Okt
01
2013
1

Fernsehtipp: Weniger ist mehr – Die Grenzen des Wachstums und das bessere Leben

Heute möchte ich Euch nur kurz auf eine (hoffentlich) spannende Sendung auf Arte aufmerksam machen – um 20:15 Uhr läuft dort „Weniger ist mehr – Die Grenzen des Wachstums und das bessere Leben“:

Kann es Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum geben? Der Dokumentarfilm sucht nach Lebens- und Wirtschaftsmodellen, die den Weg in die Postwachstumsgesellschaft weisen. Die Filmemacherin Karin de Miguel Wessendorf unternimmt einen Selbstversuch und fragt: “Was muss ich ändern, damit mein Lebensstil zukunftsfähig ist? Und worauf kann ich verzichten ohne Verlust an Lebensqualität?” Auf ihrer Reise durch Europa besucht sie Menschen, Initiativen und Unternehmen, die erkannt haben, dass Wirtschaftswachstum nicht das Maß aller Dinge sein kann.

Bisher lautet das Credo von Wirtschaft und Politik “kein Wohlstand ohne Wachstum”. Ein stetiges Wirtschaftswachstum gilt als Garantie für Arbeitsplätze und für die Lebensqualität der Bevölkerung. Wer an dem Wachstumsdogma zweifelt, wird als realitätsfremd belächelt. Doch Wirtschaftskrise und Klimawandel haben diesen Glauben erschüttert. Bevölkerungsexplosion, Energiekrise und Umweltbelastung sind Probleme, die sich nicht länger verdrängen lassen. Immer mehr Menschen gelangen zu der Überzeugung: Grenzenloses Wachstum ist in einer Welt begrenzter Ressourcen nicht möglich. Trotz Steigerung des Bruttoinlandsproduktes ist die persönliche Lebenszufriedenheit in den Industrieländern seit den 70er Jahren nicht mehr gewachsen. Kann es also sein, dass die Konsumgesellschaft das Versprechen vom Glück nicht hält? Was braucht man wirklich, um ein gutes Leben zu führen?

Der demografische Wandel, die begrenzten Ressourcen des Planeten und die aktuellen Wirtschaftskrisen sorgen derzeit ohnehin für eine Wachstumsbremse. Höchste Zeit, umzudenken und den Ausstieg aus dem zerstörerischen Wachstum selbst zu steuern. Eine Bewegung ist entstanden, die nach Alternativen sucht. Unternehmer, Politiker, Wissenschaftler und Aktivisten arbeiten in Theorie und Praxis am Aufbau einer “Postwachstumsgesellschaft” – einer Gesellschaft, in der ein besseres Leben für Mensch und Umwelt auf lange Sicht möglich sein soll.

Auf ihrer Reise stellt Karin de Miguel Wessendorf fest, dass die Suche nach einem nachhaltigen Lebensstil nicht unbedingt Verzicht bedeuten muss, in vielen Fällen ist es sogar ein Gewinn an Lebensqualität.

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Aug
20
2013
2
Apr
10
2013
14

Die 20 größten Konsumsünden

Auf 3sat läuft gerade die große Themenwoche „Hauptsache Konsum“ – klar, dass ich darauf in meinem Blog gerne verweise. Den Startschuss gaben gestern „Die 20 größten Konsumsünden“. Leider in Form dieser unsäglichen Rankingshows aufgemacht werden in der Sendung doch viele wichtige Punkte angesprochen, die zeigen, wo unser aller Konsum die Probleme der Welt vergrößert.

Die 20 größten Konsumsünden
Worauf unsere Zuschauer nicht verzichten wollen
Wir haben unsere Zuschauer gefragt, worauf sie auf keinen Fall verzichten wollen: Die meisten hängen an ihren Elektroartikeln, Kaffe und dem Auto.
Unser Alltag ist von Konsum geprägt. Doch unser Konsum hat häufig die Ausbeutung von Mensch und Natur zur Folge. Bei vielen Produkten wissen wir das und beruhigen unser Gewissen mit Emissionszertifikaten, “Fairtrade”-Produkten und Bio-Siegeln. Wir suchen Entschädigungen für unser verschwenderisches Leben – doch eines möchten wir nicht: unseren Lebensstil ändern.


Helmut Schnug vom Kritischen Netzwerk hat sich einmal die Mühe gemacht, und die Essenz aus dieser Sendung zu Papier (bzw. Bildschirm) zu bringen. Ihr findet seinen kompletten Beitrag HIER.

In der Themenwoche “Hauptsache Konsum?” erlaubt 3sat von Montag, 8., bis Freitag, 12. April 2013 Einblicke ins und Gegenentwürfe zum Konsumverhalten der modernen Gesellschaft.
“10.000 Dinge besitzt ein Europäer im Durchschnitt – das meiste davon belastet ihn mehr als es ihm hilft: Autos, Nahrung, Kleider, Smartphones beladen uns mit Informationen, Lärm und mit Müll. Das macht krank, sagen die Soziologen. Tatsächlich ist der Mensch biologisch als Geschöpf des Mangels konzipiert. Das bedeutet: Er kann mit dem Wenigen, was Fauna und Flora zu bieten hat, optimal auskommen. Doch von “Mangel” kann in der westlichen Welt kaum die Rede sein. Steht die moderne Lebensweise damit im Konflikt zu unserer Natur? Oder ist der moderne Mensch den nächsten Schritt gegangen, und jetzt gepolt darauf, seine Gelüste ausleben? Ein Leben jenseits der 10.000 Dinge ist für die meisten Menschen jedenfalls kaum vorstellbar.
“Worauf wollen wir am wenigsten verzichten?”
Die Abstimmungsfrage der Wissenschaftsshow “Die 20 größten KonsumSünden” zielt mitten in das Konsumentenherz. Dabei geht es nicht darum, die schwerste Umweltbelastung zu benennen oder den moralisch verwerflichsten Konsum, sondern lediglich um das eigene subjektive Empfinden: Könnte ich eher auf Fleisch verzichten oder auf mein Auto? Ist mir Mode wichtiger als mein Mobiltelefon? Kommentare von Prominenten, Wissenschaftlern, Comedians und Querdenkern ergänzen die Show”. (Quelle 3sat.de)
Ich habe die überaus interessante Filmdokumentation mehrere Male aufmerksam verfolgt und kann für die deutschlandweit praktizierte Gleichgültigkeit, Ignoranz, Dummheit und vor allem aber über die Inkonsequenz vieler Konsumenten nur verständnislos den Kopf schütteln. Die TOP-20 von den Zuschauern gewählten Konsumsünden habe ich hier aufgelistet und zusätzlich mit Fleißarbeit und einer gehörigen Portion Zeitaufwand eine Auswahl der informativsten bzw. markantesten Aussagen des Films in die jeweilige Platzierungen transkripiert. So bleiben die Kernaussagen auch noch bestehen, sollte das Video zur Sendung mal irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen.

Platz 20: Plastikspielzeug

  • Schrille Massenware aus Fernost, die Kinderherzen höher schlagen lässt: bunt, abwaschbar aber leider auch gefährlich für die, die es bespielen
  • Statt Giftstoffe zu reduzieren, erlaubt die EU ab Mitte 2013 sogar höhere Grenzwerte für Schadstoffe wie Arsen, Blei oder Quecksilber – ein Triumph der Spielzeuglobby
  • Produktion in Billiglohnländern mit niedrigen Standards und fehlenden Kontrollen

Platz 19: Kreuzfahrten

  • Titanic-Nervenkitzel, Suche nach Abenteuer und Romantik
  • Kehrseite der schwimmenden Hotels: tonnenweiser Verbrauch von Schweröl (ein Abfallprodukt aus den Raffinerien, das auch zur Herstellung von Teer und Asphalt genutzt wird)
  • der Qualm dieser Dreckschleudern ist hochgiftig, deshalb wechseln sie den Kraftstoff wenn sie in einen Hafen einlaufen (aber längst nicht alle)
  • Hamburg ist die einzigste Stadt, die keine Feinstaubzone hat – warum wohl?
  • Kreuzfahrtschiff verbraucht auf einer Reise soviel wie 5 Mio. Pkws
  • bis 2020 können die Rußschleudern die Natur noch mit ihrem billigen Treibstoff verpesten – erst dann gelten strenge Emissionswerte

… weiter …

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Jan
16
2013
--

Generation Solidarität

Das ist doch mal eine mehr als erfreuliche Initiative des Senders ARTE – die deutsch-französische Sendeanstalt hat eine eigene Website namens Generation Solidarität eingerichtet, auf der sie europaweite Initiativen und Aktionen sammelt und vorstellt, die sich für eine lebenswerte, nachhaltige Zukunft und kritische Berichterstattungen (wie das geplante Störsender.tv) einsetzen. So geht es in den vielfältigen Beiträgen um die Energiewende, um solidarisches Einkaufen, um Streetart, um die Bücherbox und um biologische Landwirtschaft. Also sehr spannende Themen – schaut doch mal rein!

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Jan
09
2013
4

Dem Konsumismus trotzen! – Das Abseits als wirtlicher Ort

Ich will Euch heute wieder etwas aus dem Kritischen Netzwerk ans Herz legen, und zwar einen Vortrag von Marianne Gronemeyer, in dem sie sich mit dem Konsumismus und seinen Ursachen und Folgen beschäftigt. Ich habe die einleitenden Absätze hier weggelassen, da sie nicht unmittelbar direkt zum Thema gehören – den kompletten Vortrag sowie die Anmerkungen des Kritischen Netzwerks dazu könnt Ihr direkt auf der Website nachlesen – HIER.

———

Dem Konsumismus trotzen! – Das Abseits als wirtlicher Ort

Vortrag anläßlich der Herbsttagung 2012 der Internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft in Hofgeismar
von Prof. Dr. Marianne Gronemeyer
(…) Wenn wir also heute vom Konsumismus reden, genügt es nicht mehr, von der Gier und der Habsucht und dem Neid der Menschen zu reden, egal, ob wir sie nun als Täter oder als Opfer ansehen, wir müssen vielmehr über Systemzwänge und das lautlose Vordringen ihres Herrschaftsanspruchs sprechen, dem die Kritiker und die Befürworter des Wachstums gleichermaßen unterworfen sind. Fraglich, ob man vom Ansatz der existenziellen Bedürfnisse und von der Forderung nach einer Veränderung der menschlichen Charakterstruktur zu diesen düsteren Konsequenzen durchstoßen kann.
Der Konsumismus hat im Zeitalter des globalisierten Systems eine Qualität angenommen, die ihn nahezu hermetisch macht.
Globalisierung sei vor allem „Monokultur im Denken“, sagt Vandana Shiva. Fast ist es noch zu freundlich diesem Denken überhaupt den Begriff der ›Kultur‹ zu gönnen, und sei es den der Monokultur, von der wir nichts Gutes erwarten.
Tatsächlich haben wir es dabei mit schierer Unkultur zu tun: Das monokulturelle Denken kreist um nichts als Müll. Es ist vom Müll wie behext und besessen. Wer heute den modernen Konsumismus analysieren will, muss vom Müll reden und zwar nicht von dem in die geordneten Bahnen der Müll›entsorgung‹ und Müllverwertung gelenkten, gewinnträchtigen Müll. Auch nicht von den schwimmenden Inseln aus Plastikunrat, die, immer mächtiger werdend, auf den Ozeanen treiben; nicht von dem nach Millionen Tonnen rechnenden Kohlendioxid- Ausstoß, der das Klima kollabieren lässt, nicht von den Giftstoffen, die im Boden lagern und das Wasser verseuchen, und nicht von dem gänzlich unverwüstlichen atomaren Müll, der gar nicht zum Verschwinden gebracht werden kann. All das ist äußerst besorgniserregend, aber hier nicht mein Gegenstand.

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Dez
18
2012
2

Weihnachten – Turbo-Konsumzeit?

Gehetzte Menschen, die panisch auf der Suche nach den „letzten Geschenken“ sind, mit denen sie zu den Feiertagen die Lieben bedenken, um ihnen irhe Wertschätzung auch auf Euro und Cent genau zu zeigen – solche Wesen trifft man in der letzten Zeit zuhauf in den Einkaufszonen und Konsumtempeln der Städte. Da halte ich es lieber mit den Adbusters, die zum Buy Nothing Christmas aufrufen.

As our planet gets warmer, as animals go extinct, as the humans get sicker, as our economies bail and our politicians grow ever more twisted, we still find ourselves lurching to suck from the breast of the capitalismo machine. This is our solace, our sedative – consumerism is the opiate of the masses.

We’re in a state of “pathological consumption,” George Monbiot explains, “a world-consuming epidemic of collective madness, rendered so normal by advertising and the media that we scarcely notice what has happened to us.”

For those of us who do notice it, who decry it, abstain, and try to eschew capitalism … Christmas is the one time where we suddenly absolve ourselves of this stance, as we feel compelled, by a strange and powerful force within, to join in the momentous, orgiastic ritual of America’s consumerist cult. (…)

Oder die „Null Euro Weihnachten“ der Nachhaltigkeitsguerilla, die in die selbe Kerbe schlagen:

Alle Jahre wieder und dennoch immer wieder unfassbar. Letztens verkündete das Radio die frohe Botschaft: der Einzelhandel atmet auf, die Umsatzzahlen klettern rauf! Endlich strömen die Konsumenten wieder in die Neuzeit-Tempel, um sich mit neuen Winterjacken, warmen Klamotten, Weihnachtsdeko, -gebäck und –geschenken einzudecken. Klimawandel hin oder her, letztere Konsumfallen sind der Fels in der Wirtschaftsbrandung, denn nichts ist in diesen Zeiten so gewiss, wie dass Weihnachten kommt! Deshalb erleben wir jedes Jahr aufs neue eine logistische Punktlandung, wenn uns bereits ab Ende November quietschrote Dekoartikel und Lebkuchen in den Regalen anlächeln.

Doch sollte nicht auch hier mal das Stichwort “Nachhaltigkeit” fallen? Worin liegt der Sinn, jedes Jahr aufs neue Christbaumschmuck, Adventslichterketten und Wintermützen zu kaufen? Früher hatte man seine Winterkiste, die genau einmal pro Jahr aus dem Dachboden geholt, entstaubt und wiederbelebt wurde. Heute scheint diese Tradition nicht mehr zu existieren, traut man den hiesigen Warenbergen in den Läden. (…)

Und dazu passt die schöne Aktion „Zeit statt Zeug“:

Die Energie- und die Klimakrise sind Verwandte. Beide haben sie unmittelbar mit unserem Verhalten als Gesellschaft zu tun. Vor allem aber als Individuum. Unser Konsum bestimmt, was hergestellt wird und wie es hergestellt wird. Welche Rohstoffe dafür verbraucht werden. Vieles kaufen wir, ohne es wirklich zu brauchen. 1/4 der Lebensmittel in Deutschland werden weggeschmissen. 1/3 unserer Kleidung bleibt ungetragen im Schrank.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist die Zeit, die uns scheinbar davon läuft. Die wir nicht haben, um uns zum Beispiel mit Freunden zu treffen. Wo doch jeder seit Eckart von Hirschhausens Buch “Glück kommt selten allein” weiß, dass es vor allem die sozialen Kontakte sind, die uns glücklich machen – nicht der Konsum.

Der fünfte Schal, das zehnte Parfüm. Es klingt furchtbar banal. Aber Dinge, die wir kaufen und dann besitzen, kosten Zeit, Geld und Ressourcen. Traditionell verschärft sich das alles an Weihnachten noch ein wenig. Dabei denken wir noch, wir tun denen, die wir am meisten lieben, einen Gefallen, wenn wir ihnen Zeug schenken.

Also warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Den guten Freunden schenken wir gemeinsame Zeit. Der Welt weniger Verbrauch

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Dez
14
2012
2

Lesetipps: Wachstumskritik | Gnadenlos flexibel | Geldfreie Ökonomien | Unappetitliche Allianzen | Kartelle

© Marcus Sümnick, Wikipedia

Wirtschaftswachstum gilt in unserem System bekanntlich als sakrosankt – wer dieses und damit die dahinterstehende Wirtschaftsideologie kritisiert, sieht sich in der Regel sofort den Vorwürfen ausgesetzt, „zurück in die Steinzeit“ zu wollen. Dass ein materielles Wachstum diesen Planeten und die menschlichen Gesellschaften auf eine Katastrophe zusteuert, versuchen die arbeitsplatzfixierten Ökonomen und Politiker krampfhaft zu verdrängen. Was nur nichts nutzen wird. Es ist also Zeit für ein Umdenken. Der Oldenburger Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech ist seit längerem einer dieser unbequemen Mahner, und er hat dem Tagesspiegel nun ein interessantes Interview gegeben – „Sehe ich aus wie ein Hippie?“:

(Diesen Beitrag weiterlesen…)

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Dez
12
2012
2

Konsumkitischer Adventskalender. Vollkommen ohne Schokolade.

Auf diese schöne Aktion einer Gruppe von Studenten möchte ich Euch doch kurz aufmerksam machen – einen virtuellen Adventskalender via Facebook, in dem sich hinter jedem Türchen statt Schokolade, ein kurzer Artikel zum Thema Konsumkritik verbirgt. >> Hier entlang

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Kommentare: 2 | Aktionen,Konsumkritik | Schlagwörter: , |
Nov
20
2012
4

Affluenza – das Konsum-Virus – „Der Markt ist unser Gott“

Über das Kritische Netzwerk bin ich auf das folgende Interview aufmerksam gemacht worden, das auf Franz Alts Sonnenseite erschien und in dem Prof. Thomas Naylor, der Autor des Buches „Affluenza – Zeitkrankheit Konsum“ (eins der wichtigsten Bücher zum Thema, wenn Ihr mich fragt) interviewt wird. Sehr interessant!

————-

“Affluenza – Zeitkrankheit Konsum”: Das neue Buch von John de Graaf, Prof. Thomas Naylor und David Wann entlarvt die herrschende Konsumorientierung als Krankheit mit verheerenden Nebenwirkungen für Gesellschaft und Mitwelt. ÖkologiePolitik-Redakteur Raphael Mankau im Gespräch mit Thomas Naylor. Das Interview wird in der Juli-2002-Ausgabe von ÖkologiePolitik in einer Kurzfassung veröffentlicht.
öp: Was ist “Affluenza”?
Prof. Naylor: Wer von “Affluenza” befallen wird, ist wie besessen vom Materialismus – Konsumgütern und dienstleistungen -, angefangen bei Bier und Kosmetik, über Kleidung, Zigaretten, Soft Drinks, Fast Food, Freizeitdrogen, Videospiele und Rock-Musik bis hin zu Automobilen, Computern, elektronischen Geräten, teuren Villen, unbezahlbaren Kunstwerken, Hightech-Gesundheitsversorgung und Weltreisen. Wer sich mit dieser Krankheit angesteckt hat, leidet unter Überarbeitung und Stress, aber auch lebensgefährlichem Konsumwahn. Sie macht weder vor den Reichen noch den Armen Halt. Je mehr man hat, desto mehr will man noch dazu.öp: Worin liegt die Ursache für dieses “Virus”, das inzwischen unsere gesamte Gesellschaft infiziert hat?
Prof. Naylor: Wir fürchten uns vor Sinn- und Nutzlosigkeit – darum verbringen wir unser ganzes Leben damit, uns einzureden, wie unbezwingbar wir doch sind. Einer der Tricks, mit denen wir uns des ewigen Lebens versichern wollen, ist der Konsum. Die Konsumwelt gaukelt uns vor, dass wir absolute Sicherheit in einer ansonsten unsicheren, sinnlosen Welt finden können. Wir glauben, dass wir unser ganzes Leben in einem Zustand nicht enden wollender Selbstverwirklichung verbringen können, ohne aber auf der anderen Seite einen psychischen Preis für das Leben in hemmungsloser Vergnügungssucht zahlen zu müssen. Unser Selbstwertgefühl beruht vollständig auf dem, was wir selbst besitzen und konsumieren, und nicht auf dem, was wir wirklich sind.

Um die Auswirkungen des Schmerzes und des Leids zu betäuben, die mit der Sinnlosigkeit einhergehen, suchen viele ein Leben, das sich gründet auf Besitz, Konsum und Macht über Menschen, Dinge, Maschinen und Reichtümer. Als Antwort auf ihre unersättlichen psychischen und sinnlichen Bedürfnisse legen diejenigen, die vom “Haben” abhängen, oft ein aggressives, feindseliges Wettbewerbsverhalten an den Tag. Etwas zu besitzen ist gleichbedeutend mit Machtübernahme oder Bezwingung. Raub, Zerstörung, Überlastung und Konsumieren sind alles Formen des Habens. Wer vom Haben besessen ist, fürchtet sich vor dem Verlust an jemand anderen, den Staat oder letztlich durch den Tod. Als Nation sind wir so verrückt nach dem Haben, dass wir die Fähigkeit, als Menschen zu handeln und denken, verloren haben. Unser Glück machen wir meist abhängig von der Überlegenheit über andere, unserer Macht und unserem Geschick, andere zu manipulieren. Das kapitalistische Amerika ist die effizienteste und produktivste Nation der Welt, aber auf Kosten der Menschlichkeit.

Unsere gesamte Wirtschaft wird angetrieben von unserem ausgeprägten psychischen Bedürfnis, unser geistiges und emotionales Vakuum mit immer mehr Kram aufzufüllen und von unserer Illusion, dass die Anhäufung von Reichtum und materiellem Besitz dem Leben einen Sinn gibt. Wenn wir uns mies fühlen und uns aufbauen wollen, kaufen wir ein neues Kleid, essen in einem schicken Restaurant oder leihen uns ein Video aus. Je weniger Sinn wir im Leben finden, desto eher werden wir von diesem materialistischen Ansatz verführt, der da sagt: “Arbeite hart, amüsier dich gut” – ein Ansatz, der auf einer Lüge beruht.

Obwohl Drogenabhängigkeit illegal ist, wird die Abhängigkeit von Konsumgütern, Warenkatalogen, Einkaufszentren, Internetshopping und Kreditkarten durch die Werbung geradezu aufgezwungen. Sowohl aus Washington wie von Seiten der Wirtschaft ist die Botschaft immer dieselbe: “Kauf jetzt, spare später für den Ruhestand.” Wenn wir dieses Spiel nicht spielen, könnte das ganze Kartenhaus in sich zusammenkrachen. Wir haben die patriotische Pflicht zu konsumieren. Ein guter Amerikaner – oder guter Deutscher – zu sein, heißt, viel zu konsumieren. Wer mit dem meisten Krimskrams um sich herum das Zeitliche segnet, gewinnt das Spiel.

Die Weltwirtschaft ist ein Altar, auf dem Konsumenten wie Investoren ihre Opfer bringen. Der Markt ist unser Gott. Dabei ist die Sinnentleerung so wichtig für unsere Wirtschaft, dass der Chikagoer Ökonom David Hale einmal sagte: “Der einzige Weg, die Weltwirtschaft zu retten, ist durch verschwenderischen Konsum der Amerikaner.”

öp: Wodurch manifestiert sich die Affluenza in unserer Gesellschaft – neben den verheerenden Auswirkungen des Konsums auf unsere natürliche Mitwelt?
Prof. Naylor: Damit der Kapitalismus reibungslos funktioniert, müssen die Menschen daran glauben, dass der Weg zur Glückseligkeit die Anhäufung von genug Geld und Guthaben erfordert. Dadurch sind wir im Stande, ein schick eingerichtetes Häuschen, ein paar Autos, einen Computer, ein Boot und die Universitätsausbildung unserer Kinder zu finanzieren. Um uns all jene Dinge leisten zu können, müssen wir hart arbeiten, bis wir in den Ruhestand gehen oder sterben. Je härter wir arbeiten, desto mehr Geld haben wir, desto mehr können wir kaufen und umso glücklicher werden wir sein – das will man uns weismachen.

Aber wenn das wirklich wahr wäre, warum sind so viele Menschen in den USA oder in Deutschland so wütend, so unglücklich, zynisch, ausgebrannt? Woher kommt die hohe Zahl der Scheidungen und Selbstmorde, woher die Depressionen, Abtreibungen, der Drogenmissbrauch und die hohe Zahl der Häftlinge, wenn doch der amerikanische Traum so funktioniert, wie es immer heißt? Obwohl sich die Pro-Kopf-Ausgaben für Konsumgüter im letzten halben Jahrhundert beinahe verdreifacht haben, ist der Anteil der Menschen, die sich für “sehr glücklich” halten, tatsächlich um 5% gefallen. Der Sozialindex ist seit 1973 um fast 50% gefallen.

Wir leben in einer Zeit noch nie dagewesenen Wohlstands, aber dennoch ist es auch die Zeit der “lebenden Toten”. Viele Amerikaner, die sich praktisch nichts an materieller Befriedigung vorenthalten, wirken eher tot denn lebendig. Wie der Romancier Walter Percy sagte: “Es gibt etwas Schlimmeres als des Lebens beraubt zu werden, und zwar des Lebens beraubt zu werden, ohne es zu wissen.”

Viele von uns, die von Affluenza befallen sind, benehmen sich, als wären sie spirituell, emotional und intellektuell tot. Die lebenden Toten befinden sich überall – sie surfen im Internet, überprüfen ihre eMails, besuchen Internet-Chatrooms, befassen sich mit Aktienhandel, kleben an CNN in der Hoffnung, irgendein Ereignis mitzubekommen, das ihren ansonsten ereignislosen Alltag belebt, fahren allein durch die Stadt, um auf der anderen Seite im Wal-Mart weiteren Plastikmist zu suchen, halten bei McDonald´s für ein schnelles und geschmacksfreies Essen, geben vor, sich für ihren stupiden Bürojob erwärmen zu können und schauen “Wer wird Millionär?” im Fernsehen. Unsere Regierung, unsere Politiker und die Hohepriester der Wirtschaftswelt betätigen sich dabei als Strippenzieher.

öp: Was schlagen Sie zur Heilung vom Konsum-Virus vor?
Prof. Naylor: Nach meiner Meinung ist die Affluenza fest in der Conditio Humana begründet – bedingt durch Sinnlosigkeit, Isolation, Machtlosigkeit und Verdrängung des Todes. Wie bei Drogen- und Alkoholmissbrauch gibt es keine schnellen Allzweckwaffen gegen Affluenza. Man muss an die Wurzeln gehen! Entsagen, Entschlüsseln, Zurückfahren, Dezentralisieren – das ist die Aufgabe.

Entsage dem Getümmel, zieh’ den Fernsehstecker, kündige deinem Internetprovider, stell’ das Radio aus, reduziere deine Zeitschriften- und Zeitungsabos, fahr’ weniger, reise weniger, kauf’ weniger Plunder, meide das Einkaufszentrum, schalte den Anrufbeantworter ab, wirf dein Handy weg, vereinfache dein Leben, setz’ dich damit auseinander, was es heißt, ein Mensch zu sein, der lebt, liebt, arbeitet, spielt, leidet und stirbt, anstatt manipuliert zu werden.

Entschlüssle die Bedeutung, die bestimmte Begriffe auf dein Leben haben – Technologie, Märkte, Medien, Bildung, Gesundheitsfürsorge, Religion, Regierung, Globalisierung, Außenpolitik, Verteidigung. Was lösen diese Begriffe bei dir aus? Wie beeinflussen sie dich und andere? Wie stehst du zu ihnen? Ist deine Beteiligung aktiv, passiv oder nichtexistent? Welchen Sinn können sie in deinem Leben stiften?
Fahre deinen Aktionsradius zurück – begnüge dich mit einem kleineren Land, einer kleineren Stadt, einem kleineren Haus, einem kleineren Arbeitgeber, einer kleineren Schule, Universität, Kirche, einem kleineren Einkaufszentrum, Krankenhaus, Auto. Die umgekehrte Annahme besagt, dass alles Große schlecht ist.

Dezentralisiere und delegiere in jeder Einrichtung alle Entscheidungen auf die niedrigst-mögliche Ebene.

Affluenza wird niemals durch bloßen passiven Widerstand ausgerottet werden – es bedarf schon offener Rebellion gegen das System.

John de Graaf / David Wann / Thomas Naylor
Affluenza – Zeitkrankheit Konsum

Riemann Verlag 2002, Euro 22,90
ISBN 3-570-50026-8

Quelle:
ÖkologiePolitik

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Nov
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2012
13

Der Buy Nothing Day 2012 am 23. & 24. November

Alle Jahre wieder… naht nicht nur die konsumgeile (Vor-)Weihnachtszeit, sondern auch der von den kanadischen Adbusters, den Mitinitiatoren der Occupy-Bewegung, ausgerufene Buy Nothing Day, der mittlerweile in 60 Ländern der Welt „begangen“ wird. Einen Tag lang nichts einzukaufen, ausgerechnet an dem Wochenende, an dem in den USA traditionell das Geld nur so aus dem Fenster geschmissen wird, das ist die Herausforderung. Im Jahr 2012 findet das Ganze am 23. & 24. November statt und ist gleichzeitig der Auftakt zu den Buy Nothing X-Mas. Ich übersetze mal eben den „offiziellen“ Adbusters-BND-Artikel, der im gewohnt leicht überzogenen Stil daherkommt (sich dabei natürlich an den religiös aufgeladenen „Weihnachtssound“ anlehnt):

Seit Generationen wurde Weihnachten durch den Kommerz gekidnappt… dieses Jahr werden Lehrer, Occupyers, Empörte und alle anderen Menschen in über 60 Ländern den Feiertagen zur Hilfe eilen, mit einem ganzen Monat von ent-kommerzialisierendem, lebensverändernden Spaß…

Alles beginnt mit einer persönlichen Herausforderung: nimm Dir vor, dieses Jahr am Buy Nothing Day teilzunehmen… Du könntest eine unerwartete Erleuchtung erleben!

Schließe Dich am 23./24. November Millionen anderer Menschen an und stelle fest, wie es sich anfühlt, für 24 Stunden mit dem Konsumieren zu aufzuhören. Geh auf kalten Entzug von der Konsumkultur! Wie diejenigen, die diese magische Einladung vor Dir angenommen haben, könntest Du mit einer Dein Leben beeinflussenden Verschiebung der Sichtweise belohnt werden  – einen Einblick darin, wie man weniger konsumiert und dafür mehr lebt auf diesem wertvollen Planeten…

Und dann geh den nächsten Schritt, erweitere die Freude des Buy Nothing Days, indem Du mit Deiner Familie zusammenkommst und Ihr entscheiden, Weihnachten dieses Jahr anders zu begehen.

Wenn Du bereits ein erfahrener Culture Jammer bist oder die persönliche Herausforderung des Buy Nothing Day für zu einfach hältst, dann häng ein Poster in Deiner Nachbarschaft oder dem Unigelände auf, organisier ein „Credit Card Cut Up“… zieh einen „Whirl-mart“ ab… einen „Christmas Zombie Walk“ durch Dein örtliches Einkaufszentrum… oder schmeiß eine Keine-Geschenke-Party zu Buy Nothing Xmas!

Credit Card Cut Up (Kreditkartenzerschneiden)
Stell Dich in eine Einkaufszone mit einer Schere und einem Schild, das einen einfachen Service anbietet: steigende Schulden und exorbitante Tilgungsraten mit einem einfachen Schnitt zu beenden.

Zombie Walk
Die frühlichen Untoten wandern durch die Einkaufszentren, bewundern die leeren, komatösen Gesichtsausdrücke der Shoppenden. Die Zombies sind froh, unter ihresgleichen zu sein, aber ein wenig verächtlich gegenüber denjenigen,die noch nicht am Verrotten sind.

Whirl-Mart
Du und neun Deiner Freunde fahren wortlos mit ihren leeren Einkaufswagen herum, in einer langen, unerklärlichen Polonaise, ohne jemals etwas zu kaufen.

Es gibt inzwischen auch eine eigene britische Website dazu: www.buynothingday.co.uk


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