Auch wenn die sog. Occupy-Bewegung mittlerweile wieder aus den Medien verschwunden ist und die mancherorts geschürten Hoffnungen, dass sie der Keim für eine globale Revolution oder doch zumindest Umwälzung sei, sich so nicht erfüllten, war und ist sie doch zum ersten Mal seit langem ein global auftretender Widerstand gegen die Macht des Finanzsystems und seine Folgen für die Gesellschaften. Die Für eine besser Welt-Website hat nun eine eigene Dokumentation über die deutsche Occupy-Bewegung gedreht – „Occupy me! Der Film“.
Was bisher geschah…
Wie kam es eigentlich zu dem Film? Im Oktober – als es in vielen deutschen Städten zu Aktionen kam, Zeltplätze errichtet wurden und Demos für eine gerechtere Welt stattfanden – fragten wir uns: Was genau geschieht hier in Deutschland? Also machten wir uns auf die Reise, um mehr zu erfahren. Wir wollten wissen:Wo wird gezeltet? Was hoffen und organisieren die Aktivisten? Also besuchten wir die Städte Berlin, Zeulenroda, Leipzig, Stuttgart, Frankfurt, Düsseldorf und Hamburg, um die Menschen vor Ort zu befragen: Was wollt Ihr bewegen? Welche Ideen, Vorstellungen, Wünsche und Träume habt Ihr? Natürlich: Es würde keine fertigen Konzepte oder Lösungen für die Probleme der Welt geben – dennoch hofften wir hoffen auf unserer Reise durch den „Deutschen Herbst“ auch Antworten zu finden. Und das haben wir…
Wozu das Ganze? Nun, zum einen, weil wir als Journalisten eben neugierig sind. Zum anderen aber haben wir unsere Reise, unsere Gespräche, unsere Eindrücke und Gedanken mit der Kamera dokumentiert und daraus einen Film gemacht. So können wir nun die Ideen, Utopien und Pläne für eine bessere Welt auch anderen zeigen und sie dafür vielleicht begeistern…
Ach ja – wer wir eigentlich sind? Falls ihr das noch nicht wisst, könnt ihr hier unsere Mission lesen. Hier erfahrt ihr mehr über die Autoren.
Charlie
Ich weiß nicht, wie andere das empfinden … aber auf mich wirkt dieser Film eher abschreckend und ernüchternd. Diese unsägliche Verquickung mit irgendwelchen esoterischen Inhalten und die betonte Ablehnung alles “Politischen” – die ja vollkommen sinnfrei ist, da es im zutiefst politische Dinge geht – werden schon dafür sorgen, dass diese eigentlich sehr berechtigten Proteste über kurz oder lang mangels Bürgerbeteiligung im Sande verlaufen werden. Leider.
Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass die im Film gezeigte Haltung tatsächlich repräsentativ für die “Bewegung” ist. Allein deshalb ist die Außenwirkung dieses Filmes schon fatal, weil er vermutlich eine Menge Menschen davon abhalten wird, sich an den Protesten zu beteiligen.
Es drängt sich fast der Verdacht auf, dass von interessierter Seite hier ganz gezielt daran gearbeitet wird, eine dringend notwendige Politisierung dieser “Bewegung” aus eben diesen Gründen zu verhindern – ein zahnloser Tiger ist keine Gefahr für die herrschenden “Eliten”. Das Potential für einen wirklichen Protest, der politische und gesellschaftliche Folgen hätte, ist nämlich erkennbar vorhanden und reicht auch in bürgerlich-angepasste Kreise hinein. In DIESER Form aber kann daraus nichts werden. Die Verbreitung dieses Filmes ist wahrlich fatal, wie ich finde. Sorry.
@charlie
mir geht es ähnlich,
zum besseren Verständnis deiner berechtigten Kritik am Aufkeimen, Esoterik statt Politik als Lösung zu betrachten, kann ich dir nur die überaus spannende BBC-Doku “The Century Of The Self”
von Adam Curtis unter https://www.youtube.com/watch?v=IyPzGUsYyKM an’s Herz legen (von dem noch einige andere auf http://www.archive.org/search.php?query=subject:”Adam+Curtis” angesehen & legal heruntergeladen werden können)
Peter M.
Ja, Century of Self ist eine sehr gute Doku! Einige Blogleser übersetzen ja gerade die Untertitel ins Deutsche… ich hoffe, da in absehbarer Zeit etwas anbieten zu können!
Marek
@ Charlie Du wirst lachen, aber das waren genau 1:1 die Stimmen der Leute die wir in den Städten angetroffen haben. Nichts wurde gestellt und niemand bestellt. Noch häufiger haben wir gehört, dass sich die Menschen dagegen sperren, von politischen Parteien und Gruppen “occupiert” zu werden. Und das wurde und wird ja sowohl von rechts als auch von links massiv probiert…
Nein, hier ging es erst mal um Fragen der Rückgewinnung der Demokratie, um ein friedliches Miteinander und den Hinweis darauf, dass eben bei diversen Organisationen und Bewegungen letztlich gerade aufgrund hierarchischer Strukturen und Machtkämpfe genau das simuliert und nachgebildet wird, was man eben nicht haben will.
Diese Erkenntnisse der Leute finde ich weder doof, noch zu “esoterisch”, sondern sehr vernünftig und im hohen Maße politisch. Denn wo fängt denn die Politik an? In der Gesellschaft, bei den Menschen selbst. Insofern kann etwas “Innenschau” gar nicht schaden. Im Gegenteil.
Und: Natürlich gibt es in der Bewegung – denn diese ist eben nicht so homogen, wie sie manche politische Kräfte gern hätten – auch Menschen, die am liebsten mit Gewalt gegen bestehende Strukturen vorgehen wollen. Doch diese stellen nicht unbedingt die “Vordenker” dar. Man möchte wohl überhaupt auf die Platzhirsche verzichten, sondern ganz neue Ideen entwickeln. Abschrecken werden da eher die Verweise auf deren Unfähigkeit, was diesen Prozess betrifft, der ja auch bei Dir anklingt.
Sag Du bitte gern, was Du Dir dann vorstellst…!!! Wenn Du gute Ideen und Tipps hast, sind Dir die leute gewiss dankbarer.
Und wir sind lediglich Journalisten die wissen wollten, was die Leute in der Bewegung denken. Wir fanden sehr politisierte Menschen vor – nur haben diese eben “keinen Bock” auf Parteien die sich an ihre Spitze stellen wollen, auf Ideologien die die Menschen gegeneinander, anstatt miteinander, handeln lassen und an den Versuchen, sie hierdurch oder davor in eine Ecke zu stellen.
Mir ist das sehr sympathisch, ich halte das für SEHR politisch und endlich mal für nicht so “exoterisch”… Denn was wir davor hatten, hat uns ja die heutige Welt beschert. Sorry, ich kann Deine Gedankengänge zwar irgendwie nachvollziehen, erlebe es aber komplett anders.
Viele Grüße!
Charlie
Danke für den Hinweis auf die Doku – wenn ich viel Zeit habe, werde ich sie mir gerne mal anschauen. Der Titel klingt auf jeden Fall vielversprechend.
@ Marek: Ich lache nicht, ich bin schließlich auch nur ein Journalist. ;-) Wenn das, was im Film gezeigt wird, tatsächlich repräsentativ für die “Bewegung” in Deutschland ist, wie Du schreibst, ist die Situation ja noch schlimmer als befürchtet.
Es ist doch vollkommen naiv zu glauben, eine “Rückgewinnung der Demokratie” könne in einem System wie dem unsrigen ohne Parteien vonstatten gehen. Ich finde den Begriff sowieso grenzwertig, da er suggeriert, es habe mal eine funktionierende Demokratie gegeben – aber das sei nur am Rande bemerkt. – Wie sähe ein solcher Prozess ohne Parteien und folglich ohne parlamentarische Strukturen denn aus? Eigentlich bin ich ein ziemlich fantasiebegabter Mensch, aber an dieser Stelle habe ich nicht den Hauch einer Vorstellung.
Ich stehe vielmehr auf dem Standpunkt, dass wir Demokratie erst einmal herstellen müssten. Zu diesem Ziel gibt es – wie immer – mehrere Wege: Einer davon wäre die “klassische” Revolution. Die würde aber unabsehbare Konsequenzen nach sich ziehen, denn die herrschenden Kreise werden gewiss nicht kampflos das Feld räumen, und auch die Ergebnisse sind nicht planbar, wenn es keine formulierten Ziele und zumindest rudimentäre Strukturen gibt. Diesen Weg halte ich für wenig sinnvoll, weil er eben viel Gewalt und viel zu viele Unwägbarkeiten beinhaltet.
Ein anderer Weg liegt in der Benutzung der bestehenden parlamentarischen Strukturen. Die Piraten versuchen das momentan, ebenso wie die Linke – mit schwankendem Erfolg, wie ich zugeben muss. Das liegt aber nicht nur an diesen beiden Parteien selbst, sondern eben auch an der fehlenden Unterstützung durch viele Menschen, die sich nicht “von Parteien okkupieren” lassen wollen, wie Du das formulierst. Und genau an dieser Stelle beißt sich die Katze in den Schwanz und viele Menschen, die eigentlich dasselbe wollen, ziehen an unterschiedlichen Strängen. So haben beide Seiten – sowohl die Occupy-Leute, als auch die parlamentarischen Gegner der Finanzmafia – eher geringe Chancen auf einen nachhaltigen Erfolg. Die Gegenseite macht es uns seit Jahren vor, wie es funktioniert: Da ist es völlig unerheblich, in welcher der vier Parteien man ist oder welcher Lobby- oder Wirtschaftsorganisation man angehört – man zieht am selben neoliberalen Strang und hat innerhalb kürzester Zeit dieses Land und diese Welt in ein Paradies für Superreiche und in eine Hölle für die übrigen Menschen verwandelt.
Die Verquickung mit esoterischen Inhalten ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ich muss diesbezüglich stets an die Zeit des Expressionismus und das nachfolgende Ende der Weimarer Republik denken – damals war der Zeitgeist diesem “spirituellen” Quatsch zum Verwechseln ähnlich. Man sollte den Menschen des “spirituellen” Aufbruchs in irgendwelche neue Zeiten haufenweise Literatur aus der Zeit des Expressionismus zu lesen geben – und sie daran erinnern, was 1933 von diesem tollen “Aufbruch” übrig geblieben ist: Ein Häuflein Asche.
“Those who refuse to remember the past are condemned to repeat it.” (stammt meines Wissens aus der Bibel)
Solidarische Grüße!
Charlie
Marek
@ Charlie: Danke für die lange Antwort, die mir tatsächlich fast komplett aus dem Herzen spricht….
Du lässt ja genau an der Stelle den Anker fallen, wo ich, wo wir, und wahrscheinlich alle gerade grübelnd verharren – weil es weder in der Geschichte positive Beispiele, noch (wahrscheinlich) genügend Mut für ganz neue Lösungen, gibt. Unser nächstes Projekt geht deshalb auch genau in diese Richtung.
Revolution? Die Geschichte zeigt, dass diese einerseits nicht den Erfolg garantiert, andererseits stets einer Übermacht einer sich dann selbst legitimierenden Gewalt gegenüber steht. Ganz nebenbei frißt diese Revolution ja bekanntlich ihre Kinder, wie die Geschichte beweist (man braucht aber einfach nur mal die “Farm der Tiere” lesen oder “Land of the Blind” schauen).
Evolution? So nennen es ja diejenigen die Du als Esoteriker bezeichnest. Ich habe mit Leuten gesprochen, die sie einfach für “ein paar Hippies” ohne Jobs halten – aber das aus der Ferne beurteilten. Doch genau deshalb sind wir ja los gefahren. Und in den Gesprächen (insgesamt 9 Stunden) schien eine friedliche Strategie, welche die Akteure zunächst nach Innen schauen lässt, und nicht Schuldige sucht, schlüssiger. Nicht, weil die Schuldigen nicht benannt werden sollten (das müssen sie sogar), sondern weil dann nicht erst mal nur der Reflex auf Wut und Gewalt hin zielt. Damit ist den Verursachern aber nicht beizukommen.
Also. Da liegt der Anker nun und verliert sich irgendwo in den Tiefen dessen, was immer mehr Menschen (und sei es auch nur unbewusst) als eine ungerechte Welt und ein fatales System ausmachen. Vorher gehörten sie vielleicht noch zu den Gewinnern, doch auch ein ungerechtes Wirtschaftssystem frißt nun mal seine Kinder.
Doch: Überall bilden sich Gruppen die um dieses Problem wissen und Auswege suchen. Sie sind untereinander gar nicht einig. Einige wollen sofort losschlagen, andere wollen neue Strategien, Alternativen finden und vor allem wollen sie ihre Demokratie zurück.
Parteien sind – und dabei bleibe ich, weil mich das schon 30 Jahre lang stört – nun mal hierarchische Konkurrenz-Systeme. Diese allerdings fördern nicht, dass Menschen mit guten Ideen nach oben kommen, sondern die stärksten Akteure. Wer sich innerhalb von Hierarchien nach oben kämpfen will, MUSS dies GEGEN andere tun. Hiervon werden sein Handeln, Denken und auch seine Anschauungen geprägt. Sind DAS diejenigen die über Millionen von Menschen entscheiden sollten? Ich meine: bloß nicht.
Wenn wir ein System schaffen können, in denen nicht der größte Platzhirsch das Rennen macht, sondern Verantwortung bei anderen Eigenschaften zugebilligt wird, dann (und wahrscheinlich auch nur dann) kann es gerecht zugehen. Es wäre naiv zu glauben, dass ein Verdrängungs-System am Ende gerecht bleiben und überlebensfähig sein kann. Gerade dass führt ja nun zu den veherrenden Auswirkungen des neoliberalen Geistes – welcher im Übrigen keinesfalls nur exoterisch, nur materiell ist, sondern von einer Geisteshöhe ausgeht, die den einzelnen Erfolgreichen ÜBER andere stellt. Wenn wir an 1933 denken, so war dies das Einfallstor. Die Lage drumherum war aber (wie heute) durch materielle Ungerechtigkeit gekennzeichnet.
Ich glaube, wir denken da gar nicht so unterschiedlich. Und das Buch der letzten Wahrheiten hat keiner von uns. Doch mir ist nun mal lieber, dass man in einer demokratischen Sackgasse zunächst bei sich selbst mit der Analyse beginnt, anstatt gleich irgendwelche Steine aufzuheben. Denn die Probleme die jetzt auf uns zukommen können nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden. Wenn wir uns jedoch in Parteien, in Gruppen, in Ideologien aufteilen lassen, sind wir Handfutter für die Mächtigen.
Na, in diesem Sinne hoffen wir wohl beide das Beste.
:-)
Herzliche Grüße,
Marek
gnu
@Charlie:
Wie ich es mitbekommen habe, als ich mich für Occupy engagierte, ist es so, dass die teilnehmenden Menschen parteiverdrossen nicht aber politikverdrossen sind. Sie haben einfach kein Vertrauen mehr in irgendwelche Parteien bzw. unser pseudodemokratisches repräsentatives System. Ich vermute der Weg geht deshalb zu einer außerparlamentarischen Opposition.
Wo kam den in dem Film Esoterik vor? Weil die gemeinsam Meditieren? Meditieren hat noch niemanden geschadet. Selbst Erich Fromm hat empfohlen sich jeden Morgen 20 Min gewahr zu werden (E. Fromm: Vom Haben zum Sein)
Charlie
@ Marek:
Ich sehe ebenfalls nicht allzuviele Unterschiede in den Zielen, aber ausschlaggebend sind momentan ja die Wege, die dorthin führen. Und in dieser Hinsicht kann ich auch nach Deiner ausführlichen Antwort, für die ich Dir sehr danke, nicht nachvollziehen, wie eine tatsächliche Veränderung der Verhältnisse auf diesem Wege herbeigeführt werden sollte.
Auch Deine beschriebene Kritik am Parlamentarismus kann ich gut nachvollziehen und teile sie. Es ist dabei aber unlauter, alle Parteien über einen Kamm zu scheren – auch wenn das System langfristig auch aus jungen, revolutionären Parteien letztlich nur Abziehbilder der Demokratiespieler macht, wie sie in den etablierten Parteien zu finden sind. Ich glaube aber, dass es eher möglich ist, mit der Hilfe neuer Parteien nicht nur das kapitalistische System, sondern natürlich auch das altbekannte und korrupte Wettbewerbssystem der Parteien zu überwinden. Es gab dafür mal ganz gute Ideen in der Anfangszeit der Grünen (das so genannte “Rotationsprinzip”), die man ja neu bedenken könnte.
Ich verstehe jedenfalls nicht, wie wirkliche Demokratie ohne Parteien bzw. “Vertreter” funktionieren soll – kannst Du mir das erklären?
Nicht einverstanden bin ich aber weiterhin mit Deiner Aussage, man müsse zunächst einmal bei sich selber mit der Veränderung anfangen. Exakt zu diesem Thema hat Roland Rottenfußer – selber ein “spiritueller” Kollege, mit dem ich gerne diskutiere – vor kurzem einen sehr erhellenden Text geschrieben, den ich Dir hier gerne empfehlen möchte: “Die Verantwortungslüge” heißt er, und Du findest ihn hier: http://hinter-den-schlagzeilen.de/2011/12/16/die-verantwortungsluge/ – Er endet mit den Worten: “Ja, die Veränderung muss bei jedem Einzelnen anfangen. Aber sie darf nicht dort aufhören. Wir haben Verantwortung, aber sie besteht zunächst darin, zu erkennen, wo wir nicht verantwortlich sind.”
Es geht dabei also nicht um Schuldzuweisungen – sondern darum zu erkennen, wer verantwortlich ist für all die Missstände, die wir zu recht anprangern. Zwischen einer Schuldzuweisung und diesem Erkennen besteht ein erheblicher Unterschied – auch wenn es vielleicht schwierig ist, dies nachzuvollziehen.
Die Bereitschaft der Linken und der Piraten zur Unterstützung der Occupy-Teilnehmer war ja – hoffentlich – von Anfang an vorhanden. Damit es nicht weiterhin bei einem Neben- statt einem Miteinander bleibt, ist es doch jetzt an den Occupy-Leuten, sich endlich dem Politischen zu öffnen und damit den Protest zu stärken. Eine weitere Alternative wäre eine eigene, neue “Occupy-Partei” – was ich auch für keine so schlechte Idee halte. :-)
Liebe Grüße
Charlie
Charlie
@ gnu:
Siehe oben. Inwiefern könnte uns eine außerparlamentarische Opposition, in der sämtliche Parteien “verpönt” sind, weiterhelfen? Was soll das bringen? Denkst Du dabei an 1968? Diese Revolte hatte doch auch nur deshalb Konsequenzen, weil der Protest damals von einer Partei instrumentalisiert und in politisches Handeln umgesetzt worden ist. Das war nur rudimentär und zeitlich sehr beschränkt, denn leider war das damals – wie schon Jahrzehnte zuvor – die falsche Partei, nämlich die SPD. Sie trägt nicht zufällig den Beinamen “Verräterpartei”. Warum aber sollte jede Partei – gerade wenn es eine neue ist – so verräterisch sein?
Ich habe ja selber meine argen Zweifel und war oft genug entsetzt, wenn ich mitbekommen habe, was z.B. die Linke in Regierungsverantwortung schon verbrochen hat oder wie albern sich so mancher Pirat gibt. Allein: Die Alternative fehlt mir! Biete eine gangbare, sinnvolle und gewaltfreie Alternative zum Parlamentarismus an – und ich bin einer der ersten, der jubelnd “Ja, bitte!” schreit.
Zur Esoterik jedoch möchte ich nichts mehr schreiben. Wenn die Dir in dem Film nicht aufgefallen ist, ist auch jedes Wort von mir dazu überflüssig. Siehe oben: “Die Verantwortungslüge”.
Liebe Grüße
Charlie
Marek
@ Charlie Ich habe zwar zurzeit einiges um die Ohren, möchte aber unbedingt eben auf Deine Zeilen antworten – über die ich mich tatsächlich freue, da sie ja Dinge ansprechen, die mich im Moment genauso bewegen…
Insofern bin ich noch nicht dazu gekommen, den von Dir empfohlenen Artikel komplett zu lesen, meine aber, dass ich dessen Richtung erkannt habe. Ja natürlich, Verantwortung anstelle der Möglichkeit als Individuum Einfluß zu nehmen, bzw. der Fürsorgepflicht der politischen Klasse/des Staates ist natürlich extrem zweifelhaft. Mir aber ging es nicht um ein entweder/oder, sondern um die Partizipation und die Verantwortung des Einzelnen im besten Sinne des Wortes UND eine politische Gesellschaftsform die Verantwortung (und eben nicht Verantwortungslosigkeit) institutionalisiert.
Mir erscheint die Änderung eines Systems unmöglich, wenn sich nicht auch die Haltung der darin lebenden Menschen verändert. Wenn der einzelne sich nicht fair, gerecht, mitfühlend und schützend Schwächeren gegenüber verhält, sondern sie ausnutzt, dann kann das gerechteste System nicht funktionieren. Und mir ist eigentlich auch kein Beispiel eines Systems bekannt, welches nicht an dieser fehlenden, gesellschaftlichen \”Verantwortung\”, vielleicht besser, dem \”Egoismen der Stärkeren\” gescheitert wäre.
Also: Den von Dir genannten Text kann ich – soweit ich ihn lesen und bisher verstehen konnte – \”unterschreiben\”, nur meinte ich eben nicht die Folgen der \”Verantwortungslosigkeit\” des Staates, sondern das rein menschliche Miteinander als Grundlage gesellschaftlicher Systeme.
Auf einem funktionierenden Miteinander kann ich mir auch politische Systeme vorstellen, nur habe ich eben auch bei den Parteien keine Beispiele vor Augen, wo auf Hierarchien und Verdrängung verzichtet wird. Gleiches gilt für das gesamte Gesellschafts- und eben auch das wirtschaftssystem in dem wir (noch) leben. Mal sehen, was bei den Piraten passiert.
Lass uns, wenn Du magst, vielleicht mal an den Kern – an Modelle für ein aussichtsreiches System heran. Das scheint ja auch nicht nur uns beide zu beschäftigen… Denn hier gilt anscheinend wohl das berühmte Prinzip von der Henne und dem Ei. Aber irgendwo muss man ja beginnen. :-)
Liebe Grüße,
Marek
changemaker
@charly
Der Artikel “Die Verantwortungslüge” ist wirklich erstklassig gut geschrieben!
Schon witzig, dass soviel “Eigenverantwortung” eingefordert wird. Wenn wir alle nur noch tun würden, was wir für sinnvoll halten, also wenn unser gesamtes Handeln WIRKLICH eigenverantwortlich wäre, würde das System vermutlich ganz schnell zusammenbrechen – und neue Strukturen würden entstehen. Ich glaube, mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung hätte nichts dagegen, weil: schlechter als jetzt kann es denen kaum gehen.
Nun ja, unsere Reichen und Mächtigen haben sehr viel dagegen, und weil sie eben die Mächtigen sind, werden sie auch dafür sorgen, dass nicht zu viele in den Stand kommen, eigenverantwortlich zu handeln. Löhne, die kaum das Existenzminimum decken, sind schon mal gut zu diesem Zweck. Medien mit täglichem Verdummungsprogramm auch. Verkehrsstrukturen, die einen zum Autokauf nötigen, zwecks finanzieller Abhängigkeit, sind auch zielführend.
Eigentlich bin ich wirklich fasziniert(u n d angeekelt)davon, wie gut das funktioniert.
Charlie
@ Marek:
Mir geht’s genauso, ich hab’ auch viel um die Ohren, aber das Thema ist mir eben sehr wichtig. :-)
Ich kann Deine Argumentation schon nachvollziehen – denke aber, dass ein Großteil der Menschen in diesem System, die heute asoziale Tendenzen zeigen (Konkurrenzdenken, Verdrängung, Wettbewerb, Eigennutzmehrung etc.), nur die Symptome des Systems sind. Sie wurden jahrzehntelang dazu “erzogen”, asozial und egoistisch zu denken und zu handeln, und genau dies wurde ihnen auch ständig “vorgelebt”. Es käme nach meinem Verständnis dem Aufzäumen des Gauls von hinten gleich, bei eben diesem Symptom mit der Veränderung zu beginnen.
Ich glaube vielmehr, dass zunächst das System verändert werden muss und dass sich in der Folge auch die allermeisten Menschen wieder an ihr Menschsein, an Mitgefühl, Solidarität und ihre gegenseitige Verantwortung erinnern werden. Man kann es in der Historie der Menschheit gut ablesen: Es waren stets die Systeme, die die darin lebenden Menschen “geformt” haben, niemals umgekehrt. Wer sich z.B. mit der Zeit des Nazi-Terrors etwas intensiver beschäftigt, wird das schnell feststellen: Erst als die faschistischen Strukturen auch staatlicherseits festgeschrieben waren, blühte der Faschismus innerhalb der Bevölkerung auch so richtig auf und wurde offen ausgelebt. Denunziationen, übelste Ausgrenzungen und öffentliche Menschenjagden waren plötzlich “normal”. Kaum waren diese Strukturen nach 1945 wieder verschwunden, gab es plötzlich wieder Mitgefühl und Nächstenliebe en masse.
Das maßgebliche System bestimmt nicht unwesentlich das Denken und Verhalten der “Masse”. Diese Erkenntnis ist nicht schön, aber notwendig – und erleichtert die Annäherung an den Kern. Ob wir dem allerdings im Rahmen dieser Diskussion hier im Netz wirklich auf den Leib rücken können, erscheint mir doch etwas zweifelhaft … :-) Hätte ich ein “Manifest” parat, hätte ich das schon lange zum Besten gegeben. Ich habe aber nur “Eckpunkte”, die ich wichtig finde. Wenn Du magst, können wir die und Deine Gedanken zum Thema (und natürlich auch die aller anderen, die sich beteiligen wollen) aber gerne erörtern … :-)
Liebe Grü0e
Charlie
Charlie
@ changemaker:
Oh ja, das denke ich auch – ich glaube aber, dass es weit mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist, die gegen einen sofortigen Systemwechsel nicht das geringste einzuwenden hätte.
Ich stimme Dir auch vollkommen zu, wenn Du sinngemäß feststellst, dass die herrschende “Elite” ein nahezu perfekt funktionierendes System der Ablenkung, Ruhigstellung und Desinformation (Verdummung) für die große Mehrheit der Menschen geschaffen hat. Dennoch wird es ja immer schwieriger, die groteske Situation zu verbergen, so dass ein diffuses, überwiegendes Gefühl der Ungerechtigkeit schon vorhanden ist. Leider wird das aber wieder – wie schon so oft zuvor – auch heute wieder nur instrumentalisiert, so dass sich der Protest vornehmlich gegen Minderheiten und noch Schwächere richtet, anstatt die wirklich Schuldigen zu erkennen und zu benennen.
Dank der willfährigen Propaganda-Medien ist es wieder gelungen, dass heute eine offenbar wachsende Mehrheit der Menschen in diesem Land die Ursache für ihre eigene Not und steigende Armut ausgerechnet in Migranten, Hartz-Opfern, Behinderten, Kranken, Alten etc. zu finden meint. Ich bin davon allerdings in keiner Weise fasziniert … dafür umso angeekelter.
Liebe Grüße
Charlie
changemaker
@ Charlie
Ich habe mich nicht so gut ausgedrückt. Fasziniert bin ich natürlich nicht von den Gemeinheiten. Sondern davon, wie eigenartig das menschliche Bewusstsein funktioniert. Die Fähigkeit zu verdrängen, dieser hypnotische Zustand,in dem sich die Leute befinden, der kaum zu durchbrechen ist.
Ein Teil des Problems heißt anscheinend OPTIMISMUS. Optimisten gelten zwar als sehr erfolgreich im Leben (sie sind oft in Führungspositionen) – aber sie führen ihre Unternehmungen auch öfter als nötig in Katastrophenszenarien hinein, weil es ihnen durch ihren Optimismus an einer realistischen – skeptischen – Einschätzung der Lage fehlt (Artikel im Spiegel Nr.1, 2012, “Lebenskunst Optimismus”). Zweifel und warnende Stimmen stören nur – verständlich, denn Ernüchterung ist etwas Unangenehmes. Es gibt (laut Spiegel bzw. wissenschaftlichen Versuchsanordnungen) nur eine kleine Gruppe von Menschen, die Situationen überdurchschnittlich oft RICHTIG, d.h. realistisch einschätzt, das sind die
l e i c h t Depressiven. Das sind also eigentlich keine Pessimisten, sondern echte Realisten. Ich nehme einmal an, dass zu wenig Leute aus dieser (ohnehin kleinen) Menschengruppe in entscheidenden Führungspositionen sind.
Abgesehen davon natürlich, dass überhaupt kein einzelner die eskalierende Gesamtsituation wirklich steuert: Der Planet ist im Moment ja ein Schiff ohne Kapitän, die “unsichtbare Hand” der freien Marktwirtschaft lenkt nicht, sondern führt dazu, dass die Händler und Profitmaximierer sich überall frei bedienen können bzw. den Gang der Dinge aufgrund ihrer momentanen Profitinteressen weiter in die falsche Richtung steuern. Auch aufgrund ihrer falschen/zu optimistischen Einschätzung der Lage. Die Dinge laufen einfach viel zu gut für diese Leute, sie w o l l e n nicht glauben, dass es nicht so weitergehen kann
Beim folgenden Spiegel-Zitat geht es um Firmen-Entscheidungen, d.h. die Mechanismen von Fehlentscheidungen werden in einem abgegrenzten Gebiet, aber doch nicht in künstlicher Versuchsanordnung, sondern in “freier Wildbahn” beobachtet:
“Daniel Kahneman […] ging der Frage nach, wie Fehlentscheidungen überhaupt zustande kommen. Der Anführer ist es ja selten allein. Auch ganze Gruppen können sich in eine Art Kollektivillusion hineindelirieren – sobald ein verlockendes Vorhaben irgendwie machbar erscheint, kommt eine oft unheilvolle Dynamik in Gang: Die Auswahl an Alternativen verengt sich zusehends, Zweifel beginnen zu nerven und werden unterdrückt. Am Ende entscheidet zumeist das Alphatier nach Instinkt. Eine kurze Zwangspause, glaubt Kahneman, wäre da hilfreich.”
Die gute Eigenschaft, die wir brauchen, ist, so folgere ich aus diesem Artikel, nicht Optimismus, sondern Selbstwirksamkeit. Wird auch im Artikel erwähnt. Allerdings gibt es nirgends in diesem Artikel einen Bezug zu den globalen Problemen, den habe erst ich hergestellt.
Liebe Grüße
Charlie
@ changemaker:
Danke, das sind durchaus sehr interessante Gedanken, die Du da formuliert hast. Den Kern bildet meines Erachtens diese Aussage: “Die Dinge laufen einfach viel zu gut für diese Leute, sie w o l l e n nicht glauben, dass es nicht so weitergehen kann”.
Das möchte ich noch um die Feststellung ergänzen, dass die profitierenden “Eliten” anlässlich der letzten großen Weltwirtschaftskrise 1929 gelernt haben, dass sie auch vor und während der Katastrophe (damals waren das nach der weltweiten Rezession der Nazi-Terror und der Weltkrieg) einfach weiter massiv profitieren konnten und auch danach wieder die profitierenden “Eliten” waren. Ich glaube also, dass diese Leute heute nicht einfach “verblendet” sind, sondern dass sie die nahende Katastrophe sehenden Auges in Kauf nehmen (vielleicht sogar bewusst oder unbewusst herbeizuführen versuchen) – in der durchaus berechtigten Hoffnung, auch diesmal wieder als große Profiteure daraus hevorzugehen.
Wenn diese Annahme stimmt, wird die Frage immer dringlicher, wie man es bewerkstelligen könnte, diese Leute endlich von der Macht zu trennen. Furchtbar viele Alternativen sehe ich da nicht mehr – einige wurden hier ja schon angerissen. Optimistisch schätze ich keine einzige davon ein.
Nicht nur Dein Nickname legt ja nahe, dass Du diese Notwendigkeit des Systemwechsels ebenfalls als dringlich ansiehst. Für welchen Weg plädierst Du?
Liebe Grüße
Charlie
changemaker
@ charlie
Seit ich Franz Josef Radermachers “Welt mit Zukunft. Die ökosoziale Perspektive” gelesen habe, glaube ich nicht mehr, dass irgendjemand noch als Profiteur aus dieser Situation herausgehen wird. Ein mögliches Zukunftsszenario nennt Radermacher “business as usual” – das ist die schlimmstmögliche Variante, die zum Klimakollaps führt. Meines Erachtens erleben wir derzeit jedoch sogar Steigerungsformen des “business as usual”.
Hätte die Hybris einen Kopf, würde ich dafür plädieren, ihn abzuschlagen.
Das Ganze ist aber eher eine Art Krebsgeschwür; wie aktiviert man ein Immunsystem?
In meinem Leben versuche ich, von allem ein bisschen umzusetzen. Das sind kleine Dinge, auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Ich kann nicht bei OCCUPY dabei sein, wegen meiner Kinder, das passt nicht in mein Leben. Ich verstehe den Ansatz zu blockieren, und finde ihn prinzipiell gut. Blockieren allein reicht natürlich nicht. Da ist auch die Frage: Was passt zu mir? Ich glaube, die Bewegungen, die zu etwas Neuem führen, dürfen ruhig ganz unterschiedlich sein. Wo Menschen sind, gibt es immer Fehler und Seltsames, das finde ich okay. Wichtig finde ich, dass die Richtung stimmt. Und dass die Bewegungen, die in die richtige Richtung führen, einander gegenseitig ver- und bestärken.
Wenn man will, findet man (fast) immer Wege, “die gute Seite” zu stärken, und seine Kräfte (Arbeit, Geld, Aufmerksamkeit) dem “Krebsgeschwür” vorzuenthalten.
Klaus Werner-Lobo z.B.gibt Tipps dazu in “Uns gehört die Welt! Macht und Machenschaften der Multis”. Zentral für mich ist seine Aufforderung, den eigenen TRAUM zu verwirklichen. Dazu braucht man Ressourcen. Viele von uns können Ressourcen mobilisieren, indem sie – zumindest einen Teil – ihrer eigenen Energien wieder aus dem System herausnehmen.
Ich unterstütze verschiedene Organisationen, die ich wirklich gut finde, auf unterschiedliche Art und Weise, in meinem kleinen Rahmen (Geld, Mitarbeit…).
Im Großen und Ganzen verweigere ich Mobilität, nicht nur Fliegen und Auto fahren. Das eröffnet mir neue Räume und erspart mir viel Zeit – die mir für jene Dinge bleibt, die mir wirklich wichtig sind. Dieser Austausch zum Beispiel.
Die Grundfrage ist für mich: WAS IST WESENTLICH?
Anhand dieser Frage lassen sich zumeist gute, eigenständige (und auf die jeweils aktuelle Situation zugeschnittene) Entscheidungen treffen.
Abgesehen davon plädiere ich dafür, vorbereitet zu sein. Soziale Netzwerke zu pflegen bzw. aufzubauen. Und immer wieder genau hinzusehen: Wo frisst “das System” (auch das System in mir) meine Zeit, mein Geld, meine Energien? Wo kann ich Gegenbewegungen stärken – und zwar so, dass es auch für mich selbst eine Bereicherung ist?
Charlie, ich sehe auch keine Lösung, die optimistisch einzuschätzen wäre. Ich sehe einen Wettlauf mit der Zeit, und die Chancen stehen schlecht. Hinter mir habe ich eine Phase der Trauer über das Erkannte, Schuldgefühle und Selbstüberschätzung etc. inklusive. Aber es ist dennoch immer wieder möglich, kleine Nischen zu finden, wo etwas funktioniert und auch Freude macht. Damit beschäftige ich mich, bis… was auch immer … passiert. Mit vielen solchen Teilbereichen, die gut in mein Leben passen und die mir sogar gut tun, nehme ich jene Verantwortung wahr, die ich habe. Die beschränkt, aber doch vorhanden ist, ebenso wie ich sehr wohl Einflussbereiche habe.
Und ich freue mich über alle, die sich ebenfalls (wenn auch zum Teil auf ganz andere Weise) einsetzen. Der Konsumpf-Blog zum Beispiel ist sehr wichtig für mich geworden, um mich nicht irre machen zu lassen von den “normalen” Anschauungen. Es ermutigt mich, dass es OCCUPY gibt, und jemanden wie dich. Es freut mich, dass es die engagierten Veganer gibt, wenn ich auch nicht ganz auf ihrer Linie bin. Mir ist das Gefühl der Verbundenheit und überhaupt alles Ermutigende ganz wichtig, und ich denke, dass sich daraus eine Strömung ergibt, die kraftvoll ist. Ich glaube, das ist die Chance, die wir noch haben
Ich hoffe, das ist so ungefähr das, was du wissen wolltest.
Liebe Grüße
Charlie
@ changemaker:
Vielen Dank – mit einer so ausführlichen und vor allem persönlichen Antwort habe ich gar nicht gerechnet. Leider habe ich nicht die Zeit, um wirklich angemessen darauf einzugehen – ich versuche es aber dennoch, denn das Thema ist sehr wichtig.
In Deiner Aufzählung, was alles getan werden kann, um die herrschende “Elite” von der Macht zu trennen, fehlt mir persönlich ein wichtiger Punkt – nämlich der Gang durch die parlamentarischen Strukturen. Ob das nun die Linkspartei, die Piraten oder auch eine völlig neue Partei bzw. eine Koalition dieser Kräfte tut, ist dabei zunächst irrelevant. Ich kann mir jedenfalls beim besten Willen kein Szenario vorstellen, wie man eine solche tiefgreifende Veränderung auch nur annähernd human gestalten könnte, ohne den politisch-parlamentarischen Weg zu beschreiten. Jedes alternative Szenario, das ich mir dazu ausmale, endet unweigerlich in bürgerkriegsähnlichen, sehr gewalttätigen und blutigen Verhältnissen. Ganz abgesehen davon, dass ich das Potenzial in der deutschen Bevölkerung für diese revolutionären Verhältnisse nicht sehe, verbieten sie sich mir als Pazifist sowieso von vorn herein.
Genau an dieser Stelle setzt mein ursprünglicher Einwand ja an. Dass Occupy entstanden ist, ist zweifelsfrei zu begrüßen – aber wenn diese Gruppe sich nicht endlich politisiert und konkret wird, hat das ganze wenig Sinn und keine Aussicht auf Erfolg. Es gibt zwei aufrüttelnde Beispieltexte dafür – nachlesen kann man sie hier:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=12024
http://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2012/januar/occupy-am-scheideweg
Davon abgesehen kann ich Dir nur weitgehend beipflichten – auch für mich gilt, dass ich durch persönliche Gründe (Beruf und Familie inkl. Kindern, eines davon schwerbehindert) relativ eingeschränkt bzw. gebunden bin. Möglichkeiten der Gegenwehr bleiben dennoch. Eine wirklich hoffnungsfrohe Aussicht in die Zukunft kann ich aber beim besten Willen nicht entwickeln (trotz vieler Versuche), und bei dem Gedanken, was nicht nur meine Kinder in der Zukunft erwartet, wird mir regelmäßig Angst und Bange. Schließlich werde ich nicht bis zum Schluss da sein, um sie vor den schlimmsten kapitalistischen Auswüchsen zu beschützen.
Ein Austausch wie dieser mit Dir macht mir auch Mut – der aber gleich wieder relativiert wird, wenn man in andere Foren wie z.B. PI blickt oder über solche Vorkommnisse nachdenkt, wie sie Jens Berger im oben erwähnten Nachdenkseiten-Text beschreibt.
Liebe Grüße
Charlie