Nov
02
2009
20

„An der Kette“ – wie große Buchketten wie Thalia den Buchmarkt zerstören

Jetzt mal ehrlich – wer von Euch kauft Bücher noch beim kleinen Buchladen um die Ecke (sofern dieser überhaupt noch existiert), wer bestellt diese nicht mittlerweile eher bei multinationalen Großkonzernen wie Amazon oder bei der Filiale einer großen Kette? Auch ich muss gestehen, dass ich viele Bücher im Internet bestelle (dort in der Regel dann aber gebrauchte, also antiquarisch), obwohl nur 500 Meter vom mir entfernt ein sympathisches Buchgeschäft existiert. Schon oft habe ich mir Gedanken darüber gemacht, welche die Vielfalt und das Lokalkolorit zerstörende verheerende Wirkung der diesem Wirtschaftssystem immanente Zwang zum ewigen Wachstum hat – denn nicht nur muss letztlich jede Firma immer höhere Gewinne machen, Unternehmen müssen halt, um dies zu erreichen, auch immer größer werden, sich immer weiter ausbreiten. Und das geht nur auf Kosten anderer Geschäfte. Dieser auf allen Bereichen zu beobachtende Trend – man schaue sich nur die trostlosen einheitlich-genormten Innenstädte mittlerer deutscher Großstädte wie Kiel an: in der Fußgängerzone stolpert man hier inzwischen gleich vier Mal über H&M-Läden! – greift leider auch auf dem Büchermarkt mit voller Wucht um sich. Wobei die Buchpreisbindung die totale Auslöschung aller alternativen Angebote derzeit noch verhindert oder wenigstens bremst, da die Großkonzerne wenigstens nicht mit Dumpingpreisen operieren können, wie sonst auf dem von den FDP-Gläubigen als so heilsbringend beschworenen „freien Markt“, in dem Marktmacht alles ist.

Das Jetzt!-Magazin der Süddeutschen Zeitung thematisierte unlängst diese Entwicklung in einem seltenen Moment luzider Weitsicht – „An der Kette“:

Welche Literatur in den Ladenregalen steht und beworben wird, das liegt immer seltener in der Hand der Verlage. Die Buchwelt klagt zwar stets über das Internet. Doch inzwischen ist klar, dass es zur Zerstörung einer ganzen Branche keiner neuen Medien bedarf: Ein Konzern wie Thalia besorgt das auf seine Weise.

Wie ich gerade sehe, habe ich mit meinem Hinweis auf diesen Artikel etwas zu lange gewartet, denn inzwischen ist der nicht mehr online und muss statt dessen für satte 2 € im SZ-Archiv erworben werden (oder HIER gratis). Ob sich das lohnt, muss jeder für sich selbst entscheiden, der Artikel ist auf jeden Fall sehr gut und zeigt in erschreckender Weise, wie Thalia den deutschen Buchmarkt aufmischt, monopolisiert und durch Druck auf die Verlage auch das Verlagsprogramm mitbestimmt. Die Vielfalt, das kulturelle Angebot und auch die künstlerische Freiheit sind in diesem Umfeld Opfer des Profitstrebens der Großen in der Branche. Wer als Verlag da nicht mitziehen will, wird ausgelistet, sprich, die Bücher werden nicht mehr in die Regale der Geschäfte gestellt, sondern können nur noch auf speziellen Wunsch eines Kunden bestellt werden. Da viele Menschen sich von dem beeinflussen lassen, was Charts/Ranglisten aussagen, aber auch durch die ausliegenden und besonders präsentierten und beworbenen Werke, verfestigt sich hier der Trend zu immer mehr Mainstream und immer geringerer Buntheit des Geschmacks. So wie McDoof und Coca Cola versuchen, den Erdball mit einem normierten Produkt zu beglücken, greift eine vergleichbare Entwicklung auch auf dem Büchermarkt.

Die Nordhessische bezieht sich in „Buchhandel: Wie man Verlage aussaugt und den Markt zerstört“ ebenfalls auf den Bericht aus der Süddeutschen, fasst diesen meines Erachtens kurz, aber präzise zusammen (so spart man 2 € ;-) ) und gibt noch einen weiteren Einblick in die Misere:

[…] Das Modell der Discounter und später auch anderer Branchen, den „Zulieferern“ immer größere Rabatte abzunötigen, hat auch hier Schule gemacht und zeigt, dass es letztlich gleichgültig ist, ob man Bücher, Toastbrot oder Blinker verkauft. […]

[…] Interessant an dem Artikel ist, dass die Großverlage bislang das Spiel der Ketten mitspielen und sich somit in die Abhängigkeit der Großhändler begeben. […]

[…] Ein weiterer Faktor ist der Kunde, der es auch in der Hand hat, wo er einkauft, ob er lieber große Handelsketten oder lieber Autoren unterstützen möchte. […]

Der Autor verweist hier auch auf das YouTube-Video eines lokalen Kasseler Buchhändlers, der darin über die Vorgehensweisen der großen Ketten aufklärt (und Werbung für sich macht, was ich in diesem Ausnahmefalle aber mal toleriere) – sollte das Video nicht abspielen, bitte auf den HQ-Button drücken (notfalls direkt auf der YT-Seite):

Auch der Fefe-Blog hat das in gewohnt bissiger Manier schon kommentiert:

Kurzer Realitätsabgleich: Nicht die Internet-Raubkopierer machen die Verlage kaputt, sondern große Buchhandels-Ketten. Die Details lösen Brechreiz aus. Die haben den Buchhandel walmartisiert und kassieren laut dieses Artikels über 50% des Buchpreises als Profit, wollten gar eines Tages von den Verlagen noch ihre neuen Filialen finanziert kriegen.

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