Dez
19
2008
1

Buchtipp: Tobias Plettenbacher – Neues Geld, neue Welt

„Ich glaube, dass wir in unserem Geldsystem eine Art karzinombildendes Element haben, was unsere Wirtschaft fortwährend krank macht… Meiner Meinung nach kann dieses Geldsystem nur dadurch funktionieren, dass es immer wieder zusammenbricht und dann wieder von vorn begonnen wird. Diese Zusammenbrüche nennt man dann Kriege, Wirtschaftskrisen oder Inflationen, je nachdem, aber das bedeutet nur, dass dieses System in sich selbst kein Regulativ hat, was zu einer vernünftigen Eindämmung führen würde.“ Michael Ende, dt. Autor 1992

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Dass Geld und der Geldkreislauf in der Form, wie wir sie derzeit kennen und nutzen, viele Probleme mit sich bringt (insbesondere die Zinseszinsproblematik), hatte ich ja schon an einigen Stellen erörtert (hier oder hier). Dennoch ist dies für die meisten Menschen ein Thema, über das sie eigentlich nie wirklich nachdenken – Geld scheint einfach da zu sein, man geht zur Bank, um sich neues Geld zu holen und kauft anschließend damit ein. Darüber, dass unser jetziges System keineswegs ein naturgegebener, unveränderlicher Zustand ist, haben sich jedoch in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten bereits so manche Experten Gedanken gemacht. Gerade in der heutigen Zeit, in der die „Finanzkrise” die systemimmanenten Fehler eigentlich für jedermann offenbart, sind neue Ideen, wie man Währungen anders organisieren kann, vonnöten.

Tobias Plettenbacher, Mitglied von Attac in Österreich und Mitinitiator von timeSOZIAL, hat sich solche Gedanken gemacht. In seinem Buch „Neues Geld, neue Welt. Die drohende Wirtschaftskrise – Ursachen und Auswege”, das im planet Verlag erschienen ist, das er jedoch auch als kostenlosen pdf-Download (in CC-Lizenz) anbietet, bietet er auf gut 150 Seiten eine leicht verständliche Einführung ins Thema Geld und alternative Währungssysteme.

Insgesamt 5 Teile umfasst sein Werk – im ersten Teil geht der Autor auf das „normale” Geld ein und arbeitet die einzelnen Probleme heraus, die dieses für die Gesellschaft, die Umwelt und auch die Wirtschaft (vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe) mit sich bringt. Denn wer jetzt auf „gierige Banker” etc. schimpft, macht es sich zu leicht. Teil zwei schildert theoretische Lösungsansätze, um aus dem Zinsdilemma und dem zerstörerischen Finanzsystem heraus zu kommen. Hier wird u.a. die Tobin-Steuer, aber auch Vollgeld und Geldökologie angesprochen. Im dritten Teil beleuchtet Plettenbacher dann die Geschichte von alternativen Währungssystemen, die von den Herrschenden auch früher nicht gerne gesehen und oftmals, wenn diese neuen Währungen zu erfolgreich zu werden drohten, abgewürgt und verboten wurden. Das bekannteste Beispiel war das „Wörgl-Experiment” in Österreich Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Teil Nummer 4 wendet sich anschließend der Gegenwart zu und beschreibt die Vielzahl von Initiativen, die es weltweit im Bereich komplementärer und alternativer Währungen gibt – vom Chiemgauer regional über den VOLMEtaler (Hagen), das LETS-System in den USA und schließlich dem größten und erfolgreichsten Projekt in diesem Bereich, dem Pflegemodell Fureai Kippu in Japan mit mehreren Millionen Mitgliedern. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel hier schon getan wird, ohne dass die Mainstreammedien darüber nennenswert berichten würden. Im abschließenden Teil des Buches versucht sich Tobias Plettenbacher an einem Komplementären Gesamtmodell, das als Anregung und Grundlage für weitere Überlegungen dienen soll.

Flankiert von zahlreichen Zitaten aus mehreren Jahrhunderten bietet der Autor somit einen zwar sicherlich etwas vereinfachten, aber dennoch gerade für den Laien gut nachvollziehbaren Einstieg in die doch etwas beschwerlich erscheinende Materie Geld und Währungssysteme. Und bei einem unschlagbaren Preis von 0 € für das pdf gibt es sowieso keinen Grund, nicht zumindest einen Blick hinein zu werfen.

> Download des Buches als pdf-File (2.8 MB) <

„Geld und damit Liquidität bleiben in der Region. Wertschöpfung passiert für und in der Region… Regiogeld unterstützt eine Wirtschaftskultur, die auf Kooperation und nicht auf Konkurrenz aufbaut… Regiogeld löst die Abhängigkeit von globalen Tendenzen auf, stärkt die regionale Ökonomie und Identität.“ Slogans der Anhalt Dessau AG

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Dez
04
2008
1

Buchbesprechung: Franz Kotteder „Die Billig-Lüge. Die Tricks und Machenschaften der Discounter”

Seit vielen Jahren sprießen Discounter wie (faulige) Pilze aus dem Boden und verdrängen den etablierten Einzelhandel. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Lebensmittelgiganten wie Aldi oder Lidl, sondern auch um Kleidung (kik), Drogeriewaren (Schlecker) oder Elektronik (MediaMarkt) – und die Besitzer der Discounterketten zählen mittlerweile zu den reichsten Männern Deutschlands. Dass dieser betriebswirtschaftliche Erfolg nur zum Teil auf das zurückzuführen ist, was Aldi an seinen Kassen auf Plakaten so gerne als „Das Aldi-Prinzip” propagiert, also auf niedrige Preise durch große Abnahmemengen und überschaubares Sortiment, und auch nicht bloß auf die spartanische Ausstattung der einzelnen Läden, dämmert inzwischen so manchem, wenn er die vielen negativen Meldungen über z.B. Lidl mit ihren Überwachungsskandalen in den Zeitungen verfolgt.

Auch Franz Kotteder, seines Zeichens Wirtschaftsredakteur bei der Süddeutschen Zeitung, hat sich aufgemacht, um in seinem Buch „Die Billig-Lüge” (Droemer Verlag, 2005) hinter die Kulissen der Discountmilliardäre zu schauen und (vielleicht etwas plakativ formuliert) die „Tricks und Machenschaften” dieser Konzerne zu durchleuchten. Auf dem Klappentext fragt er:

Aber ist denn nicht alles in schönster Ordnung, solange der Preis stimmt? Aldi, Lidl, Penny, Schlecker, Metro, Wal-Mart, Media Markt und Co. beschwichtigen unser unbehagliches Gefühl, dass es so wenig nicht kosten kann und dass irgendjemand dafür bezahlen muss. Könnte dieser Jemand vielleicht wir selbst sein?

Auf insgesamt 270 Seiten zeigt Kotteder sich als sehr engagierter Beobachter, dem die Thematik ganz offensichtlich am Herzen liegt und der mit seinem Buch Überzeugungs- oder zumindest Aufklärungsarbeit leisten will. Er beginnt seine Reise ins Reich des Discounts damit, die derzeitig Entwicklung auf dem deutschen Markt zu schildern, und zeigt schnell auf, welche Dimensionen die Billigwelle erreicht hat und welche Folgen sie zeitigt: monoforme Innenstädte, immer weniger Auswahl durch immer größere Marktmacht, aber auch sinkende Arbeits- und Sozialbedingungen im Einzelhandel. Ausführlich wird die Entstehungs- und Erfolgsgeschichte von Deutschlands dienstältestem Discounter – Aldi – und seiner Besitzer, den Albrecht-Brüdern (Europas reichster Familie!) nachgezeichnet, von den bescheidenen Anfängen als kleiner Einzelhandelsmarkt bis zu den heutigen Ausmaßen. Das Aufholen von neuen Konkurrenten wie dem besonders rücksichtslos vorgehenden Lidl-Konzern wird ebenfalls ausführlich geschildert.

Auch auf die Folgen des Billigdrucks auf die Zulieferbetriebe in Deutschland und die Hersteller vor allem in den ärmeren Ländern geht Franz Kotteder explizit ein. Wer die Kapitel darüber gelesen hat, unter welchen Bedingungen Kakao oder Orangen geerntet werden, damit sie hierzulande möglichst billig im Einkaufswagen landen, oder welch verheerende Auswirkungen das Züchten und Fischen von Garnelen für den europäischen Markt auf die Natur in den asiatischen Lieferländern hat, sieht die Angebote in unseren Regalen wohl mit anderen Augen. Nach den Ausführungen über die Zustände bei der Produktion von Fleisch und Eiern kauft wohl nur noch der Hartgesottenste diese Dinge aus industrieller Produktion…

Die für mich mit erschreckendsten Kapitel sind „Ausnehmer und Arbeitnehmer – wie die Discounter mit ihrem Personal umspringen”/„Mobbing als Führungsaufgabe”, die ganz klar machen, wo Aldi & Co. das Haupteinsparpotential ihres Geschäftsmodells sehen, nämlich beim „Mitarbeiter”. Und der Abschnitt, in dem der Autor die Konzernstruktur von Aldi, aber auch Lidl, genauer unter die Lupe nimmt – diese Konzerne sind nämlich in ein undurchdringliches Dickicht aus Stiftungen aufgesplittet, alles mit dem Ziel, so wenig von dem Gewinn wie nur möglich steuerlich abführen zu müssen, was nichts anderes bedeutet, dass unsere freundlichen Discountmilliardäre ihr Vermögen mit sozialschädlichem Verhalten, also auf dem Rücken der Allgemeinheit, machen.

Leider weist „Die Billig-Lüge” auch eine Anzahl merklicher Schwächen auf, die mich beim Lesen gestört haben – so will Franz Kotteder offensichtlich dem Vorbild Michael Moores nacheifern und schreibt teilweise in eher unangemessen schnoddrigem Stil, was die Seriosität seiner Ausführungen an manchen Stellen beeinträchtigt. Noch gravierender ist jedoch die didaktische Unausgewogenheit seines Textes – gerade bei den durch Umsatzzahlen oder sonstige Statistiken erhärteten Fakten hält sich der Autor sehr lange auf, um dann an anderer Stelle extrem schwammig und kurz zu bleiben. Ja, zuweilen beginnt Kotteder, wirklich interessante Fragen zu stellen (die sicherlich auch im Rahmen einer Diskussion aufkämen, die man selbst mit Freunden dazu führen würde), nur um dann quasi mitten im Gedankengang innezuhalten und den Leser wieder mit einem Zahlenwust von der eigentlichen Fährte abzubringen. Zudem wiederholt er manche Fakten mehrfach (dass China mittlerweile der größte Aufkäufer von Baumwolle ist z.B.), ohne die Implikationen für den Leser herauszustellen, und so mancher seiner Kritikpunkte trifft nicht nur speziell auf Discounter, sondern auch auf andere Supermarktketten zu.

Besonders schwach ist das Abschlusskapitel „Wege aus der Geizfalle”, in dem er sich auf recht wenigen Seiten darüber auslässt, was denn nun eigentlich zu tun ist. Zudem widerspricht er sich selbst, indem er damit schließt, dass ein Boykott der Discounter keine Lösung wäre, dann aber doch dafür plädiert, dass die Verbraucher wieder lernen müssen, Dingen einen gewissen Wert beizumessen, sich seiner Macht bewusst zu werden und z.B. ökologisch fair einzukaufen. Letztlich spricht der Autor dem Discountsystem damit eine Art „ewige Daseinsberechtigung” aus, bei dem es nur noch darum geht, die Discounter durch Nachfragen und Fordern fairerer Bedingungen zu reformieren, nicht aber, das System prinzipiell in Frage zu stellen. Das ist m.E. viel zu kurzsichtig, was Kotteder auch selbst kurz darauf feststellt, wenn er davon spricht, dass die Probleme viel grundsätzlicher angegangen werden müssten. In diesen Momenten wirkt das Buch so, als wären die Kapitel im Abstand von mehreren Monaten, jedes für sich, entstanden und später nicht noch einmal komplett gegengelesen worden.

Obwohl das zu kurz und zu diffus geratene Schlusskapitel mich etwas unbefriedigt zurückgelassen hat, spricht Kotteder dort doch auch einige sehr wichtige Punkte an, beispielsweise den, dass das Discount-System keine perfide Idee einiger böser Menschen ist, sondern im Rahmen unserer Marktwirtschaft eine Reaktion auf die Wünsche der Käufer darstellt. (Auch wenn man schon sagen muss, dass damit vieles von dem Fehlverhalten der Konzerne dennoch nicht zu entschuldigen oder zu relativieren ist.)

Sind wir also selber schuld an den ganzen negativen Auswüchsen der Billigmasche, die unser Land und nicht nur unseres so flächendeckend überzieht? Ja, das sind wir. Zugleich kann uns niemand die Aufgabe abnehmen, eine Richtungsänderung herbeizuführen.

Genau hier müssen wir ansetzen – ein Bewusstsein für die negative Spirale zu entwickeln, die das Billigsystem auslöst und in deren Strudel wir alle hineingerissen werden, ob wir es wollen oder nicht. Franz Kotteders Buch ist dabei ein, wenn auch nicht vollständig gelungener, Schritt, sich über die Hintergründe der Discounter zu informieren und sein persönliches Einkaufsverhalten zu überdenken.

Weitere Meinungen über das Buch und seine Inhalte findet Ihr übrigens bei Echowelle, PolitiKritik (mit sehr lesenswerten zusätzlichen Ausführungen über Discounter!), Wortgestöber und STB Web („Vom latenten zum ganz konkreren Unbehagen an der Geiz-ist-geil-Mentalität”).

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Nov
04
2008
1

Buchbesprechung: Klaus Werner / Hans Weiss „Das neue Schwarzbuch Markenfirmen”

Klaus Werner / Hans Weiss
Das neue Schwarzbuch Markenfirmen. Die Machenschaften der Weltkonzerne.

Es ist nicht gerade leicht verdauliche Kost, die uns die beiden österreichischen Autoren Klaus Werner und Hans Weiss in ihrem neuen Schwarzbuch Markenfirmen auf annähernd 400 Seiten präsentieren. Wer immer geglaubt haben mag, dass wir in einer freien Marktwirtschaft mit fairem Wettbewerb leben, wird hier schnell eines Besseren belehrt. So berichten die Autoren von der Bedeutung, die Korruption und Bestechung in unserem Wirtschaftssystem weltweit inzwischen erlangt haben und mit deren Hilfe auch umweltschädliche und für die betroffenen Regionen oft nachteilige Projekte realisiert werden. Die Gewinner sind andere – es sind die großen Weltkonzerne, die mit Hilfe der Politik und ihren Instrumenten wie WTO oder IWF, Zugang zu den Märkten in der ganzen Welt erlangen und ihren Einfluss dort zu Lasten der jeweiligen Staaten ausbauen.

Detailliert schildern Werner & Weiss die Menschenrechtsverletzungen, die diese Firmen billigend in Kauf nehmen, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Und dies trifft die meisten der großen Firmen, quer durch die Branchen. Seien es die skandalösen Umstände, mit denen Shell und andere Ölkonzerne sich in den Rohstoffländern aufführen und die Ölförderungen betreiben. Seien es die bereits seit längerem bekannten skandalösen Zustände in den “Sweatshops” Asiens und Lateinamerikas, die für wenige Cent in der Stunde prestigeträchtige Kleidung für Nike & Co. herstellen. Ein eigenes Kapitel “verdienen” sich auch vermeintlich so honorige deutsche Unternehmen wie Bayer (wegen ihrer Verwicklung in den blutigen Bürgerkrieg im Kongo, der um die dortigen Bodenschätze geführt wird) oder Siemens (auf Grund ihrer Beteiligungen an ökologisch und ökonomisch höchst fragwürdigen Großprojekten wie Staudämmen in Indien oder China). Kaum eine Branche bleibt verschont – seien es die Lebensmittelindustrie, Spielzeughersteller oder Pharmafirmen, die mit dem Elend der Dritten Welt ihre Geschäfte machen und die Vor-Ort-Produktion kostengünstiger Generika für Aids-Kranke in Afrika per Gerichtsbeschluss verhindern lassen.

Dank der sich immer weiter beschleunigenden, neoliberal gestalteten Globalisierung ist die Macht einzelner Konzerne inzwischen so groß geworden, dass deren Umsätze das BIP ganzer Länder übersteigen – so liegen Multis wie Wal-Mart, ExxonMobil oder BP inzwischen auf einer Höhe mit Staaten wie Österreich, Indonesien oder Norwegen – mit den entsprechenden Folgen in Form der zunehmenden Einflussnahme durch diese Unternehmen und der Untergrabung unserer Demokratien.

Der vielleicht bedrückendste Teil des Buches befindet sich am Ende – auf ca. 100 Seiten werden die jeweils größten Vergehen von ungefähr 50 weltbekannten Marken und Konzernen aufgelistet, zusammen mit Ratschlägen, was man als einzelner gegen diese Umtriebe tun kann. Zu den hier behandelten Unternehmen gehören z.B. Aldi, Deutsche Bank, Dole, Exxon/Esso, Ford, H&M, Kraft (Philip Morris), Mattel, McDonald’s, Nestlé, Pfizer, Reebok und Unilever – also allesamt Firmen, die durch eine enorme Medien- und Werbepräsenz in aller Munde sind und (offenbar nicht ohne Grund) so viele Milliarden in Imagekampagnen stecken.

Kritisch, aber stets gut informiert, öffnen uns die beiden Autoren so die Augen für die Folgen der Globalisierung und darüber, wozu die ständig steigende Marktmacht einzelner Konzerne weltweit führt. Abgerundet wird das Buch mit vielen Literaturtipps und Links zu weiterführenden Informationen und Diskussionen im Internet. Beim nächsten Einkauf im Supermarkt oder Shopping-Center wird der Leser vielleicht einen anderen Blickwinkel auf die dort so bunt & billig lockenden Waren haben.

Siehe auch: http://www.markenfirmen.com (die eigene Website für dieses Buchprojekt)

(Mittlerweile ist übrigens auch das neue Buch von Klaus Werner-Lobo erschienen: Uns die Welt)

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Okt
16
2008
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Buchbesprechung: Jean Ziegler „Das Imperium der Schande”

Wusstet Ihr, dass Nestlé, der weltgrößte Lebensmittelkonzern mit Sitz im beschaulichen Schweizerischen Vevey, weltweit über 8000 Marken verfügt, zu denen neben den vielen Süßigkeiten (Lion, Kit Kat, Smarties), Kaffeesorten und Tier- und Kindernahrung (Alete), Maggi und Thomy u.a. auch Vittel, Perrier und San Pelegrino zählen? Dass das Unternehmen wegen seines unstillbaren Wachstumsdursts „Die Krake von Vevey” genannt wird? Dass Nestlé in vielen Zweigunternehmen, beispielsweise in Frankreich, aber auch in Asien und Lateinamerika, aktiv gegen gewerkschaftliche Tendenzen bei seinen Angestellten vorgeht? Oder dass die Firma bevorzugt in den armen Ländern Afrikas Mütter in den ersten Tagen nach der Geburt ihrer Babys mit kostenlosem Milchpulver versorgt, so dass die Frauen bald nicht mehr mit ihrer eigenen Milch stillen können und fortan auf die „Segnungen” des Milchpulvers angewiesen sind, das sie teuer kaufen und zudem mit oft verunreinigtem Wasser mischen müssen, was zu vielen Todesfällen und Krankheiten unter den Säuglingen führt?

All diese beunruhigenden Informationen finden sich in Jean Zieglers neuem Buch «Das Imperium de Schande – der Kampf gegen Armut und Unterdrückung», in dem er die durch die Globalisierung und neoliberales Wirtschaften entstandene Weltordnung scharf kritisiert und als «neofeudales Herrschaftssystem» bezeichnet. Ziegler ist nicht irgendein dahergelaufener Globalisierungsgegner, sondern als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung und streitbarer Professor der Soziologie mit den Mechanismen vertraut, die heutzutage zu einer sich immer weiter verstärkenden Ungleichheit auf der Welt führen. Detailliert und kenntnisreich – bei manchen Versammlungen der entsprechenden UN- oder IWF-Gremien ist Ziegler mit vor Ort und weiß somit genau, wovon er spricht -, engagiert und mit viel Empathie für die betroffenen Gesellschaften der sog. „Dritten Welt”, schildert Ziegler die unerbittlichen Regeln, die die herrschenden transkontinentalen Konzerne und die Regierungen der westlichen Demokratien, den unter ihrer Schuldenlast ächzenden und oft erstickenden Ländern in Lateinamerika, Asien und Afrika aufzwingen. Menschenrechte werden dabei durch das „Recht” des Stärkeren ersetzt, der Profit der einzelnen Großkonzerne den Interessen der Menschen übergeordnet – «Die Kosmokraten lieben die Menschenrechte. Aber nur solange sie der Ausbeutung der Völker nicht im Wege stehen.», wie Ziegler gegen Ende seines Buches bitter anmerkt.

Jean Ziegler nimmt in seinen Schilderungen kein Blatt vor den Mund und streift dabei durchaus auch einmal den Bereich der Polemik, andererseits kann man es ihm angesichts des Elends, das er auf seinen Reisen um den Globus ständig erlebt und der Wut, die man auch als Leser dabei empfindet, nicht wirklich verübeln. Der Autor führt uns jedoch nicht nur die teils skandalösen Zustände vor Augen, von denen wir uns im sicheren und reichen Westeuropa kaum Vorstellungen machen können, sondern gibt auch hoffnungsvolle Ausblicke auf eine Zukunft, in der die Herrschaft der „Kosmokraten” (wie er die Staatslenker und Leiter der großen Unternehmen und Banken nennt) zurückgedrängt wird – Widerstand gegen dieses «parasitäre Wirtschaftssystem» regt sich überall auf der Welt (Stichwort „Culture Jamming”) und es gibt auch konstruktive Gegenentwürfe, wie die Entwicklung in Brasilien zeigt, das gerade versucht, sich von dem von den reichen Ländern aufgebürdeten Schuldenberg zu befreien und die Armut im eigenen Land zu bekämpfen sowie die demokratischen Grundrechte der Bürger zu stärken.

Fazit: Dieses Buch sollte Pflichtlektüre eines jeden kritischen Staatsbürgers und Konsumenten sein!

Jean Ziegler „Das Imperium der Schande”
Goldmann 2008 (aktualisierte Auflage), 345 S., 8,95 €

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