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Affluenza oder: Wohin mit all dem Schund?

Ich weiß nicht, ob sie Euch auch schon einmal aufgefallen sind – diese etwas sonderbar anmutenden Gebäude, die mit Namen wie „SelfStorage“ o.ä. beschriftet sind (bei der Einfahrt nach Hamburg über die Kieler Straße kann man z.B. so ein Exemplar „bewundern“) und im Prinzip aus Lagerräumen bestehen, die jedermann mieten kann, um überschüssigen Krams unterzustellen. Dass dieser Trend aus den USA kommt, dürfte dabei nicht verwundern. Auf jeden Fall ist dieser Geschäftszweig ein augenfälliges Symbol für unsere auf Kaufen und Horten und Besitzen ausgerichtete Konsumgesellschaft, in der die Menschen viel arbiten, um sich in der verbleibenden Zeit viel kaufen zu können – oft genug Dinge, die man nicht wirklich braucht oder nur kurzzeitig, um einem Trend hinterherzuhecheln, die aber nichts desto trotz unser Geld kosten, für das wir vorher schuften mussten. Ein irgendwie absurder Kreislauf.

Eine ähnliche Beobachtung machte vor einigen Jahren bereits Marcus Meier in seinem Sprusko-Blog – im Beitrag „Wohin mit all dem Schund? [1]“ beschäftigt er sich ebenfalls mit diesem neumodischen „Storage“-Geschäftszweig:

Schund produzieren, um Schund zu konsumieren? Viele US-Bürger sind schon einen Schritt weiter: Sie kaufen Neu-Schund, ohne ihn je nutzen oder auch nur in Händen halten zu wollen. Der im Land der unbegrenzten Möglichkeiten geprägte Begriff »selfstorage « lässt sich noch am ehesten mit Selbstlagerung übersetzen. Was damit gemeint ist? Nun, Unternehmen, vor allem jedoch Privatpersonen mieten Platz, der ihnen ansonsten fehlen würde. Platz, um Besitztümer, Möbel oder Fahrzeuge zu verstauen.

Plaaaaatz heeeer! Den bieten lange Reihen von mal garagen-, mal containerförmigen Gebäuden, oft abgezäunt, mitunter bewacht, sieben mal 24 Stunden in der Woche zugänglich.

Die Self-Storage-Branche erwirtschaftet einen Umsatz von mehreren Milliarden Dollar pro Jahr; sie ist einer der am schnellsten wachsenden Industriezweige der USA. Mehr als 30.000 dieser Gebäudekomplexe gab es dort Ende 2003.

Und es werden immer mehr. »Die meisten davon«, analysiert [2] eine amerikanisches Wochenzeitung, »werden von Leuten gemietet, die ganz einfach zu viel Kram haben und einen Platz brauchen, wo sie ihn verstauen können.«

Das haben auch Versandhäuser und Shopping-Fernsehkanäle verstanden. Seit einiger Zeit bieten sie einen neuen Service: Bei der Bestellung kann der Konsument angeben, ob der Kram erst mal nach Hause geliefert werden soll – oder direkt in’s Container-Lager. (…)

In einem fiktiven Interview – „Was ist das Sprusko-Prinzip? [3]“ – analysiert der Autor noch etwas tiefer (und bissiger) einige der Ursachen und Folgen unserer Konsumwirtschaft:

(…) Marktwirtschaft ist Murkswirtschaft. In der Produktion und beim Konsum gilt notwendigerweise das Motto “Hauptsache billig!”. Das mindert die Qualität von Gütern und Dienstleistungen erheblich. Deswegen wird die Massenproduktion zur Schundmassen-Produktion. Die Gewinne von morgen sind die Einsparungen von heute.

Schund bestimmt unsere Arbeit, unseren Konsum und daher unser Leben. Das SPRUSKO-Prinzip ist Kultur prägend. (…)

Schund-Arbeit und Schund-Konsum (ent)stehen zumeist in marktwirtschaftlichen Kontexten:

Sparwahn [4]
Privatisierung [5]
[6]“Hauptsache billig!”-Produzieren um beinahe jeden Preis [6]
Kostenexternalisierung [7]
Einkauf billiger und entsprechend schlechter Vorprodukte
bewusstes Produzieren kurzlebiger Waren [8] (würde der Fernseher ein Menschenleben lang halten, könnte man nicht zehn Fernseher pro Nase verkaufen), in der Folge: Einbau von Sollbruchstellen, geplante Obsoleszenz [9]
Profit statt Qualität (“Der Kapitalist … produziert überhaupt nicht mit unmittelbarer Rücksicht auf die Konsumtion”, schreibt Marx. “Er produziert, um Mehrwert zu produzieren.“)

… all das, was Unternehmen tun und unterlassen, um konkurrenzfähig zu sein und ordentlich Reibach zu machen. Kurzum: Marktwirtschaft ist Murkswirtschaft. Derweil gilt für Ökonomen und Politiker das Motto: Noch mehr Schund [10], und “die Wirtschaft” bleibt gesund. (…)

Simone Hattenstone stellt in Der Freitag die für den heutigen Konsumbürger auf den ersten Blick widersinnig erscheinende, ja ketzerische Frage: „Wer wird schon gerne Millionär [11]?“. Hämmern uns nicht die Medien den ganzen Tag ein, dass es erstrebenswert sei, reich und berühmt zu sein, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu schaffen? Viele Sendungen, von DSDS über die Top-Model-Scheiße bis hin zu irgendwelchen Dokusoaps über Superreiche und Popstars und ihren verschwenderischen Lebensstil, drehen sich primär um dieses Thema. Sie schüren Neid und Begehrlichkeiten und stellen Reichtum und Ruhm als das ultimative Lebensziel hin. Zu Recht?

Geld besitzen macht nicht glücklich, Geld verschenken aber schon. Nicht wenige Superreiche entscheiden sich deshalb lieber freiwillig für die Armut

Karl Rabeder war auf Hawaii, als ihn die Erkenntnis traf. All der Luxus war sinnlos. Schlimmer noch, sein ganzes Leben war sinnlos geworden. Ihn ekelte vor seinem Reichtum und den Leuten, mit denen er sich umgab – er musste all das loswerden, sagt er: „1998 war das. Wir wollten den perfekten Urlaub: Fünf-Sterne-Hotels, Helikopterflüge, alles, was dazu gehört. Doch dann begann sich dieses Leben unwirklich anzufühlen, als wären wir Schauspieler, in deren Rollenanweisung steht, sie sollten glücklich sein.“ (…)

(…) Rabeder selbst will in eine Holzhütte in den Bergen ziehen – oder in eine Einzimmerwohnung in Innsbruck. Am Ende, sagt er, wolle er mit „nichts“ dastehen. Was bedeutet „nichts“ für ihn? „Ein oder zwei Rucksäcke mit den Dingen, die ich wirklich benötige. Kleidung. Meine Bücher werde ich einlagern lassen. Ich habe sie bereits gelesen, aber ich möchte später auf sie zurückgreifen können.“ Er beabsichtigt, mit 1.000 Euro im Monat auszukommen – das Geld will er sich durch Vorträge und als Lebensberater verdienen. Für einen Altruisten hält er sich nicht. Dann würde er weiterhin Geld verdienen, um es zu verschenken. Doch das hat er ausprobiert, und es hat ihn nicht glücklich gemacht. In Zukunft möchte er seine Idee mit anderen teilen. Er will Gleichgesinnte treffen und sie davon überzeugen, ihr Geld wegzugeben. Möglicherweise stehen die Chancen dafür nicht schlecht. Denn das Menschen nicht mehr reich sein wollen ist gar nicht so selten wie man vermuten würde.

Den Grund dafür nennt Sara Robin „Affluenza“: Reichtum ist eine Krankheit, so einfach ist das für sie. Im Laufe der Jahre hat sie viele Betroffene kennengelernt. Tendenziell seien davon eher Erben betroffen als Millionäre, die sich ihr Vermögen selbst erarbeitet haben. (…)

Für diesen Lebenstil des Überflusses, der Konsumzentriertheit und der Verschwendung haben die amerikanischen Autoren John de Graaf, David Wann und Thomas H. Naylor einen Begriff geprägt: Affluenza [12]. Dieses Kunstwort, zusammengesetzt aus den englischen Begriffen „affluence“ (Überfluss) und „influenza“ (Grippe). Für sie handelt es sich dabei also um eine Krankheit, wie sie auch in ihrem sehr lesenswerten Buch „Affluenza: Zeitkrankheit Konsum [13]“ ausführen (Leseproben aus dem Buch gibt es übrigens HIER [14]):

Mal ehrlich: Wie viele Kreditkarten besitzen Sie? Wie viele Radios, Fernseher, Nierenschoner, Barbiepuppen und Nippes jedweder Art? Können auch Sie sich der Sucht des Haben-Müssens kaum erwehren? Dann müssen Sie als infiziert gelten, befallen von Affluenza, der ansteckenden Sucht nach mehr Konsum und Besitz. Auch Sie leben – wie alle anderen – mit dem Supermarkt im Kopf. Der Kulturkritiker John de Graaf, der Umweltexperte David Wann und der Wirtschaftsprofessor Thomas H. Naylor haben sich zusammengetan, um diese neue Krankheit zu analysieren. Und wie bei einer richtigen Krankheit rücken sie dem Phänomen auf dreierlei Weise zu Leibe: Sie untersuchen die Symptome, klären deren Ursachen und verordnen danach eine einfache, aber wirksame Kur. Auf unterhaltsame Weise präsentieren sie Cartoons, Geschichten und Fakten, die zeigen, was unser Lebensstil wirklich kostet: eine wachsende Zahl überschuldeter Haushalte, Konsumdruck, der insbesondere unsere Kinder infiziert hat, permanenter Zeitdruck, das atemlose Bemühen um “schneller, größer, weiter, mehr”, der rücksichtslose Verbrauch von Natur und Rohstoffen und last not least Krankheiten wie Diabetes, Allergien oder Fettsucht. Wir sind arm geworden an tiefen Erfahrungen und harmonischen familiären Bindungen.

Übrigens hatte John de Graaf sogar eine eigene TV-Show [15] zu diesem Thema, zu der es auch entsprechendes Unterrichtsmaterial etc. gab, um das Wissen um diese Problematik weiter zu tragen.

In deutschen Publikationen taucht der Begriff Affluenza sehr selten auch – immerhin hat Andreas Poltermann in einer der letzten Ausgaben des Magazins der Heinrich-Böll-Stiftung in seinem Artikel „Affluenza: die Krankheit der amerikanische Suburbia [16]“ das Phänomen thematisiert (das gesamte Heft drehte sich um das Thema „Grenzen des Wachstums. Wachstum der Grenzen“). Wobei natürlich anzumerken ist, dass die Affluenza eben nicht nur auf US-Amerikaner beschränkt ist, sondern sich auch das reiche Westeuropa Vergleichbares leistet (mit den entsprechenden negativen Folgen):

Ende der 1990er-Jahre begann die Schelte der Mittelschicht in den USA. Ihr Lebensstil: zu aufwendig, zu verschwenderisch, zu teuer, zu sehr auf Status und Abgrenzung bedacht. Früher habe sie noch in den Städten gewohnt. Jetzt lebe sie 40 Meilen entfernt in Suburbs. Früher habe ein Auto genügt. Jetzt müssten es mindestens zwei sein. Auch die Wohnfläche der Häuser, der Energieverbrauch und die Größe der Grundstücke hätten sich vervielfacht – und so auch die Schulden. Zersiedelte Landschaften, soziale Spaltung und Verschuldung stehen in einem engen Zusammenhang.

2005 unterzeichnete George W. Bush ein Gesetz über den Umgang mit bankrotten Familien. Sie sollten nicht nur keine staatliche Hilfe erhalten und die Lasten ohne Beteiligung der Banken allein tragen, es war auch ein moralisches Urteil über den ökologisch unhaltbaren Lebensstil der Suburbia-Bewohner. Dieses Verdikt war von langer Hand vorbereitet worden: Ende der 1990er strahlte der Sender PBS John le Graafs TV-Show «Affluenza» aus. Die Wortschöpfung schlug ein! Es kam zu zahllosen Diskussionsrunden in TV und Radio, in Schulen und Kirchengemeinden.

Keine Frage: Nach den derzeit gängigen ökologischen Maßstäben ist der Lebensstil der US-Mittelschicht nicht nachhaltig. Ihrem ökologischen Fußabdruck zufolge könnten nicht 6,8 Milliarden Menschen dauerhaft auf der Erde leben, sondern maximal 1,4. Aber was folgt daraus? (…)

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