesagt, zuerst muss ich entscheiden – und mich dann damit abfinden, dass ich aufgrund meiner Entscheidung andere Optionen nicht ausüben konnte. Und während also die Zeit für mich immer schneller vergeht, wird mir allmählich klar, dass sich meine Wahlmöglichkeiten immer mehr reduzieren, während sich die ausgeschlagenen Optionen exponentiell vermehren, sodass der Moment absehbar ist, an dem ich auf dem prächtig verästelten Baum des Lebens an einen Zweig gelange, an dem es keine Alternative mehr gibt und ich von der Zeit auf dem einmal eingeschlagenen Weg weitergedrängt werde – in Richtung Stillstand, Atrophie und Verfall. Ich schleppe mich dahin (…) ersoffen in der Zeit.”
So fühl ich mich im Moment. Ein wirklicher Fokus auf eine oder zumindest wenige Sachen fällt mir schwer. Und im Hinterkopf rödelt immer die Maschine mit, die mir sagt, ich hätte noch mehr schaffen/machen/erledigen/erleben können. Das macht mich Tag für Tag wahnsinniger und führt in eine Stumpfheit, die unerträglich ist. Ich werde mir das Buch auf jeden Fall irgendwann (q.e.d.) mal besorgen.