Jul
12
2012
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Adbusting in Paris, London und Berlin – Kampf gegen den Reklamewahnsinn

So, wie schon angekündigt werde ich mich diese Woche mal vorrangig ums Adbusting, also das Richtigstellen von verlogener und irreführender Reklame kümmern. Heute will ich dabei aufs bewegte Bild setzen – zum einen gibt es eine schöne Aktion aus Berlin zu zeigen, wie blogbuzzter berichtet: „Russenkälte in Berlin – Pullis fürs Porno-Plakat“:

Auch Arte hat sich in den letzten Monaten einige Male um das Thema Street-Art und Adbusting gekümmert, was mich natürlich freut, denn reklamefeindliche Aktionen sind im Fernsehen ja nicht gerade übermäßig prominent zu bewundern (schließlich wollen sich die Medientreibenden nicht ins eigene Standbein schießen). Da wäre zunächst „Kunst gegen Konsum – Adbuster Eyesaw“:

Im Dunkel der Londoner Nächte macht sich Streetartist Eyesaw an Werbeplakaten zu schaffen. Sein Auftrag ist nicht nur die Zerstörung von aufdringlicher Shoppingpropaganda, sondern auch deren künstlerische Umgestaltung.

Der zweite Arte-Beitrag heißt „Adbusting in Paris“:

ThomThom und FKDL  – zwei Urban Artists, die ein Medium für ihre Aktionen gewählt haben: Werbung.  Aus ebenso aufdringlicher wie oberflächlicher Reklame machen sie wirkliche Kunst. Dürfen sie das?

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Jul
10
2012
1

H&M und beworbene Kunstprodukte

Das „Kunst“ in „Kunstprodukte“ verstehe ich hier natürlich im Sinne von „künstlich“! Ich finde, es ist mal wieder an der Zeit, in meinem Blog ein bisschen etwas Adbusting zu bringen – und so werde ich hier in den nächsten Tagen ein paar aktuelle Beispiele und Beiträge zu dem Thema vorstellen (und damit ein wenig zu den Ursprüngen des Konsumpfs zurückkehren).

Über das abartige Frauenbild, das uns die Marketingleute in ihrer Reklame aufs Auge drücken, habe ich ja schon oft berichtet. Dass die schwedische Billigmodenkette H&M, ganz vorne dran ist, wenn es um das Verbreiten eines völlig überzogenen Schlankheitswahns geht, dürfte hinlänglich bekannt sein. Schon vor einigen Jahren stellte ich in dem vielbeachteten Artikel „Werbung gegen Realität: H&M“ (einer meiner meistgeklickten Beiträge, neben z.B. der Aufklärung über die Discounter) ein sehr gelungenes Adbusting vor, das die Botschaft der Werber auf den Punkt brachte – „Hager & Mager“. (Davon, dass der Konzern die hierzulande als so cool vertriebene Kleidung oft genug unter schändlichen Bedinungen in Billiglohnländern produzieren lässt, will ich hier gar nicht erst anfangen, das ist ein eigenes Thema.)

Nun gibt es, wie ich im Internet erfahren habe, eine neue H&M-Kampagne, die für einigen Wirbel sorgt, da sie wiederum so offensichtlich mit am Computer extrem nachbearbeiteten und geschönten Models arbeitet, dass man es fast schon als Parodie auffassen muss, was uns da geboten wird. Der Blog von MINA sagt kurz und knapp „H&M: Fick dich“ dazu. Bemerkenswert finde ich vor allem die Feststellung im zweiten Absatz, die mir so bislang auch nicht bekannt war:

(…) Und H&M hält mir alle 50 Meter auf großen Plakaten unter die Nase, wie ich bitteschön auszusehen hätte. Es macht mich wütend. Es macht mich komplett rasend. Ich warte auf den Moment, an dem ich die Plastikscheiben einschlage um die abgebildeten Plastikmodelle zu zerreißen.

Warum? Nun, fangen wir doch zum einen Mal damit an, dass H&M sogar offen zugibt, dass sie computergenerierte Körper nutzen, die keiner natürlichen Person gehören, und dann Modelköpfe drauf photoshoppen. Bäm! Wie, dachtet ihr etwa es gibt Menschen, die so aussehen können? Haha. Irgendwo bei H&M sitzt ein Marketingmanager mit einem riesigen Trollface und lacht euch aus. Sie haben ethnisch korrekt sogar die Hauttöne leicht geändert. Ist das nicht toll? Haha. Zugegeben haben sie es auch schon selbst.

Das Irrwitzige dabei ist, dass man uns das Aussehen der Modells als natürlich und gesund verkaufen möchte. Entschuldigung, aber soll ich lachen oder weinen? Bei solchen Ärmchen zeichnen sich normalerweise die Rippen zählbar ab. Bei solchen Bäuchen könnte kein Model 500m Laufen. Woher soll sie auch irgendetwas nehmen, was sie verbrennen könnte? Aber nein, uns wird weiter suggeriert, mit gesundem Essen und Sport könnte man dieses Ideal erreichen. Sagen die Stars doch dauernd. Dass sie dabei rigorose Workout-Programme haben und Köche die spezielles Essen zubereiten, falls sie überhaupt essen, dass sie wie Schlote rauchen um den Appetit zu kontrollieren, all das wird verschwiegen. (…)

Und trotzdem lassen wir das mit uns machen. Warum? Und auch die Medien scheinen höchstens die Körperbräune der H&M Kampagne zu kritisieren. Da macht es auch keinen Unterschied, dass die Vogue jetzt nur noch Models verpflichten möchte, die nachweisbar über 16 (oho) sind und “nicht magersüchtig” (schöne Definition. I lol’ed), und dass Israel einen Minimum-BMI für Models eingeführt hat. Nein, denn die Bilder werden akzeptiert. In einer Welt, in der mehr Kinder, Jugendliche und Erwachsene Essgestört sind als je zuvor, in der uns die mediale Welt vorgibt dass Glück, Erfolg und sogar Liebe eng mit dem Aussehen verknüft sind, wie können wir das zulassen?

Ach. H&M, auch in Vertretung für alle Anderen. Fick dich. (…)

Es ist kein Wunder, dass sich also auch alsbald aktiver Widerstand gegen die visuellen Zumutungen von H&M regt – in Hamburg haben sich einige Adbuster etwas Schönes einfallen lassen und die Plakate mit Photoshop-Werkzeugpaletten beklebt, um die Künstlichkeit der Reklame herauszustreichen (siehe den Dead Cat Bounce-Blog – „H&M Photoshop-Adbusting“).


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Jun
04
2012
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Lesetipps: Red-Bull-Kapitalismus | Kreuzfahrten | Soziale Netzwerke | Gärtnern in der Stadt

Da ist er also, der Juni. Kein Sommer in Sicht, also ideale Voraussetzungen, um ein bisschen was zu lesen. Beispielsweise das Feature des Freitag über den Red Bull-Konzern und seine epidermische Ausbreitung im Sportbereich. Mal unabhängig davon, was man nun von der Blubberbrause halten mag, ist das Vorgehen von RB „beispielhaft“ – in dem Sinne, dass man sieht, in welche Richtung sich der Sport bewegen wird, da er den gleichen Gesetzen der kompletten Durchkommerzialisierung unterworfen ist, wie andere Lebensbereiche auch. Schön ist das nicht. „Red-Bull-Kapitalismus“:

Red Bull ist mehr als ein Getränk, ein Energiespender, ein Lebensgefühl. Ja, es ist mehr als nur ein Produkt. Es verkörpert die aktuellste Form des Kapitalismus

Getränke eignen sich als Prophezeiungen des jeweils neuesten Stadiums des Kapitalismus besonders gut. In ihnen sind die Aspekte von Lebens- und Genussmittel, Differenz und Mainstreaming, Image und Illusion besonders ausgeprägt – und das umso mehr, als sich die Welt gerade das Rauchen abgewöhnt. Die meisten von ihnen kokettieren damit, mehr als ein Getränk zu sein, Lifestyle und Lebensfreude auszudrücken oder auch einen besonderen Status zu haben: die legale Droge. Wenn im Folgenden also vom verflüssigten Kapitalismus im weiteren Sinne und den Red-Bull-Kapitalismus im engeren Sinne die Rede ist, dann um zu beschreiben, wie die Macht vom Produzenten auf den Distribuenten übergegangen ist. (…)

Der entscheidende Impuls für eine Distributionsdominanz in Postdemokratie und Neoliberalismus ist die Verknüpfung eines (mehr oder weniger virtuellen) Produkts mit den Sphären der Freizeit und der Medien, aber auch mit anderen kontrollierbaren und übernehmbaren „Events“ und Institutionen wie Kunst, Pop und sogar Medizin, Politik und Bildung – kurz gesagt: die Blödmaschinen. Die Dominanz kann sich auf dem Freizeit- und Kulturmarkt realisieren, weil sie zu Blödmaschinen geworden sind, und umgekehrt werden Medien, Spektakel und „kulturelle“ Institutionen zu Blödmaschinen, weil sie sich für die Herstellung und Festigung der Distributionsdominanz oligarchischer Interessen zu Beihelfern machen lassen. Die Medien sind nicht einfach „Opfer“ von Ökonomisierung und Privatisierung, sondern sie sind Teil der Wandlung des Produktions- in den Distributionskapitalismus. Daher geht es eben nicht allein um die „Kultivierung“ einer Marke wie „Red Bull“, sondern vielmehr um die Red-Bullisierung kultureller Institutionen. (…)

Ebenfalls sich ausbreitend wie die Pest sind Kreuzfahrten – früher ein exklusiver Luxus für wenige, heute längst Massentourismus. Mit den in unserem Wirtschaftssystem nahezu zwangsläufigen Folgen: Umweltverschmutzung, Ausbeutung und Profitmaximierung auf dem Rücken der Kunden. Darüber berichtete vor einer Weile pressetext.at: „Kreuzfahrten: Kundenabzocke auf Dreckschleudern. Schifffahrtsbranche anlässlich des Titanic-Jahrestages unter Druck“:

Kreuzfahrten sind weniger sicher als Anbieter propagieren, nehmen Kunden wie auch Beschäftigte aus und schaden der Umwelt. Mit scharfer Kritik durchkreuzt Ross A. Klein von der Memorial University in St. John’s http://ucs.mun.ca anlässlich des 100. Jahrestages der Titanic-Katastrophe die gängigen Vorstellungen über die “weißen Riesen der Weltmeere”. Mit sozial- und umweltverantwortlichem Urlaub hat die Branche gar nichts zu tun, so das Resümee des Kreuzfahrt-Kritikers. (…)

(…) Ein weiterer Kritikpunkt der Meeres-Kolosse sind deren verheerende Ökobilanz. “Pro Passagierkilometer produziert ein typisches Kreuzfahrtschiff mehr als drei Mal so viele Treibhausgase pro Kilometer als eine Boeing 747. Grund dafür ist das Schweröl, mit dem die Schiffe unterwegs sind”, erklärt Greenpeace-Meeresbiologin Antje Helms http://greenpeace.at auf Anfrage von pressetext. (…)

Kommen wir mal lieber zu erfreulicheren Trends – wie dem, dass auch in Städtenimmer mehr Selbstversorgung via eigenen oder Gemeinschaftsgärten betrieben wird. Karmakonsum brachte vor kurzem eine Rezension des Buches „Gärtnern in der Stadt“ von Martin Rasper, das sich mit dieser Entwicklung befasst:

Nachdem das Buch deutlich gemacht hat, warum das Gärtnern gerade in Zeiten einer vernetzten Welt über die private Ebene hinaus auch eine sehr politische Angelegenheit ist, gibt es zu guter Letzt noch wunderbar nützliche Tipps für die eigene Umsetzung, die nachdem man dieses Buch gelesen hat, nicht lange auf sich warten lassen dürfte. Um mit den etwas schrägen Worte aus dem Buch zu schließen: „Vielleicht haben die Gärten sich vorgenommen, die Welt zu retten. Wir sollten sie dabei unterstützen.“

Übrigens, die Webseite gutenahrung.de hat eine interessante Infografik über die Essgewohnheiten der Deutschen veröffentlicht:

Nahrung und Ernährung Deutschland
Via: Gute Nahrung

Was täten wir nur ohne die „sozialen Netzwerke“ im Internet? Kaum etwas (vielleicht noch neben Ebay und Pornoseiten) hat dem Netz so zum Durchbruch bei der breiten Masse verholfen wie die Möglichkeit, sich mit seinen Freunden und virtuellen Bekannten zu vernetzen und auszutauschen. Claudia Klinger macht sich in „Von der Personalisierung des großen Gesprächs“ so ihre Gedanken über die möglichen (negativen) Folgen und Nebenwirkungen einer Facebook-„Gefällt mir“-Kultur:

(…) Ok, das kann und darf jeder machen, wie er mag. Erwähnenswert erscheint es mir, weil ich ja selber merke, dass das Kommentieren auf Blogs abgenommen hat, und dass sich immer mehr Menschen den andersartigen Strukturen der “Sozialen Netze” unterwerfen, um sich auszutauschen. Anders als Blogartikel und Foren sind Gespräche in diesen Netzen nicht nach Themen strukturiert, sondern entlang an Personen – eine grundstürzend ANDERE Situation mit Folgen für das “große Gespräch der vielen mit den vielen”, die kaum mal diskutiert werden.

Wenn Personen wichtiger werden als Themen

Eine Diskussion unter dem Original-Artikel im Blog des Verfassers ist ein duch Thema und Autor/in definier- und erinnerbarer “öffentlicher Ort”. Ein virtueller, jedoch beständiger Platz, der als Agora dienen kann, wo man sich den gemeinsamen Belangen widmet.

Wogegen in den sozialen Netzen nur chaotische Vernetzungen verschiedenster Individuen existieren, die vielfach “Things” (Artikel, Videos…) verlinken, wobei gelegentlich unter solchen Verlinkungen Gespräche entstehen. Gespräche, die aber niemals “alle” zu gleichen Bedingungen lesen können, denn A ist ja mit B, C und D vernetzt, wogegen ein User E es nicht mitbekommt, wenn er nicht auch A abonniert/eingekreist hat.

So ergeben sich geschichtslose Kurzzeit-Stimmfühlung-Partys, die binnen Stunden, spätestens Tagen aus der “Sicht” geraten. Letzteres gilt auch für die seltenen hochkarätigen Diskussionen – z.B. die kürzliche Diskussion über Urheberrecht, die ich jetzt nur wieder finden kann, indem ich in den Postings von Stefan Münz zurück blättere, durch dessen Hinweis ich sie fand. Wobei ich mich nur deshalb an die Herkunft der Info erinnern kann, weil ich Stefan seit den Anfängen des Webs kenne. Für die meisten meiner “Vernetzten” gibt es solche Erinnerungsstützen nicht. (…)

Dass Facebook auch ein Tummelplatz für Leute mit „aggressivem Narzissmus“ ist, vermeldet der Guardian: „Facebook’s ‘dark side’: study finds link to socially aggressive narcissism“ (mal ehrlich – geahnt haben wir das doch schon immer! :-) :

Researchers have established a direct link between the number of friends you have on Facebook and the degree to which you are a “socially disruptive” narcissist, confirming the conclusions of many social media sceptics.

People who score highly on the Narcissistic Personality Inventory questionnaire had more friends on Facebook, tagged themselves more often and updated their newsfeeds more regularly.

The research comes amid increasing evidence that young people are becoming increasingly narcissistic, and obsessed with self-image and shallow friendships. (…)

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Mai
13
2012
3

Lesetipps: Ist Werbung böse? | Aldi | Rotes Utopia | Konsumentenmacht | Medikamentenpreise

Naja, eigentlich sollte ich nach den Kampagnen, die der Spiegel z.B. gegen die Piraten gefahren hat, besser keine SpOn-Artikel mehr verlinken, aber ich will es heute doch mal tun – befasste sich das ehemalige Nachrichtenmagazin doch vorletzte Woche mit einem meiner Lieblingsfeinde, nämlich dem Discounter Aldi. Sogar eine Titelgeschichte widmete man dem Treiben des Billigheimers, dessen Methoden Vorbild für all die anderen Ausbeuterbutzen wie Lidl, Netto etc. sind. Insbesondere auch, was die negativen Folgen dieses Preis- und Kostendrucks anbelangt. Das Spiegelfeature enthielt jetzt zwar nicht so fürchterlich viele Infos, die mir und den Lesern meines Blogs komplett neu wären, und wie üblich wird auch nur ein verengter Fokus auf die Arbeitswelt betrieben, der die schädlichen Auswirkungen der Wegwerfprodukte auf Umwelt und Gesellschaft ausblendet, aber immerhin. Jeder, der beim Discounter einkauft, sollte daran denken, welches Geschäftsprinzip er damit unterstützt. „Ex-Manager Straub berichtet über Überwachung und Kontrolle“:

Andreas Straub legte bei Aldi Süd eine steile Karriere hin. Mit 22 Jahren fing er bei dem Discounter an, bereits ein Jahr später war er als Bereichsleiter für mehrere Filialen zuständig. Als einer der Besten seines Jahrgangs hatte der Jungmanager ein Nachwuchsprogramm bei Daimler absolviert. Doch der Autokonzern erschien ihm zu träge, darum heuerte er bei Aldi an. Eigene Ideen einbringen und Innovationen umsetzen – das war Straubs Traum.

Doch die Ernüchterung folgte schnell. Nun avanciert Straub zum Feindbild des Konzerns. Er hat ein Buch geschrieben, in dem er ein dunkles Bild von Aldi zeichnet: Mit strengen Kontrollen würden Mitarbeiter gegängelt, Kritiker abserviert, knallharte Personalpolitik und Rauswürfe, so Straub, sollen die Kosten drücken. Auch er musste schließlich gehen. Im Interview berichtet er, wie Aldi tickt. (…)

Mitarbeiter bei Aldi-Süd filmten heimlich Kundinnen“:

Aldi-Kundinnen sind von Managern des Discounters nach SPIEGEL-Informationen heimlich beim Einkauf gefilmt worden. Das Interesse der Filialleiter weckten demnach vor allem Frauen in kurzen Röcken oder mit ausgeschnittenen Tops, sobald sie sich über Kühltheken beugten oder vor Regalen bückten. Dann zoomten die Aldi-Angestellten mit der Kamera heran. Hinterher wurden die Filme auf CD gebrannt und ausgetauscht. Dies geschah in Aldi-Märkten in Frankfurt am Main, in Dieburg und anderen hessischen Filialen. (…)

Besonders empörend – die reichsten Männer des Landes nehmen auch noch den Steuerzahler aus: „Aldi sackt seit Jahren staatliche Subventionen ein“:

(…) Der Discounter Aldi erhielt in den vergangenen Jahren staatliche Subventionen in beträchtlicher Höhe. Sowohl Aldi Nord als auch Aldi Süd hatten nach SPIEGEL-Informationen beim Bundesamt für Güterverkehr (BAG) Fördermittel für Unternehmen des Güterkraftverkehrs beantragt. Warum und in welcher Höhe der Handelskonzern mit einem weltweiten Umsatz von 57 Milliarden Euro staatliche Unterstützung für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen bekam, ist unklar.  (…)

(…) “Es ist ärgerlich, als Abgeordnete im Nebel stochern zu müssen und keine klaren Auskünfte zu bekommen, was mit Steuergeldern und Fördermitteln eigentlich passiert”, sagt Wilms. “Die Förderungen sollen bei der Aus- und Weiterbildung helfen und nicht das Sparprogramm eines Discounters aufpeppen. Sollte ein milliardenschwerer Laden wie Aldi tatsächlich diese Gelder anzapfen, wäre das unverschämt.” Sowohl Aldi Süd als auch Aldi Nord bestätigten den Erhalt der Subventionen, verwiesen aber auf die erfolgreiche Prüfung durch das BAG. (….)

Genauso unverfroren ist das, wie die CDU der Pharmaindustrie zuarbeitet – „Union will Medikamentenpreise geheimhalten“, wie die Süddeutsche Zeitung berichtet:

Wieviel zahlen Krankenkassen Pharmakonzernen wirklich für neue Medikamente? Diese Information möchten die Arzneimittelhersteller verbergen, denn sie fürchten Umsatzeinbußen im Ausland. Die Union will die geforderte “Vertraulichkeit” nun sogar gesetzlich festschreiben – und untergräbt damit eigene Bemühungen zur Reduzierung der Preise. Der Bundestag verzichtet auf eine Debatte.

Die Unionsfraktion will eine der zentralen Forderungen der Pharmaindustrie erfüllen. Künftig sollen die zwischen Herstellern und Krankenkassen vereinbarten Preise für neue Medikamente geheim gehalten werden. Die Pharmaindustrie erhofft sich dadurch höhere Erlöse. (…)

Anlässlich solcher Entwicklungen muss man sich schon fragen, was der einzelne Käufer und Konsument hier tun kann – und genau dieser Frage geht nachrichten.at in einem Interview mit der Autorin Kathrin Hartmann nach – „Der Konsument hat keine Macht“:

(…) Dennoch gab es einen Riesenrummel um die „Lohas“ (Lifestyle of Health and Sustainability), also um Leute, die durch ihren Konsumstil Gesundheit und Nachhaltigkeit fördern wollen …

Da ging es um nichts anderes als ums Konsumieren. Das wurde als die neue, frische Ökobewegung verkauft, hatte aber mit der alten Öko-Bewegung nichts zu tun. Und so kann man im Biosupermarkt im Jänner eingeflogene Erdbeeren mit scheinbar gutem Gewissen kaufen. Im Grunde ist das Gegenteil erreicht worden. Bio passt sich immer mehr dem Mainstream und dem Massenmarkt an. Die Landwirtschaft ändert sich wenig – die Politik gar nicht.

Deshalb sollte man nicht aufgeben, bewusst einzukaufen, oder?

Nein. Aber es soll einen nicht beruhigen. Man sollte nicht zu sich sagen: Damit habe ich meinen Beitrag geleistet. Wir können nur wirklich etwas ändern, wenn wir aufhören so zu tun, als wäre der Einzelne für die Weltrettung zuständig. Das ist Unfug. Wir sollen nicht dauernd von der Macht des Konsumenten reden, sondern wieder lernen, uns einander als Gemeinschaft zu vertrauen. Der Konsument hat keine Macht. Einkaufen macht niemandem Angst – es ist das, was Wirtschaft und Politik von uns wollen. (…)

Tobias Radloff befasste sich neulich in seinem Blog Kaffee. Satz. mit einem anderen meiner Lieblingsthemen, nämlich der Reklame. Er hat das Buch „Brandwashed“ gelesen und beleuchtet es in seinem Artikel „Ist Werbung böse?“:

(…) Wozu also das Geschrei? Ich bin ja nicht erst gestern auf die Welt gekommen. Ich bin ein aufgeklärter Konsument, freier Wille und so, ich lasse mich nicht von der Werbung manipulieren, sondern kaufe das, was ich kaufen will.

Das dachte ich jedenfalls. Dann las ich „Brandwashed“, und ich war erschüttert.

Ich hatte gedacht, so schlimm werden die Methoden der Werbung schon nicht sein. In Wahrheit sind sie viel schlimmer. Es ist unglaublich, wie tief die Trickkiste ist, in die sie greifen, um mich zum Geldausgeben zu verleiten. (…)

  • Auf Kinder und Heranwachsende wird ganz gezielt Gruppendruck ausgeübt. Der Druck, die richtige Markenkleidung zu tragen, nimmt dabei zum Teil solche Ausmaße an, dass sich die Schulen nur durch einheitliche Schulkleidung zu behelfen wissen. Und das US-Unternehmen „Girls Intelligence Authority“ stattet weibliche „Tweens“, d.h. Mädchen zwischen 10 und 13 Jahren, mit Gratis-Kosmetika und anderen Produkten aus, die sie dann auf gesponserten Pyjama-Partys ihren Freundinnen vorführen dürfen.
  • Apropos Kinder: Werber machen nicht einmal vor Ungeborenen Halt. Ein Fötus ist in der Lage, Geräusche wahrzunehmen und bekommt über das Fruchtwasser Geschmacksempfindungen seiner Mutter übermittelt. Im Klartext: Er ist in der Lage, das zu hören und schmecken, was seine Mutter hört und schmeckt. Da der Mensch aber auf bekannte Reize positiver reagiert als auf fremde, sind schon bei wenige Tage alten Babys Vorlieben für bestimmte Marken beobachtet worden – nämlich für die Marken, die sie im Mutterleib kennengelernt haben. (…)

Je länger ich über „Brandwashed“ nachdenke, umso stärker drängt sich mir folgende Frage auf: Was könnten Lindstrom und seine Kollegen alles erreichen, wenn sie ihre Kreativität auf etwas anderes als auf Marketingstrategien, Kundenmanipulation und consumer insight richten würden? Welche Kunstwerke könnten sie schaffen, wie viel Gutes könnten sie in der (ernsthaften) Forschung erreichen, wie viele Kindertagesstätten könnten sie unterhalten? Stattdessen verwenden ihre Intelligenz darauf, möglichst viele Menschen dazu zu bringen, dieses Auto oder jene Kaffeesorte zu kaufen, und „Brandwashed“ macht es mir schwer zu glauben, dass ihnen nicht jedes Mittel dafür recht sei. (…)

Zum Abschluss noch mal was Visionäres – ein „rotes Utopia“, wie der Spiegel in seinem Artikel über ein „Kommunisten-Dorf“ in Spanien schreibt – „Leben im roten Utopia“:

Ganz Spanien leidet unter der Wirtschaftskrise. Ganz Spanien? Im andalusischen Dörfchen Marinaleda regiert Juan Manuel Sánchez Gordillo, seine Bürger haben Arbeit, Häuser, grüne Gärten. Wie schafft der Kommunist das nur?

(…) “Die Menschen hier brauchen nicht viel Geld,” sagt Bürgermeister Sánchez Gordillo. “Anderswo wird unter der Last von Hypotheken und Krediten gestöhnt, hier zahlen wir für das Baumaterial unserer Häuser der Gemeinde 70 Jahre lang 15 Euro im Monat ab, dann gehören sie uns.” Der Mann weiß, wovon er spricht, er lebt selbst in einem der schmucken Häuser, die sich die Einwohner Marinaledas in Selbstbeteiligung bauen. Das Dorf stellt Bauland und Material, die Arbeitskraft stellen sie selbst. 350 Häuser sind auf diese Art und Weise bereits entstanden.

“Man kann Menschen nur überzeugen, wenn man ihnen ein Vorbild ist,” sagt Sánchez Gordillo, der jüngst auch in das andalusische Parlament gewählt wurde. Auch er hat nur das Einkommen zur Verfügung, von dem seine Mitbürger leben. Dafür ist er Tag und Nacht unterwegs im Dienst der Revolution. “Eine andere Welt ist machbar!” steht über dem Eingang zum Haus des Volkes, in dem die regelmäßigen Vollversammlungen des Dorfes stattfinden. (…)

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Mrz
26
2012
10

Fernsehtipps: Billige Brötchen und die größten Werbelügen

Heute Abend gibt es im N3-Fernsehen gleich zwei interessante kritische Dokus zu bewundern, auf die ich an dieser Stelle kurz hinweisen möchte. Im Rahmen der Reihe 45 min wird um 22 Uhr „Billige Brötchen“ gezeigt:

Brot und Brötchen entstehen immer öfter als industrielles Massenprodukt in großen Fabriken. Zwar müht sich die Branche, das Image von Tradition und Handwerk nach außen zu verkaufen. In Wirklichkeit aber nutzen viele, die noch im eigenen Laden backen, auch schon Fertigmischungen. Andere lassen sich tiefgefrorene Teiglinge anliefern, die irgendwo in Europa produziert werden. Moderne Backwaren sind zunehmend auch Hightech-Produkte der Lebensmitteltechnik. Um den komplexen Anforderungen industrieller Massenproduktion zu genügen, muss die Branche immer häufiger zu raffinierten Tricks und Techniken greifen.

Bereits um 21 Uhr läuft der zweite Teil von „Die größten Werbelügen“, wobei „Werbung“ und „Lüge“ ja bekanntlich eh Synonyme darstellen.

Man soll nicht alles glauben, was die Werbung verspricht. Aber wie dreist Verbraucher manchmal von der Werbung belogen und getäuscht werden, ist weitestgehend unbekannt. NDR Reporter haben intensiv recherchiert, Werbespots untersucht und Werbebotschaften auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft.

Der Film zeigt die übelsten Tricks der Werbeindustrie, zum Beispiel Werbung mit Ärzten, die gar keine Mediziner sind, oder Werbung mit dubiosen Testsiegeln. Besonders spannend und witzig sind die Reaktionen von prominenten Zeitgenossen, die die größten Werbelügen vorab schon mal sehen durften.

 

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Mrz
15
2012
16

Wie die Industrie aus Kindern Junkfood-Junkies macht

Es ist – zumal für Leser meines Blogs – eigentlich keine neue Erkenntnis, die uns Foodwatch da vorgestern als Ergebnis einer Studie vorlegte. Die Angebote der Nahrungsmittelindustrie, die speziell auf Kinder abzielen (in Aufmachung, Reklame, Rezeptur) wurden gründlich unter die Lupe genommen, und für überwiegend zu süß, zu ungesund, zu fett befunden. Trotzdem werden diese Produkte von der Marketingmaschinerie der Konzerne ungestraft als „gesunde Mahlzeit“ o.ä. angepriesen – während in anderen Ländern Reklame für Kinder sogar schon verboten ist, darf hierzulande noch gelogen werden, dass sich die Balken biegen. Natürlich sind auch die Eltern dafür mitverantwortlich, was die Kinder zu sich nehmen, aber solange die Unternehmen gehirnwäschegleich ihre Desinformationen ausstreuen, wird es für viele schwierig, Fakten von Märchen zu trennen. Ein Mitglied der Konsumpf-Facebookgruppe fragte zu Recht, was eigentlich in den Köpfen von Unternehmern, Herstellern, Werbeleuten, Händlern vor geht, dass sie hier nicht selbst die Reißleine ziehen – und statt dessen den eigenen Profit vor das Wohl der Kinder setzen.

Hier nun also zur Foodwatch-Studie „Wie die Industrie aus Kindern Junkfood-Funkies macht“:

Unausgewogene Produkte, perfides Marketing und überbordende Lobbyarbeit: Die Lebensmittelindustrie leistet keinen Beitrag zur ausgewogenen Ernährung von Kindern, sondern trägt massiv zur grassierenden Fehlernährung bei. Das belegt der Report „Kinder kaufen“, den foodwatch heute in Berlin vorstellte.

Das ist das Problem: In Deutschland sind 15 Prozent der Kinder übergewichtig, 6 Prozent sogar adipös – ihnen drohen Krankheiten wie Diabetes, Gelenkprobleme, Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Im Vergleich zu den 80er und 90er Jahren ist der Anteil übergewichtiger Kinder um 50 Prozent gestiegen. Der wichtigste Grund für das Übergewichtsproblem: Kinder ernähren sich falsch. Sie essen zu viele Süßigkeiten, fettige Snacks und Fleisch, trinken zu viel Limonade; Obst und Gemüse kommen dagegen zu kurz.

Das ist der Stand: Ein umfassender Marktcheck von foodwatch zeigt: Das Angebot an industriellen Kinderlebensmittel besteht fast ausschließlich aus Süßigkeiten und Snacks. Dieses Junkfood drängt die Industrie den Kindern mit perfiden Marketingstrategien auf – und verhindert jede Regulierung, angefangen bei einer transparenten Nährwertkennzeichnung, durch massive Lobbyarbeit. Die Hersteller sind damit mitverantwortlich für die schlechte Ernährung der Kinder.

Das fordert foodwatch:
  • Industrie in die Verantwortung nehmen: Die Lebensmittelindustrie muss dort Verantwortung übernehmen, wo ihre Verantwortung tatsächlich liegt: In der Produktion ausgewogener Kinderlebensmittel – nicht in PR-trächtigen Alibi-Maßnahmen wie Bewegungsinitiativen und Ernährungstipps für den Schulunterricht. Die Verantwortung für die Fehlernährung von Kindern darf nicht auf die Eltern abgewälzt werden!
  • Kein Kinder-Marketing für Süßigkeiten: Produkte, die nicht ausgewogen sein können (wie Süßigkeiten) dürfen nicht länger als Kinderprodukte beworben und mit Comicfiguren, Spielzeugbeigaben, Gewinnspielen oder Idolen direkt an Kinder vermarktet werden.
  • Werbefreie Schulen: Schulen und Kindergärten müssen werbe- und PR-freie Räume werden.
  • Schluss mit der Alibi-Sport-Förderung durch die Industrie: Die Junkfood-Industrie ist kein geeigneter Partner für den Staat, für Schulen und Sportverbände wie den Deutschen Fußballbund (DFB). Sponsoring-Partnerschaften und gemeinsame Programme zur Bewegungsförderung oder Übergewichts-Bekämpfung dienen den Unternehmen als Ablasshandel und müssen beendet werden.

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Mrz
02
2012
3

Lesetipps: Angst macht böse | Verlierer der deutschen Krise | Geplante Obsoleszenz | Der Barbar als Kulturheld

Es ist schon ein bisschen her, dass ich mal meine Rubrik Lesetipps mit ein paar neuen Preziosen aus dem Netz bestückt habe – heute will ich das endlich mal nachholen und ein paar Artikel vorstellen, die bei mir in der Warteschleife hängen. Zunächst, ganz aktuell, den kleinen Beitrag „Die Verlierer der deutschen Krise“ aus der Zeit, in dem sich Wolfgang Höhler-Brockmann kritisch mit der momentanen Entwicklung in unserem „Musterländle“ (jedenfalls bemühen sich viele deutsche Medien, Deutschland als herausragende Lichtgestalt in der internationalen Wirtschaft darzustellen) auseinandersetzt:

Halb Europa befindet sich im Abschwung, nur Deutschland angeblich nicht. Dabei hätten wir alle Grund zur Sorge, meint Leser Wolfgang Höhler-Brockmann. (…)

(Diesen Beitrag weiterlesen…)

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Jan
30
2012
6

Werbung am Rande der Apokalypse (5. und letzter Teil)

So, und heute kommt dann endlich der letzte Teil meiner Übersetzung des Artikels „Advertising at the Edge of the Apocalypse“ von Prof. Sut Jhally über die fatalen Folgen der Reklame (und unseres auf Wachstum basierenden Wirtschaftssystems) auf unsere Gesellschaft. Teil 1 findet Ihr HIER, Teil 2 HIER, Teil 3 HIER und Teil 4 HIER.

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Die Vorstellung von einer anderen Zukunft

Vor über 100 Jahren beobachtete Marx, dass es zwei Richtungen gab, die der Kapitalismus nehmen konnte: in Richtung eines demokratischen „Sozialismus“ oder einer brutalen „Barbarei“. Sowohl langfristige wie auch aktuelle Erkenntnisse scheinen darauf zu deuten, dass wir die zweite Richtung eingeschlagen haben – außer es gelingt uns, schnell alternative Werte zum Tragen zu bringen.

Viele Leute dachten, dass die Umweltkrise der Dreh- und Angelpunkt für das Nachlassen internationaler Spannungen sein könnte, weil wir unsere Abhängigkeit und unsere kollektive Sicherheit und Zukunft auf dem Spiel sahen. Aber wie die Irak-Kriege deutlic machten, wird die Neue Weltordnung auf der Basis des Kampfs nach knappen Ressourcen gebildet. Bevor die Propaganda die Gründe zum „Kampf für Freiheit und Demokratie“ verschob erinnerte George Bush die Amerikaner daran, dass die Truppen in den Golf geschickt werden, um die Ressourcen zu schützen, die „unsere Lebensweise“ zu beschützen. Eine Automobilkultur, die so wie die unsrige auf Produkten basiert, hängt unweigerlich von billigen Ölquellen ab. Und wenn die Kosten dafür 100.000 tote Iraker sind, dann muss das halt so sein. In solch einem Szenario werden die Menschen der Dritten Welt als Feinde angesehen, die unsinnige Ansprüche auf „unsere“ Ressourcen erheben. Die Zukunft und die Dritte Welt kann warten. Unsere kommerziell dominierter Kulturdiskurs erinnert uns jeden Tag mit Macht daran, dass wir alles sofort brauchen. In diesem Sinne ist der Golfkrieg eine Vorschau auf das, was kommen wird. Wenn der Welt die Ressourcen ausgehen, werden die stärksten militärischen Kräfte aktiviert, um den Zugang sicherzustellen.

Die destruktiven Aspekte des Kapitalismus (seine kurzfristige Ausrichtung, das Leugnen kollektiver Werte, die einseitige Betonung des Materiellen) werden inzwischen auch von einigen Menschen erkannt, die ihr Vermögen mit Hilfe des Marktes gemacht haben. Der zum Philantropen mutierte Milliardär George Soros sprach 1997 über die „kapitalistische Bedrohung“ und in bezug auf die Kultur ist die Werbung die Hauptstimme dieser Bedrohung. In dem Maße, wie sie uns in Richtung materieller Dinge zur Befriedigung und weg vom Aufbau sozialer Beziehungen lenkt, schiebt sie uns den Weg zu steigender wirtschaftlicher Produktion entlang, die die kommende Umweltkatastrophe befeuert. In dem Maße, wie Reklame über unsere individuellen und privaten Bedürfnisse spricht, drängt sie Diskussionen über kollektive Themen an die Ränder. In dem Maße, wie sie nur von der Gegenwart erzählt, erschwert sie das Denken über die Zukunft. In dem Maße, wie sie all diese Dinge tut, wird Werbung zu einem Haupthindernis für das Überleben unserer Spezies.

Um aus dieser Situation herauszukommen und neue Sichtweisen auf die Welt zu entwickeln, wird viel Arbeit erfordern, und eine Antwort könnte einfach sein, das Ende der Welt mit einem letzten großen Knall zu genießen, die Party, um alle Partys zu beenden. Die alternative Lösung, die Situation zu ändern, für humane, kollektive Langzeitwerte zu arbeiten, wird einen erheblich größeren Aufwand bedeuten.

Und es gibt Anzeichen dafür, hoffnungsvoll auf die Ergebnisse eines solchen Versuchs zu sein. Es ist wichtig, hervorzuheben, dass der Aufbau und Erhalt der momentanen Struktur der Konsumentenkultur erheblichen Aufwand und viel Mühe erfordert. Der Grund, dass die Konsumentenweltsicht die Welt dominiert, liegt darin, dass tagtäglich Millarden von Dollar dafür ausgegeben werden. Die Konsumentenkultur wird nicht einfach errichtet und läuft dann von alleine. Sie muss durch die Aktivitäten der Reklameindustrie und in zunehmenden Maße der PR-Industrie aufrechterhalten werden. Der Kapitalismus muss sich sehr anstrengen, um uns vom Wert der kommerziellen Vision zu überzeugen. In gewissem Sinne ist der Konsum-Kapitalismus ein Kartenhaus, das auf zerbrechliche Weise durch immense Anstrengungen zusammengehalten wird, und er kann genauso leicht dahin schmezen wie er zusammengehalten wird. Es wird davon abhängen, ob es überlebensfähige/gangbare Alternativen gibt, die die Menschen motivieren, an eine andere Zukunft zu glauben; davon ob es andere Ideen gibt, die genauso angenehm, kraftvoll, spaßig und leidenschaftlich sind, mit denen sich die Menschen identifizieren können.

Ich denke an dieser Stelle an die Arbeiten von Antonio Gramsci, der den berühmten Satz „Pessimismus des Intellekts, Optimismus des Willens“ geprägt hat. „Pessismismus des Intellekts“ heißt, dass man die Realität unserer gegenwärtigen Umstände erkennt, die gewaltigen Machtfelder, die gegen uns sind, analysiert – aber auf die Möglichkeiten und die moralische Erwünschtheit eines sozialen Wandels zu bestehen, ist der „Optimismus des Willens“; in menschliche Werte zu glauben, die eine Inspiration für uns sein werden, sich für unser Überleben einzusetzen.

Ich will nicht zu naiv in Bezug auf die Möglichkeiten eines sozialen Wandels sein. Es muss nicht nur für gemeinsame Werte gekämpft werden, sondern gemeinsame Werte, die individuelle Rechte und individuelle Kreativität berücksichtigen. Es gibt bereits viele repressive Bewegungen, von unseren eigenen christlichen Fundamentalisten bis hin zu den islamschen Eiferern der Taliban in Afghanistan. Die Aufgabe ist nicht einfach. Sie beinhaltet, viele verschiedene Weltanschauungen auszubalancieren und zu integrieren. Wie Ehrenreich schreibt:

Können wir uns eine Gesellschaft vorstellen, die „Kollektivität“ nicht mit den drögen Konsequenzen von Konformität verbindet, sondern mit etwas, das ich nur „Konvivalität“ („convivality“) nennen kann, welche möglicherweise direkt in die soziale Infrastruktur eingebaut werden kann, mit der Möglichkeit, demokratische Beteiligung auf allen Ebenen zu belohnen? Können wir uns eine Gesellhaft vorstellen, die Individualismus nicht verachtet, sondern individuelle kreative Ausdrucksformen, wie auch Regimekritik, Debatten, Nonkonformität, künstlerische Experimente und im weitesten Sinne Abenteuer, wirklich wertschätzt? Das Projekt bleibt das gleiche wie seit jeher: die Konsumentenkultur durch eine wirklich humanen Kultur zu ersetzen. (Ehrenreich 1990, S. 47)

Die Einsätze sind wirklich zu hoch für uns, um uns nicht mit den realen und dräuenden Problemen zu befassen, denen wir uns als Spezies gegenüber sehen – eine progressive und menschenwürdige gemeinsame Lösung für die globale Krise zu finden und unseren Kindern und zukünftigen Generationen eine Welt zu sichern, auf der eine wirklich humanes Leben möglich ist.

Literatur:

  • Commoner, Barry (1971) The Closing Circle; nature, man and technology Knopf, New York
  • Ehrenreich, Barbara (1990) “Laden with Lard” ZETA, July/Aug.
  • Durning, Alan (1991) “Asking How Much is Enough” in Lester Brown et. al. State of the World 1991 Norton, New York.
  • Heilbroner Robert (1980) An Inquiry into the Human Prospect: Updated and Reconsidered for the 1980s Norton, New York.
  • Leiss, William (1976) The Limits to Satisfaction Marion Boyars, London.
  • Leiss, William, Stephen Kline and Sut Jhally (1990) Social Communication in Advertising (second edition) Routledge, New York.
  • Marx, Karl (1976) Capital (Vol 1), tr. B. Brewster, Penguin, London.
  • Nelson, Joyce (1983) “As the Brain Tunes Out, the TV Admen Tune In” Globe and Mail
  • McKibben, Bill (1989) The End of Nature Randon House, New York.
  • Scitovsky, Tibor (1976) The Joyless Economy Oxford University Press, New York
  • Soros, George (1997) “The Capitalist Threat” in The Atlantic Monthly February.

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Jan
23
2012
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Werbung am Rande der Apokalypse (Teil 4)

Dies ist der vierte Teil meiner Übersetzung des Artikels „Advertising at the Edge of the Apocalypse“ von Prof. Sut Jhally über die negativen Auswirkungen der Reklame (und unseres auf Wachstum basierenden Wirtschaftssystems) auf unsere Gesellschaft. Teil 1 findet Ihr HIER, Teil 2 HIER und Teil 3 HIER.

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Das Ende der Welt, wie wir sie kennen

Die Vision des Konsumismus, die durch die Werbung vorangetrieben wird und die Welt erobert, basiert im Grunde, wie ich es schon vorher anmerkte, auf der Annahme von wirtschaftlichem Wachstum. Wachstum erfordert Ressourcen (sowohl Rohstoffe wie auch Energie) und es gibt eine umfassende Übereinstimmung unter Umweltwissenschaftlern, dass die Erde frühere Raten des Anstiegs nicht verkraften kann, die auf ressourcenintensiven Arten ökonomischer Aktivität fußen, vor allem nicht, weil immer mehr Länder um die Futtertröge kämpfen.

Die Umweltkrise ist komplex und vielschichtig, und berührt sowohl Produktions- wie Konsumptions-Belange. Beispielsweise wissen wir in Bezug auf die Ressourcenerschöpfung, dass wir sehr schnell das erschöpfen, was die Erde bieten kann und dass, wenn die momentanen Wachstums- und Konsumratentrends sich ungebremst fortsetzen, die Grenzen des Wachstums auf diesem Planten irgendwann im nächsten (21.) Jahrhundert erreicht sein werden. Die industrielle Produktion verbraucht Ressourcen und Energie in nie zuvor gekanntem Ausmaß. Seit 1950 hat die Erdbevölkerung mehr Ressourcen verbraucht als alle Generationen zuvor zusammen gerechnet. (Durning 1991, S. 157) Innerhalb von 50 Jahren haben wir den Verbrauch von Tausenden von Jahren geschafft. Die Menschen der westlichen Nationen und allen voran die Amerikaner haben die meisten dieser Ressourcen gebraucht, so dass wir eine besondere Verantwortung für die nahende Krise tragen. In weiteren 100 Jahren werden wir den Planeten ausgebeutet haben.

Aber mehr noch werden wir der Umwelt irreparablen Schaden zugefügt haben, von der wir vollständig abhängen. Wie der Umweltaktivist Barry Commoner sagt:

Die Umwelt ist wie eine riesige, enorm komplexe lebendige Maschine, die eine dünne dynamische Schicht auf der Erde formt, und jegliche menschliche Aktivität hängt von der Unversehrtheit und dem Funktionieren dieser „Maschine“ ab… Diese Maschine ist unser biologisches Kapital, der Grundapparat, von dem all unsere Produktivität abhängt. Wenn wir sie zerstören wird auch unsere fortschrittlichste Technologie wertlos werden und jedes ökonomische und politische System, das darauf fußt, wird zerfallen. Die Umweltkrise ist ein Signal für eine herannahende Katastrophe. (Commoner 1971, S. 16–17)

Das deutlichste Zeichen dafür, dass wir mit unserer Produktion einen Effekt auf die Ökosphäre des Planeten haben, ist die Zersetzung der Ozonschicht, durch die die Menge an ultravioletter Strahlung, die zerstörerisch oder tödlich für viele Lebensformen auf der Erde ist, dramatisch zugenommen hat. 1985 entdeckten Wissenschaftler die Existenz eines riesigen Ozonlochs über dem Südpol, das die Größe der USA aufweist und zeigt, wie menschliche Aktivität das Äußere der Erde verändert. In seinem Buch „The End of Nature“ erinnerte uns Bill McKibben daran, dass „wir dies selbst getan haben… indem wir Autos fahren, Fabriken bauen, Wälder abholzen, Klimaanlagen aufdrehen.“ (1989, S. 45) Er schreibt, dass die Geschichte der Welt voll der unglaublichsten Ereignisse ist, die die Art, wie wir leben, verändert haben, aber sie werden alle in den Schatten gestellt durch das, was wir in den letzten 50 Jahren erreicht haben.

Menschliche Anstrengungen, selbst die größten, waren winzig im Vergleich zur Größe des Planeten – das Römische Reich war der Arktis oder dem Amazonas egal. Aber heutzutage verändert die Lebensweise der einen Hälfte der Welt jeden Zentimeter des Globus (1989, S. 46)

Die Situation ist so schlimm, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft verzweifelt versucht, die Aufmerksamkeit des Rests von uns zu bekommen, um uns auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Die Union of Concerned Scientists („Vereinigung besorgter Wissenschaftler“, der 1700 der weltweit führenden Wissenschaftler angehören, darunter die meisten Wissenschafts-Nobelpreisträger) veröffentlichte jüngst diesen Aufruf:

Die Menschheit und die Natur/Umwelt befinden sich auf Kollisionskurs. Menschliche Aktivitäten fügen der Umwelt und kritischen Ressourcen irreversiblen Schaden zu. Sofern sie nicht überprüft werden, werden viele unserer momentanen Handlungsweisen die Zukunft, die wir uns für die menschliche Gesellschaft und dem Pflanzen- und Tierreich wünschen, ernsthaft aufs Spiel setzen und so die Umwelt verändern, dass es unmöglich sein wird, in ihr zu leben, wie wir es kennen. Fundamentale Änderungen sind dringend nötig, wenn wir die Kollision, die unser aktueller Kurs hervorrufen wird, vermeiden wollen.

Es ist wichtig, die Vorhersage einer direkt bevorstehenden Katastrophe zu vermeiden. Wir haben bereits viel Schaden angerichtet, aber die wirkliche Umweltkrise wird uns nicht vor Mitte des 21. Jahrhunderts treffen. Aber um diese Katastrophe zu vermeiden müssen wir jetzt aktiv werden. Wir müssen die Schritte in die Wege leiten, die uns in 70 Jahren retten werden.

Die Metapher, die die vor uns liegende Aufgabe am besten beschreibt, ist die eines Öltankers, der drauf und dran ist, am Strand zu zerschellen. Wegen seiner Trägheit und seiner Größe muss die Wende weit vor dem Strand eingeleitet werden, seine eigene Trägheit voraussehend. Wenn er zu spät wendet, wird er auf die Küste prallen. Dort befindet sich die Konsumentengesellschaft im Moment. Wir müssen grundlegende Änderungen vornehmen, wie wir uns organisieren, wie sich unsere Wirtschaft aufbreitet, wenn wir die Katastrophe in 70 Jahren vermeiden wollen. Wir müssen JETZT aktiv werden.

In diesem Sinne hat die derzeitige Generation eine einzigartige Verantwortung in der Geschichte der Menschheit. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes an uns, die Welt zu retten, die notwendigen Änderungen einzuleiten. Wenn wir dies nicht tun, werden wir uns in 70 Jahren in Richtung Barbarei und Wildheit untereinander bewegen. Wir müssen kurzfristige Einbßen akzeptieren. Wir müssen unsere unnötigen Geräte/Hilfsmittel aufgeben. Wir müssen insbesondere unsere Beziehung zum Auto überdenken. Wir müssen wirkliche Önderungen vornehmen – nicht bloß recyceln, sondern fundamentale Änderungen an unserer Art zu Leben und zu produzieren. Und wir können dies nicht auf individueller Ebene tun, wir müssen es gemeinsam angehen. Wir müssen irgendwie den politischen Willen finden, dies zu tun, selbst wenn wir vielleicht schon tot sein werden, wenn die Auswirkungen spürbar sind. Das lebenswichtige Thema lautet „Wie sehr fühlen wir uns den Generationen in den kommenden Jahrhunderten verbunden?“. Der politische Philosoph Robert Heilbroner formuliert es so:

„Das ausschlaggebende Problem für die Welt in der Zukunft wird eine Besorgnis für kommende Generationen sein. Wo werden solche Sorgen auftauchen? … Der heutige industrielle Mensch, dessen Appetit nach der Gegenwart durch die Werte einer Hoch-Konsum-Gesellschaft und dessen Einstellung zur Zukunft durch die vorherrschenden Grundsätze der Selbst-Sucht verformt werden, had nur eine geringe Motivation, solch eine Bindung zu zukünftigen Generationen einzugehen. Es gibt viele Menschen, die fast alles für ihre Kinder aufgeben würden; erheblich weniger würden dies für ihre Enkel tun.“ (Heilbroner 1980, S. 134–135)

Eine solche Bindung (mit zukünftigen Generationen) wird iin unserer gegenwärtigen Umgebung, die die individuellen (nicht sozialen) Bedürfnisse und die kurzfristige Situation (nicht die langfristige) betont, um so schwieriger. Das Werbesystem wird die Grundlagen mitformen, auf dem wir über die Zukunft der Menschheit nachdenken, und dort gibt es nichts, was uns Hoffnung für die Entwicklung einer solchen zukunftsträchtigen Perspektive machen sollte. Der Zeitrahmen der Reklame ist sehr kurzfristig orientiert. Sie ermutigt uns nicht, über die Unmittelbarkeit der gegenwärtigen sinnlichen/lustbetonten Erfahrung hinaus zu denken. Es kann sogar so sein, dass – weil das Werbeumfeld immer umkämpfter und dichter wird, mit immer mehr von dem, was Werber als „Lärm“ bezeichnen, der droht, individuelle Botschaften zu ertränken – Reklame verstärkt auf die Ebenen unserer Erfahrung abzielt, die fern vom alltäglichen Wirrwarr sind, und die sofort und in tiefer Weise sehr emotionale Zustände von uns ansprechen. Eindrückliche gefühsbetonte Bilderwelten, die uns beim „Bauchgefühl“ packen lassen keinen Raum, um über etwas nachzudenken. Sexuell aufgeladene Bilder müssen, vor allem im Zeitalter von AIDS, in dem Sex mit Tod verknüpft wird, noch mächtiger und direkter werden, um mögliche negative Assoziationen zu überwinden, ja, um uns aus der Welt von Bedeutung und Sinn, die wir kognitiv gestalten, zu entfernen. Der Wert einer kollektiven sozialen Zukunft ist eine, die in unserer kommerziell dominierten Kultur keinen Ausdruck findet und niemals finden wird. In der Tat vermitteln uns die derzeit herrschenden Werte keinen Anreiz, eine Verbindung mit zukünftigen Generationen zu knüpfen, und hierin liegt ein wirkliches Gefühl von Nihilismus und Verzweiflung in Bezug auf die Zukunft, und ein Abschotten gegenüber der Außenwelt.

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In den nächsten Tagen folgt dann der letzte Teil des Artikels.

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Jan
19
2012
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Werbung am Rande der Apokalypse (Teil 3)

Und hier kommt der dritte Teil meiner Übersetzung des Artikels „Advertising at the Edge of the Apocalypse“ von Prof. Sut Jhally über die üblen Auswirkungen der Reklame auf unsere Gesellschaft. Teil 1 findet Ihr HIER, Teil 2 HIER.

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„So etwas wie eine ‚Gesellschaft‘ gibt es nicht“

Eine Kultur, die von kommerziellen Botschaften dominiert wird, die den Individuen sagt, dass der Weg zum Glück über das Konsumieren von am Markt gekauften Dingen führt, gibt eine sehr sepezielle Antwort auf die Frage „Was ist Gesellschaft“, also was uns in einer bestimmten Art und Weise kollektiv zusammenhält, welche Sorgen oder Interessen wir teilen. Margaret Thatcher, die frühere konservative britische Premierministerin, gab uns die knappste Antwort auf diese Frage aus der Sicht des Marktes. In einem ihrer vermutlich berühmtesten (und berüchtigsten) Zitate sagte sie: „So etwas wie eine ‚Gesellschaft‘ gibt es nicht.“ Nach Frau Thatcher gibt es keine Basis, die wir Gesellschaft nennen können, keine gemeinsamen Werte, keine kollektiven Interessen – Gesellschaft ist nur eine Menge von Individuen, in der jeder für sich handelt.

Genau so spricht auch die Reklame zu uns. Sie spricht uns nicht als Mitglieder einer Gesellschaft an, die über kollektive Themen diskutieren, sondern als Einzelpersonen. Sie redet über unsere individuellen Bedürfnisse und Begierden. Sie spricht nicht über die Dinge, die wir kollektiv angehen müssen, wie Armut, Gesundheitswesen, Wohnungsbau und Obdachlosigkeit, die Umwelt etc. Der Markt apelliert an die schlimmsten Wesenszüge in uns (Gier, Selbstsucht) und entmutigt unsere besten Teile (Mitgefühl, Großzügigkeit).

Dies sollte uns wiederum nicht überraschen. In den Gesellschaften, in denen der Markt dominiert, werden die Dinge gefördert/herausgestellt, die der Markt liefern kann – und Werbung ist die Hauptstimme des Marktes –, so dass Diskussionen über kollektive Themen an die Ränder der Kultur gedrängt werden. Sie sind im Mittelpunkt des Hauptkommunikationssystems unserer Gesellschaft vorhanden. Es ist kein Zufall, dass die Marktvision, die man mit Neo-Konservativen verbindet, genau zur gleichen Zeit dominant wurde, als die Reklame die selben Werte in jede Ecke der Kultur verbreitete. Die weitverbreitete Desillusionierung über die „Regierungen“ (und damit das Denken über Dinge in einer kollektiven Art und Weise) fand in den Bereichen der kommerziellen Kultur extrem fruchtbaren Boden.

Leider befinden wir uns nun sowohl global wie auch national in einer Situation, in der Lösungen für nukleare und Umweltprobleme nur in kollektiver Form gefunden werden können. Der Markt kann nicht mit den Problemen umgehen, denen wir uns im neuen Jahrtausend zu stellen haben. Beispielsweise kann er nicht mit der Bedrohung nuklearer Auslöschung umgehen, die uns auch in der Zeit nach dem Kalten Krieg begleitet. Er kann nicht mit der Erderwärmung umgehen, mit der dünner werdenden Ozonschicht oder der Ressourcenerschöpfung. Die Auswirkungen dessen, wie wir unserem „Business“ nachgehen, sind nicht mehr lokal beschränkt, sie sind nun global und wir müssen internationale und kollektive Wege finden, ihnen zu begegnen. Individuelles Handeln wird nicht ausreichen.

Wie finden wir im eigenen Land einen Weg, mit Themen umzugehen wie den alptraumhaften Innenstädten, dem Ausbreiten von Armut, der Vernachlässigung von einer Gesundheitsversorgung für die verletztlichsten Schichten der Bevölkerung? Wie können wir realistisch und leidenschaftlich eine Lösung für solche Probleme finden, wenn wir in einer Kultur leben, deren zentrale Botschaft lautet: „Don’t worry, be happy“ (Mach dir keine Sorgen, sei glücklich)? Wie Barbara Ehrenreich sagt:

Fernsehwerbung bietet uns Lösungen für hunderte von Problemen, von denen wir nicht mal wussten, dass wir sie hatten – vom „Morgen-Mundgeruch“ bis zur Shampooaufrüstung –, aber nirgendwo in der Konsumkultur finden wir irgendjemanden, der uns solch profanen Notwendigkeiten wie Gesundheitsvorsorge, Kinderpflege, Betreuung oder akademische Bildung anbietet. Die Kehrseite des Konsumenten-Spektakels… ist der sterbende und verarmte öffentliche Sektor. Wir haben Teenage Mutant Ninja Turtles, finden aber keine Möglichkeit, das Fünftel der amerikanischen Kinder auszubilden, die in Armut aufwachsen. Wir haben Dutzende von Frühstücksflockenvariationen, aber keine Hilfe für die Hungrigen. (Ehrenreich 1990, S. 47)

In diesem Sinne verlagert Werbung systematisch die sozialen Schlüsselthemen an den Rand der Kultur und spricht statt dessen in kraftvollen Worten von individuellen Wünschen, Fantasien, Vergnügen und Bequemlichkeit.

Zum Teil liegt dies an der Monopolisierung des kulturellen Lebens durch die Werbung. Es gibt keine Räume mehr für unterschiedliche Arten von Diskussionen, keinen Platz in der Mitte der Gesellschaft, in der alternative Werte ausgedrückt werden könnten. Aber es liegt auch in dem Versagen derjenigen, die sich um kollektive Themen bemühen, alternative Visionen zu erschaffen, die  es in irgendeiner Art und Weise mit den kommerziellen aufnehmen können. Die wichtigsten Alternativen, die bisher angeboten wurden, waren grauer und trübseliger Staatsdirigismus. Dies geschah nicht nur in den westlichen Gesellschaften, sondern auch in den ehemaligen sog. „sozialistischen“ Gesellschaften Europas. Diese repressiven Gesellschaften fanden nie einen Weg, sich auf angenehme Art mit den Menschen zu verbinden, sie verbannten Fragen des Genusses und individuellen Ausdrucks zu den nicht-wichtigen und ablenkenden Aspekten des sozialen Lebens. Dies war eines der Kernversagen des Kommunismus in Osteuropa. Ehrenreich erinnert uns daran, dass er nicht nur unfähig war, materielle Güter zu liefern, sondern genauso nicht dazu in der Lage, eine wirklich menschliche „ideologische Erwiderung auf die kraftvollen vertführerischen Botschaften der kapitalistischen Konsumkultur.“ (Ehrenreich 1990, S. 47) Die Probleme sind hierzulande nicht weniger schwerwiegend.

Alles Verführerische und Ansprechende wird in dem (sorgfältig privatisierten) Konsumentenspektakel verortet. Im Gegensatz dazu zeichnet sich der öffenliche Sektor als ein Bereich bar jeder erotischen Versprechungen ab – es ist die Heimat des IRS (in etwa den deutschen Finanzämtern entsprechend), der DMV (Department of Motor Vehicles = Kraftfahrzeugbundesamt) und anderer verwirrender, nerviger Bürokratien. Aus dem Grund kämpfen nur wenige Menschen auf politischer Ebene für eine bundesweite Krankenversicherung und Elternurlaub, obwohl viele diese Dinge wollen. „‚Notwendigkeit‘ ist nicht genug; wir müssen einen Weg finden, die Möglichkeiten eines aktivistischen öffentlichen Sektors attraktiver zu machen und die Möglichkeiten von öffentlichem Aktivismus glamouröser darzustellen.“ (Ehrenreich 1990, S. 47)

Die zwingend erforderliche Aufgabe für all jene, die andere Werte verbreiten wollen (als die der kommerziellen Kultur), besteht darin, den Kampf für soziale Veränderungen unterhaltsam und sexy zu machen. Damit meine ich nicht, dass wir sexuell aufgeladene Bilder einsetzen, sondern dass wir einen Weg finden müssen, über den ganzen Kampf gegen Armut, Obdachlosigkeit, für ein Gesundheitswesen, Kinderpflege und Umweltschutz in Begriffen zu denken, die mit Wohlgefühl, Vergnügen und Glück zu tun haben.

Um diese „Glamourösisierung“ der kollektiven Themen möglich zu machen, ist es erforderlich, dass das derzeitige kommerzielle Monopol der Kommunikationskanäle zugunsten eines demokratischeren Zugangs aufgebrochen wird, wo schwierige Diskussionen über wichtige und relevante Themen möglich werden. Obwohl die Situation hoffnungslos erscheinen mag, sollten wir uns daran erinnern, für wie wichtig der Kapitalismus sein Monopol auf die Fantasien/Vorstellungen hält. Die schrittweisen Kampagnen der US-Regierung gegen die kubanische Revolution und die Besessenheit unserer nationalen Sicherheitseinrichtungen mit der Sandinistischen Revolution in Nicaragua in den 1980er Jahren zeigten deutlich die Wichtigkeit, die der Kapitalismus dem Zerschlagen alternativer Modelle beimisst. Und obwohl die US-Regierung fortfährt, die barbarischsten, brutalsten und mörderischsten Regime in der ganzen Welt zu unterstützen, hat sie es speziell auf die Regierungen abgesehen, die versucht haben, den Reichtum zu den Ärmeren umzuverteilen und die kollektive Werte den Werten von Eigennutz und Gier vorzogen. Das Monopol auf die Vision der Menschen zu haben ist zentral, und der Kapitalismus weiß das.

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Alsbald geht es weiter mit dem nächsten Teil (insgesamt wird es fünf Teile geben).

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