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Man mag über das ganze leidige Thema Atomkraft ja eigentlich nichts mehr hören und lesen, auch wenn sich gerade aktuell zumindest in Deutschland in dieser Richtung so viel zu bewegen scheint wie lange nicht mehr. Leider kann man unseren Politikern ihre ganzen Klimmzüge und Pirouetten nicht so wirklich abnehmen, denn eins muss klar sein: hinter der Kernenergiedebatte stehen nicht nur politische Lager und Argumente, sondern vor allem wirtschaftliche Interessen, und diese haben hierzulande natürlich Vorrang (Arbeitsplätze! Aktionärsschutz!). Christiane Grefe, Götz Hamann und Rüdiger Jungbluth haben in der ZEIT einmal eine interessante Analyse der Verstrickungen verschiedener Konzerne, von den Energieriesen bis zu Siemens, getätigt, wobei man allerdings anmerken muss, dass die Autoren die tatsächlichen Auswirkungen des Moratoriums etc. für die Konzerne stark überhöhen – „Laufzeitverlängerung: Berliner Erschütterungen“:

(…) Vier große Stromversorger – E.on, RWE, EnBW und Vattenfall – betreiben die hiesigen Kernkraftwerke. Sie gehören zu den größten und gewinnstärksten Unternehmen in Deutschland. 93 Milliarden Euro setzte E.on im vergangenen Jahr um, RWE gut 53 Milliarden. Die Gewinne lagen bei 5 Milliarden und 3,8 Milliarden Euro. Wie viel bliebe davon, wenn sie bald alle Atommeiler stilllegen müssten? Atomkraft ist ihre sicherste Gewinnquelle, und so ist der Aktienkurs von RWE und E.on Anfang der Woche um je zehn Prozent abgesackt. Viele in der Branche rechnen nun mit höheren Sicherheitsauflagen, was sich nicht für alle Meiler rentieren und die Konzerne von sich aus zu einem schnelleren Teilausstieg zwingen würde. (…)

(…) Ein weiteres Schwergewicht der Atomindustrie, der Industrieriese Siemens, befindet sich gerade in einer Übergangsphase. Die Vorgeschichte: Bald nach der Jahrtausendwende hatte sich der Münchner Konzern aus dem Geschäft mit der Kernenergie zurückgezogen. Die auf diesem Gebiet tätigen Tochterunternehmen brachte Siemens in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Framatome (später: Areva) ein. In diesem Joint Venture ist Siemens der Juniorpartner. Das Sagen hatten und haben dort die Franzosen. (…)

(…) Zwei Monate später (2009) unterschrieb Siemens-Vorstandschef Peter Löscher eine Vorvereinbarung mit dem Chef des staatlichen russischen Kernenergieunternehmens Rosatom über die Gründung eines Atom-Gemeinschaftsunternehmens. Bei der Gelegenheit nannte Löscher die Kernenergie einen »unverzichtbaren Bestandteil in einem nachhaltigen Energiemix«. Damals sah es so aus, als könnte sich der Atomkraftwerksbau in Zeiten des Klimawandels zu einem 1000-Milliarden-Euro-Markt entwickeln. (…)

Spannend ist in dem Zusammenhang auch der Blick über den großen Teich – Marc Pitzke beschreibt im Spiegel den „Pro-Atom-Kurs in den USA – Lobbymillionen für die Kernkraft“:

Präsident Obama lässt alle US-Kernkraftwerke überprüfen – doch von einem Ausstieg wie in Deutschland spricht kaum ein Politiker, selbst die Medien halten das Thema klein. Hinter den Kulissen wirkt eine mächtige Pro-Atom-Lobby, die aufs Engste vernetzt ist mit dem Regierungsapparat in Washington. (…)

(…) Die USA beziehen 20,2 Prozent ihres Stroms aus Kernkraft. Zwei Dutzend der 104 AKW in den USA haben das gleiche Design wie Fukushima. Dennoch ist die US-Atomindustrie politisch viel stärker verankert als zum Beispiel in Deutschland.

Seit vielen Jahren versorgt die Branche beide Parteien mit Millionen Dollar an Wahlkampfspenden und verklärt zugleich in irreführenden Werbekampagnen die Atomkraft zur einzigen Lösung der Klimakrise. Die Gegenstimmen bleiben leise, die Medien halten sich zurück, und die Anti-Atomkraft-Bewegung kümmert dahin. (…)

Noch grundsätzlicher geht es im Wochenthema von Der Freitag zu – in „Umsteuern: Die Welt danach“ geht Michael Jäger der Frage nach, wie eine Welt aussehen könnte, in der man nicht nur keine Atomkraft, sondern generell weniger Energie und weniger Gewinnstreben bräuchte:

Die Natur ist kein Sklave – doch der Mensch baut AKW, wo sich Kontinentalplatten reiben. Atomkraft überwinden, das hieße, die Abkehr vom Geldverdienen als Endzweck. (…)

Bei der Gelegenheit lohnt es sich vielleicht auch auf den aktuellen Artikel der Stiftung Warentest zu verweisen, in der die Ökostromangebote, die sich so auf dem Markt tummeln, einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Denn viele sind Augenwischerei oder Untersparten der großen Atomkonzerne – Wechsel auf grün:

(…) Stimmt es, dass manche Anbieter Atomstrom zu Ökostrom umetikettieren?

Ja, das ist möglich. Es gibt in Europa ein Zertifizierungssystem für Ökostrom, das „Renewable Energy Certificate System“ (RECS): Betreiber von Ökostromkraftwerken erhalten für jede erzeugte Megawattstunde Strom ein RECS-Zertifikat als Beleg für die umweltschonende Herstellung. Die Zertifikate werden getrennt vom physikalischen Strom europaweit gehandelt. So kann zum Beispiel ein Stromanbieter in Deutschland RECS-Zertifikate eines norwegischen Wasserkraftwerks kaufen und seinen Kunden damit einen Ökostromtarif anbieten, obwohl er physikalisch nur Atomstrom liefert. Im Gegenzug muss das norwegische Wasserkraftwerk seinen Strom jedoch in gleicher Menge als Atomstrom deklarieren. (…)

Kommen wir mal zu ganz was anderem – dem Konsum, meinem eigentlichen Kernthema. Immer wieder hatte ich in den letzten Jahren lesen können, dass die Absätze von Luxusgütern stetig wachsen, was man wohl als Ergebnis der immer weiter auseinanderdriftenden Einkommens-/Vermögensschere sehen kann. Im aktuellen Gespräch von Stefan Klein mit dem Moralphilosophen Peter Singer in der ZEIT dreht es sich genau darum, und auch um Nachhaltigkeit uvm. – „Wissenschaftsgespräche: Ist Luxus unmoralisch?“. Der Artikel ist sehr lang, aber lohnend, auch wenn man nicht jede von Singers Schlussfolgerungen gutheißen muss.

(…) Singer: Moralisch verhält sich, wer die Leben aller, auf die er Einfluss hat, verbessert. In Betracht ziehen müssen wir dabei nicht nur die Zeitgenossen, sondern auch jene, die noch gar nicht geboren sind – soweit wir eben die Folgen unserer Handlungen voraussehen können.

Klein: Der Nutzen muss in der Summe größer als der Schaden sein.

Singer: Ganz genau. So fällt es mir schwer, zu erkennen, wie diese Rechnung aufgehen soll, wenn jemand etwa einfach für vier Tage nach Thailand fliegt, nur um dort Urlaub zu machen. (…)

(…) Klein: Sie haben uns Bewohner des reichen Nordens mit einem Menschen verglichen, der Zeuge wird, wie ein kleines Mädchen in einem Teich zu ertrinken droht, der aber nicht ins Wasser steigt, weil er keinen Schmutz an den Schuhen will.

Singer: Ja. Wir sind moralisch nicht nur verantwortlich für das, was wir tun, sondern auch für das, was wir unterlassen. Wenn Sie lieber einen Mercedes fahren als ein günstigeres Verkehrsmittel, bitte sehr. Aber damit haben Sie auch darüber entschieden, dass Ihnen Ihre Sitzheizung wichtiger ist als das Leben eines anderen, das Sie von dem Geld hätten retten können.

Klein: Nach einer Schätzung der Vereinten Nationen würden jedes Jahr 13 Milliarden Dollar zusätzlich genügen, um für alle Menschen der Welt eine einfache Gesundheitsversorgung einzurichten. Das entspricht ziemlich genau der Summe, die wir in Europa jährlich für Speiseeis ausgeben. Ich finde solche Zahlen ermutigend, weil sie zeigen, wie viel wir erreichen können – sogar ohne großen Verzicht. Zugleich sind sie erschreckend…

Singer: …weil sie zeigen, dass unser Bekenntnis, jedes Leben sei gleich viel wert, nur ein theoretisches ist. Sobald die Sache praktisch wird, handeln wir ganz anders. (…)

Das Gegenteil von Moral finden wir tagtäglich im Bereich von Marketing und Reklame – wie ich hier im Konsumpf schond es öfteren beklagte, scheint es kaum noch Hemmschwellen, Grenzen oder Zurückhaltungen in diesem Bereich zu geben. Wenn man etwas kommerzialisieren und ausschlachten kann, wird es kommerzialisiert werden. Vorreiter (im negativen Sinne) sind die USA, an denen es eigene mit Werbung verseuchte Schulfernsehkanäle an den Schulen gibt (die aber zum Glück immer weiter zurückgedrängt werden), aber auch bei uns erreichen Schleichwerbung und Sponsoring immer neue perverse Rekorde. Ein aktuelles Beispiel leifert die taz – „Schleichwerbung in der Kita – Werbung zum Ausmalen“. Hier greifen Firmen geschickt das Dilemma von Kitas, Schulen oder öffentlichen Einrichtungen auf, nämlich den Geldmangel (der in der Regel durch die Politik als Sachzwang dargestellt wird) – und mit dem zweischneidigen Schwert von gesponserten Materialien werden in der Folge bereits die Kleinsten in die bunte verlogene Markenwelt eingeführt:

(…) Vierzehn Prozent aller Kindergärten in Deutschland befinden sich im Sponsoring-Pool der Vermittlungsfirma. Der Papiermangel wird hier mit Malbüchern und XXL-Malplakaten bekämpft. Neben den Wurstbärchen malen die Kinder die Heldinnen der Kindersendungen von Super RTL aus. Nebeneffekt: Die Plakate lassen sich nach dem Ausmalen auch aufhängen.

Etwa hundert Unternehmen arbeiten mit Blattwerk Media zusammen. Das Angebot ist breit. Unternehmen platzieren ihre Werbebotschaften auf Puzzles, Essunterlagen, Bastelmaterial, Spielen, Stiften, Zahnbürsten sowie in Mitmach-Aktionen und Gewinnspielen. Auch Produktproben bringt die Firma an das Kind. (…)

Manchmal ist in den Paketen auch etwas für die Eltern dabei, die ebenfalls zur Zielgruppe gehören, denn die Kinder zeigen ihre Meisterwerke aus den Malbüchern stolz zu Hause vor. Die Jungen und Mädchen erfahren nicht, woher die Geschenke kommen. Die seien zu klein, um das Konzept von Werbung zu verstehen, und “Malen schadet ja nicht”, fügt Astrid Meier hinzu.

Doch beim nächsten Supermarktbesuch, mit Papa vor dem Kühlregal, erkennt das Kind die Bärchen aus dem Malbuch in Fleischrosa wieder – als Bärchenstreich. Den lustigen Tiger sieht es im Saftregal. “Das Ausmalen von Identifikationsfiguren der Produktwerbung stellt natürlich ein Produktplacement dar”, sagt Petra Sandhagen, Dozentin der Medien- und Entwicklungspsychologie an der Uni Hildesheim.

Professor Peter Cloos vom Niedersächsischen Forschungsverbund Frühkindliche Bildung und Entwicklung kritisiert, dass Kinder im Vorschulalter die Wirkung von Werbung nicht reflexiv, kritisch und distanziert bearbeiten können. (…)

Aber es gibt auch Erfreulicheres zu berichten – so aus dem Bereich der Gentechnik, die vor kurzem weiter Raum zu greifen drohte, indem die Nulltoleranzgrenze von genmanipuliertem Saatgut aufgehoben werden sollte. Aber Campact und andere Organisationen hatten zu einer großen protestwelle aufgerufen, die nun tatsächlch etwas bewirkt hat – „Protest erfolgreich: Bundesrat stoppt Gentechnik im Saatgut“:

Der Protest hat gewirkt: Der Antrag zur Aufhebung der Null-Toleranz im Saatgut wurde heute im Bundesrat mehrheitlich abgelehnt. Noch am 28. Februar wurde der Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein im Agrarausschuss des Bundesrates einstimmig beschlossen. Der daraufhin ausbrechende Protest auf der Straße und im Internet bewegte schon vor dem Bundesrat-Plenum heute mehrere Ministerpräsidenten der Bundesländer dazu, sich klar für die Null-Toleranz von Gentechnik im Saatgut zu positionieren. 65.000 Unterschriften wurden gesammelt, die den Ländervertretern heute morgen bei einer Aktion vor dem Bundesrat übergeben wurden. „Diese krachende Niederlage für die Gentechnik-Lobby ist der Erfolg massiven Engagements von Bürgerinnen und Bürgern in den vergangenen Tagen“, so Astrid Goltz vom Kampagnen-Netzwerk Campact. “Ein guter Tag für die gentechnikfreie Landwirtschaft und Ernährung!” freute sich Benedikt Härlin von der Initiative Save Our Seeds, die zusammen mit Campact den Protest organisierte. Unterstützt wurden sie von einem breiten Bündnis von Organisationen, das sich für die absolute Reinhaltung von Saatgut einsetzt und das Verursacherprinzip bei Kosten fordert, die durch jegliche Verunreinigungen mit Saatgut entstehen.

Und zum Schluss noch eine zumindest oberflächlich betrachtet erfreuliche Meldung von der Discounter-Front – „Aldi fällt in der Gunst der Verbraucher zurück“. Man muss davon ausgehen, dass dies bei den meisten nicht nur an der Erkenntnis liegt, dass das Billigkonzept ein zerstörerisches Prinzip ist und die Discounter ihre scheinbar niedrigen Preise auf dem Rücken der Gesellschaft und der Angestellten erzielen, sondern wohl auch daran, dass die Konkurrenz der großen „normalen“ Supermarktketten wie Rewe und Edeka auch vermehrt auf günstige Angebote setzt.

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