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Urbanes Marketing – Einengung des öffentlichen Raums

Durch den Beitrag „Fiktion ist die beste Tarnung der Realität [1]“ im De-Branding-Blog wurde ich auf Prof. Dr. Friedrich von Borries aufmerksam, der als Architekt und Professor für Designtheorie spätestens seit seinem Werk „Wer hat Angst vor Niketown?“ (2004) als Kritiker der Zukommerzialisierung der öffentlichen Räume in modernen Städten offenbar immer wieder die momentane Entwicklung mahnend begleitet. Bei De-Branding findet sich diese bemerkenswerte Aussage (ein Auszug aus einem Interview bei heise.de [2] über seinen aktuellen Roman „1WTC“):

Ich denke, dass dies vor allem eine Haltung gegenüber der Wirklichkeit beschreibt. Wir leben in einer sehr merkwürdigen Zeit. Vieles, was Realität ist, verdrängen wir, während wir so manche Narration für bare Münze nehmen – insbesondere, wenn es Politik betrifft. Man kann diesen Anfangssatz mehrdeutig lesen: als Kritik an unserer Weltauffassung und als Schlüssel, wie man mein Buch und die darin beschriebene Geschichte verstehen kann.

In der Zeitschrift FreeLounge wurde Friedrich von Borries vor einiger Zeit ebenfalls befragt und äußerte sich wiederum kritisch zur Einengung und Zerstörung des öffentlichen Raums durch Reklame und Marketing, die sich in den modernen Städten wie ein Krebsgeschür ausbreiten. Das ausgesprochen spannende Interview gibt es auf der wortspiele.de-Website als pdf zum Herunterladen [3] – ich will hier einige Passagen zitieren, den Rest empfehle ich Euch (wie üblich) zur gepflegten Nachtlektüre auf dem Tigerfell vor dem knisternden Kamin (ja, der Herbst kommt in großen Schritten!):

(…) FreeLounge: Zu der subtilen Eroberung des öffentlichen Raumes gehört es auch, dass große Unternehmen oder Banken inzwischen ganze Plätze gestalten – man könnte spontan meinen, dass das die Kommune entlastet und beim Bürger keinen Schaden anrichtet. Trotzdem sehen Sie privatwirtschaftlich gestaltete Plätze wie das Sony Center oder den Raiffeisenplatz in St. Gallen kritisch. Warum?

Friedrich von Borries: Die Kernfrage, die jetzt ürigens auch im Rahmen der geplanten Neugestaltung des Hamburger Gängeviertels und der Errichtung eines innerstädtischen Ikea-Möbelhauses in Altona in vielen Demonstrationen und Aktionen in Hamburg gestellt wurde, ist ganz einfach: Wem gehört die Stadt? Wer stellt die Regeln auf? Die Idealvorstellung einer demokratischen Kommune ist ja, dass wir darüber verhandeln. Ob nun in Bürgerbeteiligungen oder in zeitgemäßeren Verfahren. Nicht der Geldsack bestimmt, wie der öffentliche Raum, das kostbare Lebensgut Stadt aussieht, sondern die Bevölkerung. Und da ist nun mal leider in den letzten Jahren ein Trend zur Ökonomisierung von Stadtraum erkennbar, bei dem andere Entscheidungskriterien im Vordergrund stehen als eine offene Stadt. (…)

(…) Friedrich von Borries: In Tokio heißen ganze U-Bahnstationen nach dem Kaufhaus oder der Shopping-Mall, die sich in ihrer Nähe befindet. Letztlich ist doch die Frage – auch gesamtgesellschaftlich – wie wir leben wollen. In dem schönen Film „Truman Show“ lebt die Hauptfigur in einer Reality-TV-Show, aber er weiß selber nichts davon. Irgendwann kriegt er aber raus, dass er in einem totalen Fake lebt. Auch wir können uns unsere Innenstädte gestalten wie ein schicker Themenpark, mit von Unternehmen inszenierten Erlebnisangeboten, und jede dunkle Ecke ist ausgeleuchtet. Mit Sicherheit ist das auch sicherer. Aber es ist nicht besonders real.
Es ist eine Stadt für die wohlhabenden Mittelschichten, die sich die ganzen beworbenen Produkte auch leisten können. Mich langweilt
eine solche Stadt. Und mit Freiheit hat sie auch nichts zu tun. Allerdings ist natürlich der Preis von Freiheit, das man auch weniger Sicherheit hat – denn Sicherheit bekommt man nun mal durch Kontrolle, und die steht, egal, wie subtil und unsichtbar sie ist – dem Prinzip der Freiheit diametral entgegen. (…)

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