Die atomare Katastrophe in Japan nimmt mittlerweile offenbar traurigerweise die grauenhaften Dimensionen an, die mancher am Wochenende, als die erste Nachrichten über die Probleme im Reaktor Fukushima 1 durchsickerten, bereits befürchtete. Nun betreibe ich hier keinen Nachrichtenblog und will keinen Ticker für die neuesten Entwicklungen vor Ort bieten, aber da dieses Unglück logischerweise die Medien beherrscht und auch auf die deutsche Innenpolitik Auswirkungen hat, will ich heute mal ein paar besonders interessante Artikel zu dieser Thematik präsentieren. Die taz berichtete schon am Samstag über den „Fukushima-Betreiber Tepco: Tricksen und täuschen“ und verdeutlicht, dass dieses Vertuschen von Problemen, das wir ja auch von deutschen Energieriesen wie Vattenfall kennen, anscheinend ein universelles Phänomen ist:
(…) Auch Asiens größter Stromversorger Tokyo Electric Power (Tepco), der drei große Nuklearkomplexe mit 17 Reaktorblöcken betreibt, stand immer wieder wegen seiner Informationspolitik am Pranger. In mindestens zwei Fällen wurden einige für Genehmigungen notwendige Reaktordaten sowie Schadensberichte aus den Atomkraftwerken gefälscht oder unterschlagen. 2003 musste Tepco deswegen alle 17 Reaktoren für eine Sonderprüfung abschalten. Tepco-Reaktoren wurden auch mehrfach bei Erdbeben beschädigt. (…)
Wie konnte es überhaupt soweit kommen, dass ausgerechnet in einem der dichtbevölkertsten Ländern der Erde, das dazu so erdbebengefährdet ist, ausgrechnet auf eine Hochrisikotechnoligie wie die Kernkraft setzt? Christoph Neidhart in der Süddeutschen Zeitung geht dem in „Atomstaat Japan – der blinde Glaube an die Technik“ nach:
Japan ist das einzige Land, das jemals Angriffe durch Atombomben erlitten hat. Doch trotz dieses nuklearen Traumas hat es dort nie eine Debatte über die Risiken der Kernkraft gegeben. Der blinde Glaube an die Technik aus der Nachkriegszeit hat sich bis heute erhalten – ungebrochen. Bis jetzt. (…)
Neben den tatsächlichen Geschehnissen ist es interessant zu sehen, wie die Medien mit der Katastrophe umgehen – letztlich so, wie man es in Zeiten des Eventwahns erwarten muss: gerne marktschreierisch (allen voran die BILD, die bislang immer pro-Atom eingestellt war und nun plötzlich Panik in die andere Richtung schürt; halt gerade so, wie es der Auflage dient), zuweilen auch geschmacklos bis peinlich. Alexander Kissler betrachtet im The European „Tod im Ticker – Sterben live“, wie die sog. „Nachrichtensender“ ihre Sendungen gestalten:
(…) Ist es angemessen, Leid und Elend, Krise und Tod, Untergang und Neuaufbau nach Art eines Sportberichts zu präsentieren? „Verfolgen Sie das dramatische Geschehen live“: So stellt man sich die Einleitung vor zu einem Pokalendspiel, einem Boxkampf oder einem Mehrnationenwettstreit, vielleicht auch zur Verleihung bedeutsamer Preise aus Kunst, Sport, Wissenschaft. (…)
Aufputschmittel Nachricht
Genau diese Konsumentenhaltung aber, die aus Nachrichten ein Aufputschmittel für die Seele macht, kann zynisch werden, wenn das Nachrichten auslösende Moment ferne Tode sind. Es mag die schlichte Anteilnahme sein oder das Entsetzen, beides zutiefst menschliche Regungen, die uns in die Katastrophen- und Kriegsticker hineinziehen. Sind wir aber einmal im Trommelfeuer der Untergänge gelandet, stecken wir schnell fest in der Pose des Elendskonsumenten.Der Sieg der Sportberichterstattung über den Nachrichtenjournalismus treibt an vielen Stätten sein Unwesen. Auch wer über Tarifverhandlungen oder Friedensgespräche berichten muss, sucht gerne sein Heil in der Sportmetapher, in der Fußballdramaturgie. Der Krisenticker treibt dieses Phänomen auf die Spitze. Er zeigt, dass wir gerne im Minutentakt uns reizen lassen und eher ungern über die Minute hinaus denken. (…)
Auch Martin Oetting ärgert sich auf CARTA in einem Brief ans ZDF über eine musikalisch ästhetisierte „Erdbebenkatastrophe als geschmackloses ZDF-Musikvideo“:
(…) Dass Sie nicht davor zurückschrecken, diese schlimmen Bilder zum Rhythmus von Musik zu schneiden, also daraus sozusagen eine Unterhaltungsshow zu formen, ist aus meiner Sicht schockierend. Ich weiß nicht, was in Ihre Redakteure gefahren ist. Und ich hoffe, dass ich so etwas in Ihrem Programm nie wieder sehen muss. (…)
Natürlich gibt es in diesen Tagen Wichtigeres als sich über die Berichterstattung zu wundern (die Medien sind eben so wie sie sind). Dass durch die atomare Katastrophe, die in Japan geschieht, nun auch die Debatte rund um die Atomkraft hierzulande (und anderswo auf der Welt) angefacht wird, ist vielleicht das Positivste, was man aus diesen Tagen ziehen kann. Auch wenn es erwartungsgemäß für die schwarz-gelbe Atomregierung schwierig wird, das Gesicht zu wahren – so versucht man es zunächst noch, kritische Stimmen als „zynisch” abzutun, weil sie die Leiden der Opfer instrumentalisiern würden. Die entsprechende Antwort findet wiederum Martin Oetting auf CARTA – „Drei populäre Irrtümer über Atomkraftgegner“:
(…) Wenn Atomkraftgegner angesichts der aktuellen Vorfälle in Japan darauf hinweisen, dass es eine gute Idee sein könnte, vielleicht die Atomenergie abzuschaffen, dann hat das nichts mit Zynismus zu tun, sondern mit Logik. Zynismus herrscht bei jenen, die einerseits den beklagenswerten Unfall in Japan betrauern und zugleich erklären, dass ansonsten alles so weitergehen müsse wie bisher. (…)
Wie kommt es überhaupt, dass die verniedlichend als „Kernenergie“ bezeichnete Atomkraft so stark vorangetrieben wurde und auch heute noch von gewissen Kreisen verteidigt wird? (Abgesehen von einer kleinen Handvoll vielleicht auch guter Argumente, die man für das Weiterbetreiben der Atomenergie zumjetzigen Zeitpunkt finden könnte (siehe einige der Kommentare zu meinem Artikel „Die Atom-Debatte reloaded“), überwiegen in meinen Augen die Nachteile und Gefahren doch bei weitem.) Andrea Soth fragt sich in Hintergrund: „Der Kernenergie-Boom und seine Nutznießer“ und listet neben den üblichen Verdächtigen, also den großen Energiekonzernen, auch die Deutsche Bank und einige andere Unternehmen auf:
(…) Für Laufzeitverlängerungen zu kämpfen, lohnt sich – aus der Sicht der Energieversorger. Deren Zusatzprofite würden nach einer Analyse der Landesbank Baden-Württemberg bereits bei zehn Jahren längerer Laufzeit mehr als 44 Milliarden Euro betragen. Bei 15 Jahren wären es 70 Milliarden Euro. Gewinne in dieser Größenordnung sind ein starkes Argument und es gibt noch weitere Gründe, mit allen Mitteln gegen eine Energiewende zu agieren: Im gleichen Maße wie der Ausbau der erneuerbaren Energien voranschreitet, schrumpft die Macht der Energiekonzerne und ihr gravierender Einfluss auf die Politik. Die Monopolstellung, mit der sie andere Energieerzeuger behindern können, wird weiter zurückgedrängt. Viel schneller als angenommen wird ein höherer Anteil erneuerbarer Energie im Netz zu einem Systemkonflikt führen, denn der steigende Anteil von Erneuerbaren hat Vorrang und die alten großen und unflexiblen Atom- und Kohlekraftwerke können nicht bedarfsgerecht an- und abgeschaltet werden. Somit werden sie überflüssig und stören sogar. Womit es für die vier Energieriesen nicht mehr nur um längere Laufzeiten oder neue Kohlekraftwerke geht, sondern auch um den Umbau und die Dezentralisierung unserer Energieversorgung, die für sie einen Machtverlust bedeutet. (…)
Ganz schlimm ist das Herumlavieren, dass wir nun von „unserer“ Regierung erleben – letzte Woche waren die deutschen Meiler alle noch sicher und Atomkraft alternativlos, weil sonst in Deutschland die Lichter ausgehen würden, und nun, im Angesicht von bevorstehenden Landtagswahlen und einer noch stärkeren Ablehnung der Kernenergie in der Bevölkerung, tun die Politiker von CDU und FDP so, als wären sie schon immer die größten Kritiker dieser Technologie gewesen. Erbärmlicheres Schmierentheater hat man auf der politischen Bühne lange nicht gesehen – da klammern sich Auslaufmodelle mit aller Kraft an die Macht… Entsprechende Kommentare finden sich dann auch in diversen Medien – so z.B. in Stefan Winterbauers „Mappus: die fleischgewordene Glaubwürdigkeitskrise“:
Der baden-württembergische CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus hat vor der Atom-Katastrophe in Japan versucht, sich als Pro-Atom-Politiker zu profilieren. Jetzt spricht er plötzlich davon, dass es kein “weiter so” geben könne. Mappus steht mit seiner offensichtlichen Taktirerei in Sachen Atom und bei Stuttgart 21 für eine fleischgewordene Glaubwürdigkeitskrise. Zuletzt zeigt er dies in einem selbstentlarvenden Interview im “heute journal”.
In diesem Interview konnte man all dies beobachten, was Stefan Mappus zu einem der derzeit wohl unbeliebtesten Politiker Deutschlands macht. “heute journal”-Moderator Claus Kleber stellte völlig zurecht die Frage, woher sein Gesinnungswandel in der Atomfrage komme, dass er nun plötzlich die umstrittene Laufzeitverlängerung für alte deutsche Atomkraftwerke auszusetzen bereit ist. Die deutschen Kraftwerke seien ja nicht plötzlich unsicherer geworden, seit dem vergangenen Donnerstag.
Wie Mappus auf diese Gretchenfrage in Sachen Glaubwürdigkeit reagierte, war entlarvend. Offenbar hatte er mit seinen Beratern vorab einen argumentativen Dreiklang komponiert, der ungefähr so geht: “Ängste ernst nehmen. Kein weiter so. Ergebnisoffen diskutieren.” Diese drei Schlagworte wiederholte der bleiche, schwitzende Mappus, der aus der baden-württembergischen Provinz Gaildorf zugeschaltet war, wieder und wieder. Egal auf welche Frage: Ängste ernst nehmen. Kein weiter so. Ergebnisoffen. Wie ein Mantra. (…)
(…) Hier zeigt sich, wie sich Mappus die Argumentationslinie bereits bis zum Ende zurechtgelegt hat. Wahrscheinlich spekuliert er darauf, dass die neuen Energienetze eben auch nicht beliebt sind – kein Bürger wünscht sich hässliche Starkstromtrassen vor der Haustür – und dass man den Atomausstieg am Ende schlicht nicht bezahlen kann. Irgendwo lugt dann schon wieder das schlimme Un-Wort “alternativlos” um die Ecke. Und so glaubt man einem wie Mappus eben nicht, dass er wirklich “ergebnisoffen” handelt. (…)
Ähnlich wird auch im Spiegel argumentiert („Die neue Anti-AKW-Bewegung“), in der Tagesschau („Merkels hilfloses Wahlkampfmanöver“), in Der Freitag („Merkel entlarvt ihre Atompolitik“) oder auch in der taz („Die Wendehälse“) und sogar im Handelsblatt („Die Kanzlerin verliert die Kontrolle“). Die Zeit hat einmal Aussagen verschiedener Unionspolitiker von „früher“ mit den aktuellen verglichen, um dieses windelweiche Lavieren zu dokumentieren – „Schwarzer Sinneswandel“:
Gestern Befürworter der Laufzeitverlängerung, heute Atomkraft-Skeptiker: Die Läuterung manchen Unionspolitikers vollzog sich in atemberaubendem Tempo. (…)
Und Bleib Passiv! stellt sich in „7 auf einen Streich“ die überaus berechtigte Frage, wieso man so plötzlich auf 7 Atomkraftwerke (zumindest vorübergehend) verzichten kann, wo sie doch noch vor ein paar Tagen so wichtig für die Versorungssicherheit Deutschlands gewesen sein sollen:
(…) Am Beschluss die Alt-Meiler sofort, wenn auch zunächst nur vorübergehend, abzuschalten, zeigt sich, dass die Befürworter der Atomkraft all die Jahre mit absurden Argumenten hantierten. Längere Atomlaufzeiten, so argumentierte Merkel noch vor kurzem, seien für die Energiesicherheit notwendig, der Umstieg auf erneuerbare Energien sei nicht so schnell zu vollziehen. Nun werden 7 der 17 (!) Kraftwerke abgeschaltet, ohne dass irgendjemand auch nur die geringsten Zweifel an der weiteren Energiesicherheit äußern würde. Auch soll, so wurde es heute verkündet, der Ausbau erneuerbarer Energien nun forciert werden. Warum dies nicht schon vorher möglich war, erklärten die Verantwortlichen von CDU/CSU und FDP nicht.
Wie sollten sie auch? Etwa mit dem Eingeständnis, dass ihnen die Sicherheit bislang weitaus weniger wert war als der Pakt mit EnBW, Eon, RWE und Vattenfall? Soviel Ehrlichkeit ist nicht zu erwarten, zumal sie selbstzerstörerisch wäre. Also werden Merkel und Co. sich weiterhin eines fadenscheinigen Neusprechs bedienen und wenig Konkretes von sich geben, wenn sie ihren abrupten Kurswechsel erklären sollen. Denn es fehlen einfach die Argumente dafür, warum der Pro-Atomkurs vor dem japanischen Unglück richtig war, es nun aber notwendig sei, diesen zu überdenken. (…)
Man darf wohl davon ausgehen, dass dieses „Moratorium“, in dem die Sicherheit nochmals geprüft werden soll, keinesfalls zu einem früheren Abschalten der Meiler führen dürfte – die „Brückentechnologie“ wird wohl eher vorübergehend ausgesetzt, um die Zeit bis nach den Landtagswahlen zu überbrücken. Kurz und knackig auf den Punkt bringt das das Titelblatt des Berliner Kuriers [via Twitpic], um mich mal in die Untiefen des Boulevards hinabzubegeben:
Sollte nun tatsächlich zumindest in Deutschland die Atomwende eingeleitet worden sein, so hat die dpa schon einmal nachgeforscht: „Wie baut man eigentlich ein Atomkraftwerk ab?“ Das ist nämlich gar nicht so einfach und nicht nur langwierig, sondern auch extrem teuer. Man darf davon ausgehen, dass die Kosten nicht ausschließlich von den Energiekonzernen getragen werden, die jahrzehntelang von den Meilern profitierten…
(…) Seit rund zwei Jahren sind Fachleute damit beschäftigt, das alte Kraftwerk Obrigheim im Ländle abzubauen. Mehr als zehn Jahre werden die Arbeiten insgesamt dauern und rund 500 Millionen Euro kosten. 275 000 Tonnen Material müssen abgebaut werden, darunter 2300 Tonnen radioaktiver Abfall. (…)
Jochen
Danke für die News zur Katastrophe. Bin gerade von Schallgrenzen hier her gekommen. Auf http://www.geigerzaehler-news.de/ gibt es noch ein paar allgemeine Infos zu dem Thema Strahlung und Strahlungssicherheit.
HF
Die Brückentechnologie baut eine Brücke ins Verderben!
Hoffe, die Wähler der kommenden Landtagswahlen berücksichtigen das Verhalten von Merkel & Co!!!!
Willetta Wortinger
Die Situation in dem Kraftwerk in Japan wird immer bedrohlicher und auf der ganzen Welt beten Leute für die Einsatzkräfte in Fukushima. Jetzt macht die eine Twitternews einer Tochter einer der Helfer die Runde: Ihr Vater hat sich für den Einsatz in Fukushima angemeldet und setzt so sein Leben für viele andere Menschen aufs Spiel. Jetzt gibt es auf actionforchange eine spannende Diskussion, wie man selbst reagieren würde. Würde der Mensch sein Leben opfern für eine große Zahl unbekannter Menschen?