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Sparkurs an Krankenhäusern – Privatisierung als Ziel

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© lynmeyer, stock.xchng

Dass unser Gesundheitssystem an allen Ecken und Enden krankt, ist ja nun nichts Neues – die permanenten Kostensteigerungen, hervorgerufen durch vielerlei Gründe (wie z.B. Wucherpreise bei Arzneimitteln, eine gesteigerte „Konsumeinstellung“ von Patienten gegenüber Medizin [2] uvm.), spürt jeder Einzelne an den stetig steigenden Krankenkassenbeiträgen. Direkt Leidtragende der Fehlentwicklungen sind aber nicht zuletzt die Beschäftigten in Krankenhäusern, die unter zum Teil abenteuerlichen Bedingungen ihrer gesellschaftlich so wichtigen Arbeit nachgehen müssen. Zwei Artikel, auf die ich in den letzten Tagen gestoßen bin, haben mich dazu bewogen, dieses Thema, das ja auch zum Bereich der grundlegenden Fehler unseres Systems gehören, auch hier im Blog aufzugreifen. In der Jungen Welt schreibt Mirko Knoche über „Privatisierung als Ziel [3]“ – das Schleswig-Holsteinische Uniklinikum UKSH leidet unter permenenten Etatkürzungen der Politik, mit der die schwarz-gelbe Koalition die Privatisierung der Kliniken voranzutreiben versucht:

(…) Die UKSH-Chefärzte beklagen einen massiven Ärzte- und Personalmangel aufgrund des harten Sparkurses, den die schleswig-holsteinische Landesregierung dem Krankenhaus auferlegt habe. Der Investitionsstau soll mittlerweile 700 Millionen Euro betragen. Bereinige man die offiziellen Zahlen, habe die Uniklinik Schleswig-Holstein allein 2010 Verluste von rund elf Millionen Euro eingefahren, bemängeln die Mediziner. Sie fordern einen runden Tisch mit Carstensen, um über eine bessere Finanzierung zu sprechen. »Die Hütte brennt an beiden Standorten, in Kiel und in Lübeck«, warnte Prof. Klaus Diederich, Ärztlicher Direktor des Campuszentrums Lübeck. (…)

(…) Für die Zeit nach 2015 plant Schwarz-Gelb aber den Verkauf des Klinikums, entweder ganz oder in Form der Immobilien. Die Opposition aus SPD, Grünen, Linken und dem Südschleswigschen Wählerverband der dänischen Minderheit verlangt dagegen einen Privatisierungsverzicht. Der letzte Maximalversorger Schleswig-Holsteins – ein Krankenhaus mit allen medizinischen Disziplinen – sollte nach ihrer Meinung in öffentlicher Hand bleiben. Das UKSH dürfe auch nicht »totgespart werden«, mahnte die SPD. Das Wissenschaftsministerium stelle »das Patientenwohl unter Haushaltsvorbehalt«, sagte Antje Jansen von der Linksfraktion. (…)

Unter welchen Bedingungen Krankenschwester und Ärzte in Kliniken heutzutage oft arbeiten müssen, schildert auch Der Spiegelfechter – „15% Rendite auf Kosten der Patienten – ein Irrweg der Privatisierung [4]“, dessen Ausführungen ich aus den leidgeplagten Erzählungen einer Freundin, die in Kiel an einem Krankenhaus arbeitet und dort ähnlich katastrophale Umstände und permanenten Druck auf die Beschäftigten vorfindet, nur bestätigen kann:

In letzter Zeit vergeht kaum ein Tag, an dem sich die Mitarbeiter deutscher Krankenhäuser nicht wutentbrannt an die Öffentlichkeit wenden, um auf untragbare Missstände aufmerksam zu machen. Die meisten dieser Fälle werden nur in der Lokalpresse wahrgenommen und von den professionell agierenden PR-Abteilungen der großen Krankenhausbetreiber als Einzelfälle heruntergespielt. Diese Einzelfalltheorie zerfällt jedoch wie ein Kartenhaus, wenn man die umfassenden Studien über den Pflegenotstand in deutschen Krankenhäusern genauer betrachtet. Jahrelang wurde die Rendite der Betreiber auf dem Rücken des Personals erwirtschaftet. Nun scheint ein Punkt erreicht, an dem sich das Personal nicht mehr mit den immer katastrophaler werdenden Zuständen abfinden will und sich an die Öffentlichkeit wendet. (…)

Seit dem Beginn der großen Privatisierungswelle im Jahre 1995 sind alleine in der Krankenpflege rund 50.000 Vollzeitstellen abgebaut worden [5]. Heute versorgt eine Pflegekraft rund 25% mehr Fälle als vor 15 Jahren. Eine groß angelegte Befragung des Pflegepersonals durch das Deutsche Institut für angewandte Pflegeforschung (dip) ergab, dass 60 Prozent der Befragten angaben, dass nicht in jeder Schicht ausreichend examiniertes Personal zur Verfügung stehen würde, um die Versorgung fachlich abzusichern. 40 Prozent der Beschäftigten gaben an, ein „arbeitsgefährdendes Überstundenkontingent“ angehäuft zu haben. Die jeden Monat geleisteten Überstunden entsprechen dabei einem Äquivalent von 15.000 Vollzeitstellen. Selbstverständlich geht diese Überbelastung auch auf Kosten der Pflegequalität. Die große Mehrheit der vom dip befragten Pflegekräfte gab an, dass es im Arbeitsalltag zu oft gravierenden Mängeln bei der Patientensicherheit käme. Diese Mängel betreffen unter anderem Medikation, ausreichende Hygiene und mangelnde Beobachtung der Patienten.

Als letzter Ausweg bleibt den überforderten Pflegekräften oft nur eine Überlastungsanzeige. Das Herrschaftsprinzip divide et impera (teile und herrsche) funktioniert jedoch vor allem in den privatisierten Häusern, in denen der Betriebsrat oft systematisch behindert und das Personal unter Druck gesetzt wird. Das systemische Versagen wird auf die Angestellten abgewälzt, der Druck auf die Mitarbeiter bis zum Maß der Unerträglichkeit gesteigert. Nicht wenige Mitarbeiter zerbrechen an diesem Druck und kündigen ihren Job. (…)

In dem Zusammenhang sei auch auf den lesenswerten Artikel „Die Abschaffung der Gesundheit [6]“ im Spiegel hingewiesen, der bereits 2003 konstatierte, wo das Geld tatsächlich hinfließt, das ja angeblich im Gesundheitswesen überall fehlt. An diese Profitmacherei auf dem Rücken der Bürger wagt sich leider kaum eine Partei effektiv heran; es wird eher, passend zum Thema, immer nur kurzsichtig an einigen Symptomen herumgedokort. Die Pharmalobby ist halt auch in Deutschland stark und mächtig…:

Systematisch erfinden Pharma-Firmen und Ärzte neue Krankheiten. Darmrumoren, sexuelle Unlust oder Wechseljahre ­ mit subtilen Marketingtricks werden Phänomene des normalen Lebens als krankhaft dargestellt. Die Behandlung von Gesunden sichert das Wachstum der Medizinindustrie. (…)

Um das enorme Wachstum der früheren Jahre beibehalten zu können, muss die Medizinindustrie immer häufiger auch Gesunde medizinisch traktieren. Global operierende Pharma-Konzerne und international vernetzte Ärzteverbände definieren die Gesundheit neu: Natürliche Wechselfälle des Lebens, geringfügig vom Normalen abweichende Eigenschaften oder Verhaltensweisen werden systematisch als krankhaft umgedeutet. Pharmazeutische Unternehmen sponsern die Erfindung ganzer Krankheitsbilder und schaffen ihren Produkten auf diese Weise neue Märkte.

Der Begriff “Sisi-Syndrom” beispielsweise tauchte 1998 erstmals auf: in einer einseitigen Werbeanzeige des Unternehmens SmithKline Beecham. Die betroffenen Patienten sind dem Konzern zufolge depressiv und gegebenenfalls mit Psychopharmaka zu behandeln. Allerdings überspielten sie ihre krankhafte Niedergeschlagenheit, indem sie sich als besonders aktiv und lebensbejahend gäben. Das Syndrom werde nach der österreichischen Kaiserin Elisabeth (“Sisi”) benannt, da sie den Patiententypus wie ein Urbild verkörpere. Seither hat das Schlagwort die Medien erobert und wird von Psychiatern propagiert: Inzwischen wird die Zahl der am Sisi-Syndrom erkrankten Deutschen bereits auf drei Millionen geschätzt. (…)

Die Ausweitung der Diagnosen in den Industriestaaten hat ein groteskes Ausmaß angenommen. Etwa 30 000 verschiedene Seuchen und Syndrome, Störungen und Krankheiten wollen Ärzte beim Homo sapiens ausgemacht haben. Für jede Krankheit gibt es eine Pille – und immer häufiger für jede neue Pille auch eine neue Krankheit. Im Englischen hat das Phänomen schon einen Namen bekommen: “disease mongering” – das Handeln mit Krankheiten. (…)

Wer an der kritischen Betrachtung von Medizin und Gesundheitswesen interessiert ist, sollte auch hin und wieder beim Blog Stationäre Aufnahme [7] vorbeischauen!

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