Mrz
07
2010
1

Buchbesprechung: Tanja Busse „Die Einkaufs-Revolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“

tanja-busse-die-einkaufs-revolutionEs gibt so Bücher, die liegen lange in meinem Regal herum, bevor ich mich endlich an sie heran wage. Tanja Busses „Die Einkaufs-Revolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“ gehört dazu – gekauft Anfang 2008 ließ ich es erst einmal ungelesen, da sich andere Werke in den Vordergrund schoben, Lasns „Culture Jamming“ oder auch “No Logo!“ beispielsweise. Meine anfängliche Ansicht, dass man mit Konsum wirklich etwas verändern könne (wie es Titel und Umschlagstext von Busses Buch auch nahelegen), wurde durch diese Lektüre deutlich untergraben. Zudem hatten mich einige Kolumnen, die Tanja Busse im Greenpeace Magazin schrieb (u.a. eine, in der sie über den Kauf ihrer 10.000 €-Küche berichtet), vermuten lassen, dass sie zu den Vertretern der LOHAS-Fraktion gehört und ihrem Buch darum eher wenig revolutionäres Potential innewohnt.

Soweit also meine Vorurteile. Nach der Lektüre des Buches muss ich nun doch ein wenig Abbitte leisten. Denn auch wenn es sich bei der „Einkaufs-Revolution“ sicher nicht um ein subversiv-umstürzlerisches Traktat handelt, legt die Autorin doch den Finger auf viele Wunden in unserem Einkaufs- und Produktionsverhalten. Vor allem auf diejenigen Leser, die bisher blind und ignorant durch den Supermarkt und die Shopping-Malls gegangen sind, dürfte so manch heilsamer Schock in den einzelnen Kapiteln warten. Auch Globalisierungs- und Kapitalismuskritiker werden sich nach den gut 300 Seiten bestätigt fühlen, denn Tanja Busse wirft auch den einen oder anderen Blick auf Grundsätzliches, das in unserem System seit jeher und vor allem in den letzten Jahrzehnten komplett schief läuft.

So werden die sattsam bekannten schlimmen Zustände geschildert, die in den Sweatshops herrschen, die die teuren Markenklamotten herstellen, die Dank Reklame überteuert unters Konsumvolk gebracht werden. Genauso wie die gewaltigen Mengen an Gift, die bei der normalen industriellen Produktion von Kleidung Verwendung finden und am Ende auf unserer Haut landen – oder das Gift, das bei der Plastikherstellung als Weichmacher etc. zum Einsatz kommt, von den Behören aber sehr lax überprüft wird.

Den Hauptteil in Busses Buch nehmen ihre Ausführungen zur industrialisierten Landwirtschaft und dem Bioanbau ein. Sehr eindringlich und bedrückend wird hier geschildert, wie riesige Schweinemastfarmen das Land überziehen, um unter schlimmsten Bedingungen für die Tiere und fatalen Folgen für die Gesundheit der Nahrung möglichst billiges Fleisch für die Discounter und Sonderangebote der Supermärkte herzustellen. Auch wenn sich das Loblied der Autorin auf biologische Landwirtschaft zum Teil etwas zu naiv anhört, so wird doch deutlich gemacht, dass es keine andere Lösung gibt, um den Verfall der Nahrungsqualität und die Zerstörung der Natur zu stoppen, als eine Abkehr vom reinen auf Masse und Kostendrücken ausgelegten Anbau.

In den fünfziger Jahren hat der amerikanische Journalist Vance Packard beschrieben, wie die Werbefachleute mit tiefenpsychologischen Methoden das Bewusstsein der Konsumenten infiltrieren, und sein Buch Die geheimen Verführer verkaufte sich millionenfach. Inzwischen haben die Verführten aber verstanden, dass sie verführt werden, und die Botschaften der Werber gehen nicht länger ungefiltert in ihre Köpfe. Doch angesichts des gigantischen Etats der Werbung wäre es naiv, ihren Einfluss zu leugnen. 29 Milliarden Euro geben Unternehmen allein in Deutschland aus, damit wir vergessen, dass die Dinge, die wir kaufen, auch hergestellt werden. Damit wir denken, die Waren kämen aus der Werbung wie der Strom aus der Steckdose. Diese 29 Milliarden Euro lenken unsere Aufmerksamkeit auf das, was die Unternehmen uns zeigen möchten: dass Autos erotisch sind, Tütensuppen familienstiftend und französische Zigaretten Garanten immerwährender Freiheit. Darauf, dass wir weniger ein Produkt kaufen als eine Marke. Und dass uns der Geist dieser Marke ziert und schmückt und teilhaben lässt an ihrem globalen Erfolg. Just do it – und denk nicht drüber nach!

Diese 29 Milliarden Euro wirken, wie sie sollen: Sie machen, dass wir gar nicht auf die Idee kommen, uns zu fragen, auf welche Weise die Waren hergestellt werden, von wem und unter welchen Umständen. Sie bewirken, dass wir nicht kapieren, dass diese Umstände etwas mit uns zu tun haben könnten, dass wir mit unseren Einkäufen diese Umstände bestimmen.

Nur bei Skandalen fällt das Scheinwerferlicht kurz auf diesen Zusammenhang. Während der BSE-Krise im Winter 2000 etwa, als man erfuhr, dass die Kühe, deren Milch wir trinken, mit geschroteten Schafsleichen gefüttert wurden, oder Ende 2005, als tonnenweise vergammeltes Fleisch in den Kühltheken entdeckt wurde: Da bemerkten Politiker und Kommentatoren plötzlich, dass die Nachfrage die Qualität bestimmt (»Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist gerade bei Lebensmitteln hoch gefährlich«, sagte Landwirtschaftsminister Horst Seehofer Anfang Dezember 2005 der Bild-Zeitung). Nur ihre Politik, die solche Zustände ermöglichte und erleichterte, änderte das nicht, im Gegenteil. Es gibt Hunderte von Büchern über Konsum und darüber, was Konsumieren aus den Konsumenten macht, aber die meisten – selbst viele der klassischen Einkaufsratgeber – ignorieren die Entstehung der Waren und betrachten den Konsum als Lifestyle oder spekulieren über das Verhältnis von Konsum und Konsument. (…)

Wenn man mag, kann man es Betrug nennen, wie sich die Waren uns präsentieren: Der Joghurtbecher zeigt Himbeeren, die im Himbeerjoghurt aber fehlen. Und der Nike-Spot zeigt den kleinen Jungen als Ballkünstler, nicht als Fabrikarbeiter, und eine Werbekampagne darf ungestraft behaupten, McDonalds lasse kleine Mädchen als Qualitäts-Scouts seine Pommes-frites-Produktion überwachen. Niemand aber empfindet das als Betrug, weil jeder weiß, dass Werbung Geschichten erzählt und keine Fakten. Was das angeht, ist der Konsument aufgeklärt. Doch wer etwas verkaufen will und dafür wirbt, weiß, dass er der Macht seiner Bilder vertrauen kann; dass sie wirken, wenn man sie wahrnimmt, auch ohne dass man sie für wahr nimmt. Und also hat der Joghurt ohne Himbeeren sein Image als Himbeerjoghurt, und der schöne neue Pullover sieht aus wie ein schöner neuer Pullover.

Ab und zu ahnt man beim Einkaufen, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht, etwa wenn man bei Ikea einen handgewebten Teppich (60 x 90 cm) für 1,89 Euro entdeckt. (»Liebe Mitarbeiter von Ikea, Sie haben kürzlich in Hamburg-Schnelsen einen handgeknüpften Teppich 60 mal 90 für 1,89 angeboten. Wie viel Lohn haben die Teppichknüpfer für das Knüpfen bekommen?

(…) Meistens erstickt man sein Unbehagen mit dem Ohnmachtsgefühl, es ohnehin nicht ändern zu können. Und es stimmt ja auch: Wir sind ohnmächtig.

Aber nur, solange alle an diese Ohnmacht glauben. (…)

Eine Botschaft des Buches ist klar – jeder, der einfach so die „normalen“ Waren in den Einkaufskorb legt, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welches Geschäftsmodell, welche Ausbeutung usw. er damit direkt unterstützt, darf sich auch nicht beklagen, wenn er minderwertige Qualität in Händen hält und auch viele gesellschaftliche Entwicklungen in die falsche Richtung gehen. Natürlich wird mit dem bloßen Ändern des eigenen Kaufverhaltens noch nicht die Welt gerettet, aber es wird doch ein Signal gesetzt, weche Produktionsweisen unsere Zustimmung finden und welche nicht. S0 kann man „Die Einkaufs-Revolution“ mit gutem Gewissen vor allem denjenigen empfehlen (oder schenken / leihen ;-), die im Einkauf bisher keine politische Komponente sehen und nur nach Kategorien wie „die haben doch so lustige Werbung“ oder „ach, das schmeckt aber doch so gut“ entscheiden, ohne zu wissen, was sie damit anrichten. Denn locker lesbar und leicht verständlich, aber aufgrund der Thematik natürlich nicht immer leicht verdaulich, wird der Leser über viele schlimme und bedenkliche Hintergründe aufgeklärt, die sonst hinter der schillernden Fassade von bunter Reklame und geschwätzigen Green Washing versteckt werden.

Tanja Busse „Die Einkaufs-Revolution – Konsumenten entdecken ihre Macht“, Heyne 2008, 320 S., 8.95 €

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Okt
28
2009
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Buchbesprechung: Alexander Meschnig & Mathias Stuhr „Wunschlos unglücklich – Alles über Konsum“

meschnig-wunschlos-unglucklichIn einem konsumkritischen Blog sehe ich es ja fast schon als meine Pflicht an, die – doch recht rar gesäte – deutschsprachige Literatur zum Thema Konsumkritik auch hier vorzustellen. Deshalb ist mit Alexander Meschnigs und Mathias Stuhrs „Wunschlos unglücklich – Alles über Konsum“ nun ein Buch an der Reihe, welches ich vor einiger Zeit per Zufall in einem Berliner Antiquariat entdeckte und dessen konkurrenzlos günstiger Preis von 2 € mich themengerecht zum spontanen Kauf verführte. Zumal die Ankündigung auf dem Buchdeckel bereits sehr vielversprechend klang:

Konsum kann heute alles sein – praktisch jeder Bereich der gesellschaftlichen oder sozialen Realität kann unter diesem Aspekt betrachtet werden. Die Konsumgesellschaft verspricht grenzenloses Glück für alle: Ich kaufe – also bin ich. Meschnig und Stuhr lassen uns hinter die Kulissen der Konsumwelt blicken mit einem Handbuch, das „alles über Konsum weiß“.

Mit solch einem Anspruch liegt die Latte natürlich sehr hoch – und leider musste ich nach der Lektüre auch konstatieren, dass das Buch diese Versprechungen nicht wirklich einhalten kann. Denn obwohl der grundlegende Tenor der beiden Autoren eher konsumkritisch geprägt ist, fallen manche Kapitel und Ausführungen – wohl unter dem vermeintlichen Zwang einer umfassenden und „objektiven“ Darstellung der Facetten der Konsumgesellschaft – seltsam unentschlossen und vage aus.

Doch der Reihe nach. Das Buch ist in zehn Oberkapitel gegliedert, die sich mit den verschiedenen Bereichen beschäftigen, die unsere heutige Konsumgesellschaft maßgeblich bestimmen. In „Politik“ machen die Autoren deutlich, wie sich der Fokus der Zivilgesellschaft vom Bürger hin zum Konsumenten verschoben hat, um den nun alle buhlen. In „Produktion“ werden Veränderungen sowohl in der herkömmlichen Produktionswelt (hin zum Prosumenten, dem Ikea-Kunden, der einen Teil der Möbelherstellung selbst übernimmt) wie auch der Werbewelt beschrieben, die von der Darstellung von Fakten und Informationen weitestgehend abgerückt ist und nun nur noch Erlebniswelten und immaterielle Werte der Marke zu vermitteln versucht.

Der Übergang des Konsumismus hin zu einer Art Ersatzreligion ist aus diesem Grunde auch fließend (siehe auch den Beitrag „Welche Religion kommt nach dem Kapitalismus“) – aus dem Kaufen wird ein Kult, der jeden Tag zu zelebrieren ist und der jeden (der es sich finanziell leisten kann) miteinschließt. Auch diese Klischees, religiöse Anspielungen und Motive, bedient die Reklame mittlerweile direkt oder indirekt.

Konsum ist nichts anderes als der tröstliche Glaube an die Auferstehung aller Dinge. Die Regale im Supermarkt füllen sich ständig neu, stets legt mehr vor unseren Augen, als wir tatsächlich kaufen können. Was ich heute wegnehme, liegt morgen in der gleichen Qualität wieder da. Wie durch ein Wunder ist alles stets auf Neue vorhanden. Unsere wahre Auferstehungskirche ist das Einkaufszentrum und sein Evangelium das Sonderangebot der Woche.

Überhaupt die neuen Götzen: die Marken und Logos, Sie bestimmen Stadtbilder und werden zu eigenen Publikumsattraktionen, wie die „VW-Autostadt“ in Wolfsburg. Und sie sorgen für Identitäten, Zugehörigkeitsgefühl zu Gruppen – dies wird in den Kapiteln „Identitäten“ und „Marken“ näher ausgeführt, in denen auch deutlich gemacht wird, wie tief der Konsum inzwischen unser aller Leben, ob gewollt oder ungewollt, durchzogen hat. Von „Markenterror“ ist hier dann auch folgerichtig die Rede.

Kann bei aller Heimeligkeit des Konsums überhaupt von Terror gesprochen werden? Den Terror üben die Produkte nicht unbedingt auf diejenigen aus, die regelmäßig einkaufen und das so selbstverständlich tun, wie andere Sport treiben oder Haare waschen. Der Markenterror vollzieht sich auf der Ebene der sozialen Teilhabe. Es ist kein physischer Terror in Form von Anschlägen oder Überfällen. Wenn jemandem tagtäglich etwas Begehrtenswertes vor Augen geführt wird, das Objekt der Begierde aber nicht erreicht werden kann, dann beginnt die Unzufriedenheit, der psychische Terror. Eine Mischung aus Angst ud dem Gefühl der Ablehnung macht jede weitere Form des Kontakts mit der Konsumwelt zum Frusterlebnis.

(An dieser Stelle wage ich es doch, den Autoren zu widersprechen – der „Konsumterror“ betrifft nicht nur diejenigen, die sich Dinge nicht leisten können, sondern auch die, die genug Geld haben, ihre Zeit, ihre Energie etc. aber dafür verschwenden/aufwenden, einzukaufen, up to date zu sein, mit der Mode zu gehen etc. Auch hier herrscht permanente Unterbefriedigung, wenn auch aus anderen Gründen.)

In „Unternehmen“ werden einige der großen Marken und Konzerne und ihr Aufstieg in den globalen Kaufolymp vorgestellt – Puma, Ikea oder auch Mattel. Gerade hier fehlte mir beim Lesen zuweilen etwas die kritische Distanz. Die Shopping-Malls und Einkaufstempel sind das Thema von „Räume“ – die großen Einkaufszentren sind mancherorts, vor allem in den USA, ja schon zum Ersatz für ein richtiges soziales Leben geworden, das frühere Stadtzentren abseits des Kaufenmüssens boten. Besonders schrecklich und erschreckend fand ich die Beschreibung von Celebration City, einer Art antiseptischer Kunststadt, die der Disney-Konzern in die Gegend gepflanzt hat und in der eben jene ehemaligen, durch den Konsum zerstörten städtischen öffentlichen Räume nachgebildet werden. Dies nicht etwa wie in Disneyland als Touristenattraktion, sondern als „gated community“ für echte Bürger. In den Worten des ehemaligen Disney-Chefs Michael D. Eisner:

„Ich wäre glücklich in Celebration leben zu können – ich schätze die Freundlichkeit und Sauberkeit, den hohen architektonischen Standard und den unverkennbaren Gemeinschaftsgeist und Stolz, der dort herrscht. Außerdem gefällt es mir, dass man dort an die idealisierenden Familien-Comedies im Fernsehen der fünfziger Jahre erinnert wird, als die Häuser noch Holzzäune hatten und Donna Reed und Jane Wyatt von ihren Veranden aus ihren Kindern, die in Sicherheit zur Schule gehen konnten, zum Abschied zuwinkten.“

Natürlich können sich nur wohlhabende Menschen Plätze in diesem gruseligen Wohnsubstitut leisten…

Noch spannender wird es dann in dem Kapitel „Kulturen“, das aufzeigt, wie die Konsumkultur auch Subkulturen, Widerstand und Gegenbewegungen nach und nach aufsaugt, aussaugt und infiltriert und wie die Medien und die Reklameindustrie aus ehemals im Untergrund schwelenden Entwicklungen neue Megatrends und Hypes generiert, die sich am Ende für die Konzerne in klingender Münze auszahlen. Den „Medien“ ist demzufolge auch ein eigenes Kapitel gewidmet, hier neben der Werbung insbesondere auch Fernsehsendungen, die mit Product Placement und Cross-Selling den Konsum permanent weiter anheizen.

Wirklich groß wird das Buch dann für mein Empfinden im abschließenden Kapitel „Ausblick“, in dem ganz klare und unzweideutige konsumkritische Töne angeschlagen werden, die vor allem auch über das generelle Wirtschafts- und Produktionssystem, da auf dem immer steigen müssenden Konsum basiert, reflektieren und auch durchaus am sog. „politischen Konsum“ (Lohas etc.) als Lösung zweifeln. Ich habe mal beim Verlag eva (Europäische Verlagsanstalt) angefragt, ob ich ein Unterkapitel hier vielleicht im Blog veröffentlichen darf; eine Antwort steht bislang leider noch aus.

Kritischer Verbraucher zu sein bedeutet meist ausschließlich, sich für die Verteidigung eigener Interessen einzusetzen. Ein mündiger Bürger zu sein würde im Gegensatz dazu bedeuten, dass man versuchte, seine vereinzelte Existenz zu überwinden, vom eigenen Leben zu abstrahieren und sich mit anderen zusammenzutun, um Einfluss auf die Politik zu nehmen, Macht zu teilen und gemeinsam auszuüben. Verbraucherkritik allein verbleibt im System des von ihr Kritisierten. (…)

Verbraucherkritik bedeutet in den allermeisten Fällen auch nicht, den Verzicht zu postulieren. Man soll „anders“ konsumieren, aber nicht den Konsum per se verweigern. Der Kampf um die Kaufkraft ist das letzte Tabu, an das niemand zu rühren wagt. Kein Politiker kann ernsthaft den Verzicht predigen, ohne Schaden zu nehmen. Und selbst von alternativer Seite vernehmen wir nur sehr leise Töne, wenn es um private Einschränkungen geht. (…)

(…) Im Konsumentenstaat besteht die Tendenz, jegliches politisches Handeln nur noch im Hinblick auf die eigene Kaufkraft zu messen. Geht sie zurück, muss die politische Führung abgewählt werden. Politik reduziert sich für die meisten Bürger inzwischen auf Fragen des privaten Konsums. Politische Kommunikation wird zu einer Form der Werbung. Genau wie diese muss Politik heute Aufmerksamkeit um jeden Preis erregen. Die Omnipräsenz der Werbung ist dabei symptomatisch für einen umfassenden Erregungszustand der Gesellschaft, der die Aufmerksamkeit zum „Zahlungsmittel“ macht. Es entsteht ein „mentaler Kapitalismus“, der mit den Massenmedien einen eigenen Dienstleistungssektor hervorbringt. (…)

Insgesamt ist das Buch durchaus zu empfehlen, auch wenn es, wie geschrieben, teilweise etwas unklar positioniert ist – für den Anfänger ist es vielleicht zu vielfacettig und damit verwirrend, für den Konsumkritiker manchmal zu austarierend. Dennoch wirft es auf jeden Fall einen gelungenen Blick hinter die Kulissen des Konsumtreibens, das uns alle umgibt und über das „man“ für gewöhnlich nicht weiter nachdenkt.

Alexander Meschnig/Mathias Stuhr: „Wunschlos unglücklich – Alles über Konsum“, eva Europäische Verlagsanstalt 2005, 198 S., 4.90 € (direkt beim Verlag)

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Aug
13
2009
7

Buchbesprechung: „Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns“

attac-nestlaÜber die Firma Nestlé gibt es viel Kritisches zu sagen – manches habe ich ja auch hier in meinem Blog schon unters Volk gebracht. Wer jedoch gerne eine kompakte Fassung der Sünden des Schweizer Großkonzerns zwischen zwei Buchdeckeln sein eigen nennen möchte, dem kann ich das Buch „Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns“, herausgegeben von Attac Schweiz, erschienen 2005 im Rotpunktverlag, empfehlen. Dieses kleine und mit 128 Seiten nicht unmäßig dicke Büchlein sorgte bereits in seiner Entstehungsphase für Wirbel, denn tatsächlich hatte Nestlé offenbar so große Angst vor dem, was die Attac-Autoren (u.a. Sandra Bott und Stephan Suhner) bei ihren Recherchen herausfinden würden, dass sie eine „V-Frau“ in die Aktivistengruppe einschleusten, um über den Fortgang des Buches auf dem Laufenden zu sein – hier sieht man wieder einmal, mit welchen Bandagen in der „freien Wirtschaft“ gekämpft wird. Als dies nach Erscheinen des Werkes publik wurde, sorgte es für einigen Wirbel („Nestlé ließ bespitzeln“, Frankfurter Rundschau vom 16.6.2008), verschaffte dem Buch aber nachträglich noch etwas wohlverdiente Aufmerksamkeit.

Denn was die Schweizer Attac-Gruppe hier zusammengetragen hat, ist ein erschreckendes Psychogramm eines Konzerns, der bei seinem scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg zu einem der größten Unternehmen der Welt keine Rücksicht nimmt und primär auf den eigenen Vorteil aus ist, allen buntschillernden verlogenen Reklame- und Imagekampagnen zum Trotz. In acht Hauptkapitel ist das Buch gegliedert, wobei das erste einer kurzen Einleitung und einer Historie dieser Firma gewidmet ist. In den nächsten sechs Abschnitten geht es um einige der wichtigsten Kritikpunkte an Nestlé. Da wäre das oft angespannte Verhältnis zum Arbeitsrecht und zu Gewerkschaften weltweit, vor allem in Südamerika und Asien, aber auch in Frankreich und Deutschland versucht man hier gerne, das Maximum fürs Unternehmen aus den Arbeitern herauszuholen. Um den Konflikt in Kolumbien dreht sich ein eigenes Kapitel, das deutlich macht, wie hart Nestlé zum Teil vorgeht. Auch wenn seit dem Erscheinen des Buches an die 4 Jahre vergangen sind, dürfte sich hier, wie auch an den anderen Kritikpunkten, nicht viel geändert haben.

Besonders unerfreulich ist der Abschnitt über Nestlés proaktive Einstellung zur Gentechnik. Während in Europa der Widerstand in den meisten Ländern so groß ist, dass der Konzern hier davon abgesehen hat, genveränderte Produkte direkt/offensiv anzubieten (über Futtermittel etc. kommen wir hierzulande aber auch in den „Genuss“ dieser Sachen) sieht das in den ärmeren Regionen anders aus, in denen die Öffentlichkeit nicht ausreichend informiert und aufgeklärt wird, so dass Nestlé hier im großen Stile abkassiert. Wie auch im Bereich Kaffee, wo der Konzern mit Sitz im Schweizerischen Vevey zu den größten Anbietern  bzw. Kaffee-Einkäufern weltweit gehört. Von fairem Handel hat man hier noch nichts gehört, statt dessen wird die Differenz aus dem sinkenden Weltmarktpreis des Kaffees nicht an den Endverbraucher weitergegeben, sondern flott in die eigene Tasche gesteckt – während die Bauern in den Anbauländern darben.

Ebenso bedrohlich wie Nestlés Engagement im Genbereich ist auch der offen deklarierte Plan, so viele Wasserquellen wie nur irgend möglich unter seine Kontrolle zu bekommen, weil dies ein Zukunftsmarkt ist und der Firma auch eine unangreifbare Position im Wettbewerb bietet. Allerdings zeigen die Autoren, dass es in verschiedenen Ländern erfolgreichen Widerstand gegen den Aufkauf lokaler Quellen gegeben hat, so in Südamerika und auch den USA sowie sogar einmal in der Schweiz, also vor der eigenen Haustür. Wer immer hierzulande Flaschenwasser von Vittel, Perrier, San Pellegrino oder Pure Life und Aquarel kauft und trinkt, unterstützt diesen Konzern in seinem Bestreben, ein öffentliches Gut zu privatisieren und zu monopolisieren – denkt beim nächsten Einkauf mal darüber nach… (Gleiches gilt natürlich auch für den Erwerb von Coca-Cola-Produkten etc., denn Nestlé ist selbstverständlich nicht der einzige Multi, der seine Krakenarme nach diesem lebenswichtigen Gut ausstreckt.)

Den Schlusspunkt bildet der nichtendenwollende und bereits seit den 70er Jahren schwelende Skandal um Milchpulver, mit dem Nestlé gerade in ärmeren Ländern Mütter das Stillen abgewöhnen will, damit sie fortan das teure industrielle Produkt für ihre Babys verwenden. Hier zeigt sich die besondere Skrupellosigkeit dieses Unternehmens. Abgerundet werden all diese Infos, die vermutlich auch nur die Spitze des Eisbergs darstellen, mit Surftipps und einer (nicht vollständigen) Liste der Marken, die weltweit zu Nestlé gehören. Wer sich also einen geeigneten Überblick über das Gebaren dieses Unternehmens verschaffen will und eine gelungene Argumentationshilfe benötigt, wenn er mal wieder jemanden im Bekanntenkreis davon überzeugen will, Nestlé-Produkte lieber im Regal liegen zu lassen, der sollte sich dieses Buch ruhig zulegen. (Oder in der Bibliothek ausleihen. :-)

Attac-Texte – „Nestlé. Anatomie eines Weltkonzerns“. Rotpunktverlag 2005, 128 S., 9,50 €

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Jul
07
2009
12

Buchbesprechung: Horst Stowasser „Anarchie!“

stowasser-anarchieEin Buch, das über 500 Seiten mächtig und dazu noch recht eng bedruckt ist, liest man nicht mal so eben flott durch. Folgerichtig habe ich an Horst Stowassers faszinierendem Werk „Anarchie! Idee – Geschichte – Perspektiven“ eine ziemlich lange Zeit gelesen und tue mich nun auch ein wenig schwer, eine kurze & knappe Rezension dieses Buches zu verfassen, denn es ist vollkommen ausgeschlossen, in ein paar Zeilen die Fülle an Informationen und Anregungen, die der Autor dem Leser hier vermittelt, darzulegen. Dass es dringend angezeigt ist, sich Gedanken über Alternativen zu den jetzigen bzw. sattsam bekannten (gescheiterten) Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen (Kapitalismus/Marktwirtschaft, Kommunismus) zu machen, verdeutlicht die „Finanzkrise“ tagtäglich aufs Neue und ist ja nun auch schon seit einer Weile ein ständig wiederkehrendes Thema in meinem Blog. Von daher ist Stowassers umfassende Analyse der Ideen der Anarchismus aktueller und notwendiger denn je – alternative Zukunftsvisionen, z.B. jenseits der Warenwirtschaft, zu entwickeln und zu durchdenken findet ja im alltäglichen Politzirkus unserer Parteien-Demokratie leider überhaupt nicht statt.

Wie schon der Untertitel andeutet ist Stowassers Buch in drei große Bereiche gegliedert. Im ersten Teil, „Die Idee“, geht es um die grundlegende Klärung dessen, was Anarchie bzw. Anarchismus eigentlich ist, was er will – und was nicht! Denn leider ist es ja doch so, dass heutzutage die meisten Menschen beim Begriff „Anarchie“ an langhaarige Bombenleger, an Gewalt und Chaos denken. Dass dieses negative Image seine Wurzeln in einer sehr kurzen Phase der Anarchie hat, die Ende des 19. Jahrhunderts dazu führte, dass einige radikale Aktivisten meinten, die Repräsentanten eines verhassten Systems mit Bomben aus dem Weg zu schaffen, führt der Autor später weiter aus – zunächst stellt er klar, dass Anarchie grundlegend gewaltfrei ist und nichts mit chaotischen Zuständen zu tun hat, das Grundprinzip der Anarchie ist von seinen Ursprüngen an „Ordnung ohne Herrschaft“ (das Wort „Anarchie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „keine Herrschaft“). Ich muss dabei gestehen, dass ich bis zur Lektüre dieses Buches selbst wenig über die Ideen wusste, die Anarchie ausmachen und auch eher dem Chaos-Begriff zuneigte. Dabei lerne ich schon auf den ersten Seiten, dass ich von meiner Persönlichkeit her tendenziell zu den „natürlichen Anarchisten“ zähle :-) , also denjenigen, die z.B. ein Problem mit Herrschaftsstrukturen und starren Systemen haben.

Folgerichtig lehnen Anarchisten die Idee und das Konzept eines Staates als Bevormundungs- und auch Unterdrückungssystem ab, aber auch die uns derzeit beherrschende Form der Demokratie als Parteienherrschaft. Eine anarchistische Partei wäre demnach ein Widerspruch in sich (obwohl es so etwas mal in Spanien gab). Generell gibt es – anders als bei Zwangsbeglückungssystemen wie dem Kommunismus als „staatstriefende Version des Sozialismus“ – beim Anarchismus kein starres Programm, kein dogmatisches Regelwerk, nach dem man sich zu richten hätte – die individuelle (aber eher solidarisch verstandene, also nicht neoliberal-egoistische) Freiheit des Menschen steht im Mittelpunkt sowohl der Gesellschaft wie auch der Wirtschaft.

»Der Staat ist eine Abstraktion, die das Leben des Volkes verschlingt – ein unermeßlicher Friedhof, auf dem alle Lebenskräfte eines Landes großzügig und andächtig sich haben hinschlachten lassen.« – Michail Bakunin –

Zu den ersten Höhepunkten von Stowassers Ausführungen gehören für mich, neben den Abschnitten über die anarchistische Kritik am Kommunismus, am Staat und der (Parteien-)Demokratie, das Kapitel „Eine andere Ökonomie“, in der der Autor eine in meinen Augen hervorragende und messerscharfe Analyse unseres Wirtschaftssystems vornimmt und den Finger an viele Wunden legt und dabei auch unsere „Wissenschaft“ (Betriebswirtschaftslehre etc.) nicht verschont. Da ich dieses Kapitel für so grundlegend wichtig halte, habe ich es einmal als eigenes pdf extrahiert (hier herunterzuladen) – jeder BWLer, jeder Banker und alle Anhänger der ach! so sozialen Marktwirtschaft sollten diese 25 Seiten mal gelesen haben… Viele andere Facetten des ersten Abschnitts dieses Buches, sei es das Patriarchat, Gedanken zu einer freieren Kunst, zur Vernetzung, zur Ökologie usw. kann ich an dieser Stelle nicht näher ausführen.

In der Schule – gleichgültig ob staatlich oder religiös geprägt – würden Untertanen hergestellt. Auch wenn als Erziehungsziel offiziell der ›kritische und mündige Staatsbürger‹ gefordert werde, bleibe es immer noch beim Staatsbürger. Neben Lesen, Schreiben, Rechnen und viel ›Sachwissen‹ werde vor allem eines gelehrt: Anpassung an die bestehenden Gesellschaftsverhältnisse – zwar nicht als Lehrfach, aber überall versteckt. Und selbst das angeblich wertfreie ›Sachwissen‹ stecke bei näherem Hinsehen voller Einseitigkeit, Ideologie und Phantasielosigkeit. Vielfalt, wirkliche Alternativen und vor allem Freiheit des Lernens gebe es nicht.

Im zweiten Teil, „Die Vergangenheit“, liefert uns Horst Stowasser eine packende Zusammenfassung der Geschichte der Anarchie, von frühern Vorläufern, ersten Experimenten, über die Entstehung des Anarchie-Konzepts im 19. Jahrhundert parallel bzw. zu Beginn sogar gemeinsam mit der Entwicklung des Sozialismus – erst nach einiger Zeit begannen sich Sozialisten und Anarchisten in unterschiedliche Richtungen zu entwickeln. Tatsächlich wurden die Sowjet-Kommunisten (zusammen mit den Faschisten) im 20. Jahrhundert die größten Feinde der Anarchisten und bekämpften diese mit aller Macht. Ich muss gestehen, dass ich im Geschichtsunterricht nichts über diese Entwicklungen gelernt habe und mir diese ganzen Details und Verknüpfungen komplett neu waren; ich kannte nicht einmal die bekanntesten Köpfe der Anarchiebewegung wie Michail Bakunin oder Pierre-Joseph Proudhon. Da Stowasser einen sehr angenehmen, lockeren Schreibstil hat, der nicht unnötig mit Fachvokabular überfrachtet ist, fand ich diese „Geschichtsstunde“ extrem spannend und bereichernd, zumal man erfährt, wie stark die Idee des Anarchismus/Anarchosyndikalismus von allen Seiten der Repression ausgesetzt war. Der Autor findet darum verständlicherweise auch wenig gute Worte über Kommunisten, Kapitalisten und Faschisten, aber auch nicht für Sozialdemokraten und die Gewerkschaften, die ihre ursprünglichen Ideen und Ideale längst auf dem Altar der Machterhaltung geopfert haben.

So deprimierend und hart sich auch manches liest, was dem Leser dort an (ausgerotteter) anarchistischer Geschichte vor Augen geführt wird, so ist es auch faszinierend zu sehen, wie vielschichtig, wie bunt und schillernd diese Bewegung all die Jahrzehnte über war – und dass sie 1936 für 3 Jahre in Spanien (wo die Bewegung auch heute noch am stärksten ist) einige große Städte wie Barcelona unter ihrer Selbstverwaltung hatten und trotz des Kampfes gegen die spanischen Faschisten (den sie am Ende bekanntlich gegen Francos Truppen verloren) dort ein funktionierendes und den Umständen entsprechend blühendes Alltagsleben initiieren konnten.

stowasserEtwas ernüchtert ist Stowassers Analyse des heutigen Zustands des Anarchismus, der aktuell durch eine gewisse Rat- und Richtungslosigkeit gekennzeichnet ist, wobei sich andererseits viele Initiativen, die zwar nicht das Label „Anarchie“ tragen, dennoch aber deren Gedanken in die Tat umsetzen, entwickelt haben – selbst verwaltete Firmen, regionales Wirtschaften uvm. – u.a. darum geht es im dritten und kürzesten Teil, „Die Zukunft“ des Anarchismus.

Am Ende der mehr als 500 Seiten trennt man sich nur ungern von der Lektüre dieses großartigen Buches, das ich wirklich wieder einmal nur jedem ans Herz legen kann. Aber Vorsicht: Wer ein Patentrezept für ein zukünftiges Gesellschaftssystem erwartet, also eine fertige Anleitung mit integriertem Regelsystem, wird enttäuscht sein, denn so etwas widerspräche irgendwie auch dem Geist des Anarchismus. Vielmehr geht es m.E. darum, in vielen Bereichen die festgefahrenen Denkschablonen zu verlassen und Diskussionen über Alternativen zuzulassen und anzuregen. Und zu erkennen, dass Menschen schon seit langem kreativ über ein menschengerechteres Zusammenleben nachdenken. Die Marktwirtschaft ist nicht das Ende der Geschichte.

Ach ja, bevor mir jetzt jemand wieder einen Konsumaufruf unterstellt, weil ich dieses Buch empfehle: Die alte Ausgabe dieses Werkes gibt es tatsächlich legal und kostenlos als pdf im Netz, und zwar auf der Website Mama Anarchija (>> pdf). Diese 1995 im Eichborn Verlag erschienene Version ist gut 100 Seiten schlanker, heißt noch „Freiheit pur – Die Idee der Anarchie“ und diverse aktuelle Entwicklungen und Betrachtungen fehlen natürlich (damals hatten wir beispielsweise noch die D-Mark!), aber als Einstieg ist auch diese Variante durchaus zu empfehlen.

Horst Stowasser: „Anarchie! Idee – Geschichte – Perspektiven“, Edition Nautilus 2006, 511 S., 24,90 €

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2009
33

Buchbesprechung: Kalle Lasn „Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung“

„Werbung ist das am weitesten verbreitete und stärkste aller mentalen Umweltgifte.“
– Kalle Lasn, „Culture Jamming“

cover_culturejamming_groEine Rezension für dieses Buch zu schreiben fällt mir nicht ganz leicht. Normalerweise regen einen gute Bücher ja zum Nachdenken an, vielleicht sogar mal zum UMdenken in dem einen oder anderen Detail. Dass ein Buch jedoch einen so großen „Impact“ hat, dass ich mit Fug und Recht behaupten kann, es hätte mein Leben verändert, ist extrem selten. Kalle Lasns „Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung“ ist solch ein Buch. Schon seit Jahren trieb mich ein wachsendes Unbehagen über die Entwicklung um mich herum um, was die zunehmende Ausbreitung von Reklame und Kommerz angeht, ohne dass ich genau den Finger auf diese schwelende Wunde legen konnte. Aber nach nur wenigen Seiten Lektüre von „Culture Jamming“ wurde mir bewusst, dass hier jemand genau die Gedanken zu Ende gedacht hatte, die mich so lange bedrängten und (oft unbewusst) beschäftigten – meine Abscheu gegenüber der immer aufdringlicheren Dummbräsigkeit von Werbung übler Firmen, mein wachsender Unmut gegenüber den nur noch auf kommerziell verwertbare „Events“ ausgelegten Medien – der „Welt des Spektakels“ –, mein Unwohlsein angesichts der voranschreitenden Uniformität der (Waren-)Welt, all dies thematisiert Lasn in seinem bahnbrechenden Buch scharfsinnig und pointiert, fundiert und unterhaltsam.

„Culture Jamming“ ist in vier Bereiche aufgeteilt, die nach den Jahreszeiten Herbst Winter, Frühling und Sommer benannt sind und in der entsprechenden Logik auch den Zustand unserer Gesellschaft und unseres Wirtschaftssystems beschreiben. Zu Beginn umreißt Lasn den Ist-Zustand („eine Bilanz des Schadens“, wie er schreibt), der in einer alle Lebensbereiche durchziehenden Kommerzialisierung besteht, in einer wachsenden Macht von immer größer werdenden Unternehmen und einer siechenden Natur. „Winter“ ist eine noch zugespitztere Darstellung – „Amerika in einer Konsumtrance“. Lasn verwendet America™ nur noch mit dem Trademarksymbol, um zu zeigen, dass die Konzerne es sind, die das Geschick des Landes leiten und dass der amerikanische „way of life“ wie ein (sehr erfolgreiches) Produkt den Globus überzieht und überall den gleichen Schaden beim Menschen wie der Umwelt anrichtet.

Ist also alles schon zu spät? Nein, in „Frühling“ erwachen die Menschen allmählich wieder zum Leben – es regt sich Widerstand. Ausgehend von den Situationisten in den 60er Jahren in Frankreich, die eine der geistigen Grundlagen für Culture Jamming und Adbusting gelegt haben (kleine Erklärung dieser Begriffe hier), zeigt Lasn, dass es schon immer Widerstand gegen die Vereinnahmung des Lebens durch die Wirtschaft gegeben hat, vor allem in der Kunst- und Musikszene. In den letzten Jahren und Jahrzehnten entsteht aber auch Widerstand konkret gegen Kampagnen und Reklame, Menschen fangen an, die „bequemen und abstumpfenden Muster zu durchbrechen, denen wir verfallen sind“. Im Culture Jamming geht es laut Lasn darum, „den Strom des Spektakels so lange anzuhalten, bis man sein System neu eingestellt hat. Debord nannte das ‚die alte Syntax durchbrechen‘ und durch eine neue ersetzen.“ Tatsächlich hörte ich in diesem Buch zum ersten mal von solch konkretem und teils „organisiertem“ Widerstand gegen die Ansinnen der Konzerne und der Reklame und war selbst von dieser Vorstellung sofort elektrisiert. Im weiteren Verlauf des Buches stellt Lasn dann das Adbusting, also das Karikieren, Ins-Gegenteil-Verkehren von Anzeigen und Werbespots vor und zeigt, dass sich hier eine vitale „Szene“ entwickelt hat.

„Sommer“ ist schließlich der Aufruf, selbst aktiv zu werden, etwas zu unternehmen und mit Änderungen auch im eigenen kleinen Bereich zu beginnen – und zu versuchen, auch andere Menschen „zu wecken“. Kalle Lasn spricht sich dafür aus, die Wut, die viele Menschen angesichts der momentanen Situation befällt, zu nutzen, um sich zu wehren und die Macht der Konzerne anzugreifen. Er regt zu Akten des zivilen Ungehorsams an und dazu, sich von Firmen nicht alles bieten zu lassen (bei ungebetenen Werbeanrufen soll man beispielsweise das Gegenüber um seine private Telefonnummer bitten, man werde dann später zurückrufen). Es geht ihm auch darum, vieles von dem, was uns die Reklameindustrie als „cool“ einzureden versucht, nicht mehr als „cool“ dastehen zu lassen – Dinge wie Fastfood oder überteuerte, unter üblen Bedingungen hergestellte Sportschuhe von Nike sind nicht „cool“, sondern schädlich und peinlich. Von daher verfolgt der Autor durchaus auch ein idealistisches Ziel, nämlich, das Bewusstsein der Leute für diese Missstände zu wecken und sie so zu einer Verhaltensänderungen anzuregen.

kalle-lasn-adbusters_rsDas größte Plus von Lasns Buch ist für mein Empfinden der latent anarchische und vor allem proaktive Ansatz – hier wird also nicht nur abgehoben in theoretischen Sphären über Phänomene diskutiert, sondern es findet eine unmittelbare Aktivierung des Lesers statt – zumindest war dies bei mir der Fall. Sofort hat man Lust, mal sein Einkaufsverhalten zu überdenken und den ganzen überflüssigen und meist auch noch ungesunden Quatsch der großen Konzerne von seinem Einkaufszettel zu streichen. Oder Reklame so weit wie möglich aus dem eigenen Leben zu verbannen. Den Fernsehkonsum zu reduzieren, insbesondere den privater Sendeanstalten (deren Programm eh nur eine Dauerwerbesendung mit kurzen Anmoderationen darstellt). Rauszugehen und die Kommerzbotschaften der Firmen lächerlich zu machen. Widerstand zu leisten gegen die scheinbar unaufhaltsame Kommerzialisierung des gesamten Lebens. Oder auch einen Blog wie diesen hier ins Leben zu rufen. :-) Es gäbe noch viel mehr zu diesem Werk zu sagen, aber ich empfehle einfach, es mal selbst zu lesen, um den Kopf ein wenig frei zu bekommen, und sich auch mal die Website des kanadischen, von Lasn herausgegebenen Adbusters Magazine anzuschauen.

Fazit: „Culture Jamming“ ist ein wichtiges Buch, das jeder, der am aktuellen (Konsum-)Leben teilnimmt, gelesen haben sollte. Es schärft den Blick und motiviert zum selbstständigen, kritischen Denken, hilft bei der Befreiung von Konzernverkleisterung via Werbung und Imagekampagnen – und es animiert zum Aktivwerden und Widerstand leisten und macht Mut. Was will man mehr?

Kalle Lasn: „Culture Jamming. Das Manifest der Anti-Werbung“, orange press, 3. Aufl. 2008, 224 S. + 16 Farbseiten, 20,– €

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