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Postwachstumsökonomie und die NachDenkSeiten

© guitargoa, stock.xchng [1]

© guitargoa, stock.xchng

Eins vorweg – ich halte die NachDenkSeiten [2] für eine der wichtigsten politisch/sozialen Websites im Netz, für einen vitalen und einflussreichen Teil der sog. „Gegenöffentlichkeit“ und für eine zentrale Anlaufstelle für alle Menschen, die ihr Hirn noch zum Denken benutzen und ihre Informationen nicht nur aus dem eintönigen monoformen Strom der Mainstreammedien fischen. Von daher erscheint jegliche Kritik an den NDS wie Gotteslästerung und eine ungehörige Anmaßung. Dennoch kann ich nicht umhin, mich ausnahmsweise kritisch zu einem Artikel zu äußern, den Albrecht Müller dort vor einigen Tagen veröffentlichte: „Wachstumswahn, Wachstumszwang, Wachstumskritik, Postwachstumsgesellschaft, etc. – seltsame Begriffe und eine vergleichsweise irrelevante und in die Irre leitende Debatte [3]“.

Wer meinen Blog kennt, weiß, dass ich hier auch des öfteren schon über „Wachstumswahn“ & Co. berichtete und Alternativen zu einem Wirtschaftssystem, das auf permanentem Wachstum beruht, vorstelle (und sei es nur als gedankenanregende Utopie). Von daher war ich doch ein wenig irritiert, als ich las, wie ausführlich sich Herr Müller zu dem Thema auslässt und es gleichzeitig als „irrelevant“ bezeichnet. Nun sind die NachDenkSeiten – bei aller löblichen Aufklärung über Meinungsmache, Lobbyismus, Aushöhlung des Sozialstaats, unangemessener Privatisierung und Niedergang der politischen Kultur – vieles, aber sicherlich nicht besonders revolutionär ausgerichtet. Das Ideal, das den Machern vorzuschweben scheint (so mein Eindruck, mit dem ich natürlich schief liegen kann), ist eher die „gute Soziale Marktwirtschaft“ (aufgepimpt mit einigen linkeren Ideen) aus der Zeit der „guten“ SPD-Regierungen Ende der 60er/Anfang der 70er. Also zu einer Zeit, in der „Neoliberalismus“ und „Globalisierung“ noch nicht weltbeherrschend (bzw. reine Gedankenkonstrukte) waren. Wirkliche Infragestellungen der Grundstrukturen des Systems, sowohl des Zins-/Geldsystems, als auch der Wirtschaft als Jobmotor oder des Konsums als Lebensziel usw., finden bei den NDS nur partiell statt. So gesehen darf es nicht verwundern, dass Albrecht Müller wenig Verständnis für z.B. den Attac-KongressJenseits des Wachstums?! [4]“ (20.–22. Mai in Berlin) aufbringt und generell die Debatte um ein Ende des Wachtsumszwangs für unsinnig hält, denn hier würden grundlegende Umkrempelungen vonstatten gehen, die auch die Marktwirtschaft zumindest massiv anders ausrichten würden.

Nun wäre ich der Letzte, der sich gegen gute Argumente sträubt und habe deshalb Müllers Artikel auch mit Interesse gelesen – in der Hoffnung, erläutert zu bekommen, weshalb das permanente Wirtschaftswachstum, das Börsen, Investoren & Co. fordern, kein relevantes Problem für den Fortbestand der Gesellschaft darstellt. Sicherlich ist es richtig, kritisch anzumerken, dass es auch im Bereich der Postwachstumsökonomen Menschen gibt, die das Ganze zu verbissen sehen, monokausal und monothematisch und die sich in ihre eigenen Argumentationsgebäude wie in Elfenbeintürme einigeln. Von daher ist der NDS-Beitrag ein guter Denkanstoß und bietet nebenbei auch eine schöne Übersicht über einige aktuelle Diskussionen in dieser Richtung. Und trotzdem beschleicht mich bei der Lektüre ein ungutes Gefühl, nämlich, dass der Autor hier einige Dinge übersieht, unangemessen verallgemeinert oder in eine unpassende Perspektive rückt. Ich bin sicherlich kein Experte in Sachen Wirtschaftspolitik, auch nicht was Postwachstumsökonomie angeht, aber dennoch habe ich den Eindruck, dass Albrecht Müller die Wachstumsdebatte recht einseitig und eindimensional sieht – fast so, als sollte da per Dekret Wachstum (gemessen am BIP) verboten werden, wähernd gleichzeitig alles andere, also das Wirtschaften, wie wir es heutzutage kennen, unverändert bleibt. Darum geht es natürlich nicht! Sondern um den Aufbau alternativer Strukturen, die den Zwang zum Wachsen in den einzelnen Unternehmen und den Gesamtmärkten eindämmen oder sogar anhalten.

Ich will einmal die Kritik Müllers näher unter die Lupe nehmen – der Artikel beginnt gleich mit einigen Feststellungen, die mich die Stirn runzeln ließen und die meine Skepsis über die Fundiertheit der Ausführungen anfachten, nämlich, dass es eine Vielzahl von wirklich wichtigen Problemen gäbe, um die man sich kümmern müsse statt um den „Popanz“ Wachstum. Darunter z.B.:

Der sparsame Umgang mit den begrenzten Ressourcen.
Die Überwindung der Spaltung unserer Gesellschaft, wie sie in der dramatischen Auseinanderentwicklung von Vermögen und Einkommen sichtbar wird. (…)
Die Konzentration von Macht in wenigen Händen und die schleichende Entdemokratisierung.
Die Verlagerung auf ökologisch erträgliche Verkehrssysteme, die Verkehrsvermeidung und die damit verbundene stärkere Regionalisierung des Wirtschaftens. (…)
Die oft ausweglose Verschuldung und Überschuldung vieler Menschen. (…)

Über alle diese Fragen und einige mehr würde ich sehr gerne nachdenken, über die Frage „Jenseits des Wachstums?!“ oder über Begriffe wie „Postwachstumsgesellschaft“ und „Wachstumszwang“ nicht. (…)

Merkwürdigerweise übersieht der Autor, dass eben jene Punkte, gerade der erste, aber auch die Machtkonzentration etc., eben AUCH eine Folge davon sind, dass wir einem zerstörerischen Wirtschaftssystem anhängen, das immer weiter wachsen muss und somit die oben genannten Probleme weiter verschärft. Keineswegs sind diese Probleme unabhängig von der (Profit-)Wachstumsdynamik zu sehen, denke ich. Und wenn man sich über eine „Postwachstumsgesellschaft“ unterhält, geht es halt just genau um viele der Punkte, die Albrecht Müller (durchaus zutreffend) als dräuende Fragen herausgearbeitet hat. Man will, das hoffe ich jedenfalls, bei so einem Attac-Kongress nicht aus Selbstzweck über den Begriff „Wachstum“ und den Ausweg daraus diskutieren, sondern natürlich die vielen konkreten Problemstellungen angehen. So gesehen ist es vielleicht unpassend von machen Autoren, auch von Attac, das Ganze unter so einem etwas sperrigen Begriff wie „Postwachstumsökonomie“ zu fassen – „Alternatives Wirtschaften“ wäre da sicher griffiger –, aber daran seine Kritik festzumachen, wie das in dem NDS-Artikel geschieht, ist irgendwie sonderbar.

Zu den einzelnen konkreten Kritikpunkten des Artikels:

1. Wachstumskritiker sind wie eine verschworene Gemeinschaft

Hatte ich schon beackert – das stimmt sicherlich im einen oder anderen Fall. Typisches Fachidiotentum…

2. In dieser Debatte wird maßlos übertrieben

Dies belegt Müller nicht, sondern behauptet es einfach bzw. behauptet er, dass die Punkte „der Debatte“ (was an sich schon sehr verallgemeinernd ist, so als wenn es EINE Stimme gäbe, mit der die an dem Prozess Beteiligten redeten) Übertreibungen seien.

3. Die Bedeutung der Wachstumsrate als politischer Ziel- und Angelpunkt wird überschätzt. Damit wird ein Popanz aufgebaut, auf den sich trefflich einschlagen lässt.

Das trifft zum Teil sicherlich zu – allerdings wird hier übersehen, dass das BIP u.ä. Konstrukte keineswegs die zentralen Anrgiffspunkte der Wachstumskritik darstellen (sollten), denn es geht ja weniger um solch eine abstrakte Zahl als vielmehr um das ganz konkrete Wachstum, das kleinere und größere Konzerne an den Tag legen und damit Ressourcenverbrauch, Machtzuwachs usw. fördern. Da ist dann auch weniger die Politik in der Kritik (natürlich auch, man denke nur an Abwrackprämie & Co.) als vielmehr grundlegende Konstruktionsfehler in unserem System.

4. Falsche Sicht der Wachstumsrate

Im Kern nicht verkehrt, jedenfalls gilt das sicherlich für einen Teil der „Wachstumskritiker“. Aber wiederum scheint Müller sich vor allem auf solche Leute einzuschießen, die das Wachstum als eigenständige Entität sehen und nicht die Entwicklungen dahinter betrachten. Das vom Autor genannte Beispiel – Wachstum durch Umgestaltung des Ruhrgebiets in ökologischer und Wohnwert-Sicht – zeigt natürlich, dass es Quatsch ist, Wachstum per se zu verteufeln, hier ist Differenzierung vonnöten, weil sich dahinter auch positive Prozesse verbergen können. Um ein prinzipielles Ablehnen jeglicher Art von Wachstum sollte es aber, s.o., auch sowieso nicht gehen – sondern um kranke Mechanismen, wie den, dass börsennotierte Unternehmen sich genötigt sehen (wollen sie ihren Aktienkurs nicht abstürzen lassen), von Jahr zu Jahr nicht nur den Gewinn, sondern auch die Zuwachsraten steigen zu lassen (exponentielle Entwicklung).

5. Es gibt auch heute unglaublich viel zu tun, was ökologisch, sozial und ökonomisch sinnvoll ist und sich in einer Steigerung der Wachstumsrate niederschlägt. Gerade die ökologisch und sozial sinnvollen Projekte werden die Wachstumsrate steigen lassen.

S.o. Dagegen sagt auch niemand was. Die Frage, die sich mir stellt (und die in dem Artikel nicht beantwortet wird), ist doch, wieso plötzlich Unternehmen vom bisherigen zerstörerischen Kurs auf einen ökologisch und sozial sinnvollen umschwenken sollten? Wie man dies bewirken könnte, sollte das Ziel von „Postwachstums“-Kongressen und -Diskussionen sein. Das Problem, dass durch den permanenten Drang der Unternehmen, immer weiter zu wachsen, sie ihre Marktmacht (zum Schaden der meisten Menschen) ausbauen, bliebe latent auch bei den oben angesprochenen Projekten latent, sofern Markt-Kräfte nicht in andere Richtungen gelenkt und Macht begrenzt wird.

6. Die Debatte hat eine beschäftigungs- und arbeitnehmerfeindliche Wirkung.

DAS ist nun wieder eine interessante These, die zeigt, wie sehr Albrecht Müller hier dem guten Sozialstaat und der Marktwirtschaft anzuhängen scheint – denn wie schon geschrieben soll ja nicht einfach Wachstum verboten werden, sondern es sollen von unten her neue, tragfähige Strukturen gebildet werden, die dann vielen Menschen ermöglichen, sich selbst einzubringen in ihre Wirtschaft & Verwaltung. Also weniger sinnentleerte Jobs, dafür mehr Sinnhaftigkeit. Kleinere Wirtschaftsstrukturen fördern auch die Entstehung von Arbeitsplätzen (man sieht den umgekehrten Effekt ja an der Arbeitsplatzvernichtung durch die großen Discount- & Supermarktketten – wo bei mir im kleinen Supermarkt an der Ecke früher 5–6 Angestellte arbeiteten, sind es bei der Schlecker-Bude heute nur noch 2; trotz Wirtschaftswachstum), und die Steigerung des BIP etc. bedeutet mitnichten, dass es den Arbeitnehmern besser ginge.

7. In vielen Einlassungen wird so getan, als sei die Debatte um die Grenzen des Wachstums eine neue Debatte und vor allem wird so getan, als sei nicht schon einiges passiert und als sei Nachhaltigkeit eine neue Erfindung.

Uninteressanter Punkt; wer diese Debatte wirklich für komplett neu hält, der hat die letzten 30 Jahre verschlafen.

8. Die Möglichkeiten zur politischen Gestaltung werden in der wachstumskritischen Debatte deutlich unterschätzt.

Das mag vielleicht sein, allerdings werden die Handlungsspielräume für die Politik durch das zunehmende Primat der Wirtschaft natürlich auch immer weiter eingeschränkt (wie man ja an den Kniefällen der Regierungen vor den großen Lobbys & Konzernen sieht).

9. Die Ressourcen mögen endlich sein, das Wachstum nicht.
(…) Einmal abgesehen davon, dass es ziemlich weit hergeholt ist, sich im Jahre 2011 mit der Unmöglichkeit des unendlichen Wachstums im Jahre 3025 zu beschäftigen, das statistisch gemessene Wachstum ist nicht endlich. Schon die Reparatur der bisher entstandenen ökologischen und sozialen Schäden verlangt auch in der Zukunft Beschäftigung, die man statistisch erfasst und die sich in positiven Wachstumsraten niederschlagen kann.

Hier scheint sich Müller jetzt ein wenig verrannt zu haben… Die Umwelt zu zerstören, um durch Versuche, sie hinterher wieder halbwegs herzustellen, das Wachstum anzufachen, ist ja per se schon mal ein hirnrissiger Ansatz. Damit ökologisch und sozial sinnvoller gewirtschaftet werden kann, muss halt ein generelles Umdenken stattfinden – bei der momentanen Renditejagd bleibt das seit längerem eher auf der Strecke, mit den bekannten, auch im NDS-Artikel genannten Folgen.

10. Unterschwellig spielt die Vorstellung eine Rolle, die Bedürfnisse seien gesättigt und schon deshalb bedürfe es keines Wachstums.

Eher spielt eine Rolle, dass wir in unserer Gesellschaft schon über unsere Verhältnisse leben und unseren Lebensstandard nur deshalb erreicht haben, weil anderswo Menschen ausgebeutet und Natur zerstört wird. Eine Hinterfragung dieser vermeintlichen Bedürfnisse erscheint mir durchaus sinnvoll.

11. Dem Wachstum wird eine überhöhte Bedeutung zugeordnet. Zum Beispiel wird behauptet, nur aus den Zuwächsen einer Volkswirtschaft könne umverteilt werden. Die Lösung der Verteilungsfrage und letztlich auch die Sozialstaatlichkeit seien an positive Wachstumsraten gebunden.

Hier kann ich Albrecht Müller nicht so ganz folgen – ich weiß nicht, was das mit der Wachstumszwangsdebatte bzw. der Entwicklung alternativer Ökonomien zu tun hat.

12. In den Reihen der Wachstumskritiker zeigen sich eigenartige Koalitionen: Rechtskonservative, neoliberal geprägte CDU/CSU-Vertreter entdecken das Wachstumsthema als willkommenes Image prägendes Element und werden vom ökologischen Urgestein mit offenen Armen empfangen.

Interessante Beobachtung, aber als Kritikpunkt doch herzlich ungeeignet, da es wohl zu nahezu JEDEM Thema immer Leute aus „unangenehmen“ Ecken gibt, die ihm auch zustimmen. Z.B. finden Rechte zuweilen auch Regionalität und Selbstversorgung/Versorgungsunabhängigkeit gut, wenn auch aus nationalistischen Motiven („toitsche Butter für toitsche Männer“). Darf man diese Themen dann folglich nicht mehr weiterverfolgen, weil auch die falschen Leute dem zustimmen? Grad gab es eine Studie im Freitag, dass Euroskepsis sowohl bei Rechten wie auch bei ganz Linken en vogue ist („Die Wahrheit muss erlaubt sein [5]“) – was sagt das nun über das eigentliche Thema aus…? Böse, nicht böse, relevant, nicht relevant? Oder ist Umweltschutz sinnlos, weil sich hier Grüne und „Werkonservative“ („Heimatbewahrer“) zusammenfinden? Man muss doch vielmehr die Gründe dahinter betrachten, die zu einer Zustimmung oder Ablehnung führen. Und viel interessanter sind die Forderungen, die die verschiedenen Gruppen daraus ableiten – man darf davon ausgehen, dass die von Müller zitierten Rechtskonservativen ganz andere Vorstellungen davon haben, wie man eine „Postwachstumsökonomie“ aufbaut als progressive Kräfte von Attac et al. Hier alle Leute in einen Topf zu schmeißen wie oben geschehen, um das Thema zu diskreditieren, ist nicht angebracht.

Hui, jetzt habe ich ja auch einen exorbitant langen Text verfasst, das war gar nicht meine Absicht. Offenbar hatte ich grad zu viel Zeit. ;-) Wie schon gesagt soll das nichts von der sonstigen Wichtigkeit der NachDenkSeiten wegnehmen, aber mir scheint in diesem Falle, dass Albrecht Müller selbst eine Art „Popanz“ aufbaut (den verblendeten, ideologisierten, menschenfernen Wachstumskritiker), auf den er dann einschlägt (ein paar Tage später noch einmal [6]). Aber vielleicht irre ich mich ja auch und habe seine Ausführungen nur in den falschen Hals bekommen.

Ich empfehle auf jeden Fall die Lektüre des Specials des britischen Wissenschaftsmagazins NewScientist, das ich im Konsumpf ebenfalls schon behandelt habe – „Wie unser Wirtschaftssystem die Erde tötet [7]“ (z.B. die Grafiken bei „The facts about overconsumption [8]“ mit ihren exponentiellen Kurven – mitnichten geht es um Entwicklungen „im Jahr 3025“, wie Müller polemisiert, sondern um Bedrohungen im Hier und Jetzt bzw. in den nächsten 20 Jahren).

Einer der von Albrecht Müller indirekt Kritisierten ist Andreas Exner, der beim Attac-Kongress auftreten wird und schon mal vorab einen neuen interessanten (wenngleich teilweise recht abstrakten) Artikel zum Thema veröffentlicht hat [9], der doch ziemlich diametral dem entgegensteht, was in dem NDS-Beitrag zum Ausdruck kommt:

(…) Es resultiert aus der Existenz einer Marktwirtschaft (2) ein Zwang zum Wachstum. Geld verkörpert allgemeinen Reichtum und bildet deshalb auch den Zusammenhang der Menschen mit der Gesellschaft. Ohne Geld sind wir nicht vollwertig anerkannt. Deshalb konkurrieren alle um Geld und versuchen, sich möglichst viel davon anzueignen. Geldgewinn muss maximiert werden.

Kein Kapitalismus ohne Krise

Diese Gesellschaft ist hochgradig vernetzt, doch koordiniert niemand ihr oder sein Tun bewusst mit den anderen, sondern muss im Gegenteil nach möglichst großem privaten Gewinn streben. Daraus resultieren Krisen. Eine solche Gesellschaft ist zudem durch den Kampf zwischen Arbeiter_innen und Kapitalisten und durch die Konkurrenz aller gegen alle zerrissen. Nur ein von der Gesellschaft getrennter Staat kann mit Gewalt und zulasten der Arbeiter_innen ihren Zusammenhalt sichern.

Von der Nische in die Breite: Entmonetarisierung als soziale Basisinnovation

Die Voraussetzung einer Postwachstumsgesellschaft ist folglich eine Entmonetarisierung. Direkte menschliche Beziehungen müssen den Markt ersetzen. Entmonetarisierung ist eine soziale Basisinnovation, die sich in Nischen entwickelt. Beispiele sind Solidarische Ökonomien und Gemeingüter im Bereich der Landnutzung oder der digitalen Information. Es gibt dort keine Lohnarbeit, Märkte verlieren an Bedeutung und der Staat spielt keine tragende Rolle. Herrschaftsverhältnisse und Ausschlussmechanismen können reflektiert und zurückgedrängt werden.

Die weitere Verbreitung dieser Basisinnovationen erfordert Meta-Innovationen. Eine Vielzahl solidarökonomischer Einheiten macht noch keine solidarische Postwachstumsökonomie. Bewusste Steuerungsmechanismen müssen entwickelt werden. Die Groß-Kooperative Mondragón oder die Kibbuzim der 1960er Jahre zeigen, wie das möglich sein kann, illustrieren aber auch, dass Alternativen problematisch bleiben, solange die kapitalistische Produktionsweise ihr Umfeld ist. (…)

(…) Eine Alternative muss das Geld überwinden. Regionalwährungen sind kein Ausweg aus Markt, Ausbeutung und Konkurrenz. Ebenso wenig hilft zinsloses Geld. Der Zins ist nicht die Ursache von Wachstum, sondern würgt es im Extremfall ab. Fragwürdig ist auch die Perspektive einer staatlichen Steuerung. Denn der Staat ist ein Herrschaftsapparat, kein neutrales Werkzeug schöner Ideen. Schließlich sind auch Ressourcensteuern oder Emissionszertifikate Scheinlösungen. Ressourcensteuern machen den Staat vom Verbrauch abhängig. Emissionszertifikate erklären Verschmutzung zum Geschäft und verhindern eine bewusste und solidarische Kooperation.

Es gilt vielmehr anzuerkennen: Der Markt parasitiert immer schon an dem, was wir in direkter Kooperation, lokal, regional und global machen, im Haushalt, im Betrieb, in sozialen Netzwerken, Bewegungen und im Ehrenamt. Die Alternative ist schon im Hier-und-Jetzt vorhanden. Wir müssen sie freilich entfalten. Und das geht nicht mit, sondern nur gegen Kapital und Staat. In einer solchen Perspektive machen Forderungen nach Globalen Sozialen Rechten, dem Ausbau öffentlicher Güter, einem bedingungslosen Grundeinkommen und Erleichterungen für solidarische Ökonomien Sinn. Der Knackpunkt liegt jedoch darin, dem Markt fortschreitend Ressourcen zu entziehen und den Staat zugunsten einer freien gesellschaftlichen Koordination über gestaffelte Gremien abzubauen.

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