Jun
10
2009
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Information Deformation

Sehr guter Film von Bill Farren (Education for Wellbeing) über unsere angebliche „Informationsgesellschaft“, in der offenbar doch immer weniger Menschen wichtige von unwichtiger Information unterscheiden können bzw. es viel zu viel Fokussierung auf Detailwissen statt einem Blick auf die Zusammenhänge und das große Ganze gibt. Unsere auf kurzfristigen Profit ausgelegte und nur bis zum nächsten Quartalsende schauende Wirtschaft befeuert diesen Trend noch zusätzlich.

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Mai
03
2009
2

Buchbesprechung: Bill McKibben „The Age of Missing Information“

mckibben-age-of-missing-informationMan kann es drehen und wenden wie man will, und egal ob es einem gefällt oder nicht – das Fernsehen ist auch heutzutage immer noch das Massenmedium Nr. 1 mit dem größten Einfluss auf die Gesellschaft. Je nach dem welche Studie man zu Rate zieht, verbringt der durchschnittliche Nordamerikaner immerhin unglaubliche 4 bis 6 Stunden am Tag damit, vor dem Flimmerkasten zu sitzen und sich berieseln zu lassen. Ein Phänomen, das so vielen Menschen so viel Lebenszeit raubt bzw. dem sie einen so großen Teil ihrer Freizeit widmen, verdient es natürlich, eingehender unter die Lupe genommen zu werden.

Diesen Versuch, das Phänomen Fernsehen zu analysieren, hat auch der amerikanische Autor und Kulturkritiker Bill McKibben in seinem gleichermaßen unterhaltsamen wie vielseitigen Buch „The Age of Missing Information“ (leider nur auf Englisch erhältlich) unternommen, das ursprünglich bereits 1992 erschien und 2006 neu aufgelegt wurde, mit einigen kurzen Ergänzungen hinsichtlich der „neuen“ Medien, namentlich des Internets. McKibben nähert sich den Ausmaßen, die die Fernsehberieselung in unserer Gesellschaft mittlerweile angenommen hat, auf eine wahrlich originelle Weise, nämlich in Form eines Selbstexperiments. Dazu verbrachte der Autor einen Tag und eine Nacht in der unberührten Natur, in den Bergen, alleine mit seinem Zelt und seinen Gedanken. Gleichzeitig ließ er sich von Freunden und Bekannten das komplette 24-Stunden-Programm aller insgesamt ca. einhundert Sender, die er in seinem Ort empfangen kann, auf Video aufnehmen und verglich dann anschließend (in mühsamer Einzelauswertung aller Videobänder der einzelnen Sender, auch von Shoppingkanälen, was ihn viele Monate in Anspruch nahm) die Anzahl und Qualität der Informationen, die er bei seinem Aufenthalt in der Natur erfuhr mit der, die der normale Fernsehzuschauer am selben Tag vermittelt bekam. Denn obwohl wir in einem vermeintlichen „Informationszeitalter“ („Age of Information“) leben, zweifelt McKibben doch stark an, dass wir in vielen wichtigen Bereichen des Lebens wirklich informiert sind bzw. durch das Fernsehen tatsächlich relevant informiert werden – statt dessen leben wir für ihn, wie der Titel es schon andeutet, teilweise eher in einem Zeitalter der ausgelassenen/ausgeblendeten Informationen.

Diese Grundthese des Buches wird auf insgesamt gut 250 Seiten ausgiebig untersucht – in den einzelnen Kapiteln, die nach den verschiedenen Tageszeiten benannt sind, entblättert der Autor zum einen ein faszinierendes „Psychogramm“ amerikanischer Fernsehlandschaft (viele Referenzen auf einzelne US-Serien etc. sind für uns hier natürlich nicht direkt nachvollziehbar, was aber für das Verständnis des Textes nicht weiter dramatisch ist) und auch der Bedeutung, die Fernsehen für die heutige Kultur hat. Gleichzeitig entwickelt McKibben Schritt für Schritt einen umfassenden Katalog an Argumenten und Beobachtungen, die verdeutlichen, wie stark vor allem auch die negativen Folgen der Allgegenwart des TV sind. Ich habe eine Weile überlegt, wie ausführlich ich diese Analysen hier in meiner Buchbesprechung vorstellen soll, und habe mich dann entschlossen, zumindest einige der wichtigsten Punkte kurz anzureißen, da ich die dargelegten Erkenntnisse durchaus für beachtenswert halte. (Um tiefer in die Materie einzusteigen, empfehle ich dann doch die Lektüre des Buches selbst, oder andere medienkritische Werke wie von Marshall McLuhan, der in diesem Buch auch mehrfach Erwähnung findet.)

  • Einer der ersten kritischen Punkte sieht der Autor in einer gewissen medial bewirkten Gleichschaltung von Geschmäckern weltweit sowie ein durch die weltweite Werbung transportiertes „normiertes“ Menschenbild oder Frauenideal, das gewachsene Vorstellungen, beispielsweise vom Altern, ersetzt und zerstört.

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    © erikdungan, stock.xchng

  • Wir haben zwar den Eindruck, durch die ganzen Geschichtsdokus umfassend Bescheid zu wissen, doch in Wirklichkeit wird die Menschheitsgeschichte stark verkürzt – alles, was vor der Erfindung des Films lag, wirkt auf den heutigen Menschen fast unglaubwürdig. Dafür werden die Dinge, die bereits auf Film gebannt wurden, immer und immer wieder gezeigt (ich denke da an die ganzen Hitler-Dokus mit den immer gleichen Originalaufnahmen). Außerdem wird unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem des ewigen Wachstums und Konsumierens als das einzig mögliche dargestellt, da wir via Fernsehen nichts anderes kennen (Fernsehbilder reichen eben nur 60, 70 Jahre zurück) – quer durch alle Sender.
  • Naturfilme im Fernsehen werden auf die uns von Hollywood & Co. antrainierten Formate getrimmt – dramatische Musik, Spannungskurven etc., so dass uns die reale Natur langweilig vorkommt. (Wer hat sich nicht auch schon mal eine Zeitlupe in der Realwelt gewünscht? So weit hat uns Sportfernsehen mittlerweile konditioniert.) Für McKibben sind die Fernsehdokus so etwas wie ein „Best of“, die nur besonders spannende Momente herausgreifen und so das Gesamtbild völlig verzerren. Dieses Prinzip der einseitigen Darstellung gilt auch für viele andere vermeintliche Informationen, die das Fernsehen liefert.
  • In unserem sonstigen Leben erwarten wir ähnliche Kicks und Dauerhöhepunkte wie sie uns das Fernsehen permanent vorführt, und deshalb wird uns schnell langweilig (und wir schalten den Fernseher ein).
  • Diese Jagd nach Sensationen führt dazu, dass zwar viele Katastrophen ausführlichst gesendet werden, dafür aber sehr viel weniger Zeit für grundlegendere Themen (z.B. den Klimawandel, der zu manchen der Katastrophen geführt hat) zur Verfügung steht, weil sich komplexe und über Jahre oder Jahrzehnte entwickelnde Prozesse nun mal schlecht im 15-Minuten-TV-Format darstellen und abhandeln lassen. Ein Mangel an Tiefe ist darum vielen Berichterstattungen zu eigen.
  • Statt unser Leben wirklich zu leben, mit all seinen Höhen und Tiefen, mit Euphorie und Trauer, mit Belustigung und Langeweile, verwenden viele das Fernsehen als eine Art „Zentralheizung“, die unser Empfindungsniveau immer auf einem gleichen Level hält. Tatsächlich haben Studien herausgefunden, dass viele Menschen Fernsehen nicht bewusst nach gewissen Sendungen aussuchen, sondern es einfach laufen lassen, als Ablenkung oder Entspannung, (fast) egal, was geboten wird. Fernsehkonsum soll, diesen Studien zufolge, nicht dazu dienen, Neues zu entdecken, sondern sich in gewohnten Strukturen wiederzufinden und dort, in einer künstlichen, aber bekannten Welt, so etwas wie Halt und Vertrautes zu entdecken.
  • Die tatsächlichen Informationen, die per Fernsehen vermittelt werden, werden durch die Vielzahl an anderen Eindrücken, die auf den normalen Zuschauer sonst noch so am Tag einprasseln, oftmals wieder nivelliert – jede Menge Belangloses begräbt die wenigen behaltenswerten Fakten und Infos.
  • Dadurch, dass die meisten Sender jeden Tag 24 Stunden Programm füllen müssen, werden Unmengen an belanglosem Kram über den Äther gejagt, kommerzielle Botschaften, Trivialitäten etc., so dass die Qualität mit den Jahren immer weiter gesunken ist (schreibt McKibben – gerade durch den Eintritt der Privatsender stimmt das wohl leider auch).
  • Fernsehen produziert Stars, die nur für ihr Starsein als solches gefeiert und hofiert werden. Sie werden zu „Legenden“, eben weil das TV seine Sendezeit füllen muss. Menschen, die wirklich etwas können und leisten, sind für die Konsumkultur und den Starkult hingegen oft uninteressant.
  • Fernsehen befeuert nicht Fantasien, sondern propagiert eine triste Realität – für McKibben ist TV absolut anti-utopisch, da wir entmutigt werden, darüber nachzudenken, dass es, abgesehen vom Kauf neuer Produkte, einen besseren Weg gibt, viele Dinge zu tun oder Grundsätzliches zu ändern.
  • Durch das Fernsehen wird uns der Eindruck vermittelt, dass der jeweilige Zuschauer das wichtigste Wesen auf der Welt ist und sich alles andere um ihn herum dreht, insbesondere, was Konsumgüter etc. angeht. Gerade dadurch, dass wir uns nicht mehr mit realen Menschen, sondern den Zerrbildern im Fernsehen vergleichen, sind wir mit uns unzufrieden und meinen, immer mehr kaufen zu müssen, um uns zu vervollkommnen.

Soweit also eine Auswahl der Punkte, die der Autor in seinem Buch anspricht – einige der Punkte waren mir bisher noch gar nicht so bewusst und nehme ich als willkommene Ergänzung für potentielle Diskussionen gerne in mein Argumentationsrepertoire auf :-) McKibben verteufelt übrigens nicht das Medium Fernsehen per se, sondern vor allem den unheimlichen Status, den es im Leben der Menschen in den letzten Jahrzehnten erlangt hat, und die Auswirkungen, die sich für das gesellschaftliche Miteinander daraus ergeben.

Sumasummarum ist „The Age of Missing Information“ ein spannendes und angenehm locker zu lesendes Werk mit vielen Gedanken, die zu Diskussionen und eigenem Grübeln anregen. So soll ein gutes Buch sein!

Bill McKibben, „The Age of Missing Information“, Random House 2006, 264 S., 14.95 US$

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