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Werbung schadet – Manipulierte Jugendliche (2/2)

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© coloniera2, stock.xchng

Dies ist Teil 2 meiner Übersetzung des Artikels „Manipulated kids [2]“ von Roy Fox aus dem Stayfree-Magazin von 1995. Teil 1 findet Ihr HIER [3].


Ad Infinitum

Channel One benutzt auch die althergebrachte Technik der Wiederholung, um Produkte zu verkaufen. Den selben Werbespot immer und immer wieder zu sehen ist eine Erfahrung, die die meisten von uns niemals gemacht hätten und auch niemals machen möchten. Aber es ist der Alltag in den Schulen, die Channel One laufen lassen. Vor einigen Jahren liefen die „Be like Mike“-Werbespots mit NBA-Superstar Michael Jordan über Monate hinweg jeden Tag.

Zusätzlich zu der Wiederholung auf dem Sender werden die Reklamebotschaften in gewisser Weise immer dann wiederholt, wenn ein Schüler Teile daraus zitiert oder zufällig einen der eingängigen Jingles singt. Viele Schüler erzählten mir von einem Football-Spiel, bei dem die Schüler des Heimteams auf der Zuschauertribüne wie aus einem Mund riefen „Got to be, got to be – Do-mi-nos!“ Diese Szene wiederholt eine Werbung für Dominos Pizza auf Channel One, in denen Football-Fans genau das selbe rufen.

Schüler berichten mir häufig, dass sie auch außerhalb der Schule über Werbespots reden. Beth, auch eine Neuntklässlerin, telefoniert oft mit ihren Freunden und erzählt ihnen, welchen Kanal sie einschalten sollen, wenn ein besonders guter Reklame-Clip läuft.

Am Ende einer kleinen Gruppensitzung fragte ich die Schüler: „Gibt es irgend etwas über Werbung, über das wir bisher nicht gesprochen haben?“ „Ja!“, riefen sie begeistert, „wir brauchen neue Werbespots!“ Ich war erschreckt von dieser Antwort, bis mir klar wurde, wie logisch sie ist im Zusammenhang mit operanter (wirksamer) Konditionierung. Viele junge Menschen, die so viel Reklame sehen, jeden Tag, neun Monate lang, von denen einige andauernd wiederholt werden, entwickeln ein Verlangen nach neuer Werbung.

Endlose Wiederholung

Werbespots werden ebenfalls auf verschiedene subtilere Arten wiederholt. Als ich Alex darum bat, eine Reklame für ein Shampoo einzuschätzen, in dem die Zeile „Gimme a break (Gib mir eine Pause)“ vorkam, sang er diese Worte, allerdings zu einer Melodie, mit der ein anderes Produkt, nämlich Kit Kat Schokoriegel beworben wurden. Ein anderer Schüler namens Jason Smith unterschrieb seinen Eintrag im Jahrbuch der Schule mit Shaq Smith, womit er auf eine Werbung mit dem Basketballspieler Shaquille O’Neal anspielte.

Nachdem ich mit diesen Kinderrn zwei Jahre gearbeitet hatte, sollte mich eigentlich nichts mehr überraschen, aber ich bin trotzdem immer wieder erstaunt. Eine Neunklässlerin namens Susie zum Beispiel träumte von einem McDonald’s-Werbespot. Sowohl im Traum wie in der Reklame kamen Pommes Frites vor. Wenn man bedenkt, wie tief Reklamebotschaften anscheinend in die Psyche der Schüler eindringt, ist es eigentlich kein Wunder, dass sie ihre Sprache und ihr Denken durchziehen.

Solche Werbung kann nicht nur tief eindringen, sie kann auch sehr schnell wirken. Eines Tages setzte ich mich zu Schülern, die einen 30-Sekunden-Spot anschauten, in dem der Basketballstar David Robinson von den San Antonio Spurs vorkam. Die Schüler erzählten mir, dass der Spot brandneu sein und sie ihn nie zuvor gesehen hatten.

Später am Tag berichteten die meisten Schüler, dass diese Werbung drei Teile hatte, an die sie sich in der richtigen Reihenfolge erinnerten: Robinson geht aufs College und bekommt seinen Master-Grad, Robinson wird ein Marineoffizier und Robinson geht zwei Mal zu den Olympischen Spielen, nachdem er ein professioneller Basketballspieler geworden war. Ich konnte mich an keine dieser Sachen erinnern, noch nicht einmal direkt nachdem ich den Spot gesehen hatte.

Klassische Propaganda

Die Techniken, die bei den Channel One-Reklamespots verwendet werden – Wiederholung, Empfehlungen (durch Stars etc.), Anbiedern an die Zielgruppe, der Transfer einer Eigenschaft auf andere Bereiche und stark dramatisierte/gekünstelte Musik und Bilder – sind klassische Propagandatechniken.

Wir wissen schon länger, dass solche Propaganda am effektivsten wirkt, wenn sie in einer geschlossenen Umgebung angewendet wird, wo keine Stimuli von außen die beabsichtigte Botschaft stören können. Und ein Klassenzimmer voll mit aufmerksamen Schülern ist die perfekte kontrollierte Umgebung: keine Ablenkung von außen, um den Strom an Werbung zu unterbrechen, der „Kids wie uns“ zeigt.

Werbwetreibend nennen das natürlich nicht Propaganda. Statt dessen sprechen sie von „Marken- und Produkttreue durch klassenzimmerzentriertes, auf Gleichaltrige bezogenes Lifestyle-Mustern“. Techno-Marketinggered für Propaganda.

Wie auch immer sie genannt wird – die Channel-One-Reklame wirkt. Aus diesem Grund kostet sie zwei Mal so viel wie Werbeplätze zur besten Sendezeit auf großen Nachrichtensendern. Die hunderte von Werbespots, die ausgestrahlt werden, bringen mehr als 100 Mio. $ pro Jahr ein.

Monica, eine Zwölftklässlerin demonstriert, was die Werbekunden für ihr Geld erhalten, als sie sich mit Genuss an die Special Effects erinnert, die sie dazu gebracht haben, ein Paar Designer-Sportschuhe zu kaufen:

Evan, ein zierlicher Neuntklässler, kauft ebenfalls Produkte, die er zuerst auf Channel One gesehen hat. Mit der Hilfe seiner Großmutter sparte er 160 $, um Michael Jorden Nike-Basketballschuhe zu kaufen. Als ich ihn fragte warum, sagte er im Brustton der Überzeugung: „Hab sie in der Werbung gesehen“. Völlig egal, dass Evans Familie sie sich nicht leisten kann. Völlig egal, dass Evan kein Basketball spielt. Völlig egal, dass einige Kinder geschlagen und getötet werden, um an deren Schuhe zu kommen.

Warum akzeptieren wir, dass diese Konzerne unsere Kinder füttern? Hauptsächlich deshalb, weil unsere eigenen Ansichten über Propaganda ironischerweise auf überholten Medien-Bildern beruhen: graue Kriegsgefangenenlager mit grimmigen nordkoreanischen Wächtern; die Folter durch Ratten von Winston Smith in 1984 und Angela Lansburys dunkle, flammende Augen in Der Manchurian Kandidat. Diese alten Bilder kommen nicht an die Oberfläche, wenn wir die hellen Flure der Schulen betreten und ins Gedränge von Kleinstadt-Schülern kommen.

Massenmedien klären die breite Öffentlichkeit nicht auf. Beispielswise pries ein Newsweek-Artikel im Jahre 1994 Channel One und versicherte uns in fetten Großbuchstaben, dass NEWS + WERBUNG = LERNEN sei.

Eine Sache ist gewiss: Kinder haben sich nicht geändert. Die meisten sind so offenherzig wie in Twains Porträt von Huck Finn vor hundert Jahren. Während sie in ihren formbaren Jahren sind, sind diese Schüller offen für Bilder und Sprache, die ihnen dabei hilft, einen Sinn für sich selbst zu entwickelt – ihr wertvollster und zerbrechlichster Besitz.

Die Psyche eines Kindes ist keine Ware, die zum Verkauf steht. Trotzdem bieten wir eine große Anzahl von Kindern den Höchstbietenden für Werbezeit an. Solange wie wir nicht TV-Reklame in Schulen verbieten, werden diese parasitären Praktiken unvermindert weitergehen.

Roy F. Fox ist ein Privatdozent für Englische Pädagogik an der University of Missouri – Columbia.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in
Educational Leadership (September 1995).

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