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„Das System steckt nicht in einer Krise – die Krise ist das System” (Teil 2/2)

[Dies ist die Fortsetzung meines gestrigen Beitrags [1]]

Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren auch ein gesteigertes Bewusstsein bei den Verbrauchern gebildet, dass der eigene Konsum ein Mittel ist, um Veränderungen zu bewirken – die sog. „Nachhaltigkeit” ist aus aktuellen Diskussionen und auch Firmenbroschüren nicht mehr wegzudenken. Biowaren sind „in” (man denke nur an die Bionade, deren riesiger Erfolg sicher alle überrascht, mich eingeschlossen), und die Marketingfuzzis haben mit den LOHAS ein neues Marktsegment ausgemacht, das seit einer Weile mit entsprechenden Produkten, Magazinen und Blogs bedacht wird. Dies ist per se erst einmal durchaus positiv zu sehen, denn wenn statt monoformer Industrieware ökologisch verträglichere Lebensmittel auf den Tisch kommen, entlastet das die Umwelt und ist zudem natürlich gesünder für die Menschen.

[2]ABER: kann es das schon gewesen sein, dieser „nachhaltige” oder „politische” Konsum, der die Firmen zum Umdenken bewegen und dazu führen soll, dass Konzerne mit übler Firmenhistorie in Bezug auf die Ausbeutung von Mensch und Umwelt und Sozialstandards (und das betrifft fast alle großen Unternehmen; siehe auch das „Neue Schwarzbuch Markenfirmen [3]”) zur Besinnung kommen und „der Kapitalismus” plötzlich ein freundlicheres Antlitz bekommt? Einfach nur etwas „fairer” konsumieren, also einfach ein paar Produkte auf dem Tisch austauschen (statt der normalen Aldi-Milch Bio-Milch von Aldi nehmen z.B.), und ansonsten alles so weiterlaufen lassen? Ich habe da leider so meine leisen Zweifel. Denn es besteht die Gefahr, dass kleinere Verbesserungen der Situation schon als ausreichend angesehen werden und die Kernproblematik weiter vor sich hin gären darf und zukünftige Entwicklungen damit weiter erschwert.

Mit meinen Zweifeln stehe damit nicht alleine da – Reto Stauss hat sich in den vergangenen Wochen in seinem Blog des öfteren mit dieser Frage beschäftigt. So konstatiert er in „Den Nachhaltigkeits-Graben überwinden [4]”:

Es gilt Brücken über den Nachhaltigkeitsgraben zu erkennen und zu beschreiten. Patentrezepte gibt es keine, wir können nur weitermachen, im Kleinen und Kleinsten, offline und online, im Sichtbaren und Unsichtbaren.

Die Anzahl und Art der Kommentare deuten darauf hin, dass die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln nicht nur von mir wahrgenommen wird und dass sich viele persönlich und im grösseren Zusammenhang die Frage stellen, warum Veränderungen trotz entsprechender Erkenntnis nicht schneller und nachhaltiger umgesetzt werden.

Und in „Green New Deal – Makulatur Gesellschaftsvertrag [5]“ legt er kurz darauf noch einmal nach:

Allen Vorschlägen gemeinsam ist, dass der Staat rettend mit Geld einspringen soll, das System aber nicht wirklich in Frage gestellt wird. Ein bisschen mehr Kontrolle der Wirtschaft, ein bisschen mehr Umweltschutz, ein bisschen Umstellen auf erneuerbare Energiequellen – alles Pflästerli-Politik.

Grundproblem ist das Anreizsystem in der kapitalistischen Marktwirtschaft (“Mehr, billiger!”) in Kombination mit der Fortschrittsgläubigkeit (“Die technologische Lösung ist nah!”), welche keine Grenze kennt. Obwohl praktisch Konsens, löst “Konsumverzicht” verbreitet Denkblockaden aus. “Weniger” ist keine Option.

Ähnlich sieht es auch der Blog landscaping in „Zukunftsfähig ohne Systemwandel? [6]” (und wenn von unserem „System” und seinen Problemen die Rede ist, geht es übrigens nicht nur um die marktwirtschaftlichen Prinzipien oder das Konsumieren, sondern vor allem auch um die Zinseszinsproblematik, das Schöpfen von Geld aus Schuld und dem systemimmanenten exponentiellen Wachstumszwang):

Kann es zu einer nachhaltig, zukunftsfähigen Entwicklung kommen, wenn nicht grundsätzlich ein Systemwandel angestrebt wird? Die Frage wirkt für viele lähmend. Denn sie stellt grundsätzliche Prinzipien unserer derzeitigen Gesellschaft in Frage (Kapitalismus, Neoliberalismus, Zinswirtschaft, Individualismus, persönliche Freiheit, …). Für mich dagegen wirkt es zunehmend lähmend, wenn kleine Details laufend bejubelt werden und damit die Weltrettung angekündigt wird und dabei ganz vergessen wird, dass der globale Effekt vielleicht minimal ist.

Etwas drastischer fällt das Urteil der Krisis-Website (Beiträge zur Kritik an der Warengesellschaft) in ihrem „Crashkurs – Flugblatt zur Finanzkrise [7]” aus:

Die Welt ist zu reich für den Kapitalismus

Die aktuelle Finanzmarktkrise markiert den Wendepunkt in der Epoche des fiktiven Kapitals und damit erreicht die fundamentale Krise des Kapitalismus, die sich schon in den 1970er Jahren abzeichnete eine neue Stufe. Diese Krise ist nicht nur die eines spezifischen „angelsächsischen Systems“ des „Neoliberalismus“, wie unter Mobilisierung antiamerikanischer Affekte mit teils deutlich antisemitischem Einschlag überall behauptet wird. Vielmehr zeigt sich nun, dass die Welt für die armselige kapitalistische Produktionsweise längst zu reich ist; dass die Gesellschaft auseinanderbrechen, verwildern und in Elend, Gewalt und Irrationalismus versinken muss, wenn es nicht gelingt, diese zu überwinden.

Interessant sind in dem Zusammenhang beispielsweise auch noch die Krisis-Beiträge „Weltgesellschaft ohne Geld [8]” und „Vom Elend marktwirtschaftsgläubiger Kapitalistenkritik [9]”. (Das Schimpfen auf die „bösen Banker” und „raffgierigen Manager” hat ja derzeit in allen Mainstreammedien Hochkonjunktur, lenkt aber von den eigentlichen Ursachen der Probleme nur ab und soll den potentiellen Zorn der Leute ein wenig kanalisieren, vermute ich mal.)

Es ist nicht nur zu befürchten, dass die Krise erst am Anfang steht und Millionen Menschen unmittelbar treffen wird, sondern auch, dass sich derlei Pseudo-Kritik irgendwann einmal äußerst handfest austoben wird. Auch das Ressentiment wird zur materiellen Gewalt, wenn es die Massen ergreift. Wehe dem, der dann zu den Bösewichten und ihren Handlangern gezählt wird. Noch ist Zeit, um der billigen Haut-den-Ackermann-Nummer ernsthafte Kapitalismuskritik entgegenzusetzen.

Und das Social Innovation Network stellt sich halbherziger „Systemkritik” ähnlich eindeutig entgegen („Umverteiler aller Flügel – Erteilt Euch! [10]”):

Schadet die Krise der Revolution oder nützt sie ihr, lautet dabei die klassische Frage. Die übliche Antwort darauf ist, eine Krise schade der revolutionären Umgestaltung. Denn in der Krise werden die Leute rechtsextrem. Und das sei noch übler als der Kapitalismus schon üblicherweise ist. Auch der so genannte radikale Flügel teilt diese Einschätzung zumeist. Wir haben es offenbar mit einem hegemonialen Denkmuster zu tun. Will jemand ernst genommen werden, so hat er sich innerhalb dieses Musters zu bewegen. Was sich abseits davon äußert, wird ausgeblendet, weil es nicht in den Rahmen des Diskurses passt.

Dennoch wagt es der Autor P.M. (nein, das bin nicht ich ;-) in seinem Buch „SubComA – Nachhaltig vorsorgen für das Leben nach der Wirtschaft”, die ausgelatschten Pfade zu verlassen und einen radikaleren Blick über den Tellerrand zu tätigen – dies vielleicht als (durchaus utopisch geprägte) Anregung für eigene Überlegungen. Dieses Buch gibt es übrigens auch als kostenlosen pdf-Download auf seiner Website [11].

Was ist das für eine Welt, in der trotz gigantischer Fortschritte der Produktivität der Anteil der Armen stetig wächst? Was ist das für ein Wirtschaftssystem, das auf sklavereiartigen Arbeitsbedingungen im Süden und Sozialabbau im Norden beruht? Was ist das für eine Landwirtschaft, die mit Erosion, Bodenversalzung, und vergifteten Gewässern ihre eigene Grundlage zerstört? Was ist das für eine Weltordnung, die überall zu Bürgerkriegen, Massakern, Flüchtlingsbewegungen und hilflosen militärischen Interventionen führt?

Die Stimmung ist gekippt. Globalisierung, New Economy, Informationsgesellschaft, Modernisierung und wie all die hochtrabenden Begriffe noch heißen mögen, haben begonnen ihren Glanz zu verlieren. Immer mehr Menschen merken, daß auch die New Economy nur die alte Tretmühle ist, nur schneller, riskanter und mehr Lebensbereiche durchdringend. Die Modernisierungsgewinnerinnen von heute sind die Modernisierungsverliererinnen von morgen – am Schluß sind wir alle Verliererinnen. Und daneben melden sich immer lauter auch jene, die seit 500 Jahren immer nur Modernisierungsverliererinnen waren. (…)

Der Zweck dieses Buches besteht darin, jenem Teil der Bewegung Argumente zur Verfügung zu stellen, der nicht mehr an die Reformierbarkeit des kapitalistischen Systems und dessen Weltorganisationen glaubt und daher eine planetarische Alternative dazu verwirklichen will. Es geht um theoretische Überlegungen und die Auswertung praktischer Erfahrungen, um inspirierende Ideen und um die Diskussion von Umsetzungsszenarien.

Konkrete Ideen, Neues zu wagen und zu denken, findet Ihr auch in Retos Postings hier [12], hier [13] oder hier [14]. Denn es gibt natürlich keine Patentrezepte zur Lösung. An dieser Stelle kommt auch noch ein weiterer wichtiger Faktor ins Spiel: es reicht nämlich nicht, nur anderen Leuten oder anonymen „Sachzwängen” Schuld zuzuweisen – wir müssen auch in der Lage sein, aus unserer eigenen „comfort zone”, aus der eigenen Bequemlichkeit auszubrechen, von bisherigen Gewohnheiten abzuweichen. Und so etwas kann seine Zeit dauern. Auf jeden Fall lohnt es sich nicht, auf irgendeine „Revolution” zu warten, sondern man fängt am besten schon bei sich selbst an, Energie aus dem aktuellen Konsumsystem abzuziehen; indem man weniger bei Konzernen kauft, die das ganze Hamsterrad in Gang halten; indem man die Hatz nach immer mehr Geld, um sich davon dann immer mehr „leisten” zu können, hinterfragt. Es bleibt also spannend!

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