Wer kennt sie nicht, die immer mal wieder geschalteten großflächig angelegten Imagekampagnen der Zuckerindustrie, die uns suggerieren, dass Zucker ein ganz natürliches und folglich also gesundes „Lebensmittel“ sei. Okay, zum Schutz der Zähne sollte man vielleicht nicht allzuviel davon essen bzw. sich ausreichend oft die Zähne putzen, aber im Prinzip spricht ja wohl nichts gegen diese süße Versuchung, oder? Schön wär’s. Wie so oft bei derart aufgeblasenem PR-Gedöns wird hier versucht, mit viel Einsatz von Geld und medialer Aufmerksamkeit ein schädliches Produkt in einem besserem Licht dastehen zu lassen als es das verdient.
Das ist eigentlich nichts Neues. Tatsächlich berichtete DIE ZEIT bereits 1991 in „Die Zucker-Mafia“ von den unerfreulichen Methoden, mit denen uns Industriezucker ins Essen gemischt wird:
Überflüssig und ungesund: weil es keinen guten Grund gibt, ihre Produkte zu konsumieren, drückt die Zuckerindustrie ihre Erzeugnisse mit vielen Tricks in den Markt. Die süße Droge versteckt sich in ungezählten Lebensmitteln: Fischkonserven und Senf, Milchgetränken, Tütensuppen und Tomatenketchup.
(…) Glaubt man aber der Süß-Werbung, dann ist Zucker pure Natur. „Zucker ist Sonne zum Essen”, preist eine Werbebroschüre. Doch zwischen Sonne und Essen muß viel Arbeit, Chemie, Energie und Geld aufgewandt werden, um zu dem chemisch reinen süßen Kristall zu kommen, das wir in solchen Massen konsumieren.
(…) Zucker ist selbst in Massen billig, deshalb dient er nicht nur zum Süßen. Wenn der Göttinger Ernährungspsychologe Volker Pudel den Herstellern von Mischmilch zum Beispiel empfiehlt, etwas weniger Zucker in ihre Produkte zu tun, erfährt er mitunter Verblüffendes: „Ich höre dann immer von den Herren, daß der Zucker, wie sie sich ausdrücken, der Körper ist, also eine gewisse Masse bringt.” So wird schon mal das Volumen des Milch-Mischgetränks mit der Füllmasse Zucker vergrößert, weil man, so Pudel, „sonst was anderes reintun müßte, was möglicherweise teurer wäre”.
Wer weiß schon, daß Tomatenketchup zu fast einem Drittel aus Zucker bestehen kann: zehn Würfel in hundert Gramm, fünfzig in einer Flasche? Zucker findet sich in Tütensuppen, aber auch in dem Stoff, der unseren Speisen eigentlich die Schärfe geben soll: im Senf. Wer Zucker vermeiden will, müßte auf Fischkonserven verzichten. Und auch die sauren Gurken sind süßer, als ihr Name glauben macht.
Auf oe24.at fand sich unlängst die (ebenfalls nicht so neue) Erkenntnis: „Droge Zucker: Süßigkeiten können süchtig machen“.
Beim Konsum von Süßem wird in der Region des Nucleus Accumbens der Botenstoff Dopamin freigesetzt. Er gilt als chemisches Signal, das erst Motivation und im Laufe der Zeit Sucht auslöst. Ähnliche Veränderungen hatten die Forscher zuvor bei Ratten beobachtet, die nach Kokain oder Heroin süchtig waren.
Forschungsleiter Bart Hoebel sieht hier eine mögliche Erklärung für diverse Esssüchte. Was auch erklärt, warum der Kampf gegen Übergewicht so oft verloren wird.
In Großbritannien ist die Werbung für zucker- und fettreiche Produkte im Kinderfernsehen seit letztem Jahr verboten, was man sicherlich als kleinen Sieg gegen die Zucker-Mafia werten kann. Ob so etwas viel hilft, ist eine andere Frage, zumal wenn die Eltern sich selbst nur von Cola, Chips und Fertiggerichten ernähren, aber es ist immerhin ein Signal.
Nach einer Entscheidung eines Hamburger Gerichts darf Zucker seit 1992 offiziell sogar als Schadstoff bezeichnet werden… Um so erstaunlicher, dass Unternehmen nach wie vor ihre bis zur Halskrause gesüßten Produkte (man denke da nur an das Nestlé-Zeugs, Fruchtzwerge oder zuckrige „Frühstückscerealien“) als vermeintlich „gesund“ anpreisen dürfen.
Vor allem, da es seit einer Weile auch gesündere Alternativen gibt. Nein, natürlich nicht die industriell gefertigten Süßstoffe, die z.B. aus einer Cola light einen Giftcocktail machen. Sondern Stevia, eine Pflanze aus Paraguay, die auch Süß- oder Honigkraut genannt wird, deutlich körperverträglichere Eigenschaften besitzt und in vielen Ländern der Welt schon verwendet wird – nur in der EU nicht. Über diesen verbraucherfeindlichen und industriefreundlichen Fakt berichtete vorgestern auch die ARD-Sendung Plusminus:
Heute kann man bereits in vielen Ländern Stevia-Produkte kaufen, nur in der Europäischen Union nicht. Kein Stevia-Kraut, kein Pulver und keine flüssigen Auszüge dürfen als Lebensmittel auf den europäischen Markt gelangen – trotz nachgewiesener hervorragender Eigenschaften. Dr. Michael Bolz vom Klinikum Südstadt Rostock: „Diese süßmachenden Substanzen haben den Vorteil, dass sie keine Kalorien haben, dass sie den Blutzucker nicht erhöhen, möglicherweise auch blutdrucksenkend wirken.“ In anderen Ländern wurde das schon längst erkannt. In Japan, Australien, den USA oder der Schweiz stehen Stevia-Produkte in den Supermärkten im Regal.
Die Lobby der Zuckerindustrie verhindert die Zulassung durch die EU. Professor Jan Geuns von der Katholischen Universität in Leuven (Belgien) hat schon zig Anträge auf Zulassung von Stevia gestellt. Alle wurden abgelehnt. „Ich spreche das Wort Korruption nicht aus, aber vielleicht ist es so“, so der Professor, der die Süßpflanze erforscht.
Für die Zulassung dieser offensichtlich sehr sinnvollen Pflanze setzt sich derzeit auch das Projekt FreeStevia ein.