- Konsumpf – Forum für kreative Konsumkritik – Culture Jamming, Nachhaltigkeit, Konzernkritik, Adbusting - https://konsumpf.de -

Lesetipps: Angst macht böse | Verlierer der deutschen Krise | Geplante Obsoleszenz | Der Barbar als Kulturheld

[1]Es ist schon ein bisschen her, dass ich mal meine Rubrik Lesetipps mit ein paar neuen Preziosen aus dem Netz bestückt habe – heute will ich das endlich mal nachholen und ein paar Artikel vorstellen, die bei mir in der Warteschleife hängen. Zunächst, ganz aktuell, den kleinen Beitrag „Die Verlierer der deutschen Krise [2]“ aus der Zeit, in dem sich Wolfgang Höhler-Brockmann kritisch mit der momentanen Entwicklung in unserem „Musterländle“ (jedenfalls bemühen sich viele deutsche Medien, Deutschland als herausragende Lichtgestalt in der internationalen Wirtschaft darzustellen) auseinandersetzt:

Halb Europa befindet sich im Abschwung, nur Deutschland angeblich nicht. Dabei hätten wir alle Grund zur Sorge, meint Leser Wolfgang Höhler-Brockmann. (…)

Für die mehr als zwölf Millionen Menschen, die an der Armutsgrenze leben, ist die Krise hingegen allgegenwärtig und konkret. Sie gehören zu den Verlierern des Systems. Es sind die Leiharbeiter, Minijobber, Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen, Alleinerziehende, Menschen, die überhaupt keine Arbeit haben.

Die Zahl der Verlierer in Deutschland wächst. Für ärmere Menschen sind Leistungen in vielen Lebensbereichen unbezahlbar geworden. Schuld sind Privatisierungen und die Liberalisierung [3], zum Beispiel im Gesundheitssystem, in der Pflege, im Bildungswesen, bei den Renten und bei vielen öffentlichen Dienstleistungen. Die Industrie und die großen Konzerne missbrauchen die Reformen des Arbeitsmarktes, die einst als alternativlos zur Konjunkturförderung eingeführt wurden, um ihren Profit zu steigern. (…)

Um die tiefergehenden Folgen der gesamten Entwicklung geht es auch Joachim Bauer in seinem neuen Buch „Schmerzgrenze – Vom Ursprung alltäglicher und globaler Gewalt“, das Deutschlandradio Kultur in „Angst macht böse [4]“ näher vorstellt. Offenbar ein höchst lesenswertes Buch, in dem vor allem auch mal die von vielen als Fakt angenommene Frage, ob der Mensch von Natur aus „böse“ sei hinterfragt wird. Ich selbst habe es noch nicht gelesen, es befindet sich aber bereits auf meinem Wunschzettel:

Der Neurowissenschaftler Joachim Bauer erklärt die Gewalttätigkeit von Menschen als Reaktion auf Bedrohungen durch die Außenwelt. Dem Hochkapitalismus und seiner Kultur der Ausgrenzung sagt er nach, dass er Gewaltausbrüche einzelner Individuen fördere.

Der Mensch ist nicht von Natur aus aggressiv. Nicht im Kampf gegeneinander, sondern im alltäglichen Miteinander erreichten unsere Vorfahren ihre Ziele. Die Aggression gegen Mitmenschen war und ist die Ausnahme.

Sorgfältig und ohne Polemik legt der Psychologe und Neurowissenschaftler Joachim Bauer dar, warum es den von Sigmund Freud propagierten Aggressionstrieb in der Natur des Menschen nicht gibt. Aggression ist kein Instinkt, den uns die Evolution durch Selektion hinterlassen hat und der immer wieder aus uns herausbricht. Aggression und Gewalt sind vielmehr ebenso wie Angst und Flucht Reaktionen auf Bedrohungen durch die Außenwelt. (…)

Im zweiten Teil seines Buches erweitert Joachim Bauer diese Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft zu einer gesellschaftlichen Theorie. Darin bezeichnet er unsere “zivilisierte” Welt als Ursache zunehmender Aggressionsausbrüche. Er spricht sogar von einem beginnenden “Zeitalter der Gewalt”.

Nicht die Biologie – wie Sigmund Freud, Konrad Lorenz oder Richard Dawkins – sieht er als Quelle der Gewalt, sondern die Kultur. Das Anlegen von Vorräten, der Streit um begrenzte Ressourcen, die Verteidigung von Besitz und die Entstehung großer menschlicher Ansammlungen erforderten Moralsysteme, die das Zusammenleben erleichterten, aber auch die Abgrenzung nach außen förderten.

Vor allem den “Raubtierkapitalismus” sieht Joachim Bauer als Ursache von zunehmender Gewalt im Kleinen wie im Großen. Das Streben nach Gewinn führt zur sozialen Spaltung und zur schmerzhaft erlebten Ausgrenzung aus der Gesellschaft. Auch hier wird eine Schmerzgrenze überschritten, was zur Entwicklung von Gewalt führt. (…)

Eine der in meinem Blog ja auch schon mehrfach angeprangerte Praxis der „modernen“ Wirtschaft besteht bekanntlich darin, Produkte nicht so herzustellen, dass sie möglichst lange halten, sondern nach einer gewissen, vom Unternehmen vorgegebenen Zeitspanne, weggeschmissen und ersetzt werden müssen. Geplante Obsoleszenz heißt dieses Phänomen, das spätestens seit den Absprachen der Industrie in Bezug auf Strumpfhosen und Glühbirnen einer breiten Öffentlichkeit bekannt ist (bzw. bekannt sein sollte). Ich verweise hier noch mal auf die gelungene Arte-Dokumentation „Kaufen für die Müllhalde [5]“, die das abartige Treiben in 45 Minuten Sendezeit darstellt. Auf Telepolis fand sich ganz aktuell ein Interview mit Stefan Ridde („Geplante Obsoleszenz [6]“), der mit seiner neuen Internetplattform Murks? Nein danke! [7] Unternehmen zum Herstellen langlebiger Produkte bewegen will.

In den letzten Jahren äußern immer mehr Verbraucher in Foren und anderswo den Eindruck, dass Produkte sehr viel schneller kaputt gehen, als es den Käufern recht ist. Auch teure Marken sind von diesem Phänomen namens “Obsoleszenz” nicht ausgenommen. Der Berliner Betriebswirt Stefan Schridde will sich des Problems mit seinem Portal Murks? Nein danke! [8] annehmen, in dem Verbraucher demnächst ihre Erfahrungen mit Produkten melden können, die nicht lange halten. In einem dynamischen Balkendiagramm sollen dort dann die Namen der Hersteller gezeigt werden, zu denen die meisten Obsoleszenzmeldungen vorliegen. (…)

Wo verläuft die Grenze zwischen billiger Herstellung und einem gewollten Defekt innerhalb eines bestimmten Zeitraums? Gibt es eine Form der legalen und der illegalen Obsoleszenz?

Stefan Schridde: Eigentlich ist “geplante Obsoleszenz” nach geltendem Recht in vielen Fällen legal – wenn man nicht Arglist nachweisen kann. In dieser Hinsicht gilt es, das Gewährleistungsrecht anzupassen. Zwar lassen sich Unternehmen in ihrem Qualitätsmanagement zertifizieren, jedoch werden dabei keine Fragen zu “geplanter Obsoleszenz” geprüft.

Bei diesem Thema geht es aber letztlich nicht alleine um rechtliche Fragen. Es geht vielmehr darum, in einem Wertschöpfungskreislauf zwischen Ressourceneffizienz und nachhaltigem Konsum die Lücke in der Produktentwicklung zu schließen.

Das heißt, was früher zur Konjunkturbelebung legitim wirkte, kann man sich mit dem Wissen von heute nicht mehr leisten?

Stefan Schridde: Genau. Heute diskutieren wir in vielen Wirtschaftsbereichen das Problem der Ressourcenverknappung. Daraus folgt eigentlich logisch auch eine Verlängerung der Nutzungszeiten für Produkte oder eine Schließung der materiellen Kreisläufe im Sinne eines “Cradle-to-Cradle”-Prinzips, wie es von Michael Braungart [9] oder Gunter Pauli [10] vertreten wird. Allerdings liegt dies anscheinend zunächst nicht im wirtschaftlichen Interesse von Unternehmen, die an einem schnellen Umschlag ihrer Produkte im Markt interessiert sind. (…)

Genauso schlimm wie bewusste Produktionsmängel ist bekanntlich auch die Reklamewirtschaft mit all ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft, das Denken, Kaufen und Wegwerfen – regelmäßige Konsumpf-Leser wissen das natürlich schon längst. Neulich wurde ich auf ein schon etwas älteres Traktat von Bazon Brock III gestoßen, der in seinem Werk „Der Barbar als Kulturheld“ [11] im Kapitel „IV.20: Werbung und gesellschaftliche Kommunikation [11]“ dezidiert dazu Stellung nimmt, worauf Reklame zielt und wie sie funktioniert. Wer also mal etwas eher Theoretisches zu dem Thema lesen will, kann ja mal ein Auge darauf werfen:

(…) Jedenfalls demonstrieren die Heerscharen aus dem Süden und Osten ins Reich der westlichen Freiheit, welche Macht die Werbung für das Erleben und Handeln der Zeitgenossen darstellt. Aber geht es tatsächlich um Macht? Macht bezeichnet ja die Fähigkeit, andere dem Willen der Mächtigen zu unterwerfen, also das Erleben und Handeln zu steuern. Das Augenfällige an der Werbung ist ja, daß sie zwar die Kraft des Wünschens märchenhaft zu stimulieren vermag, aber über die Wirkungen keine Kontrolle hat. Es kann ihr nicht einmal gelingen, die von ihr ausgelösten Bewegungen zu kanalisieren, geschweige denn sie zeitlich, sachlich und sozial zu formen. Die Werbung setzt zwar etwas in Bewegung, aber was daraus wird, entzieht sich ihrem Einfluß. Das ist im kleinen wie im großen so: Wenn die Werbung für ein Produkt nicht erfolgreich ist, hört man nicht mit der Werbung auf, sondern stellt sie nur auf andere Wirkungsrepertoires um. Wenn Parteien und Regierungen ihren Publikumserfolg gefährdet sehen, ändern sie nicht ihre Programme, sondern die Propaganda. Da ja alle nur das Beste wollen, das Beste produzieren und das Beste dienstleisten – ihrem Selbstverständnis nach, und wer würde sich mit weniger zufriedengeben? –, kann der Mißerfolg nur bei den Verkäufern der Produkte und Programme liegen.
Politpropaganda mit ausgetüftelten Repertoires von Herrschaftsikonographie ist die Primärform heutiger Werbung. Musiker, Bildhauer, Maler und Architekten entwickelten jene Herrschaftsikonographien für Kirchen und Höfe, für weltliche und geistliche Machtprätendenten. Erst seit den 50er Jahren übernahm die Werbung von den Künstlern die Führungsrolle (auch formalästhetisch), weil die Werbeagenturen zu den potentesten Auftraggebern für Gestalter aller Disziplinen wurden, weit vor den anderen Medien der Öffentlichkteit, wie dem Journalismus in Zeitungen, in Zeitschriften, im Radio und im Fernsehen, und natürlich weit vor den Agenten des Kunstmarkts; denn diese Medien wurden selber von Werbeeinnahmen abhängig und übertrugen zudem entscheidende ästhetische Strategien der Werbung auf die Darstellung ihrer journalistischen Arbeit.  (…)

Verwandte Beiträge: